Leder, Lust und Leid

Prolog

Die alte Fabrikhalle hatte ihre besten Jahre schon hinter sich, lange bevor jemand auf die Idee gekommen war, sie „Industriekultur“ zu nennen. Vor einem halben Jahrhundert ratterten hier Webstühle, kreischten Spinnmaschinen und vibrierten Metallgerippe, als hätten sie Angst, dass jemand sie abschaltet.

Dann schaltete jemand sie ab. Und die Stille übernahm den Job. Mauerwerk bröckelte, Regenwasser suchte sich Wege, und Tauben gründeten Familien mit beeindruckender Effizienz.

Bis eines Tages ein kleiner Boxverein auftauchte. „Die Halle ist billig“, hatte jemand gesagt. „Und wenn sie uns auf den Kopf fällt, merken wir’s ja rechtzeitig.“

Heute stehen mitten im gigantischen Raum mehrere Boxringe. An den Wänden stehen alte Holzbänke, darauf Trainingstaschen, Handtücher, Wasserflaschen – und Boxhandschuhe.
Boxhandschuhe reden nicht. Offiziell.

Inoffiziell reden sie ständig. Nur eben nie, wenn ihr Besitzer zuhört.

An diesem Abend war das Training vorbei. Der erfahrene Boxtrainer – ein Mann, der seit drei Jahrzehnten Treffer einsteckt, ohne es persönlich zu nehmen – hatte einer jungen Frau die Grundlagen des Sparrings beigebracht. Das *Paff-paff*, *Whap*, *Tschuff* ihrer Schläge hing noch in der Luft.

Nun lagen ihre Handschuhe nebeneinander:

ein Paar männlich, groß, schwarz, schwer;

ein Paar weiblich, kleiner, rot, neugierig.

Der rechte rote Handschuh begann: „Wir werden unterschätzt.“

Der große schwarze Handschuh brummte: „Total. Wir kriegen die Schläge, die Emotionen, die Fehlentscheidungen. Und am Ende landen wir zwischen einem Handtuch und einem Energydrink.“

Der rote Handschuh sagte: „In uns stecken zehn Finger und die ganzen Reste einer Hand.

So viele Persönlichkeiten. So viele Geschichten.“

Der schwarze nickte langsam. „Ich schütze nicht nur Knochen und Haut. Ich schütze Temperamente. Dramen. Eitelkeiten.“

Sie machten einen Handschuh-Pakt:

Die Finger und auch all die anderen Teile der Hand, die in einem Boxhandschuh stecken, sollten endlich sprechen.

Die kleinen roten Boxhandschuhe und die großen alten Schwarzen – zwei Welten, de so viel zu erzählen hatten.

Die Boxhandschuhe hätten es so gesagt:

„Wir schlagen. Wir werden geschlagen.

Aber die wirklich seltsamen Dinge passieren drinnen.“

Erstes Buch – Die Finger

Geschichten 1 – 11

1 – der rote Zeigefinger

Der rote Zeigefinger war heute auffallend gut gelaunt. So gut gelaunt, dass sich sogar der Mittelfinger fragte, ob hier irgendetwas nicht mit rechten Dingen zuging. Normalerweise war der rote Zeigefinger eher der Typ: „Ich weiß was! Hör mir zu! Stell dich da hin!“ – doch heute strahlte er, als hätte jemand heimlich seine Laune gebügelt.

„Freunde,“ begann er, „ich habe einen Plan.“

Der kleine Finger seufzte sofort. Pläne bedeuteten immer Arbeit. Oder Stress. Oder, im schlimmsten Fall, beides gleichzeitig.

„Wir gehen heute geschlossen auf Wanderschaft.“

Alle Finger starrten ihn an. Wanderschaft?

Der Ringfinger räusperte sich beleidigt. „Ich trage Verantwortung. Ich kann nicht einfach loswandern, ich bin dekoriert!“ Er zeigte auf den Ehering, der still glänzte. Der Ring reagierte nicht. Ringe sind oft unhöflich.

Der Mittelfinger, naturgemäß skeptisch, knurrte: „Was hast du denn jetzt wieder vor? So was endet nie gut.“

Der rote Zeigefinger aber ließ sich nicht beirren. „Wir gehen nach oben. Auf den Kopf! Dort sollen großartige Gedanken sein, habe ich gehört.“

„Gedanken?“, fragte der Daumen. „Seit wann interessieren uns Gedanken? Wir sind Hände! Wir greifen Sachen! Wir drücken Knöpfe! Wir zeigen auf Idioten!“

„Eben!“, rief der Zeigefinger begeistert. „Vielleicht gibt es da oben neue Idioten!“

Diese Aussicht gefiel dem Mittelfinger. „Gut. Dann bin ich dabei.“

Also machten sich alle Finger auf den Weg, kletterten den Unterarm hinauf, wackelten über den Ellbogen – mit kurzer Pause, weil der Daumen wieder einmal quengelte, dass es jucke – und erreichten schließlich die Schulter.

„Und jetzt?“, fragte der kleine Finger, der schon völlig außer Atem war.

„Jetzt nach oben“, befahl der rote Zeigefinger.

Sie kletterten den Hals hoch, wobei der Ringfinger sich ständig beschwerte, sein Schmuckstück würde schrammen, und der kleine Finger schrie, weil er die Höhe nicht mochte.

Endlich erreichten sie den Kopf.

„So“, sagte der Zeigefinger. „Wo sind sie? Die Gedanken?“

Sie sahen sich um.

Links: Haare.

Rechts: noch mehr Haare.

Vorne: Stirn.

Hinten: Geheimratsecken, die sich untereinander flüsternd über die Besucher wunderten.

„Wo sind die Gedanken?“, rief der Mittelfinger ungehalten.

Und plötzlich – ein leises Plopp.

Dann ein zweites Plopp-plopp.

Wie Seifenblasen stiegen zwei frische Gedanken aus dem Kopf heraus, schwebten über den Fingern und funkelten.

Der rote Zeigefinger war begeistert.

„Da! Ich wusste es!“

„Was steht da?“, fragte der kleine Finger und blinzelte.

Gedanke Nr. 1: „Nicht vergessen: Müll rausbringen.“

Gedanke Nr. 2: „Wo liegt eigentlich die Fernbedienung?“

Alle Finger schwiegen.

Eine Sekunde. Zwei Sekunden.

Der Mittelfinger fasste die Situation zusammen:

„Dafür sind wir 48 Zentimeter geklettert?“

Der rote Zeigefinger überlegte kurz. Dann rief er heldenhaft:

„Rückzug! Sofort! Wir waren nie hier!“

Sie drehten sich gleichzeitig um – und rutschten in panischer Eile den Hals hinunter, stolperten über die Schulter und landeten wieder an ihrem Platz.

Der Daumen schnaubte: „Also das nächste Mal bleiben wir unten.“

„Wieso?“, fragte der rote Zeigefinger, der schon wieder funkelte.

„Weil“, sagte der kleine Finger erschöpft, „der Kopf offenbar auch nicht mehr weiß als wir.“

2 – Der rote Mittelfinger

Der rote Mittelfinger war heute ungewöhnlich still.
Normalerweise war er der Lauteste, Größte, Selbstbewussteste, und das wusste er auch. Er war der König der Hand. Der Sheriff. Der Platzhirsch. Zumindest in seinem eigenen Kopf.

Doch an diesem Morgen sagte er nichts. Er stand einfach da, leicht gekrümmt, als würde er über irgendetwas nachdenken.

Der Daumen bemerkte es als Erster. „Sag mal, bist du krank? Oder übst du Höflichkeit? Beides wäre beunruhigend.“

Der Mittelfinger reagierte nicht. Er atmete tief ein.
Finger können das, wenn sie wollen.

Der Ringfinger versuchte es diplomatisch: „Lieber Kollege, ist irgendetwas vorgefallen? Dein… äh… natürliches Dominanzgehabe wirkt heute etwas verschattet.“

Wieder Schweigen.

Der kleine Finger flüsterte: „Vielleicht hat er gestern zu viel mit dem Touchscreen gearbeitet. Da wird jeder sensible Finger irgendwann müde.“

„Ich bin NICHT sensibel“, knurrte der Mittelfinger plötzlich. Aha. Da war er wieder.

„Ich…“, begann er. „Ich bin heute einfach… enttäuscht.“

Alle Finger erstarrten.

Enttäuscht?
Der Mittelfinger?
Der Mann, der sonst jedem seine Meinung direkt ins Gesicht presste?

Der Zeigefinger klopfte ihm vorsichtig auf die Seite.

„Von wem? Von uns? Vom Daumen? Von dir selbst? Vom Smartphone?“

Der Mittelfinger schnaubte.
„Vom ganzen System.“

„Ah“, sagte der Daumen. „Eine systemische Krise. Das hatten wir lange nicht.“

Der Mittelfinger hob sich einen Millimeter.
„Ich habe gestern etwas beobachtet… etwas Unfassbares.“

Alle Finger rückten näher.
„Der Mensch…“
Er machte eine dramatische Pause.
„…hat mich gestern zum Nasenbohren benutzt.“

Betretenes Schweigen.

Der Ringfinger räusperte sich.
„Nun ja… das ist doch—“

„NEIN!“, donnerte der Mittelfinger. „Das ist die Aufgabe vom Zeigefinger! Nicht meine! Ich bin der Finger der großen Gesten! Der starken Worte! Der spontanen Gerechtigkeitsdurchsetzung! Ich bin NICHT…“
Er schauderte.
„…ein Nasendiplomat.“

Der Zeigefinger hob die Handfläche.
„Stimmt, das ist eigentlich mein Gebiet. Ich hätte übernehmen können. Ich war nur kurz abgelenkt, weil der Mensch gleichzeitig ‚Wörterbuch‘ falsch geschrieben hat.“

Der kleine Finger kicherte leise.

Der Mittelfinger fuhr fort:
„Und als wäre das nicht schlimm genug:
Er hat mich danach einfach… an der Hose… TROCKENGERIEBEN.“

Alle Finger keuchten erschüttert.
„Das ist barbarisch!“, rief der Daumen.

„Das ist unhygienisch!“, kreischte der kleine Finger.
„Das ist…“, begann der Ringfinger – doch ihm fehlten die Worte.

Der Mittelfinger warf sich in Pose.
„Ich fordere ab sofort ein Rotationssystem.“

„Ein was?“, fragte der Daumen.

„Eine Liste! Für ekelhafte Aufgaben! Jeder ist mal dran! Niemand kann sich drücken!
Gerechtigkeit für alle! Auch für mich!“

Die Finger sahen sich an. Dann sagten sie gleichzeitig:

„NEIN.“

„Wieso nicht?!“, brüllte der Mittelfinger empört.

Der Zeigefinger erklärte ruhig: „Weil wir uns einig sind, dass du für große Gesten geeignet bist. Für laute Momente. Für mutige Einsätze. Aber für Feinarbeiten…“
Er deutete auf den kleinen Finger.
„…haben wir ihn.“

Der kleine Finger winkte stolz. „Nasenbohren ist nicht schön. Aber es ist Präzisionsarbeit. Du würdest da oben doch stecken bleiben.“

Der Mittelfinger wollte protestieren – da passierte es.

