Die Lust am Untergang

Ein Segeltörn in der Karibik

Tagebuch eines Erst-Täters

Vorwort: Dies ist kein Logbuch mit genauen Segeldaten. Es soll eine kleine Aufzeichnung sein für diejenigen, die entweder dabei waren und somit diese Tage noch einmal nachlesen können, als auch für diejenigen, die, genauso wie der Autor, noch nie eine Segelreise gemacht haben. Und wenn sie denn zurück sind sicherlich oftmals ratlos den Fragen der Freunde gegenüberstehen, die mit großen fragenden Kinderaugen dastehen und nur immer wieder sagen: „Nun erzähl doch mal, wie war’s denn so…“

Da ich dies selber hier nach meiner Rückkehr durchgemacht habe, sollte es jetzt so sein, dass man dem Fragenden dann einfach diesen Bericht in die Hand drückt mit der freundlichen Aufforderung „Lies doch selber…“

Es wird auch nicht viel Action oder sonstig Großartiges in diesem Bericht stehen. Dafür war die Reise zu kurz, das Wetter zu gleichmäßig und die Routinen an Bord zu eingespielt – aber, auch wenn es also ein eher ruhiger, um nicht zu sagen langweiliger Bericht ist, der oftmals aus Wiederholungen und Aneinanderreihungen von gleichen Situationen besteht – so war es eben so und nicht anders.

Wir waren 5 Männer an Bord – zusammen so ca. 250 Lebensjahre, ein guter Mittelwert für eine angenehme Reise.
Senior und Käpt’n war Uwe. 60 Jahre jung. Durch langjährige Berufserfahrung in der christlichen Seefahrt und später als Besitzer verschiedener Segelschiffe, war er der ruhende Pool, der nicht nur immer wusste, wo’s lang ging, sondern dies auch in immer ruhiger und verständlicher Form in irgendeiner Sprache klar machen konnte.

Bootsmann war Thomas – gelernter Ossi, 40, der nunmehr seit 10 Jahren in der Dom Rep lebt und hier als Tauchlehrer den Touristen das Wasserschlucken beim Schnorcheln und Tauchen beibringt. Er hatte bereits im vergangenen Jahr eine Segelreise mit Uwe in der Karibik gemacht und war somit mit allen nautischen Tätigkeiten, die man so beim Segeln hier braucht, bestens vertraut.

Da ein weiteres Mitglied dieser Segelcrew ebenfalls Thomas hieß, wird unser Bootsmann-Thomas im weiteren Verlauf nur „Boots“ genannt – wie auch bereits schon die ganze Zeit auf dem Schiff. Denn wenn der Käpt’n „Thomas“ rufen würde und es würden sich immer sofort beide Thomas umdrehen, um Kommandos auszuführen, dann wäre das Chaos nur noch größer geworden. Also Boots ist Boots.

Dritter war Thomas – der Benjamin mit gerade 30. Thomas ist gelernter Sohn von Uwe, hatte bis dato noch keine praktischen Erfahrungen im Segeln, aber war mit einer natürlichen Wissbegierde ausgestattet, die er auch oftmals bis zur Grenze einsetzte. Man hatte ihm wohl auf der Uni gelehrt, dass DIE Neugier per Definition weiblich ist, DER Wissensdurst aber eben männlich, und so war er während der meisten Zeit der Reise durstig.
Thomas hatte sich in den letzten Jahren, beruflich erfolgreich, in den USA etabliert und macht zur Zeit ein temporäres Baby-Jahr – das heißt, er bereist ein Jahr alleine die Welt, um sich alles anzusehen, um dann festzustellen, dass es doch überall das Gleiche ist.

Dann war Rudi dabei – ein Holländer wie aus einem Abenteuer-Roman.
 50 Jahre, Selfmademan total, fließend in diversen Sprachen – und wenn man Rudi Carrell, Paul Bocuse und Bill Gates in einen Topf schmeißen und langsam einige Tage weich kochen würde, dann wird in etwa ein Typ wie Rudi dabei rauskommen.

Rudi ist Nachbar von Uwe und irgendwann haben die beiden dann beschlossen, bei nächster Gelegenheit zusammen zu segeln. Rudis Aufgabe war klar definiert – er war Smutje, also Käpt’n der Kombüse, und somit verantwortlich für alle unerklärlichen Todesfälle, so sie denn während der Reise eintreten sollten.

Schließlich noch Thewes, 58, und ebenfalls Nachbar und Freund von Uwe.
 Seine Erfahrungen im Segeln bestanden nur aus theoretischen Kenntnissen und etwas Erfahrung durch langjähriges Surfen. Er sollte offiziell Navigator sein, doch in Natura beschränkten sich seine Navigationskünste während der gesamten Reise darauf, dass er den anderen immer korrekt den derzeitigen Kurs zum Kühlschrank und zum Weindepot erklären konnte – das restliche bisschen in der nötigen Navigation des Schiffes machten dann eben der Käpt’n und der Boots.

Diese 5 wollten also diesmal in 2 Wochen herausfinden, ob die Meuterei auf der Bounty gerechtfertigt war und wenn ja, wie man sie in der Karibik durchführen müsste.

Dass es dazu nicht kam, wird jedem klar werden, der diesen Bericht weiter liest – denn nun soll’s chronologisch weitergehen .

Sonntag, 15.2.2004

10 Uhr Abfahrt von Bavaro mit einem gemieteten Mini-Bus zum Flughafen der Hauptstadt Santo Domingo. Strecke etwas 150 Kilometer, der Fahrer hatte vergessen, die Stoßdämpfer in den Bus wieder einzubauen, wir rollten mit 40 km so ziemlich auf dem Zahnfleisch durch die Zuckerrohrfelder, bis wir nach über 3 Stunden weichgeklopft am Flughafen ankamen.

Thewes fuhr die ganze Zeit mit umgebundener Schwimmweste, da dafür kein Platz mehr in seinem Seesack war, der profane Grund, weshalb er die signalrote, neu gekaufte große Schwimmweste den ganzen Tag nicht auszog. Für alle anderen Betrachter war’s ein etwas ungewohnter Anblick eines Busreisenden.

Als er die Schwimmweste dann auch im Flugzeug anbehielt, machte sich schon eine gewisse Unruhe unter den in der Nähe sitzenden anderen Fluggästen bemerkbar. Als er von einer älteren und doch etwas verstört blickenden Dame gefragt wurde, warum er auch im Flugzeug die Rettungsweste nicht abnimmt, war die Antwort klar und eindeutig: „I am producing Live-Wests for several Airline Companies, and I know very well the shit I am producing…“

Deswegen würde ich also immer mit einer privaten Schwimmweste reisen – der Ausdruck in den Gesichtern der Mitfliegenden, die alle im Grunde dieselbe Frage hatten, war nach dieser Antwort nicht viel weniger verstört als vorher.

Doch auch so kamen wir, nach einer kurzen Flugzeit von gut einer Stunde, in St. Maarten an. Diese Insel ist das kleinste Doppelstaatsgebiet der Welt. Die eine Hälfte gehört zu den Niederlanden, die andere zu Frankreich. Eine Grenze gibt es nicht, man fährt die einzige Strasse, die durch die Mitte der Insel führt, vom Flughafen aus weiter und nach 8 Kilometern kommt irgendwo ein kleiner schmutziger Bach – und der stellt dann die Grenze dar. Ansonsten ist St. Maarten nichts Besonderes, recht schmutzig und alleine für Tourismus aufgemacht.

Für 40 Dollar – und in Zukunft sind alle Preise, die hier im Bericht genannt werden, immer Dollar, und zwar US-Dollar, egal zu welchem Land die Inselchen gerade gehören – also für 40 Dollar ging’s dann 15 Kilometer auf die Französische Seite, wo wir gegen 17.30 Uhr eintrafen.

In diesem Hafen lagen irgendwas zwischen 50 und 80 Schiffe, von einer mittelgroßen Segelyacht angefangen bis zu diversen Mega-Motoryachten, die nur noch mit sehr großer Mannschaft gefahren werden können.

Unser Boot war fertig, d.h. es wurde uns gesäubert und mit vollen Wasser- und Dieseltanks übergeben. Boots hatte es bereits einige Wochen vorher über das Internet gechartert – es war nicht ganz einfach, weil wir keine Rundreise machen wollten, um das Boot dann im gleichen Hafen wieder zurückzugeben, sondern wir wollten es hier in St. Maarten in Empfang nehmen und es dann nach 2 Wochen in den Virgin Islands wieder abgeben. Aber es hatte alles soweit mit der Buchung geklappt und so gingen wir an Bord.

