Die Geschichte vom Geld

Das neue Wort

Jetzt bist Du 11 Jahre alt geworden, meine liebe Enkelin.

Vor einigen Jahren hatte ich Dir den zweiten Teil der Geschichte des Geldes erzählt – und Dir dabei gesagt, dass ich Dir den dritten und letzten Teil der Geschichte des Geldes erzählen werde, wenn Du 11 Jahre alt bist – also jetzt.

Diese Geschichten wirst Du nicht in der Schule oder im Internet finden- deswegen versuche sie zu behalten, um sie später einmal deinen eigenen Kindern zu erzählen

Der Ausflug

Sie waren müde.

Ganz früh am Morgen waren sie an diesem Tag aufgestanden, dann die lange Reise zur nächsten größeren Stadt. Dort verbrachten sie den ganzen Vormittag in einem alten und bereits etwas heruntergekommenen Gebäude auf harten, dunklen und altmodischen Bänken.

Und dabei sollten sie sich auch noch konzentrieren, um das, was vorne in dem Saal passierte, so gut wie möglich zu verstehen.

Da saßen eine Gruppe von Menschen auf der einen Seite, eine andere Gruppe auf der anderen Seite und in der Mitte auf ungewöhnlich hohen Stühlen einige weitere Menschen- mit ziemlich komischen Hüten auf dem Kopf.

Die Akustik war schlecht, die Menschen brüllten teilweise laut – und kaum einer der Kinder verstand, worum es dabei eigentlich ging.

Aber der Schulplan in ihrem kleinen Dorf sagte, dass es zweimal im Jahr einen Wandertag und einmal im Jahr einen Besuchstag bei einem Gericht geben soll.

Das sei für die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder gut – und deswegen wurde es so beschlossen und durchgeführt.

Für diese Klasse war es jetzt das erste Mal, dass sie in so einem Gericht waren.

Als die Lehrerin dann am frühen Nachmittag aufstand und sagte, dass es jetzt wohl genug sei und dass jetzt alle Schüler wissen, was es mit einem Gericht so auf sich hat, und sie hoffe, dass man fleißig zugehört hat, da atmeten die Kinder hörbar auf.

Und die Lehrerin fügte noch kurz etwas hinzu, was sich so anhörte, als ob sie sich in der nächsten Klassenarbeit mit diesem Thema beschäftigen werde.

Das Stöhnen, was daraufhin von Seiten der Kinder erfolgte, war noch bis zum Kirchplatz in der Mitte der kleinen Stadt zu hören.

Die Figur

Bevor die Lehrerin mit ihrer Gruppe ins kleine Dorf zurückreiste, hielt sie noch einmal vor dem Gerichtsgebäude an und zeigte mit den Armen auf eine Figur, die über dem großen Eingangstor auf einem kleinen Podest stand.

Es war eine Art kleines Denkmal, wohl aus Stein gehauen.

Eine schlanke Person – sie hieß nach Aussage der Lehrerin Justitia – mit einer Binde vor den Augen, einem Schwert in der einen Hand und einer Waage in der anderen Hand war dort für alle zu sehen, die durch das Haupttor in dieses Gericht gingen.

Justitia

Die Lehrerin fing an etwas über Justitia zu erzählen.

Aber bis auf zwei Mädchen, die grundsätzlich alles mitschrieben und einem Jungen, der noch nicht völlig ermüdet war, hörte niemand mehr zu.

Grübelix

Der Junge hieß Grübelix und den Namen hatte er zu Recht.

Es gab kaum etwas, über das er nicht ziemlich schnell anfing zu grübeln.
Und wenn er erstmal im Grübeln war, vergaß er so ziemlich alles, was sich um ihn herum abspielte.

Er hatte im Gericht nichts gefunden, was sich lohnte, dass man darüber grübeln könne.

Und das jetzt diese Göttin mit einer Binde vor den Augen das Symbol eines gerechten Urteils sein sollte, das leuchtete ihm auch nicht wirklich ein.

Er hatte bei der zweiten Verhandlung des Vormittags einige Menschen auf der einen Seite des Saales gesehen, die dermaßen hässlich waren, dass er volles Verständnis aufbrachte, wenn jemand hier mit einer Maske vor den Augen ein Urteil fällte- ohne diesen schreienden Menschen ins Gesicht sehen zu müssen.

Und dass die Göttin der Gerechtigkeit bei so einer chaotischen Situation nicht gleich alle Köpfe mit ihrem Schwert vom Rumpf trennen würde, davon war er auch überzeugt.

