Die Geschichte vom Geld

Kleine Geschichten aus der Schatzkiste von Till Eulenspiegel

Die erste Geschichte von Till

Die kleine Freundin von Till fragt: Was ist denn eigentlich Geld?

Till überlegt und sieht sie an.

Also, meine liebe, kleine Freundin – die Frage ist sehr gut, die Antwort hier für Dich und für die anderen Kinder dieser Welt.

Wasser gibt es, Essen gibt es, Mami und Papi gibt es meistens – aber Geld gibt es gar nicht.

Geld ist etwas, was sich die Menschen ausgedacht haben. Genauso wie sich die Menschen andere Sachen ausgedacht haben, die es auch an sich gar nicht gibt: Wörter, Zahlen, Gedanken, Gefühle und vielleicht auch den lieben Gott.

Aber wenn es kein Geld gibt, wieso haben dann so viele Menschen Geld und wo kommt das Geld her?

Gut gefragt – also:

Ganz zuerst und ganz viel früher gab es sehr wenige Menschen. Da haben die Menschen in kleinen Gruppen zusammen gelebt. Vielleicht nur 2 oder 3 Familien, sagen wir mal so 10 bis 20 Personen, das war eine Gruppe.

In dieser Gruppe hat jede Familie alles selber gemacht. Der Vater hat ein Haus gebaut und draußen ein Stück Land sauber gemacht, damit sie dort Getreide und Gemüse pflanzen konnten.

Die Mutter hat auf die Kinder aufgepasst, das Essen gemacht, die Kleider repariert, wenn etwas kaputt war und im Garten Gemüse und Blumen gepflanzt und ins Haus geholt zum Essen.

Die Kinder haben gespielt und wenn sie groß waren, haben sie den Eltern bei der Arbeit geholfen. Diese Familien ganz früher kannten kein Geld, sie brauchten es ja auch nicht.

Später wurden die Menschen immer zahlreicher, die Familien immer größer, die Kinder bekamen auch Kinder und da, wo bisher 2 oder 3 Häuser waren, standen jetzt schon viele Häuser mit vielen Familien.

Es gab nicht mehr so viel Platz, dass jede Familie ein eigenes Feld und einen eigenen Garten hatte.

Jeder Mensch kann einige Sachen gut machen und andere nicht so gut.

Der Vater einer Familie, die nicht mehr so viel Platz draußen hatte für Garten und Feld, fing dann an, das zu machen, was er besonders gut konnte.

Einer konnte gut Boot fahren, er wurde Fischer.

Einer konnte gut Brot backen, er wurde Bäcker.

Einer konnte gut Wurst machen, er wurde Schlachter.

Einer konnte gut Hosen nähen, er wurde Schneider.

Einer konnte gut Geschichten erzählen, er wurde Bürgermeister.

Einer konnte gute Geschichten erfinden, er wurde Pastor.

Aber jetzt gab es ein Problem.

Der Fischer hatte ganz viel Fische, aber kein Brot.

Der Bäcker hatte viele Brote, aber keine Wurst.

Der Schlachter hatte viele Würste, aber seine Hose war immer kaputt.

Der Schneider hatte viele Hosen genäht, aber Angst, dass irgendjemand kommt und sie ihm klaut.

Der Bürgermeister hatte gar nichts außer seiner Familie, aber seine drei Söhne waren sehr stark und konnten andere Leute beschützen. Und der Pastor hatte gemerkt, dass alle Leute in dem Dorf Angst hatten vor einem Unglück, vor Krankheit und dem Tod – und er sagte, er kann den Leuten helfen, damit sie nicht mehr so viel Angst haben.

Jeder hatte also irgendwas, und zwar davon mehr als er selber brauchte – und gleichzeitig fehlte auch jedem etwas, was irgendein anderer hatte.

Am Anfang ging es dann so los:

Der Fischer brachte einen Korb voll frischer Fische zum Bäcker. Er bekam dafür einen großen Sack voll Mehl.

Dann ging der Fischer mit dem Sack voll Mehl, den er vom Bäcker bekommen hatte, zum Schlachter und tauschte den Sack voll Mehl gegen eine dicke schöne Wurst.

Der Schlachter ging mit dem Sack voll Mehl, den er vom Fischer bekommen hatte, zum Schneider und tauschte den Sack voll Mehl gegen eine neue Hose.

Der Schneider ging mit dem Sack voll Mehl, den er vom Schlachter bekommen hatte, zum Bürgermeister und tauschte ihn gegen das Versprechen des Bürgermeisters, dass der Bürgermeister dafür einen Sohn für einen Monat vor das Haus des Schneiders stellen wird, damit niemand dem Schneider etwas wegnehmen kann.

Der Bürgermeister nahm den Sack voll Mehl, den er vom Schneider bekommen hatte, und ging damit zum Pastor.

Der Pastor sagte, wenn er ihm den Sack voll Mehl gibt, wird er in diesem Jahr nicht krank und braucht nicht zu sterben.

Der Pastor ging mit dem Sack voll Mehl, den er vom Bürgermeister bekommen hatte, zum Fischer und tauschte ihn gegen einen Korb voll frischer Fische.

Und der Fischer hatte so wieder den Sack voll Mehl zurück, den er am Anfang vom Bäcker bekommen hatte.