Nach einer ersten Besichtigung des Bootes und der Kabinen, die im Boot eingerichtet waren, gab es eine gewisse Ratlosigkeit bei uns allen:
Wir hatten unter Deck 3 separate Kabinen, jeweils mit einem Bett, in allerdings sehr großen Abmessungen, ca. 130 x 200 cm, also ähnlich einem französischen Doppelbett. Dann gab es in der Mitte des Schiffes den Salon mit Küche, hier konnte die Sitzecke ebenfalls in ein größeres Bett umgebaut werden – aber es waren trotz allem immer noch insgesamt nur 3 getrennte Schlafgelegenheiten – und wir waren 5 Männer, die sich alle noch nicht so gut kannten, als dass sich bereits so große Männer-Freundschaften gebildet hätten, die ab sofort zu einer gemeinsamen Übernachtung im Doppelbett ausgereicht hätten.

Jeder von uns überlegte also, still aber umso intensiver, wie er schnellstmöglich eine der 3 richtigen Kabinen ergattern konnte, ohne dass es groß auffallen würde. Dass alle an das Gleiche dachten, war auch schnell daran abzulesen, dass jeder leicht vor sich hinpfeifend alle Räume inspizierte und ostentativ vor jeder der 3 Kabinen etwa sehr viel länger verweilte, bis der nächste ihn dann, freundlich aber doch bestimmt, versuchte weiterzuschubsen.

Da die Besatzung aus 3 Oldtimer, einem in den besten Jahren und einem Youngster bestand, belegten Rudi und Thewes schließlich die beiden Kabinen im Achterdeck und Boots fing an, für sich das Sofa im Salon schon umzubauen. So blieb also für Käpt’n Uwe und Thomas nur das Doppelbett im Vorderschiff – ein Familienidyll, das sich Uwe und auch Thomas wohl irgendwie ganz anders vorgestellt hatten.

Nach einem netten Abendessen an Land ging es also das erste Mal in diese neuen Kojen, und da wir in einem sehr gut geschützten Hafen lagen, wo zudem noch alle Boote dicht an dicht nebeneinander vertäut waren, gab es in dieser ersten Nacht kaum Wellen und entsprechend ruhig konnte dann geschlafen werden.

Nur in der Kapitänskabine muss es doch zu einigen familiären Diskussionen gekommen sein, denn wer immer an der Bordwand-Seite schlief, musste jedes Mal zum Trinken, Pinkeln oder Nachdenken an die frische Luft, über den gerade vor ihm Liegenden hinübersteigen, um aus dem Bett zu kommen. Danach rollte dann der Neueinsteiger den noch im Bett Liegenden soweit an die Bordwand, dass er in diesem engen Doppelbett den günstigeren Bett-Innen-Seiten-Platz belegen konnte.
Aber dieses Spielchen muss sich einige Male in der Nacht wiederholt haben – jedenfalls kam Käpt’n Uwe am nächsten Morgen mit stark geröteten Augen, zerknirschtem Oberkörper und mental völlig fertig in den Salon und sagte gefährlich leise nur die Worte „Hab nur 3 Stunden gepennt – sooo nicht…“

Auch Sohn Thomas zeigte sich an diesem Morgen von einer etwas anderen Seite, sein jugendlicher Elan war irgendwie gebrochen und sein Verhältnis zu Papa Käpt’n auf ein Minimum familiärer Zuneigung gesunken.

Die anderen hatten gut geschlafen und so wurde dann als erstes eine Vollversammlung der gesamten Mannschaft einberufen – einziger Tagespunkt: die Schlafsituation für die nächsten zwei Wochen.

Es kam dabei raus, dass alle damit einverstanden waren, dass wir diesen Dampfer so schnell wie möglich zurückgeben und gegen ein noch größeres Schiff mit entsprechend mehr Kabinen tauschen wollten. Da der Vermieter eine weltweit arbeitende, sehr große Firma war, hofften wir also, dass dieser Tausch auch irgendwie möglich sein würde – Thomas und Uwe sollten als bisherige Hauptleidensträger dies an diesem Vormittag mit dem Chef der Vermietungs-Firma besprechen, die ein Büro in diesen Hafen hatte.

Dann wurde Arbeit aufgeteilt – Rudi und Thewes zum Einkaufen für 5 Leute x 2 Wochen, und die anderen 3 bleiben an Bord, um das Schiff zu übernehmen – es würde eine genaue Einweisung durch das Personal der Chartergesellschaft erfolgen.

Ich also mit Rudi in einen richtig großen Supermarkt auf der Holländischen Seite. Da Rudi als Holländer Sprachvorteile sah, die Preise mit den Verkäufern „zu besprechen“, ging es also los.

Auf unserem neu gelieferten Schiff war die Küche richtig sauber, aber auch total leer – er gab nichts, von Salz und Pfeffer, über Gemüse, Gewürze bis hin zum Spülmittel sollte alles eingekauft werden.

Wir hatten uns 2 Tage vor der Abfahrt aus der Dom Rep bereits alle an einem Nachmittag bei Rudi versammelt, um in einer Vorbesprechung festzulegen, auf was man alles achten müsste und dabei wurden auch bereits sehr umfangreiche Listen erstellt, von Frühstückswünschen mit Nutella, Hering in Senfsoße, über Cornflakes bis hin zu spanischem Omelett – gekochter Schinken mit zart gestreichelten Eiern – es war vorher alles schön sauber berechnet und aufgeschrieben worden.

Der einzige Nachteil war, dass sämtliche Listen schön bei Rudi im Schreibschrank geblieben waren, ein ordentlicher Mensch bewahrt eben alles sorgfältig auf.

Also fingen wir ohne Listen und mit viel Gefühl an einzukaufen.
 Von einem normalen Einkauf kann eigentlich, von Anfang an, nicht die Rede sein, es war mehr ein Durchschreiten aller grösseren Abteilungen dieses Supermarktes mit immer dem gleichen Bewegungsablauf: der eine schob den Wagen, der andere schmiss rein, was er in greifbare Nähe vorfand. So konnten wir jedenfalls davon ausgehen, nicht allzu viel zu vergessen oder zu übersehen.

Nach 5 vollen Einkaufswagen musste ich dem Leiter des Supermarktes versprechen, dass wir auch für die anderen Einwohner dieser kleinen Stadt noch etwas übrig lassen würden.

Nach weiteren 3 vollen Einkaufswagen bekamen wir eine Kasse ganz für uns alleine und der Lieferwagen des Supermarktes wurde per Funk angerufen, schnellstmöglich zu kommen, es würde eine kleine Auslieferung in den Hafen nötig sein.

In der Gemüse-Abteilung schmissen die dort angestellten jungen Verkäufer alle nicht von uns gekauften Gemüse zu einem kleinen Rest-Haufen zusammen, um Platz zu bekommen für unsere Ware und die hierfür von uns benötigten Verpackungen. So bekamen wir genau 28 große Bananen- und Apfelsinenkartons leer geliefert, und hinter der Kasse fingen dann die dort arbeitenden Jungens an, alles, was in der nächsten halben Stunde vom Kassenband gerollt kam, schön ordentlich in diese 28 großen Kartons zu packen.
 Dann wurde ein Stafetten-Dienst von der Kasse zum inzwischen eingetroffenen Lieferwagen organisiert und der Fahrer wurde informiert, dass in einem der Kisten auch einige Packungen rohe Eier enthalten waren – keiner wusste aber mehr in welcher Kiste – und somit würde alles, was während der Fahrt kaputt gehen sollte, von seinem nächsten Lohn abgezogen werden.

Wir brauchten dann auch später die vierfache Fahrtzeit zum Schiff verglichen mit der Taxe des Vortages.
Die Rechnung dieses kleineren Einkaufes betrug etwas über 1.000 Dollar – die Kreditkarte von Rudi wurde dabei vom Leiter des Supermarktes einer etwas gründlicheren Prüfung unterzogen – anscheinend kennen sich die Holländer unter sich aus.

Ich hatte vorher noch nie Waren auf einer Segelyacht verstaut, aber vom Wohnmobil wusste ich aus Erfahrung, dass alles, was nicht unbedingt mitgenommen werden muss, umgehend größere Stauprobleme gibt. Man lernt im Wohnmobil, sich wirklich nur auf das Wesentliche zu konzentrieren. Hier hatten wir nun einen schönen Dampfer und gleichzeitig einen Lieferwagen voller schöner Sachen, die irgendwie zusammenkommen sollten.