Obwohl er auch hierfür beim Anblick einigen Anwesenden ein gewisses Verständnis gehabt hätte.

Die Waage

Es blieb also noch die Waage in der anderen Hand der Göttin Justitia.

Doch Grübelix wollte nicht ganz einleuchten, dass Argumente ein festes Gewicht haben.

Denn wenn zwei Parteien sich streiten, haben beide ihre Argumente.

Und wenn jede Partei ihre Argumente auf eine der beiden Waagschalen legt, soll nach der Geschichte von Justitia die Waage sich zugunsten derjenigen Partei bewegen, die die besseren und stärkeren Argumente hat.

Grübelix meinte nur, dass man auch die besten Argumente nicht wiegen und messen kann, so wie man das Gewicht eines Mehlsacks oder einer Goldmünze oder die Länge einer Hauswand oder eines Kirchturms messen und aufschreiben kann.

Zurück

Aber dann wurde auch er etwas müde und als er aufwachte waren sie alle wieder vor der kleinen Schule in ihrem kleinen Dorf angekommen und trotteten hungrig und erschöpft nach Hause.

Am nächsten Tag hatten die Kinder zum Ausgleich des langen Tages, den sie gemeinsam im Gericht verbrachten hatten, nur 2 Stunden Unterricht. Grübelix ging gleich nach diesem kurzen Schultag nach Hause und fand seine Mutter am Esstisch sitzend.

Die Mutter

Die Mutter hatte ein altes Heft vor sich liegen, dazu noch zwei dicke Stifte – einen in Rot und einen in Blau – ein Radiergummi und ein Lineal.

So saß sie da und blickte ziemlich verzweifelt auf die Sachen, die vor ihr auf dem Tisch aufgebaut waren.

Er schlich sich leise von hinten an seine liebe Mutti ran und blickte ihr dabei kurz über die Schulter.

Die Mutter hatte vergessen, dass ihr Sohn Grübelix heute nur 2 Stunden Unterricht hatte und erschrak ein bisschen, als er plötzlich hinter ihr stand.

Das Heft

Dann machte sie schnell das Heft zu.

Der kleine Grübelix konnte aber vorher noch kurz erkennen, dass oben auf der einen Seite des Heftes in grüner Schrift das Wort „Einnahmen“ und auf der anderen Seite in roter Schrift das Wort „Ausgaben“ von seiner Mutter hingeschrieben war.

Und beide Wörter waren ziemlich dick unterstrichen.

Da die Mutter das Mittagessen schon fertig gekocht hatte und Grübelix wegen der wenigen Schulstunden auch so gut wie keine Hausarbeiten zu machen hatte, kamen sie ins Gespräch.

Die Mutter erklärte ihrem Sohn, dass es für Erwachsene wichtig ist, wenn sie wissen, wie viele Geldscheine sie zur Verfügung haben, um das zu kaufen, was die Familie so in einem Monat braucht.

Aber nicht nur das Geld, was man zur Verfügung hat, soll man dabei beachten, sondern auch all das genau aufschreiben, wofür man es ausgegeben hat.

Und das war gerade die Arbeit, die sie anfangen wollte, als Grübelix schon aus der Schule zurückkehrte.

Endlich hatte Grübelix mal wieder etwas zum Grübeln.

Warum

Warum die Erwachsenen solche Sachen aufschreiben wollten, verstand er nicht ganz.
Aber gut, wenn sie das so machen wollen, warum nicht?

Aber da seine Mutter fast jeden Tag zum Einkaufen ging und dabei mal mehrere Sachen und mal auch nur ein oder zwei kleine Sachen kaufte, so war ihm schon klar geworden, dass sie dann auch gleichzeitig jeden Tag am Schreibtisch sitzen musste, um das alles irgendwie in das Heft zu schreiben.

Ergebnisse

Und ihm war auch klar, dass man für jeden Tag unterschiedliche Ergebnisse hatte.

Je nachdem, ob man viel gekauft hat oder wenig gekauft hatte- das ganze sollte dann wohl irgendwie so aufgeschrieben sein, dass man daraus zum Schluss auch noch irgendwas erkennen oder lernen kann.

All das erschien ihm zwar nicht unlogisch, aber umständlich und unpraktisch.

Jeden Tag solche Einnahmen und Ausgaben zu notieren und zusammenzurechnen und gegeneinander zu vergleichen – da ging viel Zeit drauf und.

