Das Mosaik

Tag 1

Die Beerdigung

Je mehr Glück man hat, desto anstrengender wird es.
Hat man das Glück eines langen Lebens, so häufen sich zum Schluss die Momente, wo man nicht Mittelpunkt einer Beerdigung, sondern treuer Besucher einer solchen Veranstaltung wird.
Jedenfalls in den meisten Ländern dieser Welt.

In der Karibik gibt es das Phänomen, dass sich Beerdigungen über Jahre und Jahrzehnte hinweg entwickeln können.

Sie werden – wie die meisten Dinge im Leben – zuerst mit dem Flair des Ungewöhnlichen erlebt und gestaltet.

Mit der Zeit gewöhnt man sich an gewisse immer wiederkehrende Rituale.
Und zum Schluss sind solche Beerdigungen nur noch irgendwie lästig.

Der Termin

Die liebevolle Pflegerin und immer noch wunderschöne Ehefrau des kleinen weißhaarigen Männchens wusste inzwischen nicht mehr genau, wo und wie sie die regelmäßig alle paar Jahre stattfindende neuerliche Beerdigung ihres karibischen Traums einordnen sollte.

Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass Mitte dieser Woche wieder ein neuer Termin für die nächste Beerdigung angesetzt worden war.

Die letzte Beerdigung lief vor zwei oder drei Jahren nach dem immer wieder gerne Ritual ab.
Morgens um neun das große Treffen.
Irgendwann am späten Vormittag erschienen die Menschen, die solche Beerdigungen leiten.

Wie immer alle in Schwarz, mit großen weiten Roben über dem ganzen Körper – und alle mit einer kleinen runden Mütze auf dem Kopf – ebenfalls in schwarz.

Die Farbe Weiß

Der einzige Unterschied war, dass der Chef der Veranstaltung an dieser Mütze eine kleine violette Stoffkugel auf der Mütze hatte.

Die Stoffkugeln an den kleinen Mützen der anderen Mitglieder des Komitees waren weiß.
Die Farbe weiß ist nicht nur in China, sondern auch in der Karibik bekannt als Farbe des Todes.

Vorbereitung

Die letzte Beerdigungszeremonie hatte vor zwei Jahren an einem Ort stattgefunden, der nur wenige Stunden von dem Strand entfernt war, an dem sich Pflegerin seit vielen Jahren um das Wohl ihres kleinen weißhaarigen Mannes kümmert.

Der jetzt für diese Woche neu angesetzte Termin war jedoch am äußersten anderen Ende der kleinen dominikanischen Republik.
Um dorthin zu gelangen, mussten über 600 km in 7–9 Stunden überwunden werden, je nachdem wie man sich entschloss, dorthin zu gelangen.

Der Beginn war wie immer auf 9:00 Uhr festgelegt, der Termin selber war schon seit Wochen bekannt und die Logistik, wie man dorthin kommen würde, war genau geplant.

Die Ehefrau – der Einfachheit halber nennen wir sie ab jetzt Nelly – sollte zusammen mit zwei Personen dorthin gebracht werden.

Choco, der gute Freund unserer Familie, sollte als Fahrer fungieren.
Santa, die Reinigungsfrau, die seit über 25 Jahren ebenfalls zu unserer Familie in der DomRep gehört, sollte als Begleitung für Nelly mitfahren.

Man wollte alles in Ruhe angehen.
Am Vormittag losfahren, spät nachmittags oder abends irgendwann ankommen.
Ein kleines Hotel mit drei Zimmern sollte für eine angenehme Übernachtung sorgen.
Und nach dem Termin am nächsten Vormittag wollte man dann in aller Ruhe wieder die ganze Strecke zurückfahren, um irgendwann abends in unserem Apartment am Strand wieder anzukommen.

Der Sturz

Am Abend vor der Abreise stürzte Choco sehr unglücklich und sehr schwer.
Er wurde ins Krankenhaus gebracht und es wurde festgestellt, dass er mindestens eine Woche lang nicht laufen kann, geschweige denn Autofahren.

Daraufhin begann in der ersten Nachthälfte ein ziemlich hektisches Herumtelefonieren.
Es wurde kein anderer Fahrer im gemeinsamen Bekanntenkreis gefunden.
Es wurden alle Möglichkeiten besprochen und zum Schluss war das Ergebnis eindeutig.

Nelly würde alleine am nächsten Vormittag mit dem Bus in die Hauptstadt fahren.
Dort in einen anderen Bus umsteigen und dann irgendwann am späten Nachmittag in der Stadt eintreffen, wo die Verhandlung sein würde.

Die Verhandlung

Das Wort Verhandlung ist wahrscheinlich die sachlichere und klarere Formulierung der Tatsache, dass es sich bei der Beerdigungs-Verhandlung um die Beerdigung des Traumes von Nelly handelte.
Sie wurde vor jetzt über 15 Jahren Eigentümerin eines wunderschönen Strand-Grundstücks in der dominikanischen Republik –
15.000 qm reiner Urwald direkt am weißen Sandstrand, irgendwo in einer Gegend, wo es weder Straße noch elektrisches Licht noch Trinkwasser gab.

Ein karibischer Traum, wie man ihn im Leben nur einmal träumt.