Am Hafen angekommen, bin ich dann mit einigen Hilfsleuten und diversen speziellen Einkaufswagen, die am Hafen zur Beladung auslaufender Schiffe rumstanden, schnell eines Besseren belehrt worden. Es ging alles problemlos in unser Schiff und wir hätten statt der 6 Kisten Wein und 10 Kisten Bier auch gut noch die doppelte Menge dieser flüssigen Grundnahrungsmittel bunkern können.

Über diesen Einkauf war der Vormittag vorübergegangen. Die anderen hatten die Einweisung des Schiffes bekommen und sich danach um die Möglichkeit eines Umtausches in eine größere Yacht gekümmert.

Es war schlussendlich möglich, dass wir nach einer Woche auf den Virgin Islands einen Umtausch machen sollten. Nur das Upgrade – also die reinen Mehrkosten für diesen dann etwas größeren Kahn – sollte erst 3.500 Euro kosten. Da wir den Originalvertrag im Internet in Euro gemacht hatten, wollten sie jetzt auch Euro von uns, was sehr ungewöhnlich und entsprechend teuer sein würde.
Rudi hat dann seinen holländischen Kaufmanns-Charme spielen lassen und so lange auf die Verkäufer eingeredet, bis diese dann wohl nicht mehr wussten, ob sie Männchen oder Weibchen waren.

Schließlich hatte er den Upgrade-Vertrag für 2.500 Dollar bekommen und wir hatten also mit 5 Leuten bei 500 Extra-Dollar pro Nase ein hoffentlich besseres Ausruhen erkauft – allerdings erst in der zweiten Woche…

Nach einem kurzen Mittagessen sollte es dann endlich losgehen.
Unter Maschinenkraft wurden wir dann, von einem lokalen Lotsen, aus dem nautisch kompliziert gelegenen Hafen herausbugsiert, setzten dann die Segel und zum ersten Mal waren wir endlich segelnd in der Karibik.

Nach 40 Minuten erreichten wir eine kleine, vorgelagerte Insel, es wurde in einer schönen Bucht geankert und zur Insel geschwommen. Wir beschlossen, es für heute gut sein zu lassen und in dieser Bucht zu übernachten.

Hier fing dann etwas an, was ich mir so auch nicht vorgestellt hatte. Man segelt nicht wie in den Abenteuerbüchern stundenlang, tagelang oder noch länger ohne Unterbrechung, sondern das Segeln, das hier in der Karibik von allen Booten gemacht wird, ist überwiegend eine Art Insel-Hopping von Bucht zu Bucht.
Hat man dann eine neue schöne Bucht gefunden, bleibt man dort und schwimmt, taucht oder schnorchelt oder bleibt an Bord, um zu schauen, essen, trinken oder schlafen – es ist also ein für mich, auf den ersten Blick, etwas statisches Segeln, was sich auf diese Art abspielt.
An diesem Abend hatten wir die ersten Probleme, weil die gekühlten Getränke irgendwie ganz schnell ausgingen. Wir hatten zwar 2 Kühlboxen an Bord, aber über deren Funktion und Nicht-Funktion habe ich viele Tage gerätselt. Anscheinend ist das System ganz einfach – sie benötigen Strom zum Kühlen. Strom gibt es nur, wenn die Dieselmaschine des Schiffes an ist – wir also in klaren Worten gesagt nicht segeln, sondern unter Maschine fahren wie ein normales Motorboot. Also im Umkehrschluss: keine Maschine – keine Kühlung.
In dieser Nacht hat Boots dann an Deck geschlafen, das Wetter war gut, und er meinte, er hätte es schon öfter getan und es sei nicht so schlimm. Vielleicht wollte er damit nur höflich umschreiben, dass alles weniger schlimm sei als eine gemeinsame Nacht im Doppelbett mit unserem Käpt’n.

Nach dieser 2. Nacht auf See war mir immer noch nicht klar, warum erwachsene Menschen freiwillig so horrend viel Geld ausgeben, um damit eine nicht unbeträchtliche Beschränkung an Platz, Raum und Bewegung zu erkaufen – das Segeln in dieser Art ist für mich derzeit noch eine Fortbewegungsform für Steuerflüchtige und Masochisten.

Dienstag, 17.2.

Nach einer ruhigen Nacht in der Bucht vor Tintamane Island wachte ich als erster gegen 6 Uhr auf und schwamm mangels besserer Beschäftigungsmöglichkeiten an Land – Frühstück konnte ich nicht machen, da einer im Salon pennte, an Deck konnte ich nicht lange bleiben, weil dort der Nächste noch pennte.

Diese Art von morgendlichem Schwimmen habe ich dann während der ganzen 2 Wochen immer wieder durchgeführt, man wird frisch und das Wasser in diesem Teil der Karibik ist mit 28 Grad morgens oftmals wärmer als die Luft am frühen Morgen.
 Außerdem entgeht man dem morgendlichen Schnarchen und sonstigen Gerüchen, die wohl immer entstehen, wenn 250 Jahre auf 20 Quadratmetern zusammen hausen.

Rudi machte ein herrliches Frühstück, dann zurück zur Hauptinsel St. Maarten. Hierbei habe ich versucht, den Kahn etwas zu steuern. Er liegt wie ein Dampfer im Wasser und da es auch noch ein Vorwindkurs war, der selbst bei kleinen Jollen nicht leicht zu segeln ist, war dieser erste Versuch, den Dampfer zu lenken, nicht von Erfolg gekrönt.

Gegen 9.30 Uhr ab zu einer anderen größeren Insel, sie heißt laut Karte St. Bartholemy und gehört hatte ich vorher von dieser Insel auch noch nie etwas. Es handelt ich um eine kleine Inselgruppe in der Nähe von St. Maarten und diese Insel gehört wieder einmal zum französischen Hoheitsgebiet.
Nach 2 Stunden segeln bei 3–5 Windstärken – dann Mittagsstop in der Bucht einer kleinen Mini-Insel „de la Forche“, diese war uns vom Vermieter als Rastplatz empfohlen worden.

Eine ruhige Bucht, schönes Schwimmen, aber ansonsten völlig trostlos und öde. Hier zum ersten mal geschnorchelt, aber es war unter Wasser genauso wenig zu sehen wie über dem Wasser, alles einheitlich gelb-türkis, ziemlich enttäuschend.

Auf der Fahrt zu dieser Insel wurde von Käpt’n Uwe „Mann über Bord“ simuliert und gelernt, wie man sich in so einem Fall verhalten soll. Ich hoffe, es wird nicht dazu kommen, die Manöver, die wir in diesem Zusammenhang fuhren, waren nicht sehr professionell.

Das Segelboot wurde bei dieser Überfahrt zur Insel teilweise unter Autopilot gefahren. Für mich am Anfang teilweise recht unheimlich – man gibt in den Computer des Autopiloten ein Ziel ein, und der Autopilot steuert dieses Ziel genau an. Ob dabei der Wind seine Richtung etwas ändert oder nicht, merkt der Autopilot natürlich nicht. Wenn dann dabei noch 1–1,5 Meter hohe Wellen auf See sind, kommt es schon gelegentlich zu einer Fahrweise – oder Segelweise, wie immer man es nennen will – die den Kahn recht schön in den Wellen schaukeln lässt. Und gelegentlich macht der Autopilot Fahrmanöver, die ein lebender Käpt’n an der Pinne einer Segelyacht nie machen würde – aber ankommen tut man mit so einem Autopiloten eben immer und richtig passieren kann bei diesen leichten Winden und der relativ ruhigen See auch nichts.

Die Stimmung war sehr gut, es wurden gemeinsam Schnulzen und Evergreens aus den 50er und 60er Jahren gegen den Wind gebrüllt, nur Thomas kam dabei nicht so recht zum Zuge, da er diese alten Schnulzen nicht kannte, und gleichzeitig nicht verhindern konnte, dass die alten Säcke eben solche alten Kamellen ihm nostalgisch ins Ohr brüllten.

Nach sehr ausgiebigen und gut schmeckenden 3-Gang-Mittagessen das obligatorische Schläfchen, deren Länge man ziemlich genau berechnen konnte mit dem mathematischen Faktor 1 : 10 = eine 0,7 Liter Flasche Wein ergibt 70 Minuten Mittagsschläfchen.