Da würde es sich lohnen, mal gründlich wieder ins Grübeln zu kommen.

Der Vater

Abends sprach er seinen Vater darauf an, aber der sagte nur, er sei jetzt müde und er wolle etwas essen, die Fußball-Ergebnisse in der Zeitung lesen und dann früh ins Bett gehen.

Als Gesprächspartner für Grübelix war sein Vater wirklich nicht geschaffen.

Grübel

Seine Mutter merkte, dass er wieder anfing, sich mit etwas zu beschäftigen.

Aber wie schon bei früheren Gelegenheiten verstand sie zum einen nicht ganz, worüber ihr Sohn gerade mal wieder grübelte, und zum anderen verstand sie auch nicht, ob es Wert war darüber überhaupt zu grübeln.

Grübelix hatte so richtig keine gute Idee, wie er das Problem anpacken und vielleicht sogar lösen könne.

Im schwebte aber in der Erinnerung immer noch ein bisschen diese schlanke Göttin mit den verbundenen Augen im Kopf herum.

Mit dem Schwert und der Augenbinde wollte er nichts weiter zu tun haben, das war für ihn abgehakt.

Blieb also noch die Waage.

Je mehr er sich jetzt mit der Waage beschäftigte, desto eher kam er ins Grübeln.

Der erste Schritt

Und das freute ihn – er kannte sich inzwischen selber so gut, dass er merkte, dass er auf dem richtigen Grübel-Weg war.

Wer gut grübeln kann, der hat es geschafft, irgendwo bei dem Problem ganz am Anfang anzufangen.

Und damit war der erste Schritt getan – Grübelix fing langsam an, sich etwas in seinem Kopf zurechtzubauen.

Wenn die Ausgaben so groß wie die Einnahmen sind und man beide Sachen auf jeweils eine Waagschale legt, dann dürfte die Waage genau in der Mitte bleiben.

Hatte man mehr Einnahmen zur Verfügung als man ausgegeben hat, dann dürfte die Waage auf der Seite, wo mehr Einnahmen- also mehr Goldstückchen- sind, leicht nach unten gehen und die andere Wagschale nach oben.

Umgekehrt, wenn man mal mehr Ausgaben hat als man Goldstücke zur Verfügung hat, dann dürften die Ausgaben – weil sie größer sind als die Einnahmen – die Wagschale auf ihrer Seite haben
Nach unten senken.

Soweit war ihm alles klar.

Das war ja aber auch nichts anderes als das, was seine Mutter in ihrem Heftchen mit Einnahmen und Ausgaben jeden Tag aufgeschrieben hatte.

Die Frage:

Die große Frage war jetzt:

was muss passieren, damit die Waage auch dann in der Mitte bleibt, wenn auf einer der beiden Seiten mehr in der Waagschale ist als auf der anderen Seite?

Wenn er dieses Problem lösen könnte, braucht seine Mutter nicht jeden Tag so viel zusammenrechnen und vergleichen und wieder rechnen und wieder vergleichen – sie muss einfach nur auf die Waage schauen und dann sieht sie sofort das Ergebnis.

Und damit war es schon wieder ein kleines Stückchen weiter.

Er fing jetzt an, sich das ganze so plastisch wie möglich in seinem Kopf vorzustellen.

Der Baukasten

Bei der ersten Situation, wo mehr Goldstücke auf der linken Seite sind als Ausgaben auf der rechten Seite, senkt sich die Schale auf der linken Seite und um hier die Waage wieder ins Gleichgewicht zu bekommen, müsste er irgend einen Klotz aus seinem Baukasten auf die andere Waage legen, damit sie wieder im Gleichgewicht ist.

Und umgekehrt genau das Gleiche:

Hat man mehr Ausgaben und die rechte Seite ist nach unten gegangen, dann muss man auf der linken Seite einen Klotz hineinlegen, damit die Waage wieder im Gleichgewicht ist.

Wie bei jedem Problem gibt es neben der theoretischen Lösung auch eine praktische.

Er ging also in sein Zimmer und holte seinen alten Baukasten unter dem Bett hervor, den er vor drei oder vier Jahren Weihnachten geschenkt bekommen hatte.

Er war ein einigermaßen ordentlicher Junge und als er den Kasten aufmachte waren darin noch fast alle Baukasten-Teile enthalten.

Alle Bauklötze waren auch farbig angemalt – insgesamt gab es sieben Farben.