Dieses exotische Strandgrundstück wurde ihr von der dominikanischen Mafia in den nächsten Jahren Stück für Stück weggenommen – und damit war die Sache nach dominikanischer Vorstellung erledigt.
Nelly war aber nicht bereit, eine solche Beerdigung erster Klasse über sich ergehen zu lassen und kämpft seitdem wie eine Löwin um ihr Grundstück.

Ihr Glaube an das Gute im Menschen bestärkt sie darin – und sie hat die Hoffnung bis heute nicht aufgegeben.

Alle anderen Menschen um sie herum betrachteten die Angelegenheit schon nach wenigen Jahren als gestorben – die Mafia war und ist zu mächtig, wenn es um Korruption bei Gerichten geht.
Und so wendeten sich die Mitmenschen von Nelly irgendwann achselzuckend den anderen Problemen im karibischen Leben zu.

Nelly ging von einer Revision in die nächste, und ob es irgendwann noch mal gelingen sollte, dieses inzwischen für alle anderen gestorbene Projekt zu neuem Leben zu erwecken – niemand weiß es.
Insofern war auch die in dieser Woche angesetzte nächste Verhandlung ein Teil der unendlichen Geschichte.

Bewunderung

Die Anzahl der älteren Damen, die sich im hohen Alter noch eine solche Busreise über das ganze Land zutrauen, ist mit Sicherheit sehr gering.

Diejenigen, die um die ganze Angelegenheit wussten, hatten Bewunderung und Hochachtung für den Mut und die Zuversicht von Nelly – unabhängig davon, dass sie an einem messbaren Erfolg nicht glaubten.

Die Reise

Am nächsten Morgen war es dann so weit.
Der Bus ging um 9:00 in Richtung Hauptstadt.

Um 8:00 erschien Paco, der Administrator unseres Condominiums, und wollte in seiner freundlichen, langatmigen und ausführlichen Art eine Nachricht besprechen, die er von Jan aus Deutschland in der Nacht erhalten hatte.

Über den Inhalt dieser Nachricht braucht hier nicht berichtet zu werden. Das Problem war, dass es extrem schwierig war, dem guten Paco in den nächsten drei Minuten klarzumachen, dass er bitte einige Tage später noch mal kommen sollte, um das Nötige zu besprechen – jetzt wolle man sich auf eine lange Reise vorbereiten.

Als Paco mitbekam, wohin es ging und dass Nelly alleine reisen würde, verneigte er sich innerlich – und vielleicht sogar auch äußerlich – mit sehr viel Respekt vor ihr.

Neue Gäste

An diesem Tag sollten die beiden Apartments, die zurzeit von Nelly und dem weißhaarigen Männchen in der großen Wohnung verwaltet wurden – diese beiden Apartments sollten neue Gäste bekommen.
Beide aus den USA, beide jeweils zwei Personen.

Vormittags um 10:30 sollte ein Ehepaar aus Las Vegas am Flughafen eintreffen.
Am Nachmittag um 3:30 Uhr zwei Freundinnen aus Texas.
Die Apartments waren vorbereitet, alles war normal.

Die Versicherung

Gleichzeitig sollte an diesem Tag noch die Versicherung abgeschlossen werden – für ein neues Auto, das wir angeschafft hatten, um die permanente Nachfrage der Gäste nach Ausflugsmöglichkeiten, Restaurantbesuchen und sonstigen touristischen Highlights zu befriedigen.

Dieses Auto war vor einigen Monaten bestellt, jetzt eingetroffen, und es fehlte nur noch die Versicherungspolice, mit welcher der Verkäufer des Autohauses das Auto an uns ausliefern würde.
Diese Police wollte das kleine weißhaarige Männchen an diesem Morgen besorgen, um danach zum Flughafen zu fahren und das Ehepaar aus Las Vegas abzuholen.

Warteliste

Was er nicht wusste, war, dass die Büros der Versicherungen in der Domrep ein Ort sind, wo der normale Dominikaner einige Tage auf der Warteliste steht, bevor er drankommt.
Die Terminbuchungen in den deutschen Einwohnermeldeämtern sind dagegen schnell und luxuriös.
In der Domrep sind offensichtlich nur das Eröffnen eines Bankkontos und die Ausstellung eines Personalausweises noch schwieriger als der Abschluss irgendwelcher Versicherungen.
Als unser kleines weißhaariges Männchen kurz nach 9 Uhr das Büro der Versicherung betrat, war alles klar.

Eine Gruppe von ungefähr 30 dort bereits wartenden Dominikanern drehte den Kopf zu ihm, als er in den großen Wartesaal eintrat.
Die Wächter, die überall an den Eingangstüren stehen, um für die allgemeine Ordnung zu sorgen, zeigten nur stumm auf den großen Nummernautomaten, der an der Wand neben dem Eingang stand.
Er sollte sich jetzt eine Nummer ziehen, und diese Nummer würde dann irgendwann in den nächsten Tagen aufgerufen.

Die Chefin

Er ging zur Chefin, die in einer Ecke des Wartesaals ihr Büro hatte, und sagte, dass er in einer halben Stunde zum Flughafen fahren müsse, um wichtige Familienangehörige abzuholen.
Darunter seien – nach allem, was ihm mitgeteilt worden war – einige Hochschwangere, zwei Rollstuhlfahrer und ein oder mehrere Kleinkinder in irgendwelchen Babywagen oder Karren.
Und deshalb wolle er jetzt bitte ganz schnell die Versicherung für sein neues Auto abschließen. Die gesamten angeforderten Unterlagen habe er alle dabei, ebenso das Geld für die Police.