Ein neuer Gedanke stieg aus ihm heraus.

„Vielleicht sollte ich mal Ohrenschmalz entfernen.“

Alle Finger starrten sich an.
Der Mittelfinger hob drohend die Spitze.

„Wenn der Kopf wieder zu mir greift…
…dann kündige ich wirklich.“

Doch der Kopf griff – ohne nachzudenken –
zielsicher zum…

Daumen.

Der Daumen stöhnte:
„Warum ich?! Ich passe da doch gar nicht rein!“

Der Mittelfinger grinste.
Zum ersten Mal heute.

„Tja“, sagte er zufrieden. „Manchmal hat das System halt Humor.“

3 – Der rote Zeigefinger meldet sich zu Wort

Der rote Zeigefinger war heute extrem motiviert.
So motiviert, dass selbst der rote Daumen sich fragte, ob jemand dem Finger heimlich Energydrink ins Leder gekippt hatte.

„Hört mir zu!“, rief er und tippte dreimal auf die Innenwand des Boxhandschuhs.

Tok-tok-tok.

Drinnen klang alles wie ein kleines Theaterstück in einer Mütze.

Der rote Mittelfinger murmelte:
„Wenn er wieder einen Plan hat, stell ich mich tot.“

Der Zeigefinger ignorierte das.
„Wir gehen heute raus! Endlich! In die Arena! Wir zeigen dem Menschen, wie eine richtige Gerade aussieht!“

Der kleine rote Finger quiekte:
„Aber wir sind doch Boxhandschuh! Wir haben überhaupt keine Fingerfreiheit! Wir sitzen alle als Klumpen!“

„Details!“, rief der Zeigefinger. „Der Wille zählt!“

Der Daumen seufzte.
„Was willst du denn überhaupt da draußen machen? Wir werden bewegt, nicht wir bewegen.“

Der Zeigefinger nahm eine heroische Pose ein, soweit das innen im wattierten Dunkel überhaupt möglich war.

„Wir lenken den Menschen unauffällig nach links. Wir zeigen ihm den Weg! Wir sind die geheimen Navigatoren!“

Die anderen Finger lachten.
Die Art von Lachen, die nach Leder, Stoff und Resignation klang.

„Du hast zu viel Schweiß eingeatmet“, erklärte der Mittelfinger.

Doch der Zeigefinger war schon in vollem Aufruhr.
„Auf Position! Wir üben jetzt das Signal ‚Linksrum‘! Ich drücke gegen den Handschuh. Ihr haltet dagegen. Fertig? Los!“

Er drückte.
Die anderen stemmten sich dagegen.
Nichts bewegte sich.

Der Zeigefinger schwitzte.

„Nochmal! Ich spüre, dass ich durchkomme!“

Sie versuchten es erneut. Es knarzte im Futter des Handschuhs. Ein winziges Staubkorn fiel von oben herab und kitzelte den Daumen. Der Daumen meckerte.

Doch nach dem dritten Versuch geschah tatsächlich etwas:

Der ganze Boxhandschuh bewegte sich.

Eine kleine triumphierende Stille verbreitete sich im Inneren.

Der Zeigefinger schnarrte stolz:
„Ha! Ich wusste es! Wir haben neue Macht! Wir bewegen den Menschen!“

Doch dann hörten sie von draußen die Stimme des Trainers:

„Falsche Richtung! Du schlägst ja neben den Sandsack! Konzentrier dich!“

Im Inneren erstarrten die Finger.

Der Daumen sagte trocken:
„Tja. Damit ist bewiesen: Wir können wirklich Einfluss nehmen…
…aber nur zum Schlechteren.“

Der Zeigefinger kollabierte beleidigt in sich zusammen.
„Das war ein künstlerischer Ausweichschlag!“

Die anderen Finger brüllten im Chor:
„WAR ES NICHT!“

Der Mensch korrigierte den Schlag – direkt auf den Sandsack.

Der rote Zeigefinger war wieder plattgedrückt wie eine Pfannkuchen-Seele.

„…Ich kündige später“, murmelte er. „Jetzt nicht. Jetzt ist es zu eng.“

4 – Der schwarze Zeigefinger hat schlechte Laune

Der schwarze Zeigefinger war heute übel gelaunt.
Nicht ein bisschen, sondern richtig fundamental.
So schlecht gelaunt, dass sogar der schwarze Daumen vorsichtig fragte:

„Willst du vielleicht erst einen Kaffee? Oder einen kleinen Wutanfall?“

Der Zeigefinger fauchte:
„Ich brauche keine Getränke! Ich brauche Respekt!“

Die anderen Finger im schwarzen Handschuh seufzten.
Der Mittelfinger gab sich Mühe, pädagogisch zu klingen:
„Was ist denn passiert, Bruder? Warum wieder Drama?“

Der Zeigefinger hob sich, soweit die wattierte Wand es zuließ.
„Ich wurde gestern übergangen! Komplett! Der Mensch hat uns angezogen und…“
er machte eine bedeutungsschwere Pause,
„…mich NICHT benutzt.“

Entsetztes Raunen.

Der kleine Finger klapperte nervös gegen die Futternaht.
„Wie… wie kann ein Mensch einen Boxhandschuh benutzen, OHNE dich zu benutzen?“

„Er hat nur mit der Faust geschlagen!“, rief der Zeigefinger empört.
„FAUST! Ohne Zeigen! Ohne Hinweis! Ohne taktische Führung!
Er hat einfach nur… draufgehauen!“

Der Daumen nickte.
„Das ist allerdings… relativ normal.“

„Normal? NORMAL?!“
Der Zeigefinger raste in einem winzigen Lederkäfig auf und ab.
„Ich bin der Finger der Präzision! Der Richtung! Der Strategie!
Und gestern war ich – ICH! – nur Deko!“

Der Mittelfinger schnaubte.
„Also willst du wieder wichtig sein? Wie üblich?“

„JA!“, brüllte der Zeigefinger.
„Und ich habe einen Plan. Einen brillanten! Einen genauen! Einen… äh… fingertechnisch hochkomplexen!“

Alle Finger stöhnten.

„Ich lenke heute den rechten Haken.
Ich gebe das Kommando!
Ich drücke gegen das Leder – und der Mensch folgt mir!“

Der Ringfinger hob die Stimme.
„Wenn wir dagegenhalten, geht alles schief. Nur damit du’s weißt.“

„Unsinn!“, rief der Zeigefinger. „In mir steckt Genie!“

„In uns steckt Schweiß“, korrigierte der Daumen.

Doch der Zeigefinger fuhr fort.

„Wir warten, bis der Mensch schlägt – und dann drücke ich millimetergenau nach rechts. Dadurch verpassen wir dem Sandsack einen völlig neuen Winkel!

Der Trainer wird begeistert sein!
Oder zumindest verwirrt.
Beides ist ein Sieg!“

Die anderen Finger tauschten resignierte Lederblicke aus.
Sie wussten, sie konnten ihn nicht stoppen.
Wenn ein Finger mit Größenwahn erst einmal loslegt, ist es vorbei.

Dann kam der Moment.

Der Mensch hob die Faust.
Der Handschuh spannte sich.
Die Finger im Inneren hielten den Atem an.

Der Zeigefinger drückte.
Hart.
Viel zu hart.
Viel zu früh.

Der Schlag ging NICHT nach rechts.
Der Schlag ging NICHT nach links.
Der Schlag ging direkt… gegen die eigene Stirn.

Kloppf.

Stille.

Sehr viel Stille.

Der Mittelfinger sprach als Erster:
„Beeindruckend. Du bist der erste Finger, der einen Selbst-K.O. eingeleitet hat.“

Der Zeigefinger lag entgeistert an der Innenwand.
„Ich… ich wollte doch nur präzise sein!“

Der Daumen grinste.
„Das warst du auch.
Just… im falschen Gesicht.“

Und draußen hörte man den Trainer sagen:

„Wie kann man sich beim Schattenboxen selber treffen?!“

5 – Der schwarze Mittelfinger provoziert ein Erdbeben

Der schwarze Mittelfinger war heute mächtig gereizt.
So gereizt, dass der Daumen ihn schon beim Aufwärmen warnte:

„Bitte heute keine Experimente. Der Mensch braucht die rechte Faust noch. Und wir auch.“

Der Mittelfinger schnaufte.
„Ich experimentiere nicht. Ich perfektioniere! Es gibt Unterschiede.“

Der kleine Finger flüsterte zum Ringfinger:
„Das heißt übersetzt: wir überleben die nächsten zehn Minuten nicht.“

Doch der Mittelfinger stellte sich in Position, drückte sein Innen-Leder zurecht und rief:

„Heute mache ICH die Kraftprobe!
Ich drücke beim Schlag minimal nach unten — nur ein bisschen — und verändere damit das gesamte Schlagbild!
Ein innovativer, revolutionärer, mittelfingerzentrierter Haken!“

Der Zeigefinger stöhnte.
„Warum müssen deine Ideen immer wie Unfälle klingen?“

„Weil sie brillant sind!“, bellte der Mittelfinger.

Dann kam das Kommando des Trainers:

„Rechter Aufwärtshaken! Sauber arbeiten! Keine Faxen!“

Der Mensch holte aus.
Der Handschuh spannte sich.

Und der Mittelfinger dachte:
Jetzt! Ein kleiner Druck nach unten! Minimal!

Er drückte.

Es war nicht minimal.

Es war…
alles andere als minimal.

Der schwarze Handschuh schoss nicht wie geplant nach oben.

Sondern machte eine absurde Kurve — halb Aufwärtshaken, halb Bodenprobe, halb göttliche Fehlkonstruktion.

WUMPF-KRACK-SPOING.

Ein Geräusch wie eine Mischung aus springendem Känguru, umfallendem Staubsauger und beleidigtem Donut erfüllte die Halle.

Der Mensch stolperte.
Der Armschwung kippte.
Der ganze Körper wackelte.

Der Trainer riss die Augen auf.

„WAS WAR DAS? Ein Aufwärtshaken mit eingebautem Erdbeben?!“

Im Innern des Handschuhs lagen die Finger übereinander wie ein missglücktes Origami-Kunstwerk.

Der Daumen japste:
„Ich glaube… ich bin kurzzeitig in den Ellbogen gesaugt worden.“

Der Ringfinger keuchte:
„Ich habe Geräusche in meinem Knöchel gehört, die es biologisch nicht geben sollte.“

Der kleine Finger winselte:
„Ich existiere seit drei Sekunden nicht mehr! Ich glaube, ich bin nur noch Idee!“

Der Mittelfinger hingegen lag halb zerdrückt, aber strahlend:
„Seht ihr? Revolution! Der erste Aufwärtshaken der Welt, der gleichzeitig versucht, sich selbst ein Bein zu stellen.“

Der Zeigefinger brummte:
„Ein historischer Moment, ja.
Historisch dumm.“

Draußen sagte der Trainer:
„Wir machen jetzt Pause.
Ich glaube, der Handschuh hat Schluckauf.“

6 – Der rote Ringfinger führt eine Zeremonie durch

Der rote Ringfinger war heute festlich gestimmt.
Was irritierend war.