Gegen 15 Uhr weiter nach Gustavia, der kleinen „Hauptstadt“ dieser Insel. Es mögen so 500 bis 1000 Leute hier wohnen, das ist vom Meer aus nicht zu schätzen, aber dass es eine relativ unbekannte Insel war, konnte man leicht daraus ersehen, dass nur relativ wenige Ankerplätze im Hafen eingerichtet waren – in anderen Häfen sind es oft weit über Hundert.
Allerdings lagen im Hafen auch einige riesige und extrem mondäne Luxus-Dampfer, diese sahen alle in etwa so aus wie die Photos vom Hafen von Monaco oder Cap des Antibes während des dortigen Formel-1-Rennens.

Die Insel selbst sehr langweilig, eine reine Vulkan-Insel, einige Bäume, einige schöne Häuser an den Hängen in die Berge gebaut, ansonsten alles recht trostlos. Nur ein ganz kleiner Stand in Hafennähe.
Einige von uns fuhren mit dem Dinghy an Land, ich selber blieb an Bord – was von Bord aus von dieser Siedlung zu sehen war, reizte mich nicht besonders.
 Als die anderen zurückkamen, gab es die Beschreibung, die sich bei späteren Landgängen auf anderen Inseln immer in etwa gleicher Form wiederholte: Man setzte mit dem mitgeführten Schlauchboot (Dinghy) rüber an Land und besuchte die Bars in der Marina.
Der wesentliche Unterschied zwischen den verschiedenen Landgängen bestand deshalb in der Höhe des Preises der Getränke an der Bar. Hier in diesem Hafen sollen es 10 Dollar Minimum pro Drink gewesen sein. Ein Preis, der sich aber während der weiteren Reise noch als äußerst moderat herausstellen sollte.

Abends dann diverse „kleine Schnittchen“ von Rudi zelebriert, danach wurde, wie auch an vielen anderen Abenden, gespielt – Schach, Backgammon und Skat waren in unterschiedlicher Besetzung die Beschäftigung zum Aufrechterhalten der Intelligenz und des damit verbundenen Alkoholpegels.

Alle relativ früh ins Bett, Boots wieder, wie in den ganzen nächsten Tagen, auf Deck geschlafen.

Mittwoch, 18.2.

Gegen 5 Uhr bereits aufgewacht, sehr schöner klarer Morgen, einen durch und durch schnulzigen Sonnenaufgang in der Karibik beobachtet, während alle anderen noch schliefen.

Es gab dann wohl etwas Probleme mit dem Kühlschrank. Der Dieselmotor, der zur Kühlung der Gefriertruhen diente, dröhnte jedenfalls so laut, dass alle erst einmal vor Schreck ins Wasser sprangen. 
Danach an Bord festgestellt, dass nach nur 3 Tagen das Schiff anfängt, schnell und gründlich zu versiffen – es wird alles irgendwie schnell und reichlich schmuddelig, ohne dass man direkt hätte sagen können, die Crew wäre, per Definition gesehen, ein Sauhaufen.

Ich fing an, nach meinen Kenntnissen aufzuräumen und stellte fest, dass es sogar etwas nutzte, irgendwie sah alles nachher wohnlicher aus.

Das muss auch so eine Art Initialzündung gewesen sein, dass ich beschloss, meine Rolle als „Navigator“ endgültig aufzugeben – ich hatte vom Navigieren so viel Ahnung wie ein Nilpferd vom Bergsteigen – um mich in Zukunft während dieser Reise in der Rolle des reinigenden Passagiers zu outen.
Das klappte dann auch recht gut, nachdem ich vorher bekannt gegeben hatte, dass ich in Hamburg und in Punta aufgrund der Übermacht meiner weiblichen jeweiligen Mitbewohner in den letzten 10 Jahren die jeweiligen Küchen nie betreten durfte, und jetzt also dieses Embargo durchbrechen würde.

Ich habe dann versucht, die Überbleibsel der täglichen Rudischen Küchenorgien in jeweils wieder sauber und geordnete Mengen von Geschirr, Töpfen und Pfannen zurückzuführen, und es hat auch recht gut geklappt.
Dabei konnte ich dann auch die anderen Persönlichkeiten dieser Crew schon nach wenigen Tagen recht gut kennenlernen und einschätzen.

Boots ist immer praktisch orientiert, schnell, hilfsbereit und die gute Seele an Bord. 
Uwe, der souveräne Kapitän, ohne Probleme.
Rudi, der lustig-schlitzohrig-intelligente Koch. Thomas, sehr lernbegierig, behält alles was ihm erklärt wird und macht sich schnell überall nützlich. Ich selber, der beobachtende Passagier, der mal mithilft, eine für mich, als normalerweise anordnender Macho, recht ungewohnte Rolle.

Mittwoch, 18.2

Wo wir heute sind und wo wir hinfahren wollen weiß ich schon nicht mehr, irgendwie fängt alles an ziemlich gleich zu sein.
 Boots und Thomas mit dem Dinghi in den Hafen, um frisches Brot zu suchen, eines der wenigen Dinge, die man eben nicht so lange auf Vorrat kaufen kann.

Gegen 9.40 Uhr ab von St. Barthelemy / Gustavia mit Kurs runter nach St. Eustatius. Von dieser Insel, die nun mal wieder zu Holland gehört, hatte sowohl ich, wie wohl auch die meisten anderen vorher, noch nie etwas gehört.

Die Strecke wurde berechnet mit 4 Stunden Segeln und 1 Stunde unter Maschine, weil es um Teile der Insel ging, die man lieber nicht segelnd durchfahren sollte. Das Wetter klar, sonnig, der Wind in den ersten 2 Stunden sehr mäßig 2–3, dann auf offener See 3–5 Bft Windstärke. Die Wellen waren 1–2 Meter hoch, regelmäßig immer von der gleichen Richtung anrollend, und unter diesen sicherlich idealen Bedingungen machte das Boot eine Geschwindigkeit von 7–8 Knoten.

Das Boot lag dabei permanent schräg, und wenn Uwe steuerte, wurde die Welle gut ausgenutzt. Für mich war diese Geschwindigkeit an sich kein Problem, nur fing ich im Geiste an, die ganze Stecke von meiner Position an Deck aus mitzusurfen, und dabei stellte sich heraus, dass die Steuerung einer großen Segelyacht zwar in der Theorie völlig übereinstimmt mit dem, was ich so in den letzten 20 Jahren auf dem Bügelbrett gemacht habe, aber es dauert alles so irrsinnig lange, bis der Kahn das umgesetzt hat, was man am Ruder gerade eingeschlagen hat – da wäre ich auf dem Brett schon drei Mal so weit, vier Mal so schnell und bei Starkwind auch gelegentlich mal im Wasser gewesen.

Auch hier wieder schön laut und falsch alte Lieder gegen den Wind gebrüllt, wobei Boots als gelernter Ossi oftmals noch die entsprechende Variante aus dem alten Arbeiter- und Bauernstaat zum Besten gab – es muss von den meisten Schlagern und Ohrwürmern anscheinend immer schnell eine linientreue Ossi-Variante gegeben haben, wir haben uns dabei köstlich amüsiert.

Beim Segeln übers Meer sind immer alle Besatzungsmitglieder an Deck, die Kabinen werden geschlossen, alle Luken dicht gemacht, auch als Vorsichtsmassnahme, falls bei irgendeinem völlig missglückten Manöver alles schief gehen und der Kahn sich flachlegen sollte – untergehen kann er selbst dann nicht, wenn überall genügend geschlossene Luftzellen unter Deck sind.

Da wir gute Fahrt machten und uns auch langsam die Lieder ausgingen, übernahm Thomas nach 2 Stunden mal das Ruder. Er hatte vorher noch nie an der Pinne gestanden, aber inzwischen gelernt, wie man nach Kompass und Kurs segelt.

Es gab dann während dieser Phase der Reise unter Thomas‘ erstem Kommando für mich oftmals Situationen, wo sich mir doch etwas der Magen umdrehte – er machte theoretisch alles richtig, weil er nichts verkehrt machen konnte. 
In der Praxis aber konnte er natürlich mit Windböen und leichten Drehern und ähnlichen Situationen überhaupt nichts anfangen. Es war wie eine Fahrt unter einem Autopiloten, der alle 5 Minuten neu eingestellt wird. Oder anders gesagt, wohl ungefähr so, wie wenn man in einem Leopard-Panzer einmal auf dem Boulevard um die Alster donnert – man kommt mit Sicherheit immer irgendwie an, und die Anzahl der dabei besiegten Gegner stört keinen großen General.