Die Chefin hob nicht mal den Kopf.

Sie deutete nur mit einem Arm auf die immer voller werdenden Bänke des Wartesaals und vertiefte sich wortlos wieder in das Baller-Spiel, das sie auf ihrem Handy die ganze Zeit weiterspielte.
In ihrem nächsten Leben ist sie wahrscheinlich die perfekte Besetzung für die TV-Serie über Entbürokratisierung in Deutschland.

Die Alternative

In dem gleichen Gebäude, wo diese sehr dominikanische Versicherung ihren Sitz hatte, waren auch einige Supermärkte und viele andere Läden.

Darunter auch eine andere Versicherung, die dem weißhaarigen Männchen bekannt war, weil er dort vor über zehn Jahren eine Zeit lang seine Wohnung im Condominium am Strand versichert hatte.
Diese Versicherungsgesellschaft ist bekannt als seriös und teuer, aber irgendwie haben sie immer noch genügend Kunden.

Als er dort die Tür aufmachte, sah er nur einen großen, leeren Raum.
Ganz am anderen Ende dieses gepflegten Raumes saßen zwei hübsche junge Mädchen hinter irgendwelchen Schaltern.

Die Wachmänner neben der Eingangstür winkten ab, als das weißhaarige Männchen zum Zettelautomaten ging, um eine Nummer zu ziehen.
Sie meinten nur, er solle einfach zu einem der beiden Damen hingehen.
20 Minuten später war alles erledigt.

Das Auto war angemeldet, die Versicherung war bezahlt, alle Unterlagen in dreifach übergeben, und das kleine weißhaarige Männchen hatte beschlossen, dass dies der Anfang einer wunderbaren Freundschaft werden würde.

Las Vegas

Das Ehepaar, was von Las Vegas kommend jetzt demnächst eintreffen würde, war morgens um 5:30 losgeflogen.
Im Internet war alles genau nachzuvollziehen.
Der Flug war in Las Vegas pünktlich auf die Minute gestartet.

Eine Prüfung im Internet bei einer Flug-App jetzt ungefähr 1 Stunde vor Ankunft ergab, dass das Flugzeug sich zurzeit zwischen Florida und den Bahamas befand, es würde pünktlich in Punta Cana landen und alles war völlig normal.
Als unser Männchen 20 Minuten später am Flughafen ankam, schaute er zur Sicherheit noch einmal auf einen der vielen Bildschirme, die die Ankünfte und Abflüge der Flugzeuge aus aller Herren Länder anzeigten.

Der Flughafen in Punta Cana ist inzwischen sehr groß geworden.
Er hat zwei gewaltige Terminals.
Das Terminal A für die meisten Flüge aus Europa und einige aus USA.
Das ungefähr 2 km entfernt neu errichtete Terminal B ist Ankunft und Abflug für die meisten Flüge aus USA, Kanada, Südamerika und anderen Ländern.
Beide gut organisiert, beide genügen den internationalen Ansprüchen.

Verschwunden

Kurz vor Landung des Flugzeugs kam das Männchen in der Wartehalle von Terminal A an.
Er ging zum nächstgelegenen Anzeigen–Bildschirm, wo alle Ankünfte der nächsten Stunden aufleuchteten.
Alle – mit Ausnahme des Fluges aus Las Vegas.

Wenn es sich bei einer Ankunft um eine normale Verspätung handelte, wurde dies angezeigt und die ungefähre neue Ankunftszeit dazu.
Hier aber war eine rote Anzeige hinter dieser Flugnummer – also als eine Art Alarm.
Und dann noch der Hinweis, dass statt 10:30 Uhr die voraussichtliche Ankunftszeit irgendwann zwischen 13:00 und 15:00 Uhr sein wird, Näheres sollte man bei der Auskunft erfragen.

Die Auskunft

Dieser Hinweis, dass man sich an die Auskunft wenden solle, war ein Teil der Automatik, die die Hersteller solcher Informationstafeln eingebaut haben und wo bei jeder schwierigen Situation immer der Hinweis steht: „bitte fragen Sie die Auskunft“.

Nur wusste der Hersteller dieser Tafel nicht, dass es auf dem Flughafen von Punta Cana seit nunmehr 28 Jahre keine Auskunft gibt.
Weder als Schalter noch über Lautsprecher oder als Video–Laufschrift.
Eine Auskunft hatte man schlicht übersehen oder man hatte das Geld dafür von Anfang an für irgendetwas anderes ausgegeben, vielleicht hatte man auch die Wörter Auskunft und Niederkunft verwechselt.

Sinnlos

Da zu diesem Zeitpunkt alle 5–10 Minuten neue Flugzeuge den Flughafen anflogen, war es sinnlos, irgendwie auf irgendwas zu warten, was offensichtlich nicht passieren würde.
Daraufhin begann unser Männchen mit seinem Handy zu spielen.
Und irgendwann fand der tatsächlich eine Nachricht bei einem größeren internationalen Flugportal.

Dort stand, dass dieser Flug in allerletzter Minute umdirigiert wurde und nicht in Punta Cana landen würde – sondern auf der benachbarten amerikanischen Insel Puerto Rico.

