Das Spinnen-Netz

Eine karibische Saga

Eine Erzählung in zwei Teilen

Teil eins – Realität

Geschichte

Es ist alles schon mal da gewesen.
Man muss nur wissen, wo man suchen soll.

Und wenn man es gefunden hat, soll man akzeptieren, dass dieses Sprichwort Recht hat.
An der hierfür nötigen Erkenntnis scheitern die meisten.

Mallorca

Diese schöne Insel ist der Ausgangspunkt dieser Geschichte.
Mallorca lebt zu 100% vom Tourismus.
Aber neben dem Tourismus in all seinen Kategorien gibt es in Mallorca auch zwei Familien, die einen Großteil des weltweiten Tourismus entwickelt haben und es bis heute kontrollieren.
Die Familie Riu mit ihren über 300 Riu-Hotels und die Familie Fluxa mit ihren über 350 Iberostar-Hotels.

Große und kleine

Neben solchen großen und mächtigen gab es auf Mallorca auch kleinere und schmächtige.
Von drei davon soll diese Geschichte erzählen.

Es ist die Geschichte von Jose, Paul und Horst.

Jose

Auf Mallorca geboren, erlernte er das dortige Hotelgeschäft. Er war fleißig, lernte im Laufe der Zeit mehrere Sprachen und war somit prädestiniert für eine höhere Hotellaufbahn.

Anfang der Neunzigerjahre schickte ihn die Familie aus Mallorca, in deren Hotel er sich hochgearbeitet hatte, in die Dominikanische Republik, um den dort beginnenden Tourismus in einem der größten und schönsten Hotels in Punta Cana zu leiten.

Er wurde schnell der Generaldirektor vom Hotel Paradisus, dem ersten Fünfsternehotel in dieser neu gebauten Stadt, deren einziger Zweck die Ausnutzung des wunderschönen Strandes war und ist.

Paul

In Holland geboren, in mehreren Sprachen aufgewachsen und mit dem Talent versehen, auf Menschen zugehen zu können und sie fröhlich zu machen – das war und ist Paul.
In Deutschland hätte er so etwas nicht zustande bringen können, Deutschland war schon mit seinem Doppelgänger Paul Carrell versorgt.

Unser Paul ging nach Mallorca.

Er wurde einer der beliebtesten Alleinunterhalter, Show-Master und Slapstick-Komiker der gesamten Insel.
Keiner konnte so gut imitieren, überraschen, sich so auf dem Grad bewegen, was gerade noch erlaubt ist – Paul konnte das.
Da er gleichzeitig- genau wie die meisten seiner holländischen Landsleute- ein sehr guter Kaufmann war, sah er seine Chance im aufstrebenden Tourismus der Karibik, speziell in Punta Cana.

Er zog in die Karibik und setzte in Punta Cana seine erfolgreiche Karriere als Alleinunterhalter fort- das internationale Publikum in den Hotels war begeistert.

Nicht ganz so begeistert waren die Leiter der jeweiligen Hotels.
Paul verlangte als guter Kaufmann viel Geld.
Man einigte sich auf typische dominikanische Art.

Die Hotels hatten bei der Planung der Rettungsstadt Punta Cana (oder Bavaro, wie diese Siedlung offiziell hieß) alle ihre Parzellen zur Bebauung bekommen.

Eine größere Hotelkette hatte zu der Zeit etwas mehr Land zur Verfügung als man vorhatte zu bebauen und so bekam Paul als Entgelt für seine für das Hotel äußerst erfolgreichen Tätigkeiten statt Geld ein Grundstück.
Direkt am Strand, seinerzeit schon viel wert, heute ein Millionenvermögen.

Horst

Aus ganz einfachen Verhältnissen kommend arbeitete Horst viele Jahre lang als Mechaniker auf Schiffen, die über die Weltmeere reisten.
Als Techniker und Mechaniker sah er irgendwann seine Zeit gekommen, selber im Tourismusgeschäft etwas mitzuspielen.

Er ging nach Mallorca und sah dort eine Chance in der Vermietung von Strand-Buggys- kleinen Strand-Flitzern, mit denen er die Touristen über den Strand und durch das Hinterland kutschiert.
Das Geschäft lief gut, aber die Konkurrenz wurde größer und härter.

Horst sah als Ausweg und neue Lösung die Vermietung solcher Strand-Buggys in der Dom-Rep.
Dort gab es anfangs weder Vorschriften noch Einschränkungen noch Konkurrenten.

Auch er kam nach Punta Cana und baute sich mit Fleiß und großem Einsatz in diesem Teil der Karibik ein Geschäft mit über 50 Buggys auf.

Das Geschäft lief gut.

Horst kaufte sich ein Apartment in einem neu erbauten Condominium direkt am Strand und wurde damit gleichzeitig auch Nachbar von Paul, dessen Grundstück inzwischen mit einer gewaltigen Villa bebaut war, wo Paul jetzt residierte.

Horst sprach trotz längerem Aufenthalt in Mallorca kaum Spanisch.
Paul sprach neben vielen anderen Sprachen auch fließend Deutsch.
Irgendwann traf man sich und lernte sich so kennen.

Nachbarn

Auf diese Art und Weise wurden diese Drei aus Mallorca jetzt Nachbarn in Punta Cana.

Jose mit seinem Fünfsterne-Hotel Paradisus am Strand.
Horst daneben in seinem Apartment im Condominio am Strand.
Paul daneben in seiner großen Villa am Strand.

Wir

Ich selber wohnte inzwischen auch in diesem Condominio am Strand.
Unsere Tochter Aylin, die auch mehrere Sprachen spricht, arbeitete seinerzeit einige Jahre im Empfang und in der Qualitätskontrolle von Jose Castillos Nachbar-Hotel Paradisus.
Wir wohnten in unserem Condominio im gleichen Gebäude wie Horst. Er oben, wir unten.

Über Horst lernte ich dann auch schnell Paul kennen und somit war auch hier ein Kreis geschlossen.

Segeln

Wer in der Karibik lebt, sollte in der Karibik segeln.
Und so beschlossen Horst, Paul und ich zusammen mit ein oder zwei weiteren Leidensgenossen die erste gemeinsame Segeltour durch die Karibik.
Es war 2004, der Tourismus war in den letzten zehn Jahren das Hauptgeschäft der dominikanischen Republik geworden.
Jeder, der damit in irgendeiner Form beschäftigt war, hatte inzwischen Schwierigkeiten, das ganze Geld auszugeben, was er damit verdiente.

Wir fanden Thomas, einen gelernten Ossi, der sich auf Tauchschulen in Punta Cana spezialisiert hatte und der vom Segeln viel verstand.

Horst ließ noch seinen Sohn aus den USA einfliegen, weil das Boot, das wir gechartert hatten, fünf Kojen hatte und Horst und Thomas der Meinung waren, dass wir jede Hand gebrauchen könnten auf so einem Törn.

