Bridge für einsame Herzen

Am Anfang war das Wort.
In diesem Fall das Wort meines Großvaters.

Es war so Mitte der Fünfzigerjahre, ich ging bereits lange genug auf die Schule, um zumindest die Grundrechenarten einigermaßen zu beherrschen. Mein 3 Jahre jüngerer Bruder brauchte das nicht, ihm flog alles, was mit dem Begriff „Lernen“ zu tun hat – darunter besonders Mathematik – ganz von alleine in den Kopf.
Meine Schwester war die jüngste von uns dreien.

Was uns eine relativ lange Zeit in unserer Jugend gemeinsam verband, war die Tatsache, dass wir zu Hause das Bridgespiel lernen mussten.
In unserer Buddenbrook-ähnlichen Villa an der Alster traf sich jeden Sonntagmittag ein Großteil der Familie zum sonntäglichen Familienessen.
Wenn schließlich mein Großvater mit einem gelungenen Rülpserchen das Schmausen für nunmehr beendet erklärt hatte, teilte sich das ganze und die Männer gingen in die Bibliothek, um Schnaps, Zigarren und schmutzige Witze alleine zu genießen.

Die Damen, insbesondere die größere Menge von immer älter werdenden Tanten, Basen und sonstigen hochgeschlossenen Dutt-Trägerinnen gingen in den Wintergarten, um den Nachmittag mit Bridge-Spielen zu verbringen.

Je nach Alter sowie nach Anzahl und Farbe der Likörchen kippte aber regelmäßig die eine oder andere Tante unauffällig, aber immer grazil und formvollendet aus ihrem Lehnstuhl – und dann wurden die Kinder gerufen.

Je nach Spielstärke – oder hier besser gesagt nach Spielschwäche – der soeben temporär dahin geschiedenen wurde dann bestimmt, wer von uns dreien ihren Platz einnehmen musste. Manchmal – besonders im Winter, wenn es einen besonders fetten Braten gegeben hatte – war die Anzahl dieser Kolateralschäden besonders hoch, dann waren wir Kinder auch zu zweit oder dritt im Einsatz, die Kinderschutzgesetze wurden erst 20 Jahre später verabschiedet.

Um es kurz zu machen – wir drei Kinder verbrachten einen wesentlichen Teil der Sonntage an irgendwelchen Tischen, um mit irgendwelchen Karten irgendwelche Spiele durchzuführen.
Wir haben es wirklich gehasst, aber der Begriff der antiautoritären Erziehung kam ebenfalls erst 20 Jahre später auf.

Auf die Art und Weise hatten wir gezwungenermaßen zumindest Grundkenntnisse dieses Spiels in früher Jugend lernen müssen.

Dann folgte eine ganz große Pause und ich selber habe erst 30 oder 40 Jahre später das richtige Bridge spielen wieder angefangen, aber das ist hier noch nicht das Thema.

Meine liebe Schwester Anja lernte in jungen Jahren einen Deutschen kennen, der in ebenfalls sehr jungen Jahren bereits nach Südafrika ausgewandert war. Sie heirateten und lebten danach die nächsten 30 Jahre in Johannesburg.

Das dortige Leben habe ich bei verschiedenen Besuchen in Südafrika am eigenen Leibe so kennengelernt:
In der Zeit der Apartheid lebte man als weiße Familie hinter großen Schutzmauern, um den Angriffen und Attacken der unterdrückten Schwarzen nicht ausgeliefert zu sein.
Nach der Apartheid lebte man in Johannesburg hinter noch größeren Mauern und Zäunen, um den jetzt regierenden schwarzen Randalierern nicht ausgeliefert zu sein.

Meine Schwester hatte also in den gut 30 Jahren, die sie dort verbrachte, ein absolutes Leben hinter Stacheldraht und Mauern führen müssen – die Situation in der DDR war im Vergleich dazu ein Ausflug in die fast grenzenlose Freiheit, da gab es ja nur eine Grenze und nicht zehntausende wie um jedes Haus in Südafrika.

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