Puerto Rico liegt ungefähr 200 km entfernt von der DomRep, hat einen großen internationalen Flughafen und es gibt stündlich eine Art Pendelverkehr zwischen diesen beiden Flughäfen.

Jetzt fand das Männchen auch noch heraus, dass in solcher Situation der Weiterflug von Puerto Rico nach Punta Cana mit einer andern Flugnummer versehen wird.
Die alte Flugnummer endet in diesem Fall in Puerto Rico.
Und unter einer anderen Flugnummer – die niemandem bekannt war – würden die Passagiere dann irgendwann in Punta Cana landen.
Vorausgesetzt, sie würden überhaupt landen.

Puerto Rico

In Puerto Rico spielte sich ungefähr Folgendes ab:
Das Ehepaar hatte vorher schon WhatsApp-Kommunikation mit unserem Männchen und meldete sich jetzt vom Flughafen Puerto Rico aus.
Man sei wegen einer technischen Störung im letzten Moment dort gelandet.
Wann und wie es weitergehen würde, wüsste im Moment keiner, aber es war kein Unglück, sondern nur irgendetwas mit Technik.

Dann kam die nächste Nachricht, dass man jetzt neu das Flugzeug in Puerto Rico besteigen würde und man würde dann so gegen 13:00 bis 14:00 Uhr vielleicht in Punta Cana landen.
Niemand ahnte, was dies für die weitere Logistik des Tages für unser Männchen bedeuten würde.

Die Nächsten

Die zweiten Gäste aus Texas würden um 15:00 Uhr pünktlich ankommen – die ersten jetzt um vielleicht 13:00 Uhr oder 14:00 Uhr.
Man hatte nur ein Auto und jetzt wohl vier Personen, und keiner wusste, wie viel Gepäck diese beiden Gruppen insgesamt haben würden.
Aber dass dies alles in ein Auto gehen würde, war kaum anzunehmen.
Also blieb nur die Variante: die erste Gruppe ganz schnell ins Condominium fahren, sofort zurück zum Flughafen und dann mit einer wahrscheinlichen Verspätung die nächste Gruppe nach Hause zu transportieren.

Das Ganze basierte auf der Hoffnung, dass die Gruppe aus Las Vegas irgendwann erscheinen würde.
Die letzte Nachricht aus Puerto Rico war, dass man jetzt im Flugzeug sitzen würde und der Captain sagte, man werde in ca. 30 Minuten auf der nächsten Insel landen, also in Punta Cana.

Angekommen

Ungefähr um 14:00 Uhr gab es dann die Begrüßung.
Das Männchen bat die beiden total übermüdeten und gestressten Besucher aus Las Vegas, sich zu beeilen, weil er in 1 Stunde hier die nächsten Gäste abholen sollte.

Er würde jetzt sofort mit ihnen ins Condominium fahren und dann wieder zurück zum Flughafen.
Die geplanten Einkäufe in den Supermärkten würden dann abends gemacht werden, wenn beide Gruppen in ihren Apartments eingetroffen sind.

Unwohl

Auf dem Weg zum Condominium meinte der Mann aus Las Vegas, dass er sich nicht wohlfühle.
Er brauche unbedingt irgendein bestimmtes Getränk und irgendwas zu essen, sonst würde er umkippen.
Er meinte, das, was er brauche, gebe es in den USA an jeder Tankstelle, und ob wir nicht kurz an einer Tankstelle anhalten könnten.

Das alte Männchen verstand leider nicht, um was für spezielle Getränke oder Essen es sich dabei handelt.

Aber er wusste, dass es neben dem Büro der Versicherungen, die er heute Morgen besucht hatte, ein neues Gebäude gab, wo seit einem Monat 8–10 kleine Restaurants oder Fast-Food-Gesellschaften eingezogen waren und auf neue Kunden warteten.

Er hatte dies irgendwann vor einigen Wochen gesehen, war danach mit seiner Pflegerin auch mal dort durchgegangen, und er konnte nur hoffen, dass dort auf die Schnelle das zu finden war, was der Mann neben ihm im Auto so dringend brauchte.

Also wieder Stopp auf halber Strecke.

Es wurden die 8–10 Läden und Kioske von den beiden Gästen geprüft, um festzustellen, ob dort das vorhanden war, was er brauchte.

Erfolg

Schließlich hatte man Erfolg.
Irgendein Koch erinnerte sich an das, was die Frau ihm erzählte, und bot an, es zu kochen.
Er meinte bloß, das würde etwas dauern.

Dem kleinen weißhaarigen Männchen war inzwischen so ziemlich alles egal.

Er setzte sich hin und überlegte, wie er den beiden in der Luft befindlichen neuen Gästen aus Texas sagen könne, dass sie am besten irgendwie selber zum Condominium kommen sollten.
Das war technisch jetzt nicht so einfach, weil es keine Verbindung zu den beiden in ihrem Flugzeug gab.

Gedanken

Während der Zeit, in der dieses lebensrettende Gericht hinten in irgendeinem Kiosk vorbereitet wurde, hatte unser kleines Männchen Zeit, über die Zufälle des Lebens nachzudenken.
Er hatte, bevor er zum Flughafen fuhr, wie immer sich die Texte und die Korrespondenz durchgelesen, die mit den neuen Gästen vorher geführt wurden.