Über die Reise selbst brauche ich an dieser Stelle nichts weiter zu berichten.
Wer Lust hat, kann hier die Geschichte nachlesen und wird dann manches besser verstehen.

Wiederholung

Der Mensch ist ein Gewohnheitsstier.
Was schön war, möchte er am liebsten so oft es geht wiederholen.

Der Segeltörn war schön, also wurde im nächsten Jahr 2005 eine neue Segelreise durch andere Teile der Karibik organisiert.
Es kam hier zu ersten Problemen, bevor die Reise überhaupt losging, alles Weitere kann man im Tagebuch dieser Reise nachlesen.

Die Probleme dieser Reise waren gleichzeitig auch der Anfang von späteren, viel größeren Problemen und Ereignissen.

Geographie

Wohl niemand in Deutschland könnte sich vorstellen, dass die Geographie der Dom Rep und die von Deutschland fast übereinstimmen.
Es ist aber so.

Deutschland fängt ganz im Süden mit den Alpen und seinen schroffen Gebirgsregionen an.
Dann über die Hügel und Täler des Allgäus geht es allmählich ins flache und grüne Norddeutschland über.
Am Ende sind das Meer und einige kleine Inseln.

Die Dom Rep fängt auf der einen Seite mit dem größten und höchsten Gebirge der Karibik an, durchaus vergleichbar mit den Alpen.
Danach die sanften Ausläufer dieses Gebirges und es geht über eine hügelige und dicht besiedelte Landschaft.
Bis man ganz am Ende der Republik auf flaches und landwirtschaftlich kaum noch nutzbares Grasland kommt.

Und am ganz äußersten Ende der Republik dann Strand, Palmen und einige kleine Inseln.

Ostfriesland

diese schöne deutsche Provinz wird assoziiert mit langen, weiten und extrem flachen Landschaften. Teilweise Wiesen, teilweise Moore und am Ende etwas Strand und ein paar Inseln.
Auch dies alles gibt es genauso in der Domrepublik, nur dass die Provinz hier nicht Ostfriesland sondern „Alta Gracia“ heißt.

Gibt es in Ostfriesland mit den drei kleinen Städten Aurich, Emden und Leer immerhin noch drei Orte, wo man von einem Leben in der Stadt berichten könnte, so ist es in der Provinz Alta Gracia nur ein einziger Ort, er heißt Higuey.

Und auch hier gibt es eine weitere Übereinstimmung.

Die Städte in Ostfriesland liegen ungefähr 50 km vom Meer entfernt.
Die Provinzhauptstadt Higuey liegt ebenfalls ca. 50 km sowohl vom Atlantik als auch von dem karibischen See entfernt.

Beiden Provinzen haben die gleiche Vergangenheit.

Niemand hatte sich jahrhunderte lang um diese Gebiete wirklich gekümmert- sie waren schlicht zu weit weg von allem Guten und Bösen.

Sieben

Die heutige Provinzhauptstadt Higuey bestand jahrhunderte lang nur aus einem großen Hügel.

Oben war die Kathedrale und von der Kathedrale abwärts waren die Häuser und Hütten der Bewohner.
Es gab sieben Familien, denen praktisch alles gehörte.

Die eine machte Pferdezucht, die zweite hatte Rinderherden, die dritte baute Getreide und Maniok an – sechs Familien waren das Zentrum und das Herz der Stadt und der Provinz.

Und wie in einem richtigen Märchen war die Nummer sieben völlig anders.

Bei Schneewittchen und den sieben Zwergen läuft der siebte kleine Zwerg immer irgendwohin und muss von den anderen wieder eingefangen und zur Ordnung gerufen werden.
Bei der siebten Familie von Higuey war dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt.

Salz

Diese siebte Familie hieß mit Nachnamen Botello.
Ihr gehörten die Gebiete, die am weitesten von der Stadt entfernt lagen.
Es handelte sich überwiegend um große Ländereien im Salzgürtel der Provinz.

Mit dem Begriff Salzgürtel bezeichnet man die ersten 5 km, die zwischen dem Strand und den Weideflächen im Inland liegen.

Das Meer bildet in dem Moment, wo es an Land kommt, Salz in der Luft.
Dieses Salz wird durch den seit vielen Jahrtausenden permanent von Osten kommenden Passatwind über den Strand ins Innere des Landes geweht.

Auf diese Art und Weise sind die ersten 5 km zwischen Strand und Inland eine einzige Salzfläche, wo keine Landwirtschaft möglich ist.

Tiere können dort nicht weiden und Früchte nicht gedeihen.

Es ist eine absolut trostlose und eintönige Zone zwischen Strand und Inland.
Und diese Salz-Zone gehörte der Familie Botello.

Gold

Als die dominikanische Regierung zusammen mit einigen großen internationalen Hotelketten beschloss, dass hier am äußersten Ende der Republik ein neues Touristengebiet entstehen sollte, wandelte sich für die Familie Nummer sieben ihr Strand und ihre Salzgebiete in pures Gold.

Sie verkauften Stück für Stück den gesamten ca. 20 km langen Strand jeweils mit einem Teil des Landes dahinter an die Investoren.

Man schätzt, dass die Familie von Botello auf diese Art und Weise mehrere 100 Millionen Dollar eingenommen hat.

Familie

Wie groß die Familie von Botello war oder ist, weiß ich nicht.
Einer aber, der mit Vornamen Ernesto heißt, war aber mit Sicherheit die entscheidende und führende Kraft bei der gesamten Abwicklung der Verkäufe an die Hotels und Investoren.

Ich kenne Ernesto Botello jetzt 20 Jahre und glaube einschätzen zu können, um wen es sich dabei handelt.

Casino

Die allermeisten der am Strand geplanten und gebauten Hotels hatten ein eigenes Casino.
Man setzte auf die amerikanische Art des Las- Vegas Hotelgeschäftes, wo jedem Gast in der Nacht der Rest seines Geldes auf elegante Art abgenommen wird.

Botello fand schnell Gefallen an dieser Form des Geldausgebens und verspielte danach schnell den größten Teil des gewaltigen Familienvermögens.

Irrtum

Bei der Aufteilung des 20 km langen Strandes machten die dominikanischen Landvermesser wohl eine bisschen zu lange Siesta.

Als alles aufgeteilt war und jedes Hotel seine Fläche erhielt, stellte sich heraus, dass irgendwo in der Mitte der schönsten und größten Bucht noch ein kleiner Streifen von 80 m Breite üblich war.
Diese Strandbreite war zu wenig für ein Hotel ; und so baute Botello dort im Jahr 1999 ein kleines Konto Mini um.
Vier Häuser direkt am Strand und vier Häuser in der zweiten Reihe dahinter.

Die Wohnungen in den vier Häusern direkt am Strand wurden sehr schnell verkauft.

Durch einen glücklichen Zufall konnte ich für meine Familie eines dieser Apartments in der ersten Reihe kaufen.

Macho

Botello war und ist bis heute die Inkarnation des südländischen Machos.