Im Inneren eines Boxhandschuhs gibt es normalerweise zwei Stimmungen:
genervt oder sehr genervt.

Festlich gehört nicht dazu.

„Freunde“, begann der Ringfinger mit pathetischer Stimme, „wir werden heute würdevoll schlagen.“

Der Daumen kicherte.
„Würdevoll? Wir sind ein Boxhandschuh, kein Standesamt!“

Der Ringfinger hob sich ein wenig, soweit es die wattierte Höhle zuließ.
„Ich trage hier eine große Verantwortung.“

Er deutete imaginär auf seine Position.
„Ich bin traditionell der Finger für Zeremonien! Für wichtige Momente! Für feierliche Signale!“

Der Mittelfinger stöhnte.
„Du bist der Finger, den man mit Ringen schmückt. Und wir tragen keinen Ring. Wir tragen Schweiß.“

„Details“, sagte der Ringfinger würdevoll.
„Heute mache ich den Schlag edler. Ich werde beim nächsten Haken kurz einen sanften, runden Bewegungsimpuls geben. Sozusagen: ein Hauch von Eleganz!“

Der kleine Finger kreischte erschrocken:
„Eleganz?! Du willst einen eleganten Schlag? Wir! In einem Boxhandschuh! Du bist irre!“

Doch der Ringfinger war nicht aufzuhalten.
Er übte sogar.
Er wackelte leicht.
Eine Art Mini-Tanz.
Im Handschuh.
Sehr peinlich.

Der Zeigefinger flüsterte zum Daumen:
„Kannst du ihm sagen, dass er aussieht wie ein sterbender Regenwurm?“

„Sag du’s“, flüsterte der Daumen zurück.
„Ich habe Rückenschmerzen.“

Dann brüllte der Trainer:
„Linker Haken mit Schwung! Jetzt!“

Im Inneren war Panik. Alle wussten: der Ringfinger hatte etwas geplant.
Etwas Dummes.
Etwas Elegantes – was meistens noch dümmer war.

Der Mensch holte aus. Der rote Handschuh spannte sich.

Der Ringfinger setzte seinen „Zeremonien-Impuls“.

Er bewegte sich tatsächlich rund.
Eine elegante Kreiselbewegung.
Also elegant im Maßstab „ein Finger im gepolsterten Dunkel“.
Für die anderen sah es aus wie ein epileptischer Schluckauf.

Doch dann passierte es:
Der ganze Schlag wurde…
…rund.

Kein Haken.
Kein Schlag.
Kein Treffer.

Der Handschuh drehte einen halben Kreis in der Luft, beschrieb eine lächerliche Schnörkelkurve —
und klatschte an der einzigen Stelle auf, die garantiert niemand schlagen wollte:

Gegen die eigene Brust.

POFF.

Dann herrschte Stille.
Der Mensch japste.
Der Trainer kniff die Augen zusammen.

„Das war der weichste Schlag aller Zeiten.
Das war kein Haken, das war eine Umarmung!“

Im Inneren lag der Ringfinger stolz wie ein Opernsänger nach der Premiere.

„Habt ihr es gesehen?
Anmut!
Sanftheit!
Ein poetischer Schlag!“

Der Mittelfinger brüllte:
„Das war KEIN Schlag! Das war ein Selbst-Knuddel!“

Der kleine Finger wimmerte:
„Ich glaube, ich habe mich selbst gestreichelt.“

Der Zeigefinger donnerte:
„Mach DAS nie wieder. NIE!“

Doch der Ringfinger lächelte feierlich:
„Ich nenne es: Der Umarmungs-Haken.“

7 – Der schwarze Ringfinger will heiraten

Der schwarze Ringfinger war heute merkwürdig romantisch.
Ein Zustand, den die anderen Finger sofort bedenklich fanden.

Der Daumen fragte vorsichtig:
„Geht’s dir gut? Oder hast du Lederdämpfe eingeatmet?“

Der Ringfinger seufzte träumerisch.
„Ich habe beschlossen zu heiraten.“
Der Mittelfinger verschluckte sich fast.
„WAS?! Wen denn? Wir sind fünf Finger in einem Handschuh! Niemand heiratet hier irgendwen! Das ist doch absurd!“

Der Ringfinger hob sich feierlich.
„Ich heirate… den perfekten Schlag.“

Totenstille.

Der Zeigefinger stöhnte: „Das ist der dümmste Satz, den ich je in einem Boxhandschuh gehört habe. Und ich habe hier schon einiges erlebt.“

Doch der Ringfinger war im Liebesrausch.
„Heute verbinde ich mich für immer mit einem traumhaften, makellosen Schlag. Ich gebe ihm meine sanfte Führung. Meine runde Form. Meine Gefühlstiefe.“

Der kleine Finger kreischte:
„Gefühlstiefe?! Wir sind aus Leder!“
Der Ringfinger fuhr unbeirrt fort:
„Es wird ein Schlag voller Harmonie, voller Zärtlichkeit, voller—“

„Zärtlichkeit ist bei Boxen NICHT vorgesehen!“, brüllte der Mittelfinger.

Doch es war zu spät.
Der Trainer rief:

„Rechter Haken – explosiv! JETZT!“

Der Mensch holte aus.
Der schwarze Handschuh spannte sich wie eine Trommelhaut.

Und der Ringfinger, völlig verliebt, flüsterte:
„Ich komme, mein Geliebter…“
und gab einen weichen, romantischen Bogenimpuls nach außen.

Das Ergebnis war eine Katastrophe.
Eine elegante, wunderschöne, irrwitzige Katastrophe.

Der Schlag ging NICHT gerade.
Er ging NICHT hart.
Er ging NICHT zielgerichtet.

Er ging in einem perfekten, herzförmigen Bogen.
Ein kompletter Amor-Schlag.
Ein Boxhaken in der Form eines Liebesgrußes.

POFF–WHIIUUU–TAP.

Der Handschuh berührte den Sandsack nur ganz sanft – so sanft, dass selbst der Sandsack irritiert wackelte, als wäre er zum ersten Mal in seinem Leben höflich begrüßt worden.

Der Trainer starrte.
„Hat… hat der Handschuh gerade…
…den Sandsack gestreichelt?!
Mit einem Haken?!“

Im Inneren herrschte Chaos.
Der Daumen grollte:
„Ich fühle mich schmutzig.“

Der Zeigefinger fluchte: „Das war kein Schlag! Das war ein Liebesbrief mit Lederumschlag!“

Der kleine Finger jammerte: „Ich glaube, ich wurde zärtlich gedrückt. Ich bin für solche Nähe nicht gebaut.“

Der Mittelfinger schrie: „WEHE du machst das noch einmal!“

Doch der Ringfinger lächelte verklärt:

„Das war meine Hochzeit.
Und es war wunderschön.“

Draußen murmelte der Trainer:
„Vielleicht sollten wir dem Handschuh Blumen kaufen.

8 – Der rote kleine Finger übernimmt das Kommando

Der rote kleine Finger war heute überraschend selbstbewusst.
Normalerweise war er der leiseste, der dünnste, der am leichtesten zu übersehende.
Der Finger, der im Handschuh meistens irgendwo zwischen „eingequetscht“ und „verloren“ pendelte.

Doch heute nicht.

„Leute, hört zu!“, rief er.
Die Stimme klang zwar wie eine quietschende Garnrolle, aber dafür sehr entschlossen.

Der Mittelfinger lachte hart.
„Was willst du denn? Ein bisschen wackeln? Ein kleines ‚Pieps‘ in Lederform?“

Der kleine Finger stemmte sich nach oben, soweit es ging.
„Heute führe ICH!“

Der Daumen prustete.
„Du? Führen?
Du gehst im Handschuh öfter verloren als ein Socken in der Waschmaschine!“

Doch der kleine Finger war in einer Art Ausnahmezustand.
Er schien überladen mit Energie, Mut — und kompletter Selbstüberschätzung.

„Hört mir zu!“, wiederholte er.
„Ich gebe heute den Impuls! Bei dem nächsten Schlag. Ich zeige dem Menschen den perfekten, eleganten, kleinen Nachzieh-Schubs.
Einen Kunstschub.
Einen Mini-Schub.
Einen Schubs der Schübe.“

Der Zeigefinger seufzte: „Oh weh. Schon wieder Kunst.“

Doch der kleine Finger war unaufhaltsam.

„Ich drücke im exakt richtigen Moment nach!
Nur einen Hauch!
Ein kitzelkleiner Präzisionsstoß!“

Der Mittelfinger knurrte: „Wenn du uns mit deinem ‚Hauch‘ aus der Bahn wirfst, werde ich dich später kneten wie Knetgummi.“

Dann rief der Trainer:
„Linker Gerader! Sauber und gerade! Kein Quatsch!“

Alle Finger erstarrten.
„Kein Quatsch“ war das Stichwort, bei dem IMMER Quatsch geschah.

Der Mensch holte aus.
Der rote Handschuh spannte sich.

Der kleine Finger flüsterte:
„Jetzt… jetzt… jetzt…“ und drückte.

Er drückte zu fest.
Und zu spät.
Und an der falschen Stelle.

Der Schlag, der gerade und sauber sein sollte, begann plötzlich zu taumeln.
Nur leicht.
Ein winziger Schlenker.
Doch dieser kleine Schlenker reichte, um aus dem Schlag etwas völlig Neues zu machen:
Einen torkelnden Halbkreis-Kipp-Schlag.

PLOFF–SCHWUPP–KRINGG.

Der Mensch machte einen halben Schritt zur Seite.
Der Handschuh schlug nicht den Sandsack.
Der Handschuh schlug…
den Hocker neben dem Sandsack.

Der Hocker kippte.
Mit einem überraschend eleganten Tock!
Wie ein höflich sterbender Möbelrest.

Der Trainer rieb sich die Augen.
„Was… war DAS denn?
Ein Schlag auf Inneneinrichtung?
Seit wann trainieren wir Möbelzerstörung?“

Im Inneren des Handschuhs herrschte Chaos.

Der Daumen schrie:
„Ich habe mein eigenes Leder gesehen! Warum habe ich mein Leder gesehen?!“

Der Ringfinger japste:
„Ich bin in meinem eigenen Gelenk umgezogen!“

Der Mittelfinger kreischte:
„Du kleiner Wahnsinniger! Wir hätten fast den Menschen umgeworfen!“

Doch der kleine Finger lächelte glücklich:
„Habt ihr’s gesehen? Das war Präzisionskunst. Ich nenne es: den ‘Außenmöbel-Umlenk-Haken’.“

Die anderen brüllten:

„NEIN! Hör auf! Kein Name! Kein Konzept! LÖSCH DAS!“

Doch der kleine Finger legte die Beine übereinander — metaphorisch — und erklärte stolz:

„Ich übernehme ab heute öfter das Kommando.“

Im Handschuh herrschte kurz absolute Stille.