Die Buchung war bereits vor fünf Monaten von seiner Frau gemacht worden.
Sie erklärte damals, dass sie diese Reise in die Karibik als Geburtstagsüberraschung für ihren Mann durchführen wollte.
Und sie bat, ihrem Mann in keiner Form irgendetwas von dieser Überraschung zu erzählen.

Jan und das kleine Männchen, die den ganzen Chat mit den Gästen führten, hatten natürlich dieser Bitte entsprochen und nichts verraten.

Auf dem Weg vom Flughafen hin zu der jetzt notwendig gewordenen Essenszubereitung fragte das kleine Männchen den neben ihm im Auto sitzenden Amerikaner aus Las Vegas, ob er von dieser Überraschung irgendwann vorher etwas mitbekommen hätte.
Der Mann schüttelte den Kopf und sagte: Nein, es war eine totale Überraschung.
Das Männchen fragte dann, wann genau ihm klar wurde, wohin sie reisen würden.
Die Antwort war klar und sachlich – in dem Moment, als sie beide in dem Gate eincheckten, von dem aus der Flug nach Punta Cana starten würde.

Das kleine weiße Männchen schloss seine Erinnerungen und Überlegungen mit der Frage an sich selber, warum die beiden nicht einfach beim nächsten Gate links oder rechts vom Abflug Punta Cana hätten einchecken können – dann hätte es an diesem Tag einige Probleme weniger gegeben.

Die Nächsten

Als das spezielle kleine Essen fertig war, wurde es eingepackt und der Mann fing auf dem Weg zum Flug zur Wohnung an, alles aufzuessen.

Dann eine Expresseinweisung von Apartment und Strand und zurück zum Flughafen.
Auf halbem Weg dorthin erreichte ihn die WhatsApp-Nachricht der beiden neuen Gäste aus Texas.
Sie seien jetzt durch die Gepäckkontrolle und auf dem Weg zum Treffpunkt.

Er antwortete, dass er einige dominikanische Pannen hinter sich hätte und sich seine Ankunft eventuell etwas verzögern würde.
Einen genauen Termin oder eine Uhrzeit oder Schätzung, wie lange diese Verzögerung sein würde, wollte er aus bestimmten Gründen in dieser Nachricht nicht einfügen.

Terminals

Die Gäste am Vormittag waren angekommen im Terminal A,
die Gäste aus Texas sollten ankommen im Terminal B.

Vielleicht 20 Minuten, nachdem die Nachricht eingetroffen war, dass die anderen den Treffpunkt erreicht hätten, war unser kleines Männchen am Treffpunkt in Terminal B eingetroffen.

Es gab an diesem Treffpunkt zu dieser Zeit Hunderte von Menschen, aber keiner reagierte auf das Schild, das er verzweifelt hochhob, in der Hoffnung, dass sich die Frau, die er auf dem Schild abgebildet hatte und deren Gesicht er aus Airbnb herauskopiert hatte, melden würde.

Dafür kam jetzt eine weitere WhatsApp-Nachricht von den beiden aus Texas.

Sie sagten, es gebe gar nicht diesen komischen Eck-Treffpunkt, wo sie sich mit ihrem Abholer treffen sollten.
Und sie wüssten auch nicht, was sie jetzt machen sollen.

Aber sie hatten dann klugerweise einfach fotografiert, wo sie gerade waren.

Die Umleitung

Das Männchen erkannte aus diesem Foto sofort, dass die beiden nicht in Terminal B, sondern in Terminal A waren.
Man hatte also dieses Flugzeug im letzten Moment wieder einmal auf dem Flughafen umgeleitet – wahrscheinlich, weil B gerade zu voll war und kein Platz mehr frei war.
Aber in A war etwas frei, und damit war das Chaos perfekt.

Hunderte Abholer, Hotelangestellte und Busfahrer machten sich auf den Weg von Terminal B nach Terminal A.

So muss es Ende des vierten Jahrhunderts in Europa beim Einsetzen der Völkerwanderung zugegangen sein.

Die beiden Neuankömmlinge aus Texas wurden über WhatsApp beruhigt und informiert, dass das Männchen jetzt auf dem Weg ist nach Terminal A.
Sie war das erste Mal in der DomRep, und es war witzlos, ihnen irgendwas über Hintergründe von Terminal A und B zu erzählen.

Verschwunden

In Terminal A waren an dem Abholungs-Treffpunkt Hunderte von Menschen – außer der Frau auf dem Bild des Schildes, das er für die Abholung aller Gäste immer anfertigte.
Dafür kam eine Nachricht, dass man jetzt in einem kleinen Snack-Imbiss sei, der in der Nähe vom Flughafen war.

Man hatte lange gewartet, war hungrig und würde dort warten.
Die Snackbar war ganz hinten im Terminal und normalerweise immer ziemlich leer.
Schließlich traf man sich dann kurz vor Dunkelheitseinbruch und das Abholen dieser Gruppe war dominikanisch erfolgreich erledigt.

Keine Fragen

Das weißhaarige Männchen unterließ aus ganz speziellem Grund die Frage, ob die beiden noch irgendwelche besonderen Essenswünsche hätten, denn die beiden jungen Frauen aus Texas hatten sich in der Zeit, wo sie auf ihn warteten, mit irgendwelchen amerikanischen Fast-Food-Sachen eingedeckt, und sie sahen nicht so aus, als ob sie noch größere oder besondere Wünsche hätten.