Gewohnt, dass alle seine Befehle und Anordnungen kritiklos und kommentarlos durchgeführt werden, führte er sich in seinem Kondominium in den ersten Jahren auf wie der Schah von Persien, als es noch keinen Khomeini gab.

Die Apartments verkaufte er für viel Geld und vergaß dabei, dass mit jedem verkauften Apartment ein neuer Eigentümer entstand, der sich vordringlich um sein eigenes Apartment und nicht um die Interessen von Botello kümmerte und interessierte.
Nach fünf Jahren hatte er bis auf zwei Apartments in der hinteren zweiten Reihe alle Wohnungen verkauft.

Gewalt

Die Wohnungseigentümer lernen sich kennen, bildeten eine einigermaßen funktionierende Gemeinschaft, wählten eine resolute Spanierin als Verwalterin und fingen an, Botello klarzumachen, dass er in diesem Kondominium nicht mehr viel zu sagen hat.

Das konnte er mit seinen Macho-Attituden nicht auf sich sitzen lassen und bezahlte eine Putzfrau dafür, dass sie eine Leiter aus dem zweiten Stock auf den Kopf unserer spanischen Verwalterin schleuderte.

Ich selber schreibe grundsätzlich alle meine Berichte ohne Bilder im Vertrauen auf die Fantasie des Lesers.
Hier mache ich eine Ausnahme, um zu demonstrieren, zu welcher Brutalität Botello schon damals fähig war.
Die Putzfrau wurde verhaftet, verurteilt und kam mit den entsprechenden Beziehungen schon nach wenigen Wochen wieder frei.

Von dem Geld, das sie für ihre Tat von Botello erhielt, konnte sie ihre Familie eine längere Zeit ernähren.

Die Bewohner des Kontos Mini ums waren geschockt über diese Brutalität.
Aber das war erst der Anfang.

Einige Monate später stand morgens ein Großteil der dominikanischen Polizei und des Militärs vor unserem Condominium.

Sie brachten Bürgermeister, Rechtsanwälte, große Bagger und schweres Räumgerät sowie jede Menge Haitianer mit und zertrümmerten in wenigen Stunden Teile unseres Kondominiums, um dort mit brutaler Gewalt einen Durchgang von der Straße über das Gebiet des Kondominiums zum Strand hin zu errichten.

Das Versprechen

Botello hatte, nachdem sämtliche seiner Strandgrundstücke verkauft waren, angefangen Ländereien und Gebiete zu verkaufen, die weiter weg vom Strand lagen.

Den Investoren, denen er diese Flächen verkaufte, garantierte er, dass alle Gäste, die dort in einem Hotel oder in irgendeiner Anlage wohnen würden, selbstverständlich Zugang zum Strand haben würden.

Und zwar über „sein“ Kondominium.

Er verschwieg konsequent, dass die Wohnungsinhaber des Kondominiums inzwischen mit ihm überhaupt nichts mehr zu tun hatten außer dass er noch Miteigentümer von zwei Apartments in der hinteren Reihe war.
Seine Anwälte regelten es diskret mit den Anwälten der Investoren und somit wurden mehrere große Hotel- und Apartmentanlagen gebaut, deren Eigentümer oder Mieter selbstverständlich auch das suchten, weshalb sie überhaupt nur nach Punta Cana kamen- den Strand.

Als die Eigentümergemeinschaft unseres Kondominiums Botello erklärte, dass sie ihre Kunden gefälligst woanders auf den Strand bringen möchte, aber nicht durch unser Condominium, beauftragte er zuerst als Warnung für uns die schweren Kopfverletzungen bei unserer Administratorin und danach mit brutaler Gewalt einen Durchbruch über das Gebiet unseres Condominiums.

Heute wissen wir, dass sämtliche damals vorgelegten Papiere gefälscht waren, es war eine ganz typische karibische Lügengeschichte, über die man vielleicht lachen könnte, wenn sie für uns als Betroffene nicht so traurig und deprimierend in ihren Konsequenzen war.

Drei

Alle guten Dinge sind bekanntlich drei.
Alle schlechten offensichtlich auch.

Botello war zu jener Zeit mit einer sehr attraktiven und dominanten Dominikanerin verheiratet.

Sie erwartete – aus ihrer Position sicherlich mit einem gewissen Recht –, dass sie auch entsprechend wohnen würde.

In der Hauptstadt Santo Domingo hatten sie ein großes Anwesen.

Und hier an einem der schönsten Strände der Karibik wollte sie natürlich auch entsprechend wohnen.
D. h. im Klartext in der ersten Reihe, möglichst oben und mit dem entsprechenden Luxus, der dazu gehört.

Botello hatte dieses Ansinnen seiner dominikanischen Gespielin wohl etwas verdrängt oder nicht entsprechend berücksichtigt – was auch immer.

Er sah sich jetzt mit dem Wunsch seiner Frau konfrontiert, dort wohnen zu wollen, wo er gerade sämtliche Apartments mit viel Gewinn verkauft hatte.

Pech

Horst wohnte wie schon beschrieben im gleichen Haus direkt am Strand wie wir.
Er oben mit wunderschöner Terrasse und Ausblick auf unten mit direktem Zugang zum Strand.

Sein Pech war, dass er praktisch kein Spanisch sprach, sich von niemandem ungefragt etwas sagen ließ und aufgrund seiner Lebenserfahrung wusste, wie man sich in bestimmten Situationen verhalten und verteidigen kann.

Er hatte aber nicht mit der Situation gerechnet, die jetzt eintrat.

Glück

Pech und Glück liegen dicht beieinander, so auch in dieser Geschichte.

Eine Familie in den USA hatte sich kurze Zeit vorher eine Wohnung in der zweiten Reihe gekauft, weil in der ersten Reihe nichts mehr zu bekommen war.

Sie war vermögend und da die Frau des Ehepaars aus Kolumbien kam, wollte sie mit der entsprechenden Energie auf jeden Fall schnellstmöglich in der ersten Reihe wohnen.

Man machte Horst das typische Mafia-Angebot – ein Angebot, das man nicht ablehnen kann.

Der Vertrag wurde schnell gemacht, das Geld – doppelt so viel wie Horst selber einige Jahre vorher bezahlt hatte – wurde bereitgestellt und es sollte der Umzug stattfinden, sobald die entsprechenden Papiere ausgestellt waren.

Horsts Glück war, dass Botello von dieser Transaktion nichts mitbekommen hatte.

10 Jahre Knast

Botello hatte sich in seiner Schlitzobrigkeit die Wohnungseigentümer der ersten Reihe genau angesehen.

Das mit Abstand schwächste Glied in dieser Kette war Horst.

Kaum Sprachkenntnisse, kaum Freunde und kein Netzwerk weder im Kondominium noch in der Stadt.
In deutscher Überzeugung darauf vertrauend, dass Recht und Ordnung und zum Schluss auch das Gesetz in kritischen Situationen einem unbescholtenen Menschen Recht geben werden – mit so einer Einstellung war er das prädestinierte Opfer von Botello.