Die Formen der einzelnen Klötze waren ganz unterschiedlich, denn nur so konnte man damit schön spielen und Figuren bauen oder Brücken oder kleine Häuser oder Höhlen.

Die Klötze waren mal rund, mal viereckig, mal rechteckig.
Mal lang, mal kurz, mal dick, mal dünn – alle möglichen Formen und Figuren waren in diesem großen Baukasten enthalten.

In der Schule hatten sie zwar schon beim Rechnen etwas von einer Null erklärt bekommen, aber so ganz richtig verstanden hatte er es noch nicht.

Deswegen verwarf er auch nach einigem Überlegen die erste Möglichkeit, die sich in seinem Kopf entwickelte.

Malen

Und diese Überlegung war folgendermaßen:
Er geht raus auf die Straße in Richtung zum Wald, dort stehen einige schöne dicke Apfelbäume am Straßenrand.

Er pflückt sich drei leckere reife Äpfel und kommt damit nach Hause.

Da er keine Waage in seinem Zimmer hatte und auch im ganzen Haus nicht so eine Waage zu finden war, die ungefähr so aussah wie die Waage über dem Gericht, so malte er sich auf dem Fußboden einfach eine Waage auf.

Ein Strich in der Mitte von oben nach unten.
Ein Querbalken.
An jedem Querbalken an der Seite eine Kette.
Und unten am Ende der Kette jeweils die linke und die rechte Waagschale.

Das ganze konnte er gut auf den Holzfußboden malen und so hatte er seine Waage immer vor Augen.

Anfang mit Garix

Aber wie soll das jetzt weitergehen?
Er legte in Gedanken die drei Äpfel auf die eine Seite.

Die Schale plumpst nach unten und die andere Seite zischt nach oben, weil nicht drin ist.

Seine Waage war kurz davor kaputt zu gehen, und er ist einer Lösung immer noch nicht auf die Spur gekommen.

Also verwarf er seine Idee, dass am Anfang irgendwie etwas passiert, was man nicht so richtig erklären kann und daraus entwickelt sich dann eine Lösung.

So etwas Ähnliches wie diese Null-Summen-Lösung hatte er in der Schule im Religionsunterricht mal von Maria und Josef gehört, aber das hatte ihn auch nicht besonders interessiert.

Dafür interessierte ihn aber etwas anderes, nämlich all das, was er so im Laufe der Zeit in sein Frage-Heft geschrieben hatte.

Das Frage-Heft

Das waren überwiegend Fragen, bei denen er so richtig schön ins Grübeln kommen konnte.

Egal ob es Antworten gab oder nicht- wenn er in der richtigen Grübel-Laune war, schlug er eine Seite in seinem Grübel-Heft auf und las eine der vielen dort aufgeschriebenen Fragen, um dann so richtig schön ins Grübeln kommen zu können.

Einige dieser Fragen, die er dort so aufgeschrieben hatte, waren zum Beispiel:

Warum hat das Wort „einsilbig“ drei Silben?

Warum gehen Mädchen niemals allein auf die Toilette?

Schwimmt eine Ente mit einer Pfote im Kreis?

Warum hat Noah die zwei Stechmücken nicht erschlagen?

Bekommt man Geld zurück, wenn das Taxi rückwärts fährt?

Leben Verheiratete länger oder kommt ihnen das nur so vor?

Aber über das aktuelle Grübel-Problem mit seiner Waage hatte er noch nichts in seinem Grübel-Heft stehen.

Die Version von Maria und Josef als Beispiel für eine Nullnummer hatte er innerlich irgendwie verworfen und in seinem Heft fand er zu seinem jetzigen Thema nur die eine Frage:

Was passierte zwei Tage vor dem Urknall?

Das Fundament

Am nächsten Nachmittag versuchte er das Problem mit der Waage von einer ganz anderen Warte aus anzugehen.

Er sagte sich, dass jeder, der irgendetwas anfängt, was Sinn und Verstand haben soll, zuerst mal ein Fundament bauen muss.

Sei es aus Stein oder in Gedanken, das war egal.

Jedes Haus, das groß und schön werden soll, muss einen großen Keller haben.

Dieser Keller ist an sich zuerst ziemlich nutzlos.
Er kostet nur Geld, aber je besser und solider er gebaut ist, desto mehr Wohnungen kann man später in dem Haus bauen.