Als wir unsere Ziel-Insel anpeilten, sahen wir, dass dort eine sehr große Öl-Pipeline vom Land weit ins Meer herausragte. Es lagen auch 2 sehr große Öltanker vor der Pipeline auf Reede, um das anscheinend auf dieser Insel gewonnene Rohöl aufzunehmen. Da ich vorher nicht einmal die Existenz der Insel kannte, war mir die Tatsache, dass dort große Rohöl-Vorkommen waren, natürlich genauso unbekannt.

Den Hafen erreichten wir gegen 14 Uhr, es lagen im Gegensatz zum letzten Hafen hier nur sehr wenige Schiffe im Hafen und es gab auch nur eine sehr kleine Anzahl von Bojen, an die man festmachen konnte.

Mittagessen – diesmal steigerte Rudi sich noch einmal, indem er treuherzig 2 Menü-Vorschläge bekannt gab: entweder Suppe – Lachs – Nachtisch oder Suppe – Rotkohl/Bratwurst – Nachtisch. 
Wer Entscheidungsfindungs-Schwierigkeiten hatte, orderte einfach beides.
Nah dem obligatorischen und nicht minder nötigen Mittagsschläfchen gingen dann Boots und Thomas abends an Land, hier lag das Preisniveau der Drinks bei 10-12 Dollar pro Stück.

Seit 3 Tagen bin ich jetzt nicht mehr von Bord gegangen – ich warte irgendwie immer noch auf den Urknall und dem damit verbundenen Aha-Erlebnis, um zu begreifen, warum das Segeln in dieser Form nun das ultimative Gelbe vom Ei sein soll.
 Es ist zwar alles ruhiger und irgendwie auch gemütlicher geworden, aber es fehlt mir noch die direkte Euphorie.
Die Stimmung untereinander ist gut bis sehr gut, es hat bisher keinerlei Diskussionen über Fehlverhalten oder sonstiges Negatives gegeben.

Aber wie gesagt, ich ertappe mich immer noch dabei, dass ich die oftmals recht kümmerlichen Strände dieser Inseln mit dem „heimischen“, herrlich weißen Strand in Punta Cana sowie ebenfalls den im gewissen Überfluss vorhandenem Raum unserer Wohnung mit den Zellen dieses Dampfers vergleiche.

Aber Jesus musste auch erst 25 Jahre warten, bis ihm die erste Erleuchtung kam.

Donnerstag 19.2.

Sehr früh geschwommen, konnte dann aber keinen Early-Morning-Kaffee kochen, weil Boots auf Deck diesmal auf dem Kasten schlief, in dem der Gas-Tank untergebracht war und wecken wollte ich den Deckschläfer und somit selbsternannten Frischluft-Fanatiker auch nicht so früh.

Heute wollen wir verschiedene Tests machen, um zu sehen, wie schnell das Boot nur mit Maschine fährt und wie viel Diesel dabei verraucht und verbraucht wird.

Wetter herrlich sonnig, ruhig. 
9 Uhr ab St. Eutacius Richtung St. Maarten – der Insel, wo wir von der Dom Rep aus kommend gelandet waren, um unser Boot zu übernehmen – erst so wenige Tage her und schon so weit verdrängt.
Bei sehr schönem Wetter, sehr ruhiger See und schwachem Wind von 2–3 Bft. übernehme ich nach der Ausfahrt aus dem Hafen – die wie immer nur unter Motor gefahren wurde, um Kollisionen mit anderen Booten zu vermeiden – das Ruder und steuere so ca. 1 Stunde, keine Probleme.

Dann wird es mir doch zu langweilig, zumal man am Horizont die Zielinsel schon sehen kann, und so segeln wir die restlichen 4 Stunden unter Autopiloten – auch daran habe ich mich inzwischen schon problemlos gewöhnt. Wir sonnen uns derweil auf Deck oder gehen unter Deck schlafen. Kein Gesang wie am Vortag, irgendwie sind wir alle etwa müde und erschöpft.

Die Tests werden nicht gemacht, es soll am Zielhafen geklärt werden, wie groß die Tanks sind und wie der Verbrauch dabei ist. Dies ist unbedingt nötig, weil uns in Kürze der größte Abschnitt respektive die längste Einzelstrecke bevorsteht: von St. Maarten nach Virgin Island, diese Stecke wird je nach Wetter 14–16 Stunden dauern.

Gegen 15 Uhr kommen wir in St. Marten an. Im Hafen liegen 4 riesige Kreuzfahrt-Dampfer, jeder sicherlich mit 3000–4000 Passagieren plus wohl sicherlich jeweils vielen hundert Mann Besatzung. 
Angeblich sollen hier in dem Hafen von St. Maarten jeden Tag mehrere solcher Pötte eintreffen, es scheint ein Zentrum der karibischen Kreuzfahrt-Linien zu sein.

Später an Land sahen wir dann auch, wie die 80-100 Läden in Hafennähe alle proppenvoll waren mit meist typischen amerikanischen Rentnern, die ihre 7 Tage-Karibik-Tour ab Miami abfuhren – und immer schön die gleiche Strecke. 
Ich glaube, meine geliebte Hamburger Alster-Rundfahrt ist da wesentlich interessanter und vergnüglicher.

Tatsächlich liefen dann auch alle 4 Ozean-Riesen abends aus St. Maarten aus – über Nacht fahren sie zum nächsten Abzocker-Hafen – und am nächsten Morgen lagen bereits wieder 5 andere gigantische, typische Karibik-Kreuzfahrt-Dampfer an der sehr langen Touristen-Pier von St. Maarten.

Nach unserer Ankunft im Hafen fahren wir mit unserem kleinen Beiboot alle an Land – ich versuche hier, ein Internet-Café zu finden, um mich nach nunmehr 5 Tagen auf See mal wieder über die Welt, Hamburg, Punta und Trittau zu informieren.

Ich finde einen Internet-Laden, stinketeuer. Man will 20 Dollar die Stunde, bei Selbstkosten von vielleicht 10 Cents für PC und Telefonleitung. Aber Boots und Thomas saßen auch schon an einem PC in diesem Internet-Café, und das zu einem Sonderpreis von 3 Dollar die Stunde, weil sie ein kleines Schild an der Kasse gesehen hatten „Crew member only 3 DL per hour“ – und das waren wir nun ja alle.

Abends einmal zur Abwechslung indisch an Land gegessen und dann wollten sich die meisten, wohl auch angetrieben von der Schärfe des Abendessens, noch ins dortige Nachtleben stürzen.

Obwohl ich selber dazu keine Lust hatte, bin ich mit, da man sich wegen des Beibootes, das am Hafen lag und mit dem wir an sich alle wieder gemeinsam auf unser Schiff übersetzen mussten, nicht auf irgendwelche Extratouren einlassen konnte – so musste ich eben zwangsläufig mitziehen.
 Das Taxi brachte uns zu irgendeiner Kaschemme außerhalb des Ortes, und da es ein warmer lauer Abend war, schickte ich den Taxifahrer zusammen mit den anderen in den Bumsladen und legte mich bequem hinten ins Taxi, um gemütlich zu pennen.
 Das letzte, was ich hörte, war eine Art Urgebrüll, gleich nachdem die Gruppe in den Laden gekommen sein musste. Später erfuhr ich, dass es sich einfach um den Freudenschrei der dort anwesenden 40 bis 50 Dominikanerinnen handelte, von denen die meisten Rudi fröhlich wiedererkannten.

Irgendwann kamen alle wieder und wir fuhren mit dem Taxifahrer, der diesen Abend wohl auch genossen hatte, wieder zurück zum Hafen, setzen mit unserem Beiboot über zum Boot und da ich jetzt wieder munter war, haben wir noch eine Runde Mitternachts-Skat gespielt, wobei ich merkte, dass sich bei den beiden anderen Mitspielern doch einige körperliche Verfallserscheinungen zeigten – es ist eben ein Unterschied, ob man in einem Taxi oder in einer Kaschemme pennt.

Am Nachmittag dieses Tages hatte ich im Internet-Café am Computer das Erlebnis, dass vor den Augen alles anfing zu flimmern und sich zu bewegen – als ob man Fieber bekommt und der Körper ein Eigenleben beginnt.

Es war aber nicht nur bei mir, sondern bei allen anderen auch, wie wir schnell herausfanden: Die Tatsche, dass wir nach mehreren Tagen an Bord erstmalig für einige Stunden wieder festen Boden unter den Füßen hatten. Der Körper ist anscheinend nach so relativ kurzer Zeit schon fähig, sich auf die permanenten kleinen und größeren Schlingerbewegungen auf einem Schiff richtig einzustellen, und diese im Organismus auszugleichen.