Nachdem Horst sehr zum Missfallen von Botello zwei Angebote für seine Wohnung abgelehnt hatte- denn sie waren nicht im Entferntesten auf einem Preisniveau, wie er bereits an die Amerikaner verkauft hatte- griff Botello in seine eigene Trickkiste und sagte ihm kurz und bündig:

wenn du nicht sofort an mich verkaufst und zwar zu meinen Bedingungen, wirst du innerhalb der nächsten zwei Wochen verhaftet und zu mindestens zehn Jahren dominikanischen Knast verurteilt.

Man wird ein Kilo Kokain oder anderes Rauschgift bei dir in deiner Wohnung finden.

Man wird keinerlei Erklärung von dir glauben.

Man wird dich umgehend einsperren und irgendwann in weiterer Ferne wird es zu einer Verhandlung kommen, die du mit Sicherheit verlierst.

Die Menge an Rauschgift erreicht für zehn Jahre den Knast.

Nach dominikanischem Gesetz verlierst du auch automatisch alle Rechte an deiner Wohnung.
Ich werde mir dann sofort einen Besitztitel von deiner Wohnung verschaffen und das war’s dann.

Das Ende

Horst verstand wenig Spanisch, aber das, was Botello ihm sagte, verstand er vollkommen.

Außerdem war er intelligent genug, um einzusehen, dass er gegen so eine Bedrohung keine Mittel hatte.

Botello hatte bei dem Überfall und dem Durchbruch beim Kondominium bewiesen, dass er mit Militär, Polizeianwälten, Justiz und allen weiteren Behörden perfekt vernetzt war – und dagegen anzukämpfen wäre absolut sinnlos.

Horst unterschrieb die Verträge seiner Wohnung für den Amerikaner, nahm das Geld und löste alle seine Verbindungen im Condominio auf.

Er zog nach Samana ans äußerste Ende der kleinen Halbinsel und lebt dort jetzt bereits über 20 Jahre.

Der Groll und die Wut wird er mit Sicherheit noch viele Jahre in ihm gefühlt haben.

Das Glück, dass er zufällig zur absolut richtigen Zeit seine Wohnung noch verkaufen konnte und das Geld sogar problemlos erhielt- darüber müsste er heute noch allen karibischen Geistern dankbar sein.

Paul

Seine Unterhaltungsshows und Entertainments beendete Paul irgendwann. Als Hobby legte er sich eine eigene kleine Radiostation hier in dem Ort zu, um zwei oder dreimal in der Woche für eine halbe Stunde die Leute mit gepflegten Parodien und typisch dominikanischen Veralberungen zu erfreuen.

Es war die ideale Paul Carrell Show für kleine arme Leute.

Mit seinem ausgeprägten Geschäftssinn fand er schnell die berühmte Lücke und nutzte sie gnadenlos aus.

Parallel zum immer noch boomenden Tourismus wuchs der Ort hier jedes Jahr um mehrere 1000 Einwohner.
Häuser oder Unterkünfte zu bauen war viel zu teuer, das konnte sich kein Dominikaner mehr leisten.

Aber irgendetwas tun mussten die Dominikaner, denn nicht jeder konnte immer nur als Gärtner, Koch, Zimmermädchen usw. in den Hotels arbeiten.

Es entstand ein typischer Basar-Tourismus im Ort.

Es gab jedes Jahr neue kleine Plazas, wo die immer größeren Touristenscharen irgendwelchen Quatsch verkauften, der einen Tag vorher aus Haiti kam, weil es dort günstiger zu produzieren war- das musste alles hier auf den Basaren verkauft werden.

Und dazu brauchte man Verkaufsflächen, so günstig wie möglich.

Also fing Paul an, in der ganzen Insel Container zu kaufen, sie mit Fenstern und Türen und Stromanschluss auszustatten und vermietete dann diese hübsch in karibischen Farben gemalten Container für viel Geld an die Dominikaner, damit sie dort ihre Ware deponieren konnten und sie dann tagsüber den Touristen anzubieten und zu verkaufen.

Auf diese Art und Weise hatte er in kurzer Zeit mehr als 100 Container über den ganzen Ort verstreut vermietet.

Auch sonst ging es mit Paul nur steil nach oben. Er sagte mir irgendwann mal in jener Zeit, dass er inzwischen sämtliche Ausweise hat, die ihn befähigen gern am Flughafen alles rein rauszubringen, was er möchte.

Wenn jemand bei ihm ein U-Boot bestellen würde, würde es per Luftfracht ohne Zoll zu bezahlen problemlos ins Land bekommen. Das waren sein Credo und seine Überzeugung.

Fremder

Paul vergaß, dass er bei aller Sympathie, die er überall genoss, schlussendlich ein Fremder in diesem Land war und blieb.

Das sollte sich auf eindringliche und tragische Weise bald bestätigen.

Paul hatte sich in seiner gewaltigen Strandvilla im Keller einen Schießstand einrichten lassen, wo er in Ruhe rumballern konnte.

Eines Tages fand man einen seiner Söhne, Anfang 20, tot in seinem Haus.

Er muss offensichtlich depressiv gewesen sein und hatte sich mit einem Gewehr seines Vaters erschossen.

Das dann Folgende werde ich in sehr gekürzter Form berichten.

Der oberste Chef der hiesigen Polizei war gleichzeitig Duzfreund, Saufgenosse und Provisionsempfänger von Paul.

Er kam, sah sich alles genau an und nahm Paul zur Seite.

Seine Worte waren klar und deutlich, im Nachhinein erinnern sie an das, was Botello einige Zeit vorher zu Horst sagte:

Paul, mein guter Freund, das tut mir aufrichtig leid hier mit deinem Sohn.

Aber du wirst einsehen, dass er mit einer deiner Waffen getötet wurde und es ist nicht auszuschließen, dass es vorher Streit oder Diskussion gegeben hat.
Es ist auch nicht auszuschließen, dass du dabei offensichtlich die Nerven verloren hast und schlussendlich ist davon auszugehen, dass du in deiner Erregung dann deinen Sohn erschossen hast.

Paul war sprachlos.

Aber sein alter Freund und Polizeichef erzählt ihm in aller Ruhe, was jetzt passieren würde:

eine Untersuchung, ein Anfangsverdacht, wahrscheinlich eine Arrestierung im extrem schmutzigen Untersuchungsgefängnis für unbestimmte Zeit.

Dann eine Gerichtsverhandlung, wo Paul trotz all seiner Popularität vor den Richtern keine Chance haben wird und zum Schluss ein Urteil, über das er sich in diesem Moment nur nebulös mit „vielen Jahren Haft“ äußerte.

Du bist der Polizei -Chef schloss seine kleine Rede dann mit folgenden Worten:
Aber keine Angst Paul, du weißt, ich bin dein Freund.
Ich brauche 300.000 US-Dollar von dir, und zwar sofort, und damit kann ich dann vieles wieder hinbiegen und du wirst mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von niemandem weiter behelligt.
Das kann ich dir als guter Freund zusagen. „

Paul verstand sehr schnell, was jetzt abging.