Das funktionierte viele Jahre so, bis eines Tages irgend jemand in diesem Dorf sagte: „Warum sollen wir eigentlich alle immer diesen blöden Sack voll Mehl hin und her schleppen?“

Und alle nickten mit dem Kopf und sagten: „Ja, warum eigentlich, der ist so groß und schwer und es dauert so lange und ich bin alt und habe nicht mehr so viel Kraft“ und alle fingen an zu überlegen.

Es gab zu dieser Zeit einen alten Mann, der wohnte am Rande des Dorfes in einem kleinen Häuschen direkt neben dem Wald.

Der Mann war sehr alt, aber auch sehr klug.

Die Leute kamen zu ihm und erzählten ihm, dass sie keine Lust mehr hatten, immer diese vielen Säcke voll Mehl hin und her zu schleppen.

Der alte Mann fing an zu überlegen und sagte dann:

„Ihr alle braucht einen Sack voll Mehl, um das Brot zu backen, das ihr jeden Tag essen müsst. Aber es ist nicht nötig, diesen Sack voll Mehl immer überall mit hin zu schleppen.

Überlegt einmal, was ihr alle gerne haben würdet, was klein und leicht ist und was genauso viel Wert ist für euch wie ein voller Sack Mehl.

Die Leute überlegten, aber es fiel ihnen nichts ein.

Da sagte ein kleines Mädchen: „Ich möchte gerne den Stern dort oben am Himmel haben.“

Die Erwachsenen lachten und sagten dem Kind, das geht leider nicht, wir haben keine Leiter, die so hoch ist, dass sie bis zu dem Stern reichen würde, damit wir ihn vom Himmel holen können.

Da sagte ein anderes Kind: „Wenn wir schon den Stern nicht bekommen können, dann möchte ich den Regenbogen haben, der immer kommt, wenn nach einem Gewitter die Sonne wieder scheint.

Auch hier schmunzelten einige Erwachsene und sagten, der Regenbogen ist so groß, niemand hat ein so großes Haus, um den Regenbogen dort hineinzustellen.

Da sagte der alte Mann plötzlich: „Die Kinder haben mich auf einen guten Gedanken gebracht.“ Und alle sahen den alten Mann an.

Der alte Mann sah die Leute des Dorfes an, die um ihn herumstanden und sprach: „Ihr wisst doch – man sagt, dass dort, wo der Regenbogen die Erde berührt, immer ein Topf mit Gold liegt. Auch wenn bisher niemand diesen Topf mit Gold gefunden hat – dies ist die Lösung eures Problems…„

Die Leute sahen sich an und verstanden nicht ganz, was der alte Mann damit sagen wollte.

„Erkläre es uns bitte, lieber alter Mann.“

Und der alte Mann überlegte, wie er es den Leuten erklären könne und fing dann an:

„Geht nach Hause, sucht bei euch zu Hause im Schrank nach einem kleinen Stückchen Gold und fragt den Bäcker, wie viel Gold er für einen Sack Mehl haben möchte.

Wenn der Bäcker sagt, es soll ein kleines Stückchen Gold sein, das so viel wiegt wie eins der Taubeneier, die beim Bürgermeister hinter dem Haus sind, dann nehmt ein Taubenei und legt es auf eine Waage.

Legt das Gold, das ihr oder eure Frau zu Hause habt, auf die andere Seite der Waage.

Wenn das Gewicht des Goldes genauso viel ist wie das Gewicht von einem Ei einer Taube, dann habt ihr euer Problem gelöst.

Mit diesem Goldstück könnt ihr dann beim Bäcker einen Sack Mehl eintauschen, und der Bäcker kann mit dem gleichen Goldstück zum Fischer gehen – und so weiter. Alle haben jetzt etwas, was den gleichen Wert hat wie ein großer Sack Mehl.

Und niemand braucht mehr die großen schweren Mehlsäcke hin und her zu schleppen. Und wer etwas mehr Gold zu Hause hat, kann damit schon 2 oder 3 Sack Mehl eintauschen.

Und wenn der Fischer ganz viele Fische am Tag fängt, kann er sie gegen viele Goldstücke eintauschen.

Und der Bürgermeister kann für jeden seiner Söhne ein Goldstück bekommen, dann hat er schon drei Goldstücke.

Und der Pastor kann goldene Berge versprechen. Das verstanden die meisten nicht ganz, aber das ist auch egal.

„Und dann“, sagte der alte Mann, „wollen wir diesem besonderen Stück Gold, das wir jetzt benutzen, auch einen besonderen Namen geben.“

Und weil niemandem ein ganz besonderer Name einfiel, nannten sie das Stückchen Gold, das so viel wog wie ein Taubenei, einfach statt Gold jetzt Geld.

Das konnte jeder behalten und damit war das Geld geboren.

Die Leute gingen zurück in ihr Dorf, der alte Mann zurück in sein kleines Häuschen und weil er zwar schon sehr alt war, aber trotzdem noch ziemlich klar denken konnte, brummelte er, nachdem er sich hingesetzt und nachgedacht hatte, in seinen weißen Bart: „Na, wenn das man gut geht, was ich da eben so erfunden habe.

Und er sollte Recht behalten – dies war der Anfang einer sehr langen Geschichte, deren nächstes Kapitel schon ganz anders klingt, wenn es denn je geschrieben wird.

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