Und deswegen ließ er die Geschichte mit den drei Äpfeln, die am Anfang wie ein kleines Wunder auf der Wagschale lagen- das ließ er auf sich beruhen und versucht es zu vergessen.

Äpfel

Er fragte sich, wie man sonst ins Apfel-Geschäft einsteigen kann.

Und dann hat er auch schon die Lösung: man kauft sich drei Äpfel.

Um diese zu bezahlen, muss man zuerst Schulden machen.

Er bittet also seine Mutter, ihm drei Groschen zu leihen, damit er sich dafür drei Äpfel kaufen kann.

Und dann funktionierte es plötzlich.

Auf der einen Seite der Waage hatte er drei Äpfel – und auf der anderen Seite hatte er dafür drei Groschen Schulden. Die drei Äpfel waren genauso viel wert wie die drei Groschen auf der anderen Seite- und die Waage blieb ganz genau in der Mitte.

Und er konnte seiner Mutti jetzt zeigen, was sich dabei auf dem Fußboden entwickelte.

Die Mutter verstand überhaupt nichts, aber sie kannte ihren Grübelsack und verschwand leise lächelnd aus dem Kinderzimmer.

Weiter

Jetzt überlegte Grübelix die nächsten Schritte

Im schlimmsten Fall hatte einer der Äpfel einige Würmer.

Dann konnte er ihn nicht verkaufen und musste ihn wegschmeißen.

Jetzt waren aber auf einmal nur noch zwei Äpfel auf der linken Seite, aber auf der anderen Seite 3 Groschen Schulden.

Er musste jetzt irgendetwas erfinden, damit die Waage trotzdem wieder ins Gleichgewicht kam.

Nur wusste er nicht, was er wusste.

Gleichgewicht

Schließlich nahm er seinen Baukasten und sortierte alle seine Klötzchen nach ihrer Farbe.
Auf der einen Seite legt er die Klötzchen, die eine dunkle Farbe hatten, also blau, grün und braun.

Auf der anderen Seite die Klötzchen mit den hellen Farben rot, orange und gelb.

Und danach blieb nur noch ein Haufen mit schwarzen Klötzchen.

Diese schwarzen Klötzchen packt er auf den Fußboden in die Mitte zwischen den beiden anderen Haufen.

Er nahm jetzt in Gedanken einen kleinen Klotz aus dem Haufen der schwarzen Klötze und legte ihn in die Schale, wo die beiden verbliebenen Äpfel lagen.

In seinen Gedanken war das Gewicht dieses schwarzen Klötzchens genauso schwer wie das Gewicht des Apfels, der verfault war und den er weggeschmissen hatte- und die Waage war wieder schön in der Mitte.

Dann machte er einen anderen Versuch:

Er stellte sich vor, er würde einen Apfel in der Schule an einen Klassenkameraden verkaufen. Und zwar für zwei Groschen pro Apfel.

Jetzt – nachdem ihm das gelungen war – kam er mit den beiden Groschen wieder zu Hause an und hatte auf der linken Seite nur noch zwei Äpfel und auf der rechten Seite die drei Groschen Schulden.

Für den Apfel, den er verkauft hatte, legte er die beiden Groschen auf die linke Seite als Ersatz für den Apfel, den er verkauft hatte, und was passierte – die Waage ging auf der Apfelseite schnell nach unten, sie war schwerer als die Waage auf der anderen Seite.

Jetzt musste er nur noch wieder einen schwarzen Klotz auf die rechte Seite legen zu den beiden Groschen, die er noch schuldete – und die Waage war wieder ausgeglichen.

Und jetzt kam der letzte und entscheidende Schritt:

Geschafft

Er hatte auf der linken Seite 2 Groschen, die er für den Verkauf erhalten hatte.
Er hatte auf der rechten Seite 2 Groschen Schulden.

Wenn er jetzt auf beiden Seiten diese jeweils zwei Groschen einfach rausnahm aus der Waagschale, so änderte sich nichts, weil die beiden Groschen links und rechts den gleichen Wert hatten.

Es blieb also übrig:

Auf der linken Seite 2 Äpfel und auf der rechten Seite noch ein Groschen Schulden plus eins von diesen schwarzen Klötzchen brauchte du, damit die Waage wieder ausgeglichen war.

Und damit war sein Grübeln erst mal zu Ende.
Er stand kurz vor der Lösung, wusste es aber nur noch nicht so genau.