Er wusste, es wäre unmöglich in dieser Situation sich auf seinen Anwalt, seine Botschaft oder was auch immer zu berufen.

Man ging einen Kaffee trinken und am Ende einigte man sich in aller Freundschaft und Paul holte 200.000 US-Dollar in bar von seiner Bank

Das war nicht nur der Beginn, sondern auch der Fortgang einer großen Freundschaft, denn nichts ist umsonst auf dieser Welt.

Die Dominikaner im Ort wunderten sich nur, dass die lustige Radiosendung mit Paul kurz danach eingestellt wurde.

Paul hat dann seine Strandvilla verkauft und wohnt jetzt irgendwo anders.

Verschlossen

Jeder Krug geht solange zum Brunnen, bis er zerbricht.
Jeder Tourismus geht solange nach oben, bis etwas Unvorhergesehenes passiert.

Punta Cana hatte zehn Jahre lang einen permanenten Aufstieg.

Es wurden immer mehr Hotels gebaut, immer luxuriöser, immer mehr First Class Apartments und es gab keine ersichtlichen Zeichen, warum dies irgendwann mal aufhören würde.

Dann kam die Finanzkrise 2008- 2009.
Die Menschen hatten kein Geld mehr, die Banken waren praktisch pleite, alle Teilnehmer in diesem weltweiten Monopoly gingen zurück aufs Los.

Jose war unangefochtener Chef seines Luxushotels und erfreute seine Arbeitgeber jedes Jahr mit erstklassigen Zahlen und Gewinnen.

Als dann auch hier die Finanzkrise wie ein Tsunami über die Insel fegte und die Hotels plötzlich nur noch Kosten hatten, aber keine Gäste mehr hatten, kam der oberste Chef des Hotel Paradisus, unser Jose, von einer Konferenz aus Miami zurück.

Er stand vor seinem Büro und vor einer verschlossenen Bürotür.

Man sagte ihm, sein Vertrag sei erledigt und er würde jetzt ab sofort nicht mehr im Hotel tätig sein.
Diese amerikanische Härte im Geschäft galt auch für den Dom Rep.

Nach den hiesigen Gesetzen hätte man ihm eine sehr hohe Abfindung zahlen müssen dafür, dass man ihn praktisch von heute auf morgen freistellt.

Er bekam stattdessen eine Hausmeistertätigkeit in einem Verkaufsgelände, das der Hotelkette ebenfalls gehörte.

Dort durfte er die nächsten zwei Jahre versuchen die Mieten einzutreiben- was immer schwieriger wurde, denn nicht nur die Amerikaner fielen jetzt Touristen und Kunden aus, sondern auch die seinerzeit zweitwichtigste Gruppe, die russischen Touristen.

Nachdem die gesetzliche Zeit abgelaufen war und man ihn ohne größere Abfindung gehen lassen konnte, war für Jose das Ende seiner jahrzehntelang touristischen Tätigkeit erreicht und nicht mehr zu ändern.
Von diesem traumatischen Schlag hat er sich nie wieder richtig erholt.

Ich habe ihn aber seitdem als ziemlich gebrochenen Mann erlebt.

Während seiner Direktorentätigkeit im Hotel kaufte er sich noch zwei Apartments in unserem Kondominium, damit er ganz in der Nähe seiner seinerzeitigen Arbeitsstätte wohnen konnte.
Dort wohnt er bis heute.

Aufgrund seiner früheren Verbindungen zum internationalen und nationalen Tourismus nahm er einen Lehrstuhl an einer privaten Universität in Punta Cana an, um den jungen Leuten den Tourismus zu erklären.
Das war aber reine Sisyphusarbeit.

Man kann einem blinden Menschen auch mit vielen Worten nicht die Farben dieser Welt beschreiben.

Erwartungen

Jose Castillo wurde dann von der Versammlung der Eigentümer unseres Kondominiums zum Administrator gewählt, das bedeutet, er sollte sich um alle Sachen kümmern, die mit der Verwaltung unseres Condos zu tun haben.

Nach meiner persönlichen Meinung war es eine nicht sehr gute Entscheidung, denn jemand, der einen solchen Rückschritt in seiner Lebensplanung durchlebt hat, hat selten die nötige Aktivität, um für eine Gemeinschaft das zu leisten, was man von ihm erwartet.

Das Tor

Nach dem gewaltsamen Durchbruch, den Botello und seine Helfer im Jahre 2005 über das Gebiet unseres Condominio hinweg zum Strand errichteten, war Botello wieder obenauf.

Die juristische Abwehr gegen diese Aggression fand nicht statt.

Die Mitglieder des Kondominio wollten kein Geld aufwenden, um einen Anwalt zu bezahlen und damit war die ganze Sache erledigt.

Unser Condominium war das einzige im ganzen Strandgebiet, wo die Menschen ohne irgendeine Kontrolle über unser Gebiet laufen konnten, um es sich am Strand vor unseren Häusern gemütlich zu machen.

Das galt für normale Touristen, dominikanische Familien, Drogenhändler, Waffenhändler, leichte und schwere Mädchen und alles, was dazu gehört.

Das Versprechen, das Botello den Käufern seiner vom Strand weit entfernt gelegenen Grundstücke gab, funktionierte.

Er verhinderte erfolgreich, dass das Condominio irgendwelche Türen oder Tore oder Durchgangskontrollen errichtete.

Ein solches Engangskontroll-Tor wurde 15 Jahre lang im Condominio diskutiert und 15 Jahre lang passierte entsprechend nichts, weil unser Condominio das mit Abstand am schlechtesten geführte und verwaltete Condominio von ganz Punta Cana war und ist.

Die Wende

vor ca. fünf Jahren wurde ein neuer Präsident im Condominio gewählt.
Es handelte sich um einen sehr bekannten Politiker, der gleichzeitig als Anwalt agierte und in der Hauptstadt, der dortigen Verwaltung und an den anderen Stellen offensichtlich großen Einfluss hatte.

Er selber war der Anwalt, der zehn Jahre vorher die Aktion von Botello beim Durchbruch über unser Condominio-Gebiet geleitet hat.

Auch wenn es komplett illegal war, so war die Aktion selber perfekt geplant und durchgeführt.

Der Anwalt trennte sich von Botello einige Zeit später, weil Botello ihn offensichtlich nicht mehr bezahlen konnte oder wollte.

Dieser Anwalt wurde dann jetzt unser Präsident.
Er besorgte sich auch die Titel der letzten beiden Wohnungen, die offiziell noch zum Botello im Kondominio gehörten.
In einem Apartment richtete er sich selber ein, im anderen zog ein ebenfalls sehr bekannter Politiker und Freund unseres neuen Präsidenten ein.

Damit hatte Botello keinerlei direkten Einfluss mehr auf das Konto Mini.

Indirekt war er mit dem Konto Mini nach wie vor verbunden, weil einer seiner engsten Freunde in einem Apartment direkt am Strand wohnte.