Bis der Daumen murmelte:

„Wir sollten ihn nachts fesseln.“

9 – Der schwarze kleine Finger macht einen Überraschungsangriff

Der schwarze kleine Finger war heute extrem aufgekratzt.
Er vibrierte regelrecht im Handschuh.
Der Daumen fragte misstrauisch:

„Hast du Zucker gegessen? Oder bist du nur wieder gefährlich motiviert?“

Der kleine Finger antwortete mit einer Stimme, die klang wie ein nervöser Bleistift:

„Ich mache heute… einen Überraschungsangriff!“

Der Mittelfinger rollte die Augen.
„Oh nein. Bitte nicht. Deine Überraschungen sind schlimmer als Durchfall im Fahrstuhl.“

Doch der kleine Finger grinste rasend.
„Ich bin schnell, ich bin wendig, und ich bin unterschätzt!
Heute drücke ich im entscheidenden Moment UNERWARTET nach unten.
So wird der Schlag doppelt so effektiv!
Eine Art Mini-Turboschub!“

Der Zeigefinger schnaubte:
„Das klingt wie die Anleitung zu einem Unfall.“

Der Ringfinger nickte zustimmend.
„Ich spüre schon jetzt: wir überleben das nicht.“

Doch der kleine Finger war im Angriffsrausch, eine Art Leder-Kamikaze-Version seiner selbst.

Dann brüllte der Trainer:

„Rechte Gerade! Ohne Experimente! Klare Linie!“

„Perfekt!“, quietschte der kleine Finger begeistert.
„Da experimentiere ich am liebsten!“

Im Innern des schwarzen Handschuhs brach Panik aus.

„NEIN, du sollst NICHT experimentieren!“
„STOPP!“
„Hände hoch! Lieg still! Tu GAR NICHTS!“

Doch der Mensch hob bereits die Faust.
Der Handschuh spannte sich.
Der perfekte Moment näherte sich.

Und der kleine Finger flüsterte:

„Überraschungsangriff…
JETZT!“

Er drückte nach unten.
Viel zu stark.
Viel zu früh.
Viel zu begeistert.

Der Schlag verlor sofort seine gerade Linie.
Er kippte.
Er schwankte.
Er korrigierte sich halb.
Und verwandelte sich schließlich in etwas völlig Unklassifizierbares:
einen schiefen, hüpfenden Halb-Sturz-Seitwärts-Klopper.

WHAP–TAP–FLUPP.

Der Handschuh traf nicht den Sandsack.
Er traf nicht die Luft.
Er traf auch nicht den Boden.
Er traf…

den Trainer.

Genauer gesagt:
Dessen Schulter.
Und zwar mit einer Art höflichem „Entschuldigungsschlag“.

Der Trainer erstarrte.
Die ganze Halle schwieg.

„Ähm…“, sagte der Trainer langsam, „hast du mich gerade… angestupst? Mit voller Kraft?“

Im Innern des Handschuhs herrschte Chaos.

Der Daumen fluchte:
„Ich habe den Trainer gespürt!
Warum habe ich den Trainer gespürt?!“

Der Ringfinger wimmerte:
„Ich glaube, ich liege gerade AUF dem Mittelfinger.“

„Du liegst IN mir!“, schrie der Mittelfinger panisch.
Der Zeigefinger stöhnte:
„Ich wusste es! Überraschungsangriff klingt IMMER nach Verletzten!“

Der kleine Finger aber lag völlig zufrieden an der Innenwand und verkündete:

„Mission erfolgreich.
Ich habe überrascht.“

Die anderen Finger schrien:

„DU HAST DEN TRAINER ÜBERRASCHT! DAS IST NICHT GUT!!“

Doch draußen sagte der Trainer:

„Wer hat denn da nach unten gedrückt?
Das fühlte sich an wie ein höflicher Schlag mit schlechtem Gewissen.“

10 – Der rote Daumen erklärt den Notfall

Der rote Daumen war heute hochernst.
So ernst, dass die anderen Finger sofort nervös wurden.
Ein ernster Daumen ist wie ein Wetterbericht mit dem Wort „Katastrophe“.

„Wir haben ein Problem“, sagte der Daumen.

Der kleine Finger kreischte sofort:
„Schon wieder?! Ich dachte, wir hätten gestern alles verbraucht!“

Der Daumen räusperte sich.
„Ich habe eine offizielle Durchsage.“

Der Mittelfinger ächzte.
„Bitte keine Durchsage. Deine Durchsagen sind immer langweilig und enden mit Schmerzen.“

Der Daumen ignorierte ihn.

„Freunde“, begann er feierlich, „ich kündige hiermit den Daumen-Notfallplan an.“

Schlagartig war es im roten Handschuh still.
Der Daumen-Notfallplan war eine Legende.
Keiner kannte ihn.
Weil er ihn jeden Tag neu erfand.

Der Zeigefinger fragte vorsichtig:
„Und… was genau ist der Notfall?“

Der Daumen zeigte – ja, er zeigte tatsächlich MITTEN IM HANDSCHUH – auf ein winziges, kaum spürbares Druckgefühl im Leder.

„Hier drin.
Ist ein Krümel.“

Die Finger brüllten auf.

„NEIN!!“
„Ein Krümel?!“
„In UNS?!“
„Raus damit! Raus! Raus! Raus!“

Der Daumen hob beruhigend die Stimme.
„Beruhigen Sie sich, meine Herren. Ich habe die Lage analysiert. Es ist ein Krümel von… sagen wir… Brot. Oder Keks. Oder etwas, das der Mensch schon vor drei Tagen gegessen hat.“

Der Ringfinger zitterte.
„Das ist ekelhaft.“

Der Daumen nickte. „Ja. Und deswegen werde ICH heute übernehmen.
ICH drücke beim Schlag nach oben.
Damit der Krümel nach unten rutscht und im Handschuh neutralisiert wird.“

Der Mittelfinger schrie:
„Das ist der dümmste Plan, den du je hattest!“

Doch es war zu spät.
Der Trainer rief:

„LINKER AUFWÄRTSHAKEN! Jetzt konzentriert arbeiten!“

Die Finger schrien:
„NEIN! KEIN AUFWÄRTSHAKEN!! DAS IST GENAU DIE FALSCHE RICHTUNG!!“

Doch der Mensch hob schon die Faust.
Der Daumen zog sich zusammen wie ein aufgeblasener Gummiball.

„Ich rette uns!“, rief er.
„Ich konzentriere den Druck! Ich kontrolliere den Krümel!“

Der Handschuh spannte sich.
Die Finger hielten den Atem an.

Und der Daumen drückte.
Mit ganzer Kraft.
Mit ganzer Überzeugung.
Mit null Sinn.

Der Schlag explodierte förmlich nach oben.
Nicht elegant.
Nicht technisch.
Sondern brutal, schief, zu früh und zu hoch.

Der rote Handschuh traf NICHT den Sandsack.
Er schlug über ihn hinweg.
Und krachte gegen…

die Unterseite eines Deckenbalkens.

KLONK!

Ein dumpfer, beleidigter Klang hallte durch die Halle.

Der Mensch japste.
Der Trainer flüsterte:
„Himmel hilf.
Der Handschuh greift jetzt schon die Decke an.“

Im Inneren herrschte Reinigungs-Weltuntergang.

Der Ringfinger schrie:
„Der Krümel ist überall! Er ist ÜBERALL!“

„Ich habe Brot am Gelenk!“, rief der Zeigefinger.

„Ich kann NICHT atmen!“, quiekte der kleine Finger, obwohl Finger nicht atmen.

Doch der Daumen sagte stolz:

„Mission erfolgreich.
Ich habe uns gerettet.“

Der Mittelfinger brüllte:

„Du hast uns fast an die Decke genagelt, du Vollidiot!!“

Doch der Daumen lächelte selbstzufrieden:

„Aber der Krümel ist jetzt weg.“

Und tatsächlich: Er war weg. Wohin? Niemand wusste es.

11 – Der schwarze Daumen verkündet das Ende der Welt

Der schwarze Daumen war heute ungewöhnlich düster.
So düster, dass die anderen Finger ihn misstrauisch musterten.

Der Zeigefinger fragte vorsichtig:
„Was ist los? Warum guckst du, als würde gleich ein Meteorit einschlagen?“

Der Daumen antwortete mit Grabesstimme:
„Es wird heute passieren.
Ich spüre es.
Das Ende der Welt… im Handschuh.“

Der Mittelfinger brüllte empört:
„Du bist der Daumen!
Du kannst nicht jeden Tag das Ende der Welt vorhersagen!
Das macht dich unglaubwürdig!“

Doch der Daumen blieb todernst.
„Ich habe Druckwellen gespürt. Tausend kleine Erschütterungen. Zeichen. Omen.“

Der kleine Finger flüsterte panisch:
„Wir hatten gestern ‚Krümel‘. Bitte sag mir, es ist nicht wieder Krümel. Ich halte keine Krümel-Apokalypse aus.“

Der Daumen schüttelte sich.
„Nein.
Schlimmer.“

Die anderen Finger verstummten.
Schlimmer ist immer schlecht.

Der Daumen sagte mit Betonung:
„Ich habe eine… FALTE entdeckt.“

Fassungslosigkeit.
Die Finger rissen sich innerlich zusammen, als hätte er gesagt: „Schlange, Bombe, oder Steuererklärung“.

Der Ringfinger japste:
„Eine was?!“

„Eine Falte“, wiederholte der Daumen mit schauriger Ruhe.
„Genau hier. Neben mir. Im Innenleder.
Eine Falte bedeutet:
Der Handschuh wird alt.“

Der Mittelfinger explodierte sofort.
„Wir sind BOXHANDSCHUHE!! Wir sind per Definition zusammengedrückt!! Wir bestehen aus Falten!!“

Doch der Daumen antwortete dramatisch:
„Nein…
diese Falte hat Tiefe.“

Der kleine Finger kreischte:
„O nein! Falte mit Tiefe!! Die schlimmste aller Falten!“

Der Trainer rief:

„Rechter Haken!
Sauber!
Und bitte ohne irgendwelche Extras!“

Im Inneren entstand sofort Alarmstimmung.

Der Daumen rief:
„Haltet euch fest!
Wenn die Falte bricht, implodiert der Handschuh!
Ich MUSS sie stabilisieren!
Ich drücke beim Schlag GEGEN die Falte!“

Die anderen Finger schrien:
„NEIN!! NEIN!! NICHT DRÜCKEN!!
DAS MACHT ES IMMER SCHLIMMER!!“

Doch der Mensch hob bereits den Arm.
Der schwarze Handschuh spannte sich.
Und der Daumen drückte.

Er drückte mit heroischer, völlig sinnloser Kraft.
Der Schlag wäre eigentlich gerade gegangen.
Doch durch den Daumendruck kippte er nach links, dann nach oben, dann wieder nach rechts – eine chaotische Dreifachschleife wie ein verwirrter Bumerang.

SPAFF–WHOPP–KRANK–DING.

Der Handschuh traf nicht den Sandsack.
Er traf nicht die Wand.
Er traf nicht einmal den Boden.

Er traf…

den Timer des Boxtrainers.

Der Timer piepte beleidigt.
Und ging kaputt.