Der Rest des Tages

Irgendwann am Abend waren alle versorgt, alle in ihren Apartments eingewiesen, und man fuhr dann gemeinsam zum Einkaufen in einen Supermarkt.
Dieser erste Einkauf geht normalerweise sehr schnell.

Hier aber streckte er sich über einige Stunden hin, weil das Ehepaar aus Las Vegas die Absicht hatte, an diesem etwas besonderen Tag den halben Supermarkt leerzukaufen.

Unser Männchen hatte es bis dahin noch nie erlebt, dass beim ersten Einkauf unserer Gäste zwei Kassen-Service-Boys zwei volle Einkaufs-Trolleys für einen Kunden zum Auto hinschoben, um dort eine nicht enden wollende Anzahl von Plastiktüten im Gepäckraum des Autos zu verstauen.

Aber das war inzwischen auch völlig egal.

Irgendwann in der Nacht kam das kleine Männchen wieder in seinem Apartment an.
Eine kurze Nachricht an seine liebe Frau, die in dieser Nacht am anderen Ende der Insel irgendwo in einem Hotelbett lag, lautete dann auch ziemlich lakonisch: „Alles ok“.

Tag 2

Die Besucherinnen

Bei den beiden jungen Damen Texas stellte sich heraus, dass es Cousinen waren, die einen Kurztrip in die Karibik machen wollten.
Sie waren gebürtige Mexikanerin, sprachen entsprechend perfekt Spanisch und Englisch und waren nett und unternehmungsfreundlich.

Sie hatten auch nur für vier Tage gebucht. Dann wollen sie zurück nach Texas.

Am Strand

Am nächsten Morgen gegen 9:00 Uhr konnte das kleine Männchen Folgendes am Strand sehen.
Eine der beiden amerikanischen Mexikanerinnen saß auf einem Liegestuhl.
Hinter ihr stand eine ältere Dominikanerin mit vielen künstlichen Haarteilen und irgendwelchen langen dünnen Stäben in der Hand.
Daneben ihre Cousine.

Die jungen Damen wollten sich Raster-Locken legen lassen oder besser gesagt, waren von der alten Frau am Strand dazu überredet und verführt worden.

Als die beiden Cousinen das kleine weißhaarige Männchen erblickten, kamen sie an und fragten, ob er Geld wechseln könne – sie müssten die Arbeit der Frau bezahlen.

Es stellte sich heraus, dass sie bei der alten Dominikanerin am Strand 80 US-Dollar für Raster-Locken legen vereinbart hatten.

Sie waren damit eines der täglichen Opfer der Strandmafia geworden – und als das Männchen ihnen sagte, dass so etwas maximal 10–20 US-Dollar kosten würde, fielen sie aus allen Wolken.
Das kleine Männchen meinte freundlich, sie sollten die Strandräuberin zum Teufel schicken.

Er würde mit ihnen zu einem kleinen Laden fahren, wo sie zu dominikanisch korrekten Preis sich so viele Raster-Locken machen lassen können, wie sie gerne wollten.

Wie diese kleine Episode ausging, ist nicht genau überliefert, man einigte sich wohl über einen neuen Preis, denn die alte Frau arbeitete weiter an den Köpfen der beiden Cousinen.

Die Wäsche

Aber etwas anderes passierte.
In einer Form, wie es in den bald 30 Jahren, die sie am Strand wohnten, noch nie vorher passiert war.
Das kleine weißhaarige Männchen beobachtete von seiner Terrasse aus, wie auf dem Strand vor ihm die alte Dominikanerin den beiden jungen Damen aus Texas irgendwelche Raster-Locken legte.
Dann erschien plötzlich ein Mann mit einer größeren Plastiktüte in der Hand und fing an, mit den beiden jungen Damen zu diskutieren.

Er war so um die 40, der Statur nach Amerikaner oder Kanadier, und die drei redeten intensiv miteinander.

Nach den Erlebnissen mit der unverschämten Preisforderung der alten Dominikanerin war das Männchen etwas besorgt, dass sich hier eine neue kleine Katastrophe anbahnen könnte und ging hin zu den drei Damen und dem Mann mit der Plastiktüte.

Der Mann sprach nur Englisch.
Das Männchen fragte auf Spanisch die jungen Damen, was der Mann überhaupt wolle.

Und die Antwort war so irrsinnig, dass dem kleinen Männchen mit jetzt 80 Lebensjahren keine direkte Antwort spontan einfiel.

Der Plastik-Sack

Der Amerikaner hatte sich an die beiden Damen gewandt mit der Frage, ob sie für ihn etwas Wäsche waschen könnten.

Er hätte hier in seinem Plastiksack einige schmutzige Wäsche, die er gerne gewaschen haben wolle.
Die Damen aus Houston waren ebenfalls sehr überrascht und verstört über dieses Anliegen.
Sie wollten aber keinen neuerlichen Disput hier am Strand vor den Augen des kleinen weißhaarigen Männchens.

Sie waren nach der Belehrung über den Preis von Raster-Locken-Legen unsicher, wie sie sich verhalten sollten.