Dieser Freund, mit Vornamen Banek, ist ein seit zehn Jahren von Interpol mit internationalem Haftbefehl gesuchter Krimineller aus Polen.

Da es kein Auslieferungsabkommen zwischen Polen und Domrep gab,
flüchtete er kurz vor seiner Verhaftung hierher und lebt seitdem in seinem Apartment.

Er hat in den 15 Jahren, in denen er jetzt hier ist, nicht einen einzigen Tag in irgendeiner Form gearbeitet, sondern verbraucht offensichtlich das Geld, das er in Polen durch kriminelle Machenschaften erworben hatte, jetzt hier für sich.

Er wurde nicht nur von den polnischen Behörden, sondern auch von den Behörden aus Kolumbien gesucht, was man im Urteil des höchsten Gerichtes der dominikanischen Republik nachlesen kann, es ist auch im Internet veröffentlicht.

Der neue Präsident sagte zu, er würde jetzt endlich nach so vielen Jahren ein normales Tor errichten, um das Kondominio von Besuchern zu schützen und zu separieren.

Es wurde ein Tor bestellt, die Pfosten dafür errichtet und kurz bevor das Tor fertiggestellt werden sollte, kam eine Gruppe von Haitianern zusammen mit einigen Dominikanern nachts an und zerstörten alles.

Botello, der das ganze organisierte, erschien leicht lächelnd und sagte: Hier ist mein Condominio und das hier ist mein Durchgang und hier wird nichts gebaut, was ich nicht möchte.

Einige Tage später gab es ein Gespräch zwischen unserem Präsidenten, dem ehemaligen Anwalt von Botello, und Botello selber in der Wohnung von Banek und als Ergebnis wurde zwei Wochen später ein neues Tor bestellt.

Diesmal ohne Störung errichtet, stand es dann die nächsten Jahre und schützte den Eingang unseres Kondominios.

Was bei dem Gespräch zwischen dem Anwalt und Botello und Banik im Einzelnen besprochen wurde, weiß niemand, aber jeder kann es sich einigermaßen zusammenreimen.

Unser Präsident wusste einfach sehr viel über die diversen kriminellen Machenschaften seiner Gesprächspartner und drohte wahrscheinlich einiges davon an die Öffentlichkeit zu bringen, wenn das Tor, das er versprochen hatte, noch einmal abgerissen werden sollte.

Zeit

Jeder kennt es aus diversen Kriminalfilmen- ein Täter entwickelt sich durch verschiedenste Hintergründe und Ereignisse zum Serientäter.
Und dabei sind die Abstände zwischen seinen einzelnen Fahrten durchaus unterschiedlich.

Da die Durchführung, Festnahme und der erfolgreiche Abschluss nicht innerhalb von 90 Minuten Spielfilmlänge abgewickelt werden müssen, ergeben sich in der Realität oftmals sehr große Zeitdifferenzen zwischen einzelnen kriminellen Aktionen

In unserem Fall waren es fünf Jahre, die das Tor stand und Botello dagegen nichts unternahm.

Bis zum 1. Mai 2020.

Der Überfall

Der Zeitpunkt war perfekt gewählt.

Es gab eine Ausgangssperre im ganzen Land bis 6:00 Uhr morgens.
Es gab ein Verbot der Regierung, dass die Leute zum Strand gehen durften, weil man dort ein Ausbreiten des Virus durch körperliche Nähe befürchtete.

Durch das Corona-Virus war unser ehemaliger Präsident, der inzwischen Botschafter in einem mittelamerikanischen Land war, nicht im Land und konnte auch nicht auf die Schnelle zurückkommen.

Die Polizei war personell reduziert und konzentrierte sich auf die Einhaltung der nächtlichen Ausgangssperre.

Es war ein Freitag, das darauf folgende Wochenende war zusätzlich mit wenig öffentlichem Personal ausgestattet.

Kurz nach 5:00 Uhr morgens kam ein Lastwagen mit 10-15 Menschen vor das Tor des Condominios.

Man hatte Schweißbrenner dabei, bewaffnete Aufpasser, einige Haitianer, die sofort begannen das Tor abzutrennen und es war eine Sache von einer Viertelstunde, bis alles zerstört war, in Stücke zersägt und auf die Pritsche des Lastwagens geschmissen wurde.

Unser einziger Wachmann stand daneben und war machtlos.

Ein anderer Wachmann, der zum privaten Sicherheitdienst eines unserer Mitbewohner gehörte, konnte ebenfalls nichts ausrichten.

Der Lkw fuhr weiter und man schmiss das ganze Tor an den Rand des Mangrovensumpfes, der sich in der Nähe des Kondomionios befand.

Unser Administrator Jose kam und fing an zu telefonieren. Er merkte aber wohl ziemlich schnell, dass das ganze wieder sehr gut organisiert war und er mit seinen Protesten und Anrufen auf wenig Gegenliebe bei den lokalen Behörden stieß.

Unser neuer Präsident – er machte den Job hier zum ersten Mal- war drei Monate vorher gewählt worden. Er wohnte aber in einer Stadt ca. 80 km entfernt und hatte selber zwar zwei Apartments im Condo als Eigentum, hatte aber wohl noch nie hier im Condo selber übernachtet.

Er war mit der ganzen Sache ebenfalls total überfordert.

Es wurde Anzeige erstattet von uns. Es wurde ein Termin festgesetzt für nächsten Dienstag beim örtlichen Gericht.

Ich selber informierte einige Freunde und Bekannte über das, was in dieser Nacht geschah.
Von Seiten des Condos wurde nichts veröffentlicht.

Zwei Tage später verabschiedete sich unser Administrator Jose Castillo, weil er nach eigener Aussage in einer wichtigen Sache nach Santo Domingo in die Hauptstadt reisen müsse.
Und wie lange er dort bleiben würde, war unklar.

Es war abzusehen, dass er selber dadurch nicht zur Gerichtsverhandlung erscheinen würde.

Das war insofern schon ein sehr großes Manko für das Condo, weil nach den hiesigen Gesetzen der Administrator die ausschlaggebende Person ist, die über alles, was im Condo geschieht, die Verantwortung trägt.

Für mich persönlich war es eine typische Reaktion, dass unser Administrator einfach wieder einmal abhauen und so wieder mal einem Konflikt aus dem Wege gehen wollte, wie schon früher mehrmals geschehen.

Die Verhandlung

Zur Verhandlung vor Gericht am folgenden Dienstag erschien Botello mit seinen Anwälten, seinem Sohn und diversen anderen Leuten.

Er behauptete, die Straße gehöre ihm und er hätte jedes Recht der Welt, die dort errichtete Absperrung und Tore zu entfernen.

Von unserer Seite war unser Präsident aus seiner Heimatstadt erschienen. Er war aber offensichtlich immer noch mit dem Ganzen überfordert.

Ein Anwalt war von uns nicht organisiert worden.