Der Trainer schrie:
„Warum greift der Handschuh meine Geräte an?!
WAS IST LOS MIT DER RECHTEN HAND?!“

Innen herrschte Apokalypse.

Der Ringfinger wimmerte:
„Ich habe mein Gelenk in die Vergangenheit gedrückt!“

Der Mittelfinger schrie:
„Das war KEIN HAKEN! Das war ein orbitaler Absturz!“

Der Zeigefinger japste:
„Wir sind fast in die Wand geworfen worden!“

Doch der Daumen atmete zufrieden.
„Ich habe es geschafft.
Die Falte… hat gehalten.“

Der kleine Finger keuchte:
„Du bist verrückt. Komplett.“

Der Daumen antwortete feierlich:

„Manchmal muss man die Welt retten.
Manchmal auch nur den Handschuh.“

Dann, nach einer dramatischen Pause, fügte er hinzu:

„Die Falte bleibt aber gefährlich.“

Zweites Buch

Die übrigen Mitbewohner im Boxhandschuh

Geschichten 12 – 21

12 – Der rote Handballen beschließt, endlich mal mitzureden

Der rote Handballen hatte die Schnauze voll.
Seit Jahren, Jahrzehnten, Jahrhunderten (gefühlten)… ließ er sich von den Fingern herumkommandieren, zusammendrücken, verdrehen und zertreten. Aber heute nicht.

Heute meldete er sich zu Wort.

„HÖRT MAL ZU, IHR FINGER-PRIMADONNEN!“, donnerte er.

Die Finger erstarrten.
Alle fünf.

Der Mittelfinger flüsterte:
„Wer… WER… redet da?“

Der Daumen kniff die Lederaugen zusammen.
„Äh… ich glaube… das war… der Handballen.“

Der kleine Finger kreischte:
„WAS?! Der kann reden?! Seit wann das denn?!“

Der Handballen brüllte:
„SEIT ICH ES LEID BIN!!!
Ihr kriegt IMMER den Applaus, die Aufmerksamkeit, das Rampenlicht –
und ich krieg ALLES ab:
den Druck, die Schläge, das Schwitzen, den Schmerz, das Lederknarren!
UND NIEMAND DANKT MIR!!“

Der Ringfinger räusperte sich höflich:
„Ähm… also… vielen Dank?“

„ZU SPÄT!“, brüllte der Handballen.

Der Zeigefinger fragte vorsichtig:
„Und was… willst du jetzt?“

Der Handballen verkündete großartig:

„ICH mache heute den Schlag.
ICH drücke.
ICH entscheide die Richtung.
ICH übernehme das Ruder!
Wenn der Trainer sagt ‚Linker Schlag‘, dann führe ICH.“

Der Mittelfinger stöhnte:
„Das wird in einem Desaster enden.“

Der kleine Finger quiekte:
„Wir sollten uns verstecken. Aber WO?!“

Dann rief der Trainer:

„Linker Gerader! Klar und sauber!“

Im Handschuh herrschte sofort Panik.

Die Finger schrien:
„NEIN, du darfst NICHT!!!“
„HANDALLLEN, STOPP!!!“
„NICHT DU!!!“

Doch es war zu spät.

Der Handballen sammelte all seinen Frust, all seinen Zorn, all seine jahrhundertelange Leder-Unterdrückung…
…und DRÜCKTE.

Er drückte zu tief.
Er drückte zu früh.
Er drückte am völlig falschen Punkt.

Der Schlag, der gerade sein sollte, verwandelte sich sofort in eine katastrophale Fehlkonstruktion:

einen nach unten stürzenden Halb-Knick-Abwärts-Schräg-Schlag.

PLONK–GLUPP–TAPPP.

Der rote Handschuh traf nicht den Sandsack.
Er traf nicht die Luft.
Er traf nicht mal einen Hocker.

Er traf…

den eigenen Schuh des Menschen.

Direkt drauf.
Voll.
Ohne Scham.

Der Mensch schrie auf.
Der Trainer starrte entsetzt.

„Wieso schlägst du DEINEN EIGENEN FUSS?!
Was IST heute mit der linken Hand los?!
Hat die Lederfieber?!“

Im Handschuh war Weltuntergang.

Der Daumen brüllte:
„Ich habe Fußkontakt!
FUßKONTAKT!!
Ich bin kontaminiert!!“

Der Zeigefinger schrie:
„Mein Gelenk hat gerade ein Geräusch gemacht, das verboten sein sollte!“

Der kleine Finger jammerte:
„Wir sind tot… oder verflucht… oder beides…“

Doch der Handballen rief stolz:

„Endlich!
Endlich habe ICH mal etwas bewegt!
ICH!!
Nicht ihr Finger-Stars!
ICH habe den Schlag bestimmt!
ICH habe den Fuß getroffen!“

Der Mittelfinger fauchte:

„Das ist KEINE Leistung!! Das ist SPORTLICHER SELBSTMORD!!!“

Doch der Handballen grinste breit:

„War’s mir wert.“

13 – Der schwarze Handballen startet eine Revolution

Der schwarze Handballen war heute ungewöhnlich politisch.
So politisch, dass die Finger schon beim Aufwärmen nervös zuckten.

Der Zeigefinger fragte misstrauisch:
„Was hast du diesmal? Ein Referendum? Einen Staatsstreich? Eine Petition?“

Der Handballen antwortete mit pathetischer Donnerstimme:
„Ich rufe hiermit… DIE HANDBALLEN-REVOLUTION aus!“

Der Mittelfinger fiel fast in Ohnmacht.
„Bitte nicht.
Revolutionen tun weh.
Und meistens uns.“

Der Daumen brummelte:
„Kann mir jemand erklären, warum Handballen überhaupt reden dürfen?“

Der Handballen ignorierte das.

„Seit Beginn unserer Tage herrschen hier die Finger!
Die Finger bestimmen die Richtung!
Die Finger bekommen die Komplimente!
Und wir Handballen… tragen alles.
Alles!
Druck. Gewicht. Treffer. Schweiß. Schmerz. Verantwortung!“

Der kleine Finger flüsterte:
„Ich habe das Gefühl, er bereitet uns auf etwas Furchtbares vor.“

Der Ringfinger nickte zitternd: „Revolutionen sind nie gut für die Möbel eines Handschuhs.“

Der Handballen fuhr fort:

„Heute, meine geehrten Finger… übernehme ICH.
Beim nächsten Schlag drücke ICH zuerst.
Ein tiefer, stolzer, würdevoller Impuls von unten!
Die Zeit der Fingerherrschaft ist vorbei!“

Der Zeigefinger klatschte sarkastisch.
„Bravo. Großartig. Wir werden sterben.“

Dann rief der Trainer:

„Rechter Aufwärtshaken!
Und jetzt bitte KONZENTRIERT!
Keine Faxen!“

Die Finger schrien wie eine Kindergruppe im brennenden Zelt:

„NEIN!!! NICHT JETZT!!“
„HANDALLLEN, STOPP!!“
„BITTE KEIN POLITISCHES STATEMENT!!“

Doch der Mensch hob bereits die Faust.

Der Handschuh spannte sich.
Der kritische Moment kam.

Der Handballen donnerte:

„FÜR DIE FREIHEIT!!!“

…und drückte.

Er drückte mit revolutionärer Wucht.
Mit ideologischem Feuer.
Mit komplettem Wahnsinn.

Der Schlag schoss NICHT nach oben.
Stattdessen kippte er nach unten, dann schräg zur Seite, dann wieder hoch — eine politische Achterbahnbewegung.

KLAPP–WUFF–KRONG–TAPP.

Der schwarze Handschuh traf nicht den Sandsack.
Er traf nicht die Luft.
Er traf nicht die Wand.
Er traf nicht mal die Decke, wie der rote Handballen neulich.

Er traf…

den zweiten schwarzen Handschuh.
Die eigene andere Hand.

VOLL.
MIT GANZEM EINSATZ.
REVOLUTIONÄR.

Der Mensch machte ein Geräusch, das man in keiner Boxschule hören möchte.
Der Trainer schrie:

„HAST DU GERADE DICH SELBST GEKREUZSCHLAGEN?!
Wie schafft man das?!
Das ist GEGEN DIE PHYSIK!!“

Im Innern herrschte Wahnsinn.

Der Daumen jaulte:
„Ich habe die andere Hand gespürt!
Ich wollte sie NICHT spüren!“

Der Zeigefinger keuchte:
„Ich glaube, ich habe kurz die Kontrolle verloren über meinen Verstand. Und meine Position.“

Der kleine Finger jammerte:
„Wir haben uns selbst angegriffen! Wir sind offiziell verrückt!“

Der Mittelfinger schrie:

„HANDALLLEN!! DU HAST UNS DEN EIGENEN SCHLAG ANGETAN!!“

Doch der Handballen strahlte:
„Das war der erste Schritt.
Der erste echte Akt der Unabhängigkeit.
Damit beginnt die neue Ära…“

Die Finger brüllten im Chor:

„HALT DEINE ÄRA!!“

Doch draußen murmelte der Trainer:

„Ich glaube, die rechte Hand führt gerade Bürgerkrieg.“

14 – Der rote Restfinger entdeckt sein Lebensziel

Der rote Restfinger – dieses seltsame kleine Leder-Nichts hinter dem kleinen Finger – war heute in Hochform.
Er hatte nämlich beschlossen, dass es Zeit war, endlich ernst genommen zu werden.

„Hört mir zu!“, rief er, obwohl er gar keine richtige Stimme hatte.

Die anderen Finger drehten sich irritiert um.

Der Mittelfinger flüsterte entsetzt:
„Wer… WAR das?“

Der Daumen murmelte:
„Ich glaube… der Restfinger.
Das Ding, das keiner braucht und das nur existiert, weil Handschuhe schlecht konstruiert sind.“

Der kleine Finger kreischte:
„Der lebt?!“

Der Restfinger räusperte sich.
„Ja. Ich lebe. Ich existiere.
Und ich habe einen Zweck!“

Der Zeigefinger stöhnte sofort:
„Bitte keinen Zweck. Wir haben genug Zwecke im Handschuh.“
Doch der Restfinger ließ sich nicht beirren.

„Ich habe mein Ziel endlich gefunden!
Beim nächsten Schlag werde ICH die entscheidende Mikrobewegung machen.
Ich werde den entscheidenden Impuls geben – den kleinen Kick, der den Schlag perfekt macht!“

Der Ringfinger wimmerte:
„Der perfekte Schlag ist das Letzte, was uns noch gefehlt hat…“

Der Restfinger hob sich so weit, wie es anatomisch unmöglich war.
„Ich werde Geschichte schreiben.“

Der Mittelfinger brüllte:
„Du bist ZU KLEIN, um Geschichte zu schreiben! Du bist ZU KLEIN, um überhaupt mitzuschreiben!!“

Dann rief der Trainer:

„Linker Haken! Nicht verdrehen! Nicht experimentieren!“

Und alle wussten:
Es wird experimentiert.

Der Mensch hob die Faust.
Der rote Handschuh spannte sich.

Der Restfinger flüsterte triumphierend:
„Jetzt… kommt meine Stunde!“

Er bewegte sich.
Eine winzige Bewegung.
Ein absolut unbedeutender Mini-Schubs.