Vielleicht gehörte ja ein solches Begehren von Männern mit Plastik-Säcken hier in der DomRep zum Tagesablauf am Strand und es war ihnen vorher nur nicht ausreichend erklärt worden.
Während der Einweisung in ihrem Apartment hatten sie erfahren, dass es neben ihrem Apartment einen Raum gab, wo eine Waschmaschine und ein Trockner standen.
Also hatten sie sich spontan bereit erklärt, für diesen Mann die schmutzige Wäsche, die er dabei hatte, zu waschen.

Das war der Stand der Dinge, als das kleine Männchen sich in die Unterhaltung einmischte.
Der Mann hatte wie alle Touristen ein Armband aus Plastik um sein Handgelenk.
Damit identifizierte er sich als ein Mitglied eines Hotels hier am Strand.

Es gibt 34 Strandhotels und 34 unterschiedliche Armbänder.

Das kleine weiße Männchen kannte nach über 25 Jahren so ziemlich alle Armbänder.
Er sagte zu dem Mann, dass er im Hotel Rio–Palace wohnte. Das sei ein internationales Fünf–Sterne–Hotel.

Und weshalb er jetzt mit seiner schmutzigen Wäsche am Strand spazieren ging, sei mehr als merkwürdig.

Der Amerikaner wusste darauf keine richtige Antwort.
Er konnte nicht abstreiten, dass er im Hotel Rio–Palace Gast war, und es war davon auszugehen, dass er auch wissen müsste, dass man in so einem Fünf–Sterne–Hotel gegen eine entsprechende Bezahlung jede Wäsche von einem Tag zum anderen waschen lassen konnte.

Der Betrag für die Wäsche wird dann ganz normal auf die Rechnung aufgeschlagen und alles ist so wie in Millionen anderer Hotels auf der Welt.

Warum dieser Mensch jetzt mit seiner Wäsche–Plastiktüte am Strand rumlief, war völlig schleierhaft.
Das Hotel Rio–Palace, in dem er Gast war, lag zudem ungefähr 4 Kilometer entfernt von der Palme und dem Liegestuhl, wo sich jetzt seit 10 Minuten alles um einen Sack schmutziger Wäsche drehte.
Er musste also schon eine gute Stunde lang mit seiner Tüte am Strand entlang gelaufen sein.

Und wie viele Menschen er dabei auf das Wäsche-Waschen und seinen Plastik-Sack angesprochen hatte, das war nur zu erahnen.

Unsicher

Das Männchen sagte ihm, dass es in der Stadt mindestens vier normale Wäschereien gibt, wo fleißige Chinesen Tag und Nacht gegen eine geringe Gebühr die Wäsche der dominikanischen Bevölkerung waschen – er möchte doch dann bitte dort seine Wäsche abgeben, wenn er das schon nicht im Hotel machen wolle.

Aber hier am Strand damit zu hausieren, das sei mehr als ungewöhnlich und im Prinzip auch bald ein Fall für die Politur, die dominikanische Spezial-Polizeiabteilung zum Schutz der Touristen.
Der Amerikaner wurde bei den Erklärungen des kleinen weißhaarigen Mannes immer kleiner.
Er verstummte und gab keine Erklärung über sein wirklich seltsames Verhalten ab.

Diese Episode endete dann kurz danach damit, dass das Männchen ihn freundlich aufforderte, mit seiner Plastiktüte und dem schmutzigen Inhalt weiterzuziehen.

Der Amerikaner trollte sich von dannen, und die beiden jungen Damen aus Texas wissen bis heute nicht, ob all das, was sie an diesem Morgen am Strand erlebt hatten, zum normalen dominikanischen Strandleben gehört oder nicht.

Das Ergebnis

Zum Schluss des Tages wollen wir uns noch einmal kurz der Verhandlung widmen, die Nelly am anderen Ende der Insel hatte.

Zum Wesen jeder Verhandlung gehört es, ein Fazit zu ziehen.

Man vergleicht die aktuelle Verhandlung mit der vorherigen Verhandlung und bewertet sie entsprechend.
Je nach Sicht der Beteiligten hat die jetzt zu Ende gegangene neue Verhandlung einen Fortschritt, einen Rückschritt oder ein Gleichstand im Vergleich zur letzten Verhandlung ergeben.

Insofern war die Verhandlung, zu der Nelly zwei Tage lang unterwegs war, ein weiterer Meilenstein in der Errichtung des Mausoleums, in dem nach Meinung fast aller Mitmenschen irgendwann ihre dominikanischen Träume letztendlich sauber einbalsamiert und begraben liegen werden.

Die Verhandlung

Da davon auszugehen ist, dass die überwiegende Mehrheit der Leser dieses Berichtes keine Gelegenheit haben wird, in der Dom Rep einer Gerichtsverhandlung im Rahmen eines jahrzehntelangen Streits zu erleben, sei hier diese Verhandlung kurz wie folgt beschrieben.

Das Gericht fragt die beiden streitenden Parteien, ob es aus ihrer Sicht neue Gesichtspunkte oder Argumente für die Bewertung dieses Falles gibt.

Die kurze Befragung der beiden Parteien bringt eine ebenso kurze Antwort.

Beide Seiten erklären kurz und bündig, dass sie keine Änderungen in ihren Positionen haben.
Damit ist die Sache klar, und das Gericht braucht sich wegen erwiesener Starrheit beider Parteien nicht weiter mit dem Fall selber zu beschäftigen.