Wenn aber dann an Land dieses Torkeln und das permanente Schlingern fehlt, kommt es eben zu einer umgekehrten Reaktion – der Körper torkelt und schlingert einfach weiter – und wenn kein Boot da ist, um diese Bewegungen mitzumachen, geht es eben mit dem typischen Seemannsgang leicht schaukelnd um die Ecke.

Wir haben jetzt 3 Tage hindurch in verschiedenen Häfen geankert, nur 2 x bisher in den berühmten „kleinen, unberührten Buchten“ gestoppt und im Wasser im Hafen zu schwimmen ist für mich nicht sehr interessant. Einige Male um’s Boot herumschwimmen, das war’s dann.
 Also warte ich weiter auf das endgültige Aha-Erlebnis, um mich uneingeschränkt in den Fan-Club der Segeltörn-Enthusiasten einbringen zu können.

An Bord entwickelt sich bei 5 Leuten, von denen 2 noch nicht einmal eine eigenen Kabine und somit überhaupt keine Privat-Sphäre haben – immer mehr und immer schneller eine gepflegte Unordnung. Man findet vieles jetzt oftmals nur noch mit viel Nachdenken und Überlegungen, wo sich das Gesuchte vielleicht versteckt halten könnte.

Die Stimmung ist weiterhin gut, Rudi der beste Koch der Karibik, und das hält Leib und Seele zusammen.
Ich habe angefangen, ein dickes Buch zu lesen – es handelt so schön von schwedischem Herbst, Winter, Kälte, Eis und einigen Toten – genau das richtige für die Karibik.

Ich habe durch nicht wenig Wein, etwas Bier und Rudis kleinere und größere Schweinereien wieder zugenommen, das gefällt mir gar nicht. Aber da man andererseits auch immer wieder genügend Gründe haben muss, um etwas im Leben zu verändern, bleibt also die Tatsche, dass spätestens irgendwann wieder einmal abgenommen werden muss.

Die Hautausschläge bei mir sind viel besser geworden, sicherlich durch viel Baden im Meer und die täglich scheinende warme Sonne – es juckt und schmerzt zur Zeit nichts mehr.

Freitag, 20.2.

6 Uhr auf, geschwommen, Kaffee gekocht, Tagebuch geschrieben – das mache ich jetzt seit Anbeginn der Reise immer morgens zwischen 6 und 7 Uhr. Ein schöner und ruhiger Tagesbeginn.
 Gegen halb sieben kommt Uwe dann meist aus seiner Kabine, zwischen 7 und 8 Uhr der Rest der Crew.
Heute soll sich entscheiden, in welcher Form der Langschlag nach den Virgin Island durchgeführt werden kann.

Uwe ist recht besorgt, weil sich in der Nacht kein Lüftchen bewegt hat und die Wettervorhersage für die kommenden 24 Stunden auch sehr schwache Winde versprochen hat – dazu noch aus der „verkehrten“ Richtung, bei der wir den Wind wohl fast ausschließlich von hinten haben würden – die beim Segeln ungünstigste Windrichtung, das Boot bewegt sich dabei extrem langsam und schaukelt gleichzeitig permanent.

Wir sollten laut Plan morgen Nachmittag in den Virgin Island das von uns nachträglich gecharterte größere Segelboot in Empfang nehmen. Also mussten wir auf jeden Fall den Langschlag durchführen.

Der Plan war also, den Tag über im Hafen von St. Maarten zu bleiben, abends loszufahren, die ganze Nacht durch und dann, sofern Neptun und Poseidon es zulassen, gegen Mittag in den Virgin Island anzukommen, um im Anschluss dann das Boot zu wechseln.
Also tagsüber im Hafen geblieben. Einige von uns gehen an Land, ich bleibe an Bord.

Der kleine Hafen ist eine einzige Touristen-Abzocke, so ähnlich wie früher Honkong-Kowloon mit seinen Elektronik-Läden oder in Beijing die dortige Seidenstrasse.

Der ganze Ort besteht aus 4 hintereinander liegenden Einkaufstrassen, die alle parallel zum Strand hintereinander versetzt liegen.
 Die vorderste und direkt am Hafen liegende Strasse ist die teuerste, überwiegend Läden internationaler Elektronik- und Souvenir-Firmen. 
In der 2. Reihe überwiegend Holländer in den Läden. In der dritten Strasse fast nur Inder, die geschäftig herumwuseln und in der letzten und schmutzigsten Strasse dann fast nur Einheimische – dunkelbraun bis fast schwarz, kaum zu verstehen in ihrem englisch-holländisch-creolischem Misch-Gesang. Dafür aber alle mit Raster-Locken und ähnlichem Kopfschmuck bis zum Gehtnichtmehr, unterstützt von einem permanenten Gedudel aus uralten Radios und CD-Lautsprechern – Reggae bis zum Abwinken, eine Geräuschkulisse, gegen die der Hamburger Dom-Jahrmarkt die Stille einer Basilika ausstrahlt.

Dafür sind die Einheimischen aber alle sehr gläubig, deren Strasse wird unterbrochen von im Vorbeigehen gezählten 6 kleinen Kirchen der verschiedensten Glaubensrichtungen – wobei der Organist der Methodisten erfolgreich versuchte, alle im Umkreis von 100 Metern plärrenden Lautsprecher mit einer auf Volldampf gefahrenen uralten Orgel zu überstimmen.
 Bachs wohltemperierte Fuge gegen Bob Marley im erbitterten Zweikampf, das hatte schon was, auch wenn dieses Duell fernab von allen Touristen geführt wurde.

Ich habe nach 30 Minuten den Organisten mit 10 zu 8 Runden vorne gesehen.

Der Tag an Bord verlief ruhig, schwimmen, Schach, Schläfchen – ich kam mir inzwischen wie der Rentner vor, der um nichts in der Welt seinen Tages-Rhythmus ändert, jede Neuerung ist nur des Teufels.

Rudi zu loben wird allmählich auch langweilig, wir warten vielmehr gespannt auf den Moment, wo er mal so richtigen Scheiß zusammen kocht, dann ist jedenfalls auch unter Deck mal Aktion.
 Wobei hier gleich angemerkt sein kann, dass Rudi ebenfalls in die elegische Routine eines 4-Sterne-Kochlöffels verfallen zu sein schien, auf irgendeinen brüsken Reinfall bei seinen kulinarischen Fantasien haben wir die ganze Reise vergeblich gewartet.

Da wir gegen 20 Uhr auslaufen wollten, wurde vom Käpt’n einsam und einstimmig beschlossen, dass ab 19 Uhr kein Alkohol mehr ausgeschenkt wird.
 Also wurde im nächsten Kasten Wein auf allen Flaschen das Wort „Alkohol“ aus der Aufschrift auf dem Flaschenetikett durchgestrichen – wo kein Alkohol mehr draufsteht ist auch kein Alkohol mehr drin.

Am späten Nachmittag erledigt Thomas das Ausklarieren – in jedem Hafen, aus dem heraus wir ein Land verlassen, um in ein anderes nationales Hoheitsgebiet zu segeln, gibt es einiges an Formalitäten – so, als ob man im Flughafen landet, die Einreise-Formalitäten mit Grenzpolizei und Zoll durchleiert und dann auch gleich wieder neue Tickets und Formulare bekommt für seine Weiterreise in das nächste Land.

Obwohl man dies hier in der Hafenbehörde mit Sicherheit x-mal am Tag durchführt, war es laut Thomas diesmal für ihn richtig stressig.
 Es musste von ihm erklärt werden, wann, wie und warum ein französisches Schiff – (gechartert und übernommen wurde es ja am Anfang auf der französischen Seite der Insel) – aus einem holländischen Hafen heraus in einen britischen Hafen fahren wollte, mit einer Besatzung, die aus 4 Deutschen und einem Holländer besteht, von der aber 4 mit dominikanischen Ausweisen einreisten ( Uwe, Rudi, Boots und ich habe alle einen dominikanischen Personalausweis..), dazu noch mit deutschen und holländischen Pässen ausgestattet sind, und wo schließlich laut Flugtickets man von den britischen Virgin Island zurück in die USA fliegen wollte – nach San Juan/Puerto Rico, was zu den USA gehört, um dann schließlich von dort aus zurück in die Dominikanische Republik zu reisen.

Ein recht interessantes Kuddelmuddel von Ländern, Reisen und Nationalitäten – irgendwie haben die Beamten das von Thomas sicherlich akademisch korrekt vorgetragene Tourismus-Programm nicht beim ersten Mal verstanden.