Aber der Handschuh war innen so eng, so verklemmt, so absurd verwinkelt, dass dieser winzige Schubs einen gigantischen Dominoeffekt auslöste.

Der kleine Finger knickte nach rechts.
Der Ringfinger knallte dagegen.
Der Mittelfinger drehte durch.
Der Daumen übersprang zwei Gelenkpositionen.
Und der Zeigefinger verlor für drei Sekunden den Willen zu leben.

Der Schlag wurde eine totale Katastrophe.
Ein chaotischer Zick-Zack-Schlag.
Ein schaukelnder Halbkreis-Schlenker.
Ein Leder-Bumerang ohne Richtung, Sinn oder Selbstachtung.

ZWAPP–GLONK–TAPF–BLÖNG.

Der Handschuh traf nicht den Sandsack.
Er traf nicht die Wand.
Er traf nicht den Boden.
Er traf nicht einen Hocker oder die Decke.

Er traf…

die Stirn des Menschen.

Mit vollem Schwung.
Ein perfekter Selbst-Niederschlag.

Der Trainer schrie:

„HAST DU DICH GERADE SELBST GEK.O.’T?!
Mit links?!
Wie schafft man das?!?!“

Im Inneren herrschte endzeitliche Panik.

Der Daumen schrie:
„Ich habe die Stirn gespürt!!
Ich WILL die Stirn NICHT spüren!!“

Der Zeigefinger keuchte:
„Das war ein Selbstangriff!! Ein Frontal-Eigentor!!!“

Der Mittelfinger brüllte:
„RESTFINGER!! DU BIST EINE BEDROHUNG FÜR DIESEN PLANETEN!!“

Doch der Restfinger sagte voller Stolz:
„Ich…
…habe etwas bewegt.“

Der kleine Finger fauchte:
„DU HAST UNS FAST UMGEBRACHT!!“

Der Restfinger lächelte:

„Endlich bin ich wichtig.“

15 – Der schwarze Restfinger möchte berühmt werden

Der schwarze Restfinger – dieses winzige, nutzlose Mini-Lederstück, das man in keinem Anatomiebuch findet – war heute elektrisiert.

„Ich werde BERÜHMT!“, quietschte er.
Alle anderen Finger blickten irritiert in die dunkle Handschuhhöhle.

Der Mittelfinger knurrte:
„Nein. Einfach nein. Berühmt wirst du auf keinen Fall.
DU bist der Teil von uns, der nicht einmal absichtlich genäht wurde.“

Der Daumen ergänzte:
„Wenn du ein Mensch wärst, wärst du eine Socke ohne Fuß.“

Der kleine Finger hauchte entsetzt:
„Warum redet der überhaupt?
Hat jemand ihn freigelassen?“

Doch der Restfinger sprühte vor Größenwahn.
„He, he, he! Heute ist MEIN Tag!
Ich werde beim Schlag den entscheidenden Kick geben.
Einen Mikro-Impuls!
Einen Sternmoment!
EINEN berühmt-machenden Funken Bewegung!“

Der Zeigefinger, genervt:
„Du bist ein biologischer Tippfehler.“

Der Ringfinger nuschelte:
„Ich spüre Angst. Viel Angst.“

Aber der Restfinger fauchte:
„RUHE! Ich mache uns zu Legenden!“

Dann brüllte der Trainer:

„Rechter Haken! Stabil! Ohne Ablenkungen!“

Die Fingerschaft schrie kollektiv:

„DAS IST DIE SCHLECHTESTE ANSAGE FÜR IHN!!“

Der Mensch hob die Faust.
Der Handballen spannte sich.
Die Finger verfielen in Panik.

Der Restfinger flüsterte:
„Berühmt… ich werde BERÜHMT…“

Und er drückte.

Er drückte einen Mini-Impuls.
Winzig.
Lächerlich.
Unterschätzt…
…und absolut tödlich.

Der kleine Finger wurde seitlich weggerissen.
Der Ringfinger kippte gegen den Mittelfinger.
Der Mittelfinger verdrehte sich und stieß den Daumen an.
Der Daumen schleuderte alles nach oben.
Und der Zeigefinger verlor komplett die Orientierung.

Der Schlag wurde ein geisteskranker Leder-Taifun.

PFFF—BLAFF—TONG—WHUPFFF!

Der schwarze Handschuh traf nicht den Sandsack.
Nicht die Wand.
Nicht den Boden.
Nicht die Hallendecke.

Er traf…

den Kopf des Trainers.

MITTEN drauf.
Präzise.
Gnadenlos.
Ein perfekt unfreiwilliger Kabumm-Treffer.

Der Trainer taumelte und schrie:

„WAS MACHST DU DA?!
HAST DU MICH GERADE AUS DEM NICHTS ANGEBOXT?!
BEIM TROCKENÜBEN?!“

Im Handschuh herrschte Endzeitstimmung.

Der Daumen gellte:
„Ich habe TRAINERKONTAKT!
Ich will KEINEN TRAINERKONTAKT!!“

Der Zeigefinger röchelte:
„Ich habe einen Stern gesehen. Er war böse.“

Der Mittelfinger brüllte:
„RESTFINGER!! WAS HAST DU GETAN?!“

Der kleine Finger kreischte:
„Wir werden ausgetauscht! Ausgesondert! Eingeschmolzen!“

Doch der schwarze Restfinger strahlte wie ein verrückter Mini-König:

„HA!
Ihr habt’s gesehen?
ICH habe den Trainer getroffen!
ICH!!“

Die anderen schrien im Chor:

„DAS WAR KEIN ERFOLG, DU VOLLKOMMEN IRRER MUTTERKNOTEN IM HANDSCHUH!!!“

Doch der Restfinger lächelte nur:

„Berühmt.
Ganz klar berühmt.“

Und der Trainer draußen starrte den Handschuh an:

„…ich brauche neue Handschuhe.
Diese hier greifen mich an.“

16 – Der rote Innenraum hält eine Rede

Der rote Innenraum – dieser dumpfe, dunkle Lederhohlraum unterhalb der Finger, den niemand jemals beachtet hatte – räusperte sich laut.

So laut, dass die Finger zusammenzuckten.

Der Daumen fragte misstrauisch:
„Was war das? Ein Geräusch? Ein Tier? Eine Fehlkonstruktion?“

Der Innenraum antwortete dröhnend wie ein leerer Wassereimer:
„ICH war das!“

Die Finger starrten entsetzt ins Dunkel.

Der Mittelfinger schrie auf:
„NEIN, NEIN, NEIN!
Das… DING kann REDEN?!“

Der kleine Finger kroch hinter den Ringfinger.
„Ich habe Angst. Der Innenraum ist groß. Zu groß.“

Der Zeigefinger fragte vorsichtig:
„Warum meldest du dich JETZT? Nach all den Jahren?“

Der Innenraum sagte majestätisch:
„Weil ich endlich verstanden habe:
IHR seid die Schauspieler,
aber ICH bin die Bühne.
Ohne MICH würdet ihr alle nur lose herumliegen, wie schlecht sortierte Nudeln!“

Der Mittelfinger knurrte:
„Wir können hervorragend ohne Bühne leben. Wirklich hervorragend. Sofort. Bitte.“

Doch der Innenraum war im Größenmodus.

„Ich übernehme heute das Timing.
DIESES Mal drücke ICH!
Ich kontrolliere das Tempo, den Rhythmus, den Raum! Ich werde beim nächsten Schlag die perfekte Hohlraum-Kompression einsetzen!“

Der Daumen röchelte:
„Bitte… hör… auf… Worte wie ‚Hohlraum-Kompression‘ zu benutzen… das macht mich nervös.“

Der Trainer rief:

„LINKER CROSS! Sauber und direkt!“

Und die Fingerschaft brüllte:

„OH GOTT, NICHT DER CROSS!!!“

Doch der Mensch hob schon den Arm.

Der Innenraum flüsterte tief und gefährlich:

„Jetzt zeige ich euch, wer hier wirklich Druck macht…“

Und er zog sich zusammen.

Der ganze Handschuh wurde plötzlich enger.
Viel enger.
VIEL zu eng.

Die Finger schrien in Panik, während sie zusammengefaltet wurden wie ein Leder-Origami des Todes.

Der Innenraum drückte, presste, quetschte, komprimierte.

Der Schlag wurde sofort zu einem geisteskranken Leder-Torpedo.

ZWÖÖÖÖP—BLAFF—KRRRANK!

Der Handschuh schoss nach vorne.
Nicht gerade.
Nicht sauber.
Nicht technisch.

Sondern wie eine unkontrollierte, komprimierte Kanonenkugel.

Er traf nicht den Sandsack.
Nicht die Wand.
Nicht einen Hocker.
Nicht den Fuß.
Nicht die Decke.
Nicht den Trainer.

Er traf…

den Feuerlöscher in der Ecke.

Mit Wucht.
Mit voller komprimierter Innenraum-Energie.

Der Feuerlöscher fiel um.
Ging los.
Und füllte die ganze Halle mit weißem Schaum.

Der Trainer brüllte:

„WAS ZUR HÖLLE WAR DAS?!
WAR DAS EIN FEUERWEHR-SCHLAG?!“

Innen war Apokalypse.

Der Zeigefinger brüllte:
„Ich bin voller Schaum! VOLLER SCHAUM!!“

Der Ringfinger röchelte:
„Ich kann nicht mehr… ich schmecke Chemikalie…“

Der Mittelfinger wimmerte:
„Innenraum… du bist der Teufel…“

Der kleine Finger schluchzte:
„Ich habe Teile meines Körpers in Bereiche verschoben, die nicht existieren.“

Doch der Innenraum flüsterte zufrieden:
„Seht ihr?
Ohne mich läuft GAR NICHTS.“

Der Daumen schrie:
„DU hast den FEUERLÖSCHER ANGEGRIFFEN!!
WIE SOLL DAS EIN TALENT SEIN?!“

Der Innenraum sagte ganz ruhig:
„Ich nenne es: Brandschutz-Boxen.“

17 – Der schwarze Innenraum plant einen Staatsstreich

Der schwarze Innenraum war heute seltsam still.
Viel zu still. Zu still für etwas, das eigentlich keine Persönlichkeit besitzen sollte.

Der Daumen flüsterte:
„Wenn der Innenraum schweigt, kommt Ärger. Großer Ärger.“

Der Mittelfinger nickte.
„Er überlegt. Das bedeutet, er plant etwas.“

Der kleine Finger jammerte leise:
„Bitte nichts Großes. Nichts mit Druck. Nichts mit Quetschen. Ich hab noch Rückenschmerzen von letzter Woche.“

Da erhob sich eine tiefe, vibrierende Stimme aus dem dunklen Nichts:

„Schweigt, ihr Ledermarionetten…
Es ist Zeit.“

Die Finger erstarrten.

Der Zeigefinger hauchte:
„Oh nein. Nicht wieder.“

„DOCH wieder“, sagte der Innenraum mit unheilvoller Ruhe.
„Ich habe über euch nachgedacht.
Über eure ständigen Fehler.
Über eure dummen Ideen.
Über eure chaotischen Schläge.“

Der Ringfinger fauchte:
„DU bist das Chaos! Wir sind Opfer!“

Der Innenraum ignorierte ihn.