Der alte Mann

Am nächsten und am übernächsten Tag fiel ihm trotz ziemlich starkem Grübeln nichts wirklich ein, was das Problem nun endgültig lösen könnte.

Am Sonntagvormittag ging er zum Haus des alten Mannes.

Er wusste, dass an diesem Sonntag-Vormittag die meisten Bewohner des Dorfes in der Kirche waren.

Er selber brauchte da nicht hin, denn ihm waren früher beim Grübeln einige Sachen aufgefallen, mit denen er in der Kirche den Pastor in Verlegenheit gebracht hatte.

Und damit das ganze nicht morgens in der Kirche irgendwann noch einmal passierte, hatte der Pastor ihm erlaubt, dass er Sontagsmorgens zum Angeln gehen darf.

Der alte Mann ging ebenfalls nicht zur Kirche, weil er meinte- aber das ist hier egal.

Die Geschichte

Grübelix erzählte dem alten Mann die ganze Geschichte.
Vom Gericht, seiner Mutter, seinem Vater, der Waage, den Bauklötzern und meinte zum Schluss, dass er wohl wahrscheinlich kein Ergebnis finden würde.

Er hatte deswegen schon sein Grübel-Heft mitgebracht, damit er diese Frage dort auch hineinschreiben kann.

Der alte Mann brauchte schon eine gewisse Zeit, bis ihm alles klar wurde, was da in dieser Woche so alles geschehen war.

Dann sagte er zu Grübelix:

Ich glaube, du bist auf einem sehr guten Weg.

Du hast das Problem erkannt und hast versucht, es mit Gedanken und auch mit Bauklötzchen zu lösen. Du bist der Lösung schon ganz nahe.

Ein Wort

Du brauchst an sich nur noch ein richtig gutes Wort für diese schwarzen Bauklötzchen, die gelegentlich auf der linken, aber überwiegend auf der rechten Seite deiner Waage liegen.

Und die dafür sorgen, dass die Waage immer im Gleichgewicht ist.

Wenn du dieses Wort gefunden hast, wirst du eines Tages ein ganz berühmter Mann sein.

Ich glaube, ich verspreche nicht zu viel, wenn ich dir sage, dass du dann auch einen großen Teil der Welt verändert hast.

Grübelix hatte keine Lust jetzt über diese Aussage des alten Mannes zu grübeln.

Er strahlte irgendwie, weil er so ein Lob von diesem weisen Mann erhalten hatte und wartete darauf, wie es jetzt weitergehen würde.

Die Versammlung

Der alte Mann sagte ihm danach folgendes:
Du weißt, dass wir uns hier im Dorf vor einiger Zeit entschlossen haben, ein Haus für kranke Menschen zu bauen.

Dieses Haus ist jetzt fertig und steht da hinten auf dem kleinen Berg.

Vor dem Haus haben wir einen Platz gebaut, damit die Leute sich auch dort ausruhen können und warten können, wenn sie ihre Freunde oder Familie in diesem Krankenhaus besuchen wollen.

Ich selber habe diesem Haus einen Namen gegeben, der vor vielen hundert Jahren so etwas bedeutete wie Gast oder Gastfreund.

Später hat man das Wort dann angefangen zu benutzen für ein Haus, wo kranke Menschen wieder gesund werden können.
Und weil ich fand, dass für dieses besondere Haus ein besonderer Name gut wäre, habe ich mich für den alten Begriff Hospital entschieden.

Das Hospital

Und dieses Hospital ist jetzt gerade fertig geworden und wird heute Nachmittag offiziell eingeweiht.

Es kommen viele Leute, und vielleicht ist das auch eine gute Gelegenheit, dass du dann dort das richtige Wort für deine schwarzen Steine finden wirst.
Ich wünsche dir dazu viel Glück.

Wie immer war das Ganze etwas seltsam und geheimnisvoll von dem alten Mann formuliert worden.
Aber Grübelix kannte ihn inzwischen schon so gut, dass er verstand, um was es gehen würde.

Die Einweihung

Am Nachmittag trafen sich die allermeisten Dorfbewohner auf dem Platz vor dem neuen Haus.
Dort hatte man in großen schönen Buchstaben über dem Eingang das Wort „Hospital“ geschrieben.

Der Bürgermeister hielt eine kleine Rede, die wie immer niemanden interessierte.

Der alte Mann hielt ebenfalls eine kleine Rede, die wie immer von niemandem so richtig verstanden wurde.