Das Ende

In den meisten Ländern dieser Welt wäre damit nach 6 Minuten die Verhandlung erledigt und man kann in Ruhe zum nächsten Fall übergehen.

In der Domrep beginnt jetzt der eigentliche Teil des ganzen Unterfangens.
Und dieser Teil wird mit unerbittlicher Härte und Genauigkeit durchgeführt.

Der Termin

Es handelt sich von der Sache her schlicht um die Terminierung der nächsten Verhandlung.
Eine Sache, die normalerweise der Gerichtssekretär nach Durchsicht des Terminkalenders bekannt gibt.
Hier aber fängt die dominikanische Rechtsprechung erst richtig an.

Mit einer Mischung aus Dreistigkeit, Schlitzobrigkeit und dem Wissen, dass dieser Punkt der wichtigste in der ganzen Angelegenheit ist, wird jetzt die Verhandlung über den nächsten Termin von allen Seiten besprochen.

Die Entscheidung

Der Grund liegt in einer einfachen Tatsache:
Wenn eine Partei dreimal nicht zum festgesetzten Termin vor Gericht erscheint, wird der Fall provisorisch gegen sie entschieden.

Sollte diese Partei auch die nächsten zwei Male durch Abwesenheit bei den entsprechenden Terminen glänzen, wird ein endgültiges Urteil gesprochen.

Und zwar grundsätzlich im Sinne der Partei, die bei allen fünf Verhandlungstagen alleine vor dem Gericht saß.

Die Nachricht

Dies alles hat wiederum zu tun mit der Tatsache, dass es in der Domrep überhaupt keine Post gibt.
Alle Dokumente müssen von privaten Firmen oder staatlichen Institutionen per Boten versandt und zugestellt werden.

Alles, was mit Gerichtsterminen zu tun hat, wird grundsätzlich durch einen Gerichtsboten den beiden beteiligten Parteien zugestellt.

In der Praxis sieht es so aus, dass er meistens frühmorgens mit seinem Moped zu den beiden Parteien hinfährt, um den Beschluss des Gerichts über den Termin der nächsten Verhandlung beiden Parteien auszuhändigen.

Sollte eine Partei diesen Gerichtstermin nicht bekommen, wird diese Partei dem anberaumten Termin mangels Wissen nicht wahrnehmen können.

Verloren

Und wenn diese Partei fünfmal hintereinander die entsprechenden Aufforderungen des Gerichts durch den Gerichts-Diener oder Gerichtsfahrer nicht zugestellt bekommt, hat sie den Fall sowieso für immer und ewig verloren.

Es liegt also im Interesse jeder Partei, dem Gerichts-Diener oder dem Gerichtsfahrer eine entsprechende Menge an Geld und sonstigen Geschenken zu geben, damit er morgens, wenn er mit allen Gerichtsterminakten losfährt – damit er dann in der nächsten Kurve außerhalb des Ortes alles in den Graben schmeißt, was an die andere Seite adressiert ist.

Unsicher

Dieses System ist jedem bekannt und von jedem gefürchtet.
Keiner weiß, wie viel Geld der Gerichts-Aktentransporteur von jeder Seite erhält, damit er die Papiere der Zustellung an die andere Seite verhindert.

Es kann also durchaus sein, dass eine Seite 1000 Dollar bietet und zahlt und trotzdem nicht den Gerichtstermin wahrnehmen kann, weil die andere Seite dem Gerichtstransporteur das Doppelte geboten und gezahlt hat.

Unter dieser Prämisse ist es für jede Anwaltskanzlei das Wichtigste, schon bei der jetzigen Verhandlung genau zu wissen, wann die nächste Verhandlung terminiert ist.
Damit umgeht man das Risiko, dass die andere Seite den Gerichtsfahrer besticht und man selber den Termin nicht zugestellt bekommt.

Also werden am Ende der kurzen Sachverhandlung von allen Seiten Terminkalender gewälzt, Computer angestellt und wieder ausgestellt und alles getan, damit man sichergehen kann, dass man den nächsten Termin wahrnehmen kann.

Das Prinzip

Im Prinzip geht es nicht um Recht und Gerechtigkeit, sondern um die Tatsache, dass man versucht, den Gegner von den nächsten fünf Gerichtsterminen irgendwie auszuschließen.
Dann hat man gewonnen.

Hier bei der Verhandlung, zu der Nelly von so weit anreiste, war nach wenigen Minuten klargestellt, dass es in der Sache keine Annäherung gab, und es wurden dann noch die restlichen 2 Stunden mit Termin-Vorschlägen, Gegenvorschlägen und Gegenvorschlägen gegen Gegenvorschläge in die Runde der Anwesenden geschrien.

Für die Sache ist es unwesentlich, wann der nächste Termin ist – es ist einfach nur noch ein Spiel, um zu versuchen, den anderen von irgendeiner Entscheidung auszuschließen.
Soviel zum Thema Gericht und Termin und dominikanische Justiz.

Entsprechend kurz war auch der Kommentar von Nelly, als sie nachts ankam von dieser langen Reise.
Sie sagte einfach nur: Der nächste Termin ist am 19. Dezember.

Mosaik

Es ist schon erstaunlich, wie viele kleine Mosaiksteinchen den Ablauf von zwei Tagen in der Dom Rep markieren können.