Als er dann, nach über einer Stunde Unterricht, endlich die 22 Stempel in die Papiere bekam, sagten die freundlichen Beamten nur, dass bekanntermaßen hier in St. Maarten alles sehr locker und einfach gehandhabt wird – im Gegensatz zum nächsten Hafen Totula auf den Virgin Island, wo die Engländer alles richtig korrekt und genau kontrollierten.

Wir beschlossen, trotzdem dorthin zu fahren.

Abends gab es dann ein holländisches, gemütliches Abschiedsessen – Rudi grillte quasi außenbords auf einem speziellen Grill, der bei dieser Art von Segelschiffen immer an das Außengeländer der Reling angeschraubt wird.

Das hat neben der Tatsache, dass der Wind immer allen Grill-Nebel direkt vom Grill in Richtung Meer bläst, auch den Vorteil, dass man von diesem Grill aus alles, was nichts geworden ist, einfach fallen lassen kann – es plumpst direkt ins Meer. 
Auch die Knochen von Koteletts und Rippchen kann man bei so einem Grillabend an Deck sehr angenehm entsorgen – einfach rückwärts über die eigene Schulter schmeißen, dann landet alles direkt im Meer, die Fische kennen das schon und nagen solchen Knochenabfall direkt am Bootsrand unter Wasser weiter auf.
 Nur leere Schnapsgläser darf man bei so einer Grill-Fete nicht auf die russische Art rückwärts über die Schulter werfen – erstens gibt es relativ wenig Ersatzgläser in der bordeigenen Küche und außerdem kann es immer wieder mal vorkommen, dass die an den nächsten Bojen liegenden Schiffe durch Strömungen unter Wasser sehr nahe an das eigene Boot getrieben werden.
Und wenn der dort meist schon leicht cocktailbeschickerte, sitzende amerikanische Millionärs-Rentner von solchen Wurfgeschossen getroffen wird, greift er natürlich sofort zur mitgeführten bordeigenen Flak, um sich gegen den versuchten islamischen Terrorangriff korrekt zu verteidigen.

Gegen 20 Uhr also Auslaufen, der Wetterbericht sagt eine ziemlich klare Nacht an, wenig Wind und mittelhohe Wellen.
 Uwe, als Käpt’n jetzt sehr angespannt, man merkt ihm an, dass er die Verantwortung einer solchen Nachtfahrt sehr ernst nimmt. Normalerweise sind alle Charterverträge, auch bei sehr großen Booten, in der Karibik so aufgebaut, dass Nachtfahrten grundsätzlich laut Chartervertrag verboten sind – es muss eben doch nicht ungefährlich sein, hier ohne Radar und oftmals ohne ausreichende nautische Kenntnisse raus aufs Meer zu fahren.
 Wir hatten deswegen schon bei der Originalcharterung unseres jetzigen Segelbootes diese Nachtfahrt mit eingereicht und auch genehmigt bekommen.
 Uwe also auffallend still und sehr konzentriert. Der Kurs wird in den Autopiloten eingeben und berechnet mit 13,5 Stunden.

Wir nehmen die Segel runter, da wir die ganze Zeit unter Motor fahren werden. 
Der Diesel macht unter Deck einen ziemlichen Krach, außerdem schlafen Rudi und ich im hinteren Teil des Schiffes, Ohr an Ohr mit dem genau in der Mitte zwischen unseren Kabinen eingebauten großen Diesel-Schiffsmotor.
 Wir haben Wachen eingeteilt, aber Uwe wird anscheinend die ganz Nacht aufbleiben wollen, er meint, er wird sich vielleicht gegen 4 oder 5 Uhr morgens, wenn die anderen Inseln am Horizont auftauchen sollten, etwa ausruhen und Boots dann das Kommando übergeben.

Ich selber soll von 2 bis 6 Uhr Wache halten. Also erst einmal runter und etwas vorschlafen. Aber davon ist bei dem permanenten Gedröhne des Motors, dessen Hauptaggregat ca. 30 cm von meiner Kabinenwand entfernt arbeitet, nicht zu denken.
 Nach 2 Stunden bin ich gegen 11 Uhr leicht gerädert wieder wach und flüchte an Deck.

Uwe saß da wie angegossen und beobachtete das Meer. 
Die Positionslampen unseres Schiffes waren alle beleuchtet, aber alle anderen Lichter auf Deck und unter Deck sollten auf Anweisung des Kapitäns ausgeschaltet sein – sie blenden nur bei der Sicht aufs Meer nach anderen Schiffen.

In Bezug auf unsere Sicherheit auf See war zu hoffen und davon auszugehen, dass größere Schiffe mit den verschiedenen Radar-Systemen, die dort alle an Bord sind, uns in unserer kleinen Nussschale rechtzeitig entdecken. 
Die gelegentlich an Backbord und Steuerbord aufblitzenden kleinen Lichter stammten von kleineren Fischer-Booten, die würden uns nicht gefährlich werden können, man sah ja deren Positionslampen und sie bewegten sich genauso schnell oder besser gesagt genauso langsam wie wir.

Gefahr – sofern man überhaupt von Gefahr sprechen kann – ging an sich nur von großen und sehr großen Schiffen aus, die hier als Touristen-Kreuzer oder Tanker und Zubringer-Container-Frachtschiffe zwischen den karibischen Inseln herumfahren.

Das ganze Szenario auf Deck kommt mir anfangs so ein bisschen vor wie in alten Kriegsfilmen, wo die Frachter aus Angst vor feindlichen U-Booten und Hilfskreuzern nachts alle Lichter ausmachten und so über die Weltmeere schipperten – nur dass wir zumindest unsere eigenen Positionslampen anhatten.

Der Himmel war von Millionen Sternen übersät, es war eine Helligkeit, bei der man noch auf beiden Seiten unseres Schiffes den Horizont im halbdunkeln schimmern sehen konnte.
 Man sah die völlig hell beleuchteten Kreuzfahrtschiffe, die nachts von einem Hafen zum nächsten fuhren, die leuchteten wie strahlende Nachttischlampen am Horizont, um dann doch irgendwann zu verschwinden.
 Gegen 1 Uhr änderte sich das nächtliche Wetter, Wolken zogen auf und verdeckten schnell einen immer größer werden Teil des Sternenhimmel.
Nach einer halben Stunde war der Himmel fast völlig von Wolken bedeckt, nur ganz wenige Sterne leuchteten noch zwischen einigen aufgerissenen Wolken-Formationen durch – es wurde wirklich dunkel und nach kurzer Zeit konnte man praktisch überhaupt nichts mehr sehen – selbst den Käpt’n auf 2 Meter Entfernung auf der anderen Seite des Bootsdecks erkannte ich nur noch schemenhaft.

Nach einer weiteren Stunde waren wir alle in einer Art angespanntem Halbschlaf – es war ja am Kurs nichts zu ändern und immer stumm aufs Meer sehen kann man auch nur eine begrenzte Zeit, dann macht man automatisch die Augen zu, um sie dann nach irgendeiner Zeitspanne, die gar nicht mehr vom Kopf her nachkontrolliert werden kann, wieder zu öffnen.

Plötzlich bäumt sich Uwe, der seit wohl 2 Stunden neben mir auf der anderen Seite des Decks sitzt, mit einem gewaltigen Ruck auf.
 Er zeigt mit ausgestrecktem Arm auf ein Licht, was unter dem dunklen Firmament sehr schnell immer klarer und heller zu sehen ist.
 Er steht auf und ist wirklich verwirrt – das Licht kommt mit einer Geschwindigkeit auf uns zu, die einfach unheimlich ist und auch mir den Eindruck vermittelt, es muss so eine Art Titanic sein, die unmittelbar vor uns ist und der wir mit unseren Mitteln unmöglich ausweichen können.
Die Sicht auf dieses ominöse Licht am Himmel wird uns durch den Großmast unseres Bootes und diversen Wanten, die vom Mast aus über das Schiff gespannt sind, immer wieder verdeckt.

Deshalb fängt Uwe plötzlich an zu rennen – vorbei an Grossmast und Wanten – in Richtung Schiffsbug. 
Das Licht hat sich jetzt in weniger als einer Minute zu einem richtigen Strahler am Himmel entwickelt. Uwe ruft uns aufgeregt vom Bug aus irgendetwas zu, was wir aber durch das Gedröhne des Dieselmotors nicht verstehen können.
Das Licht vor uns ist jetzt so nahe, dass ich meine, schon eine riesige schwarze Schiffswand zu spüren, die uns in wenigen Sekunden einfach zermahlen und zerdrücken wird.
Wir sehen jetzt alle wirklich stumm und irgendwie ergeben dieses Licht an – jeder denkt das gleiche.
Einige Sekunden später ist das Flugzeug über uns hinweggeflogen und in den Wolken hinter uns verschwunden.