„Und deshalb“, sagte er mit majestätischer Tiefe,
„übernehme ich heute das Kommando.
Dies ist ein Staatsstreich.
Ein Hohlraum-Putsch.“

Der Daumen kreischte:
„Putsch?!! Wir sind ein Boxhandschuh, kein politisches System!!“

Doch der Innenraum war nicht aufzuhalten.

„Beim nächsten Schlag werde ICH bestimmen, wie wir schlagen.
Nicht die Finger.
Nicht der Handballen.
Nicht der Mensch.“

Der Mittelfinger knurrte:
„Das wird wieder schiefgehen.
Wir werden wieder irgendwo einschlagen, wo niemand schlagen sollte.“

Der Innenraum lächelte hörbar.
„Ganz genau.“

Dann brüllte der Trainer:

„Rechter Gerader! Sauber! Direkt! Nicht daneben! KEIN CHAOS!“

Perfekte Vorwarnung für maximales Chaos.

Der Mensch hob die Faust.
Der Handschuh spannte sich bedrohlich.
Alle Finger beteten zu jedem Leder-Gott, den sie kannten.

Der Innenraum flüsterte:

„Jetzt.
JETZT zeige ich euch die wahre Macht eines Hohlraums…“

Und er tat das Schrecklichste, was ein Innenraum tun kann:

Er verschob sich.
Einfach so.
Seitlich.
Nach innen.
Und ein wenig nach oben.
Gegen jede Physik.

Die Finger schrien.
Der Handschuh verdrehte sich.
Der Schlag mutierte.

Aus einem geraden Schlag wurde ein grotesker Seitwärts-Halbaufwärts-Schraubenknick-Wirbel-Impuls.

BLAFFF—TONG—WHUPF—KRRAAANG.

Der schwarze Handschuh traf nicht den Sandsack.
Er traf nicht die Wand.
Nicht die Hallendecke.
Nicht den Trainer.
Nicht einen Feuerlöscher.

Er traf…

die Lichtschalterleiste.

Mitten drauf.

Das Licht ging aus.
Komplett.

Die Halle war in völliger Dunkelheit.

Der Trainer schrie in die Finsternis:

„WAS WAR DAS?!?!
WER HAT DAS LICHT AUSGEMACHT?!
WAS MACHT DIE RECHTE HAND DA?!?!?“

Innen war Katastrophenstimmung.

Der Zeigefinger fauchte:
„Wir haben die Beleuchtung angegriffen!
Wir sind offizielle Infrastruktur-Terroristen!“

Der Ringfinger röchelte:
„Ich liege kopfüber. In einem Winkel, der verboten ist.“

Der kleine Finger schluchzte:
„Ich sehe nichts! Oh Gott, ich kann NICHTS sehen!!“

Der Daumen brüllte:
„Das ist ein Handschuh-Putsch! Ein echter!! Ich will eine neue Verfassung!!“

Doch der Innenraum sagte zufrieden:
„So beginnt jede Revolution: mit Dunkelheit.“

Die anderen schrien:
„HALT DIE REVOLUTION AN!!!“

Doch der Innenraum flüsterte:
„Nein.“

18 – Der rote Unterknick möchte endlich knicken dürfen

Der rote Unterknick – dieser merkwürdige kleine Lederwinkel zwischen Handballen und Handgelenk – war heute wütend.
So wütend, dass man förmlich hörte, wie er knisterte.

Der Daumen fragte misstrauisch:
„Was ist das? Ein Geräusch? Bist du das, Unterknick?“

Der Unterknick fauchte:
„JA, ich bin’s! Und ich habe genug!“

Die Finger traten kollektiv innerlich zurück.
Der Unterknick war der Bereich, der NIE spricht.
Denn er ist eigentlich nur dazu da, sich bei jedem Schlag falsch zu fühlen.

Der Mittelfinger stöhnte:
„Was willst du denn? Du kannst nichts und tust nichts.
Du bist der ‘Aua-Punkt’ von uns allen!“

Der Unterknick zuckte bedrohlich:
„GENAU!
Und JETZT will ich AUCH MAL WAS TUN!“

Der Ringfinger fragte vorsichtig:
„Was… denn?“

Der Unterknick flüsterte tief und gefährlich:
„Ich werde heute den ultimativen Knick einsetzen.“

Die Fingerschaft schrie:
„NEIN!!! BITTE NICHT!!!“

Der Unterknick ignorierte sie alle.
„Beim nächsten Schlag knicke ICH — präzise, kraftvoll, entscheidend.
Endlich wird die Welt sehen, was ich kann.“

Der Zeigefinger flüsterte:
„Die Welt will NICHT sehen, was er kann…“
Dann kam das unvermeidliche:

„LINKER UPPERCUT! Sauber hoch! Kein Kippen!“

Alle Finger schrien:

„Kein Kippen?!
Das ist genau DAS, was der Unterknick will!!!“

Der Mensch hob die Faust.
Der rote Handschuh spannte sich.
Und der Unterknick sagte freudig:
„JETZT! ICH KNICKE!!“

Und er knickte.

Er knickte so heftig, dass der gesamte Schlag nach links abdriftete.
Dann nach rechts.
Dann nach unten.
Dann nach oben.
Dann wieder zurück.

Der Schlag ähnelte einer betrunkene Möwe mit Navigationsproblemen.

ZWOFF—BLAPP—KRRRANK—TONK.

Der Handschuh traf nicht den Sandsack.
Nicht die Wand.
Nicht den Fuß.
Nicht die Decke.
Nicht den Trainer.
Nicht den Feuerlöscher.
Nicht die Lichtschalterleiste.

Er traf…

den Ventilator an der Decke.

Mitten rein.
Der Ventilator verbog sich.
Quietscht.
Flog beinahe davon.

Der Trainer schrie:

„WAR DAS EIN OBERLIPPEN-KNICKSCHLAG?!
WAS GREIFT DER HANDSCHUH JETZT NOCH ALLES AN?!
DIE KLIMAANLAGE?!“

Im Handschuh herrschte Todesschock.

Der Daumen brüllte:
„ICH HABE WIND IM LEDER!!!
WIND!!!“

Der kleine Finger kreischte:
„Der Ventilator hat uns ANGESPRUNGEN!! Ich hab’s gespürt!“

Der Mittelfinger schrie:
„UNTERKNICK!! DU MONSTER!! DU HAST DEN VENTILATOR ATTACKIERT!!“

Doch der Unterknick sagte stolz:
„Endlich durfte ich knicken.“

Der Ringfinger seufzte:
„Das war kein Knick.
Das war ein Verbrechen.“

Der Unterknick glänzte selbstbewusst:
„Vielleicht.
Aber ein historisches.“

19 – Der schwarze Unterknick behauptet, er sei ein Profi

Der schwarze Unterknick war heute ungewohnt selbstsicher.
Er machte leise Klick-Knick-Klick-Geräusche, die keinen Finger beruhigten.

Der Daumen knurrte:
„Was trägst du heute eigentlich im Leder aus? Du klingst wie ein kaputter Kugelschreiber.“

Der Unterknick antwortete stolz:
„Ich bin ein Profi.“

Alle Finger erstarrten.

Der Zeigefinger fragte ungläubig:
„Ein Profi… WOFÜR genau?“

Der Unterknick räusperte sich wie ein abgehalfterter Opernsänger:
„Für Präzisionsknicke.
Für taktische Winkel.
Für biomechanische Abweichungsoptimierung.“

Der kleine Finger kreischte:
„Hört ihr ihn?!
ER BENUTZT WÖRTER!!!
Der Unterknick DARF KEINE WÖRTER BENUTZEN!!“

Doch der Unterknick fuhr fort:
„Der Mensch denkt, der perfekte Schlag entsteht durch Kraft, Gleichgewicht, Technik.
In Wahrheit entsteht er durch MICH.“

Der Mittelfinger schaute ihn an, als würde er einen wackelnden Toaster betrachten:
„Du bist der Grund, warum JEDER Schlag aussieht wie ein Verkehrsunfall!!!“

Doch der Unterknick grinste im Dunkeln.
„Heute beweise ich mich.
Heute zeige ich die perfekte Abweichung.
Ich knicke NICHT zufällig.
Ich knicke bewusst.“

Der Ringfinger flüsterte:
„Wir sind verloren.“

Dann rief der Trainer:

„Rechter Cross! Bitte sauber! Und KEIN KNICKEN!“

Im Handschuh brach Panik aus.
„NEIN!!“ „NICHT ER!!“ „IRGENDWER STOPPT DEN UNTERKNICK!!“

Doch der Mensch hob schon die Faust.
Der schwarze Handschuh spannte sich.
Die Zeit verlangsamte sich.
Der Unterknick raunte:
„Ich werde jetzt… präzise sein.“

Und er knickte.

Er knickte so unglaublich professionell daneben,
dass die ganze Hand in einen absurden, unvorhersehbaren Winkel kippte:

Links – oben – halb zurück – diagonal nach innen – plus eine Drehung, die gegen die Genfer Konvention hätte verstoßen sollen.

Das Ergebnis:

WUPF–TONG–ZERR–BLAMPH!

Der Handschuh traf nicht den Sandsack.
Nicht die Wand.
Nicht den Trainer.
Nicht die Decke.
Nicht den Feuerlöscher.
Nicht den Ventilator.

Er traf…

den Boxringpfosten.

VOLL MITTEN drauf.

Der Pfosten vibrierte wie ein beleidigtes Nashorn.
Der ganze Ring wackelte.
Der Trainer brüllte:

„HAST DU GERADE DEN RINGPFOSTEN ANGEGRIFFEN?!
WAS SOLL DAS?!
WER MACHT SOWAS?!?!“

Im Innern herrschte Untergangsstimmung.

Der Daumen schrie:
„ICH HABE HOLZ GESPÜRT!!
HOLZ!!!
ICH WILL KEIN HOLZ SPÜREN!!“

Der Zeigefinger wimmerte:
„Ich glaube, ich bin kurz K.O. gegangen. Ohne Grund.“

Der kleine Finger heulte:
„Der Pfosten hat zurückgeschlagen! ICH SPÜRE DAS!!!“

Der Mittelfinger brüllte:
„UNTERKNICK!! DAS WAR KEIN PROFI-KNICK! DAS WAR EIN TODESKANDAL!!“

Doch der Unterknick lächelte zufrieden:
„Ich nenne es:
Den Ringpfosten-Distortions-Knick.
Und ich bin sehr…
…sehr stolz.“

20 – Das rote Handgelenk will unabhängig werden

Das rote Handgelenk war heute in Rebellionslaune.
Es knirschte, knackte und spannte sich demonstrativ an, damit es jeder merkt.

Der Daumen fragte misstrauisch:
„Was soll das? Warum hörst du dich an wie ein alter Türrahmen?“

Das Handgelenk knurrte:
„Ich habe beschlossen… dass ich unabhängig werde.“

Die Finger schrien sofort panisch.