Das hätte entweder der Präsident oder der Administrator machen müssen. Beide haben es aber konkret nicht geschafft, dass irgendein Anwalt von unserer Seite dabei war.

Und ohne Anwalt ist man bei solchen Verhandlungen hier total im Hintertreffen.

Das Gericht wollte die Sache schnell beenden.

Es wurde ein Text besprochen, aufgeschrieben und unterzeichnet von allen Beteiligten, der nichts weiter als eine reine Kapitulation war.
Unser Präsident hatte nicht mal die Idee, sich einer Unterzeichnung zu entziehen, indem er sagte, er müsse sich erst vorher mit einem Anwalt besprechen.

Was bei jedem Gericht der Welt normal ist.

Auch er wollte anscheinend nur zurück in sein Haus 80 km entfernt und die ganze Sache vergessen.

In dieser Kapitulation wurde festgestellt, dass Botello eine eigene Zugangssperre errichten darf mit eigenem Wachpersonal und damit praktisch die Eingangskontrolle über das Condo wieder übernehmen konnte.

Stille

Das Deprimierte an der ganzen Sache war, dass keiner aus der Leitung und des Condos auch nur daran dachte, über das Ganze etwas an die Mitglieder und Wohnungseigentümer zu kommunizieren.

Ich selber hatte dann drei Wochen später Jose sehr eindringlich gebeten, zumindest eine Information über das, was geschehen ist, zu schreiben.

Ich hatte mich verpflichtet diese in verschiedene Sprachen zu übersetzen und sie sollte dann per Mail an die Eigentümer gehen.

Jose sträubte sich erst und gab dann zum Schluss widerwillig nach und ich erhielt am nächsten Tag seinen Text.

Es war eine Aufzählung der Geschehnisse unter seinem Gesichtspunkt. Aber es fehlte jede Stellungnahme, was man jetzt in Zukunft dagegen unternehmen würde.

Und so ist es bis heute, inzwischen sind zwei Monate nach dem Überfall vergangen.

Eine großspurig angekündigte Videokonferenz zwischen allen Wohnungseigentümern fand nie statt, es fehlte schlicht jemand, der das leiten kann und es blieb somit bei einer typischen dominikanischen Ankündigung, viel heiße Luft und nichts dahinter.

Resümee

Alle drei Menschen, die von Mallorca aus hierher gezogen waren, erlebten früher oder später die Realität einer karibischen Bananenrepublik.

Schönes Wetter, wunderbare Strände, türkisklares Wasser und eine in der großen Mehrheit sehr freundliche Bevölkerung – das war die eine Seite.

Korruption, Gewalt, eine Justiz, die ihren Namen nicht im Entferntesten verdient, kriminelle Verbindungen und Netzwerke- das ist die andere Seite.

Pilar ist weggezogen aus Angst vor weiteren Aggressionen von Botello
Horst ist weggezogen aus Angst vor weiteren Aggressionen von Botello
Paul ist weggezogen aus Angst vor weiteren Aggressionen der Polizei
Jose ist mehrmals umgezogen und leidet unter den verschiedensten Schwierigkeiten.

Das Kondominium, das in der Planung der allermeisten Wohnungseigentümer ein zeitweiliger Lebensmittelpunkt sein sollte, verkommt mehr und mehr zu unserem Condominium, weil eine Mehrheit der Apartmentbesitzer in dominikanischer Art und Weise nicht bereit ist, die nötigen Mittel für den Unterhalt für dieses Konto Mini zu zahlen.

Was als Schmuckstück an einem der schönsten Strände der Karibik geplant war, hat sich in 20 Jahren zu dem entwickelt, was es heute ist – eine Ansammlung von acht Häusern, die immer hässlicher werden.

und wo abzusehen ist, dass die Nadelstichpolitik von Botello Erfolg haben wird.

Es gibt schon Wetten, in welcher Form er selber in absehbarer Zeit in seinem ehemaligen Kondominium erscheinen wird.

Teil Zwei: Fiktion

Alles, was im Teil eins dieser Geschichte berichtet wurde, war und ist Realität.
Alles, was im Teil zwei dieser Geschichte berichtet wird, ist Fiktion.

Diese Fiktion basiert auf dem, was bisher passierte.

Wenn auch nur ein kleiner Teil davon Realität wird, soll niemand sagen, er hätte nichts geahnt und nichts gewusst.

Die Spinne

Sprüche begleiten uns das ganze Leben.
Es gibt kaum eine denkbare Situation, für die es nicht irgendeinen Spruch gibt.

Eines der dümmsten Sprüche ist „Verbrechen lohnt sich nicht“.
Verbrechen lohnen sich fast immer.

Nur wer sich dumm, hochnäsig, arrogant und planlos anstellt, hat die Chance erwischt zu werden.

Botello hatte in den vergangenen Jahren durch seine Taten bewiesen, dass er trotz Spielsucht, Großmannssucht und einer überbordenden Arroganz in der Lage war, das zu erreichen, was er sich vorgenommen hatte.

Geholfen hat ihm hierbei vor allem sein immer noch gut funktionierendes Netzwerk.

Das Schmieren an den richtigen Stellen hält den Motor der Macht zusammen und am Laufen.

Nachdem er durch den Überfall auf das Tor die Eingangskontrolle über das Condo wieder zurückerobert hat, ohne dass die Mitglieder und die Leiter des Condos auch nur das geringste dagegen getan haben, dürfte sein Rachegefühl sich weiter entwickelt haben.

Sein Versuch von damals, über das Apartment von Horst Mitglied der feinen Gesellschaft in der ersten Reihe direkt am Strand zu werden, dieser Versuch war gescheitert.

Aber er hatte instinktiv den bestmöglichen Ansatz gewählt.

Horst hatte kaum Freunde, kein Netzwerk, sprach die Sprache nicht und war oftmals verreist.

Botello wird sich die Eigentümer der privilegierten Wohnungen direkt am Strand genau ansehen.

Die meisten davon haben Beziehungen zu Dominikanern, ein einigermaßen funktionierendes Netzwerk, sind finanziell unabhängig oder selber untereinander in einer leicht mafiaähnlichen Struktur verbunden.

Also muss er sich das schwächste Glied dieser Kette aussuchen, und das zu finden ist sehr einfach.

Es heißt Heinz und ist ebenfalls ein Deutscher, der vor 20 Jahren dort ein Apartment in der ersten Reihe gekauft hat.

Er hat keinerlei Netzwerk in der fröhlichen Bananenrepublik.
Seine paar deutschen Freunde sind hilflos im Strudel der lokalen Polizei und Gewalt.

Er spricht praktisch kein Spanisch.

Er ist inzwischen 84 Jahre alt und kommt nur noch ganz gelegentlich von Deutschland in seine Wohnung hier am Strand.

Seine Familienmitglieder, die ebenfalls sein Apartment gelegentlich benutzen, haben den gleichen Hintergrund- ehrlich, anständig, deutsch und mit dem entsprechenden Gottvertrauen gesegnet.