Zum Schluss sagte er aber etwas, was die meisten aufhorchen ließ:

„…neben der Tatsache, dass wir ab heute ein eigenes schönes Hospital haben, möchte ich euch mitteilen, dass unser lieber Grübelix ein Problem gelöst hat, dass eines Tages vielen Menschen auf der Welt genauso helfen wird wie dieses Hospital“.

Und er sprach weiter:

Es fehlt unserem guten Grübelix nur noch ein gutes Wort für seine Entdeckung, dann hat er etwas erfunden, was Geschichte machen wird.

Und um euch, die ihr heute hier versammelt seid, eine kleine Hilfe zu geben:

Ihr könnt jetzt alle einen oder mehrere Vorschläge machen, wie dieses neue Wort heißen soll.

Es soll sich so ähnlich anhören wie das Wort, das wir ab jetzt für unser Krankenhaus benutzen, also Hospital.

Und nun denken alle darüber nach – und ich bin gespannt, was dabei rauskommt.

Die Suche

Das Suchen von ähnlichen Wörtern und dann noch möglichst ähnlich wie das komische Wort Hospital, so etwas hatte es im Dorf noch nie gegeben.

Die meisten sahen sich an und zuckten mit den Schultern.

Dann ging sie erst einmal zum großen Tisch in der Mitte des Platzes, wo es viel Kaffee und Kuchen und auch ein bisschen Schnaps gab und fing an den Nachmittag zu genießen.

Irgendwann war der Kaffee alle, der Kuchen sowieso und der Schnaps war statt in der Flasche im Bauch der älteren Damen und Herren, die sich daraufhin anfingen, sich über alte Zeiten zu unterhalten.

Kasten + Eimer

Jetzt brachte der alte Mann einen Kasten und einen Eimer und stellte beides auf den Tisch.
In dem Kasten waren viele leere Zettel und in dem Eimer eine ganze Menge Bleistifte.

Er verteilte in aller Ruhe die Zettel und die Bleistifte und sagte:

So, jetzt seid ihr alle satt und es geht euch gut und nun fang einfach mal an zu fabulieren, welches Wort unser guter Grübelix braucht, damit seine Idee Wirklichkeit wird.

Und nicht vergessen, es soll möglichst ähnlich sein wie der Name unseres Krankenhauses, dass wir heute hier einweihen.

Nach einiger Zeit sammelte er alle Zettel wieder ein und legte sie in den Eimer.
Dann ging er ans Ende des Tisches und hob einen Zettel nach dem anderen raus, um ihn laut vorzulesen.

Die Zettel

Die vielen Zettel, die nichts enthielten, warf er schnell und geschickt unter den Tisch und begann dann mit seiner tiefen und freundlichen Stimme die aufgeschriebenen Vorschläge laut aufzusagen.

Einige Leute hatten ihren Namen hinter oder vor ihren Vorschlag geschrieben, bei anderen war nur das Vorschlagswort notiert.

Der alte Mann fing an zu lesen und sagte:

Der Erdkunde-Lehrer hat geschrieben:

Baunatal
Altmühltal
Emmental
Neandertal

Der Musiklehrer hatte notiert:

Jazzlokal

Der Pfarrer hatte auf seinem Zettel geschrieben:

Brautportal
Klerikal
Grabdenkmal
Jammertal

Die meist etwas zu stark geschminkte Frau aus dem Haus ganz hinten am Wald hatte zwar ihren Namen nicht geschrieben, aber als der alte Mann ihren Zettel vorlas, drehten sich einige Männer mit dem Kopf in ihre Richtung und lauschten

Bumslokal
Lustkanal
Optimal

Der Polizist des Dorfes hatte drei Namen auf seinem Zettel.

Korporal
Bauskandal
Gaspedal

Der Biologie-Lehrer, von dem die Kinder sagten, er habe so viel Fantasie wie Melitta-Papier, hatte zwei Namen aufgeschrieben.

Grönlandwal
Bartenwal

Der Hausmeister der Schule, der schnell etwas laut werden konnte und dann furchtbar an zu schnaufen fing, hatte auf seinem Zettel

Urinal
Schulregal
Illegal
Radikal

Der Bürgermeister hatte notiert:

Kreispokal
Fischlokal

Und die kleine Susi aus der zweiten Klasse, die gerade Schreiben gelernt hatte, hatte in ihrer hübschen kleinen Schrift auf Ihrem Zettel gemalt.