Der Zeigefinger:
„NEIN!!!
NEIN!!!
NEIN!!!
Das Handgelenk DARF NICHT UNABHÄNGIG WERDEN!!!“

Der Ringfinger flüsterte:
„Wenn es das tut… bewegen WIR uns unkontrolliert.“

Der kleine Finger kreischte:
„Noch mehr unkontrolliert als sonst?! Das ist Selbstmord!!“

Doch das Handgelenk fuhr schon fort:

„Immer seid IHR die Helden.
Die Finger.
Die Stars.
Die Bewegenden.
Und ich? Ich bin nur der Übergang! Der langweilige Knickpunkt!
Schluss damit! Heute führe ICH!“

Der Mittelfinger stöhnte:
„GOTT, bitte nein…“

Dann brüllte der Trainer:

„Linker Smash!
Voll durchziehen!
Sauber aus dem HANDGELENK!!“

Alle Finger erstarrten.

Die Hände im Handschuh schrien:

„DAS IST WIE EINE FREIGABE FÜR EINEN ATOMSCHLAG!!!“

Das Handgelenk grinste unsichtbar.
„Endlich sagt mal jemand meinen Namen!
Jetzt übernehme ich!
JETZT!!!“

Der Mensch hob die Faust.
Der rote Handschuh spannte sich.

Und das Handgelenk tat das Schlimmste, was es tun konnte:

Es löste sich.
Es ROTIERTE.
Es ENTSPANNTEM sich zur falschen Zeit.
Und versteifte sich dann SOFORT wieder.

Das Ergebnis war die reinste biomechanische Katastrophe.

Der Schlag wurde zu einer irren Melange aus:

halbdrehendem Kreis,
komplett verdrehter Achse,
vertikalem Abrutscher,
horizontalem Auspendler
und einer ungewollten Rotationsbombe.

WHÖPP—BLAAFF—ZONG—KRAKK—TAPPFF!

Der Handschuh traf nicht den Sandsack.
Nicht die Wand.
Nicht den Hocker.
Nicht die Decke.
Nicht den Trainer.
Nicht den Feuerlöscher.
Nicht die Lichtschalterleiste.
Nicht den Ventilator.
Nicht den Boxringpfosten.

Er traf…

den eigenen Unterarm des Menschen.

VOLL drauf.
Ein freundlicher, aber tödlicher Selbst-Schlag.

Der Trainer schrie:

„WAS MACHST DU DA?!
WAR DAS EIN SELBST-ARM-VERNICHTUNGSSCHLAG?!
WER HAT DAS HANDGELENK FREIGELASSEN?!“

Im Handschuh herrschte Super-GAU.

Der Daumen brüllte:
„ICH HABE UNTERARMKONTAKT!!!
ICH WILL KEINEN UNTERARMKONTAKT!!!!!“

Der Mittelfinger röchelte:
„Ich… ich habe die Achse verlassen.
Ich bin irgendwo oben. Oder unten.
Oder ich bin tot.“

Der kleine Finger schniefte:
„Ich bin nicht mehr ganz in mir drin…“

Doch das Handgelenk sagte stolz:
„Endlich frei.
Endlich unabhängig..“

21 – Das schwarze Handgelenk erklärt die Unabhängigkeit.

Das schwarze Handgelenk war heute eine tickende Zeitbombe.
Es vibrierte so sehr, dass die Finger dachten, es würde gleich explodieren.

Der Daumen fragte nervös: „Was hast du vor? Du siehst aus, als würdest du gleich ein Manifest veröffentlichen.“

Das Handgelenk sprach mit tiefer Pathos-Stimme:
„Ich… erkläre hiermit…
die Unabhängigkeit.“

Die Finger schrien im Chor:
„NEEEEIIIIN!!!“
„WHAAAAAAAAAAAAT?!“
„BITTE NICHT SCHON WIEDER!!!“

Der Mittelfinger brüllte:
„Wir hatten erst letzte Woche eine Unabhängigkeitsbewegung!!
Es hat in einem Schlag gegen den eigenen Unterarm geendet!!“

Doch das schwarze Handgelenk war unbeeindruckt.

„Ihr versteht nicht.
Seit eurer Geburt steuert IHR alles:
Zeigen.
Drücken.
Wackeln.
Ihr seid die Könige. Die Stars.
Und ich?
Ich bin nur das Gelenk.
Der Übergang.
Der unerwähnte Helfer.“

Der Zeigefinger fauchte:
„DU bist kein Übergang. DU bist der Grund, warum alles wackelt!“

Der kleine Finger hyperventilierte:
„Ich hab Angst… Handgelenke sind unberechenbar…!“

Doch das Handgelenk fuhr majestätisch fort:
„Beim nächsten Schlag übernehme ICH.
Ich bestimme die Achse.
Ich drehe.
Ich steuere.
Ich regiere.“

Dann rief der Trainer:

„Rechter Smash!
GANZ aus dem HANDGELENK!!!
NICHT VERREISSEN!!!“

Die Fingerschaft brüllte:

„DAS IST DIE SCHLIMMSTE ANSAGE DER WELT!!!“
„ER MACHT ES JETZT!!!“
„RETTET EUCH!!!“

Der Mensch hob die Faust.
Der schwarze Handschuh spannte sich.
Die Zeit blieb kurz stehen.

Das Handgelenk flüsterte:

„Jetzt beginnt die neue Ära…“

Und dann tat es das Undenkbare:

Es löste jede Form von Stabilität.

Es kippte.
Es drehte.
Es rotiert.
Es brach den Winkel.
Und führte seine eigene, absolut irrsinnige Flugbahn ein.

Der Schlag mutierte zu einer biomechanischen Katastrophe mit fünf Elementen:

halbe Drehung,
totale Instabilität,
eine falsche Achse,
ein extremes Abkippen,
eine ungewollte Selbst-Rotation der gesamten Faust.

BLOFF—ZWONK—KRRANG—TÜÜÜÜT—WAPF!

Der Handschuh traf nicht den Sandsack.
Nicht die Wand.
Nicht die Decke.
Nicht den Hocker.
Nicht den Feuerlöscher.
Nicht den Trainer.
Nicht die Lichtleiste.
Nicht den Ventilator.
Nicht den Pfosten.
Nicht den Unterarm.

Er traf…

den anderen schwarzen Handschuh.
Mit voller Kraft.
Mitten drauf.

Der Mensch schlug sich mit rechts auf seine eigene linke Faust.
Ein perfekter Selbst-Kreuz-Knockout.

Der Trainer schrie:

„WAS MACHST DU DA?!?!
DAS IST DOCH KEIN BOXEN!!!
DAS IST SELBST-VERNICHTUNG MIT ANLAUF!!!“

Innen war Armageddon.

Der Zeigefinger schrie:
„ICH BIN IN EINE NEUE DIMENSION GEDREHT WORDEN!!!“

Der Mittelfinger brüllte:
„ICH BIN MIT DEM RINGFINGER VERHEIRATET —
WIR STECKEN ZUSAMMEN!!!“

Der Daumen keuchte:
„Ich habe KNUCKLE-KONTAKT!
Knuckle!
Nicht vorgesehen!
Nicht erlaubt!
Nicht lebenserhaltend!!“

Der kleine Finger heulte:
„Ich spüre links!
Ich spüre rechts!
Ich spüre ALLES!!!“

Doch das Handgelenk sagte ruhig:
„Ich bin jetzt souverän.
Ein unabhängiges Handgelenk.
Ein eigenes System.
Ein Staat im Staat.“

Der Ringfinger wimmerte:
„Du bist ein Staat mit Gehirnschaden…“

Doch das Handgelenk lächelte stolz:

„So beginnt ein neues Zeitalter.“

Epilog

Das alte Fabrikgebäude gibt es längst nicht mehr. Als das Boxen durch Wrestling und das Zusammenschlagen des Gegners in einem Käfig ersetzt wurde, löste sich der Boxclub auf.

Die superteure und ultra-hippe Seniorenresidenz, die danach dort einzog, verschwand wieder, als in den Ländern des Pflegepersonals der Wohlstand ausbrach.

Unser alter Boxtrainer beobachtete all das aus seinem Wohnmobil heraus, das er über Jahre hinweg auf einer Wiese gegenüber der alten Fabrik geparkt hatte.

Das Ortsamt wollte dort ursprünglich einen Friedhof für Intellektu­elle errichten. Die untere Naturschutzbehörde meldete jedoch Funde eines längst ausgestorbenen Berliner Weißkopf-Gnus und beanspruchte das Gelände. Laut Finanzbehörde sollte dort eigentlich ein Feuermelder mit Münzeinwurf entstehen, der pro Alarm zwei Euro verlangte.

Seit neun Jahren befindet sich die innerbehördliche Abstimmung nun in der Schwebe – geleitet von einer eigens gegründeten Expertenkommission unter Führung des zweiten Bürgermeisters.
Irgendwann ging der Boxtrainer zu einer der Sitzungen und erklärte, dass er das Gebäude mit einem eigenen Start-up übernehmen werde, um dort interdisziplinäre Vergangenheits- und Zukunftsforschung zu betreiben.

Er erhielt den Zuschlag.

Seitdem sitzt er dort mit seinem besten Freund, Professor Doktor Zeiss-Mörike, an zwei einander gegenüberstehenden Schreibtischen. Der Professor hatte seinen Nebenjob als Pizzabote aufgegeben, und gemeinsam bauten sie das Start-up auf.

Weil der Boxtrainer aufgrund jahrzehntelanger Erfahrung jede menschliche Regung schneller erkannte als jeder andere, entwickelten sie den Algorithmus einer neuen KI, die allen anderen rasch überlegen wurde.

Als ihnen klar wurde, dass die menschliche Entwicklung bald an ihre Grenzen stoßen würde – eine gepflegte Mischung aus weltweiter Dummheit und globaler Ignoranz –, trennten sich ihre Wege. Der Professor zog sich in ein Steinhaus in der Hohen Tatra zurück, und der Boxtrainer verwirklichte seinen alten Traum.

Er war inzwischen alt, weißhaarig, und sein Gewicht entwickelte sich umgekehrt proportional zu seiner Größe.

Während seiner KI-Forschung hatte er unter anderem auch die Sprache der Boxhandschuhe entschlüsselt und kommunizierte gelegentlich mit den beiden letzten Handschuhen, die in seinem Arbeitszimmer an einer langen Schnur von der Decke hingen.

Er begann, ihre Geschichten aufzuschreiben.

Dann reiste er mit seiner Inka-Prinzessin, die ihn über Jahrzehnte liebevoll begleitet hatte, in die Karibik.

Dort liegt er nun seit vielen Jahren entspannt in einer bunten Hängematte, die er gemäß den örtlichen Gesetzen zu seinem Hauptwohnsitz erklärt hat.

Die großen Palmblätter warfen kühlenden Schatten. Die Kokosnüsse fielen respektvoll daneben. Und an zwei kleinen Haken über Kopf- und Fußteil hatte er zwei Bänder angebracht.

An einem baumelte ein alter großer schwarzer Boxhandschuh.

Am anderen ein kleiner roter.

Zurück zur Übersicht