In der Wohnung unter Heinzs wohnt seit 15 Jahren Banek.

Gebürtiger Pole, seit zwölf Jahren von Interpol mit internationalem Haftbefehl gesucht, eine Verbrecher-Karriere in Polen gestartet und mit dem Erfolg hier in der Domrap niedergelassen – er ist und war der Blutsbruder im Geiste von Botello und die beiden haben jahrelang viele Nächte zusammen auf der Terrasse gesessen und über alles mögliche geredet.

In Polen hatte Banek eine Zigarettenfabrik errichtet, mit deren Produkten er weite Teile Europas bediente.

In der Anklageschrift als obersten Gerichtes ist auch die Forderung der Regierung von Kolumbien aufgeschrieben, die ihn wegen verschiedener Delikte dort in Kolumbien vor Gericht stellen möchte.
Um was es sich dabei handelt, dürfte nicht schwer zu erraten sein.

Direkt oder indirekt

Bei Horst war die Taktik vom Botello, ihn mit der Androhung des Auffindens einer größeren Menge von Rauschgift für sehr lange Zeit in den Knast zu bringen, erfolgreich.

Und was einmal erfolgreich war, wird auch beim nächsten Mal seinen Zweck erfüllen.

Es gibt hier im Land zwei Versionen, wie man Unschuldige zu Rauschgift-Opfern macht.

Man nennt es die direkte und die indirekte Art.

Bei der direkten Art wird abgewartet, bis irgendjemand aus der Familie oder dem Freundeskreis in der Wohnung von Heinz ist.

Dann macht Banek oder irgendjemand anders einen Anruf bei der zuständigen Rauschgiftbehörde hier in der Provinz und sagt, dass er gesehen hat, wie einige der bekannteren Rauschgifthändler dort in der Wohnung über ihn mit irgendwelchen Ausländern geredet haben.

Es besteht Gefahr im Verzug, weil es sein kann, dass diese Leute in der Wohnung über ihm schon in Kürze wieder die Wohnung verlassen und irgendwohin zurückreisen.

Das genügt.

Am nächsten Morgen um 5:00 Uhr stehen mehrere große schwarze Autos auf dem Parkplatz der Condo und man drängt mit Gewalt in die Wohnung von Heinz ein.

Bei dieser Durchsuchung wird ein größeres Päckchen im Wasserbehälter einer Toilette gefunden. Professionell eingeschweißt und mit einem Rauschgiftinhalt, der zur sofortigen Festnahme aller Beteiligten ausreicht.

Die Bewohner der Wohnung verstehen erstens kein Spanisch und zweitens wissen sie überhaupt nicht, was ihnen jetzt geschieht.

Sie werden mitgenommen, eingesperrt und da sie keine Möglichkeit haben, sich zu verteidigen oder auch nur zu artikulieren, bleiben sie erst mal einige Wochen in Haft.

Wie es dann weitergeht, sei der Fantasie des Lesers überlassen.

Von den 5000 oder 10.000 $, die ein Kommissar der Rauschgiftkommission erhielt, dafür, dass er beim Eindringen in die Wohnung von Heinz das Päckchen dort unbeobachtet im Toilettenkasten versenkte – von diesem Geld lebt er und seine Familie glücklich und zufrieden bis zum nächsten Mal, wo es wieder nach dem gleichen Muster abläuft.

In so einem Fall verliert der Wohnungseigentümer auch die Rechte an seiner Wohnung, da es sich um den Ort einer schweren kriminellen Straftat gehandelt hat.

Botello kauft mit seinen Beziehungen von den Justizbehörden für ein kleines Trinkgeld diese ehemalige Wohnung von Heinz und zieht freundlich lächelnd als neues honoriges Mitglied der Gesellschaft der Strandwohnungsbesitzer dort ein.

Noch kurz zur indirekten Methode:

Hier wird eine Anzeige gemacht gegen die Wohnungsinhaber, ebenfalls mit der Begründung, dass dort Rauschgiftgeschäfte wohl abgewickelt werden.

Die Prozedur ist dann ähnlich.

Es wird die Wohnung aufgebrochen, das Paket mit Rauschgift im Toilettenkasten gefunden und Anklage gegen unbekannt erhoben.

Das hat jetzt zur Folge, dass sämtliche Mitglieder der Familie in den Polizeicomputer, den Grenzcomputer, den Drogencomputer und in alle anderen Register eingetragen werden.

Bei einer Ankunft irgendeiner dieser Personen, sei es Ehefrau oder Kinder oder Verwandte oder was auch immer, wird automatisch ein Anfangsverdacht erhoben.

Der oder die Touristen werden bei der Einreise festgenommen und sind ab diesem Moment hilflos dem Procedere der nationalen Sicherheitsbehörden ausgeliefert.

Diese Art der indirekten Verfolgung ist noch unangenehmer, weil es keinerlei Möglichkeiten gibt herauszufinden, ob man wirklich in diesem System notiert ist oder nicht.

Später

Botello wird als nächstes vom Condo Geld kassieren wollen dafür, dass seine Haitianer den Strand sauber machen.

Das tun sie jetzt, seitdem er den Überfall gemacht hat und damit will er nur beweisen, dass ihm dieser Strand gehört und er mit seinen Leuten den Strand sauber macht und dafür verantwortlich ist.
Über den Hintergrund dieser Aktion zu berichten würde hier diese Geschichte springen, es ist eine Geschichte für sich.

Botello weiß auch, dass er sich nicht von heute auf morgen gegen die gesamte Mitgliedschaft des Condos stellen kann.

Aber er weiß ebenfalls, wo seine Pluspunkte in seiner Strategie noch sind.

Aus irgendwelchen alten Verträgen hat er das Recht, das Abwasser des Condos zu organisieren.

Er ist noch Teilhaber des lokalen Klärwerks hier in unserem Bezirk.
Mit welchem Prozentsatz weiß niemand.

Aber es ist mit Sicherheit ein der nächsten Schritte, dass er nach dem erzwungenen Torabbau, dem erzwungenen Durchgang zum Strand und dem erzwungenen neuen Besitz der ehemaligen Wohnung von Heinz – dass er jetzt das auch noch ausnutzen wird.

Er kann das Abwasser-Problem einfach damit verbinden, dass er es ganz einfach mit der Drohung untermauern kann, dass er die Abwasser-Rohre des Condos jederzeit sperren wird und dann werden alle Mitglieder hier im wahrsten Sinne des Wortes in ihrer eigenen Scheiße verdrecken und verrecken.

Prolog

In den letzten 30 Jahren war ich zusammen mit meiner Familie jedes Jahr eine lange Zeit in der dominikanischen Republik.

Ich habe all das Schöne und Angenehme erlebt.

Ich habe Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten, die man sich kaum vorstellen kann, erlebt.

Ich habe vor allem erlebt, dass man aus dem, was man erlebt hat, lernen muss.

Der karibische Tag ist warm, sonnig und sehr angenehm.
Die karibische Nacht ist dunkel, leise und sehr ungerecht.

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