Muttermal
Sonnenstrahl

Nachdem der alte Mann eine halbe Stunde einen Vorschlag nach dem anderen aus dem Eimer gezogen und laut vorgelesen hatte, wurde die Stimmung zwar besser und lauter, aber so einen richtigen Treffer oder einen Knaller, den sich Grübelix erhofft hatte, der war wirklich nicht darunter.

Grübelix wollte sich seine Enttäuschung nicht anmerken lassen und dankte allen, die ihm geholfen hatten, das fehlende Wort für seine Erfindung zu suchen.

Dann drehte er sich um und wollte nach Hause gehen.

Peter

In diesem Moment lief der kleine Peter auf den Platz.

Er war vier oder fünf Jahre alt, alle mochten ihn und er konnte sehr gut laufen.

Außerdem spielte er oft mit sich alleine, denn so viele Kinder im Alter von fünf Jahren gab es im Dorf nicht.

Geschafft

Er kam aus dem Tal neben dem Hospital hervorgelaufen und schrie laut: „Ich hab’s. Ich hab’s geschafft.

Alle drehten sich zu ihm um und gucken ihn ziemlich entgeistert an.

Der alte Mann lächelte in sich hinein und fragte den kleinen Peter:

„Na, was hast du denn geschafft?“

„Ich hab’s geschafft“, brüllte der kleine Junge mit hochrotem Gesicht, denn durch das Laufen aus dem Tal heraus hoch zum Hospital war er ziemlich aus der Puste gekommen.

„Na sag ́s uns schon“, forderte der alte Mann den kleinen Peter auf, „was hast du geschafft?“

Alle dachten, der würde jetzt irgendein Wort rausposaunen und konnten sich beim besten Willen nicht vorstellen, was dies denn sein würde.

„Ich hab’s geschafft!“ wiederholte der kleine Peter nur.

„Ja“, sagte der alte Mann, „das haben wir eben schon mal gehört, und nun sagt doch bitte, was du geschafft hast.

„Ich – ich –“ da fing der kleine Peter etwas an zu stottern, denn irgendwie war ihm das vielleicht doch jetzt ein bisschen peinlich.

Aber er hatte damit angefangen und nun musste er da auch irgendwie durch.

„Ja, was denn nun?“ fragte der Bürgermeister.

„Ich hab da ganz viel Kacke gemacht da unten und dazu noch ordentlich viel Pippi – und das ganze hier unten im Tal“ – und zeigte mit der Hand hinter sich.

Erstarrt

Die Menschen an den Tischen erstarrten innerlich und die Eltern des kleinen Peter verkrochen sich halb unter den großen Tisch.

Der alte Mann aber sah den kleinen Peter an und sprach zu ihm:

Peter, wenn ich das richtig verstanden habe, hast du vor kurzem Kacke gemacht und Pippi dazu und das ganze dort unten im Tal.

Jetzt erstarrten alle Anwesenden noch einmal, weil der alte Mann das so drastisch ausdrückte.
„Jawohl, alter Mann“, sagte der kleine Peter, „genauso war’s.“

Die Lösung

Und damit, liebe Freunde, ertönte jetzt die freundliche und eindringliche Stimme des alten Mannes, hat der kleine Peter uns die Lösung gebracht.

Ihr braucht nur den Anfang der drei Begriffe miteinander zusammenzufügen – und es ist das geboren, was wir alle gesucht haben.

Jetzt verstand jeder wirklich nur noch Bahnhof.

Grübelix aber, der inzwischen schon angefangen hatte intensiv über die Worte des alten Mannes und die des kleinen Peters zu grübeln, der strahlte jetzt.

Geschafft

„Ja“, murmelte Grübelix, „das ist es“.

Der kleine Peter hat drei Wörter gesagt – und von diesen brauchte man nur die ersten Silben hintereinander zu setzten und die Lösung ist da.

Und Grüblix sagte dann laut und klar: KA – PI – TAL

Und damit hatte er das Kapital erfunden.

Die Welt wird es benutzen und gebrauchen genauso wie der alte Mann es gesagt hatte.

Es wird für ganz lange Zeit das Leben vieler Menschen auf dieser Welt begleiten.

Und er dankte dem kleinen Peter ganz herzlich dafür.

Grübel

„Na“, dachte der alte Mann bei sich und sah ein bisschen fragend über die Häuser des kleinen Dorfes hinweg zum Horizont, wo ein kleiner Streifen des Meeres noch recht hell in der Sonne blinkte, „wenn das gut geht…“

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