Sonnabend, 21.2.

Gegen 4 Uhr erscheint Boots und löst unseren Käpt’n ab, der todmüde in die Koje fällt – um aber 2 Stunden später an Deck zu erscheinen und sich über die Position und den Kurs zu informieren.

Ich selber gehe so gegen 3 Uhr nach unten, müde und doch fasziniert von so einer Nachtfahrt – man muss dies tatsächlich wohl einmal mitgemacht haben, um ein Gefühl für Einsamkeit und Schönheit auf dem Meer zu bekommen.
Gegen 8 Uhr bin ich wach, wir sind inzwischen bei der ersten Inselgruppe der Virgin Island eingetroffen und navigieren uns durch die ersten kleinen Inselchen durch.

Dann noch einige Stunden genau nach Karte durch das Archipel der Inseln gefahren.
Durch die doch recht anstrengende Nacht ist niemand so recht daran interessiert, wie es hier denn nun in diesem viel gelobten Kleinod der Karibik wirklich aussieht – wir haben ja auch noch die ganze nächste Woche vor uns, um es so genau wie möglich herauszufinden.
Gegen Mittag erreichen wir den Hafen der kleinen Hauptstadt , vielleicht 1000 Leute leben hier, ein Hafen, viele Yachten, Häuser an den Berghängen und unten an der Küste einzelne Autos, die geschäftig hin und herfahren – das ist so der erste Eindruck dieser Inselgruppe.
Wobei, wenn man es nicht besser wüsste, man sicherlich fast keinerlei Unterschied ausmachen könnte zwischen diesen Inseln und den Inseln, die wir bisher besucht haben.

Ein Unterschied ist doch nach einigem Betrachten vom Wasser aus ersichtlich – hier sieht es allgemein sauberer und gleichzeitig wohlhabender aus, als auf den anderen Inseln.
Neben uns im Hafen liegt die königlich-spanische Segelyacht – erkennbar an der großen spanischen Flagge mit einer großen Krone mittendrin. Also ein adäquater Liegeplatz für uns, man grüßt sich lässig.
Alle sind total übermüdet und total froh, dass diese Nacht ein gutes und unspektakuläres Ende genommen hat.
 Uwe und Thomas gehen von Bord, um bei den Hafenbehörden Boot und Mannschaft einzudeklarieren. Thomas kommt nach einer Stunde wieder, man will unbedingt die Flugtickets unserer Ausreise aus den British Virgin Islands sehen, also muss hier wohl tatsächlich alles seine sehr Britische Ordnung haben.

Das Wetter ist schön, Luft und Wasser beides 28 Grad. Wir beschließen, schnell noch zu irgendeiner Insel zu segeln, die man uns empfohlen hatte. Die Inseln sind hier alle schon vom Boot aus als ganz dicht an dicht liegend zu erkennen. Später wollen wir dann am Nachmittag das neue Boot übernehmen, sind gespannt, was da wieder auf uns zukommt.
Der erste Eindruck von Tortula, der Hauptinsel der Virgin – ist angenehm. Bewaldete kleine und größere Inselabschnitte, fast überall einzelne kleine und auch größere und exklusive Häuser in die Berghänge eingebaut. Am Strand eine größere Ansammlung von Holz- und Steinhäusern, davor eine Straße mit brav englischem Linksverkehr – alles klein, beschaulich, etwas britisch und doch recht karibisch bunt.

Wir haben uns im Hafen über Funk angemeldet und ein echter Reggae-Engländer steht am Hafeneingang bereit, um uns einzuweisen und uns unseren Liegeplatz in diesem Hafen zu zeigen.

Wir sollen noch am gleichen Tag unser neues Schiff übernehmen, allerdings würde es laut Auskunft der Boots-Vermietungs-Firma, die auch hier in diesem Hafen ein eigenes Büro hat, erst am frühen Nachmittag vonstatten gehen können. 
Am Hafen ist ein kleines Restaurant mit angeschlossenem, ebenfalls recht kleinen Supermarkt zum Bunkern von Verpflegung. Man hatte uns schon vorher gewarnt, die Inseln seien ein sehr teures Pflaster – aber das war wirklich britische Untertreibung.

Im „Supermarkt“ eine Flasche einfacher Rotwein ab 20 Dollar, „normaler“ Wein ab 40–50 Dollar, alle sonstigen Lebensmittel ebenfalls 4–6 mal so teuer wie normal oder wie zuletzt auf St. Maarten. Wir machten einen ganz kleinen Einkauf für das Frühstück des kommenden Tages und waren erst mal 80 Dollar los.

Wir haben zwar eine gemeinsame Bordkasse, aus der alles bezahlt wird und die scheint auch bisher wie ein echter Goldeseldukaten-Scheißautomat zu funktionieren, aber irgendwann wird auch hier sicherlich ein gewissen Erwachen kommen, spätestens bei der Endabrechnung.

Die Zeit vergeht, wir trödeln mit dem Einpacken unserer Sachen auf unserem „alten“ Schiff , die jetzt wirklich überall verstreut lagen. Es ist unbegreiflich und somit auch unbeschreiblich, wie nach nur so wenigen Tagen so ein Chaos entstehen kann. Alles irgendwie versifft, nicht völlig dreckig, aber auch nicht völlig sauber. Die Schränke und alle Ablagen sind voll mit irgendetwas – ich habe in diesem Moment unbestritten leichte Sehnsucht nach der Ordnungsliebe meiner Tochter in der Wohnung in Punta und der freundlichen Gefolgschaft meiner Frau, die nach so vielen Jahren immer noch alles aufräumt, was nicht gerade im ganz unmittelbaren Umfeld meines persönlichen Schreibtisches steht.

Schließlich hatten wir trotzdem alles irgendwie zusammengepackt und harrten der weiteren Dinge, die da kommen würden.
Hauptgrund des Wechsels war ja bekanntermaßen die Tatsache der total unbefriedigenden 3 Kabinen gewesen, bei 5 Leuten.
Das neue Schiff war so, wie ich es in St. Maarten mitbekommen hatte, im wesentlichen von Thomas mit dem Vermieter ausgehandelt worden, oder besser gesagt der genaue Typ von Schiff, die gewaltsame Einigung auf den Mietpreis hatte danach Rudi übernommen.
Thomas kündigte uns jetzt eine gut 16 Meter lange Yacht an. Da Segel-Yachten in Fuß gemessen werden, also jetzt ein 50 Fuß Segeldampfer. Die alte Yacht hatte mit 41 Fuß immerhin auch schon gute 13 Meter Länge.

Und die neue sollte nun 5 separate Kabinen haben und damit ist dann wohl alles in Butter.
Als das neue Schiff dann gegen 17 Uhr stolz gebracht wurde, innen und außen schnieke sauber und porentief rein geputzt, gingen wir alle erwartungsvoll an Bord.
Der erste Eindruck: Es war alles vom feinsten. Der Salon wie eine Hotel-Suite im Vergleich zum alten Dampfer. Unter Deck säuselte leicht die eingeschaltete Aircondition, ein für Segelyachten wirklich außergewöhnlicher Luxus. 
In der Küche waren Koch- und Arbeitsgeräte zu sehen, die mit 220 V laufen, inklusive elektrischem Föhn war alles vorhanden – bis auf eine derzeit noch fehlende Kabine.

Im hinteren Bereich des Schiffes waren 2 Kabinen, genau wie auf dem vorherigen Schiff, nur diesmal zusätzlich noch jeweils mit eigenem Bad inklusive Toilette und Dusche.

Das waren also wieder 2 Schlafplätze hinten.
Im vorderen Bereich hatte das alte Schiff 1 Kabine, jetzt waren hieraus – erfreulicherweise bedingt durch die größere Breite dieses Schiffes – 2 Kabinen draus geworden, auch beide jeweils mit privatem Bad, Dusche und WC.

Also allgemeine Suche nach der 5. Kabine – und die befand sich tatsächlich an Bord, allerdings ganz vorne im Bug und nur durch eine völlig separate und relativ kleine Glas-Luke auf dem Vorschiff zugänglich. Diese Einstiegsluke musste man aufmachen, um an einer Metalleiter dann die Wand herunter zu krabbeln, um schließlich auf den Boden dieses Verschlages zu gelangen.

Von oben sah man, dass unten in diesem Verließ sogar 2 kleine, übereinander montierte Stockbetten eingebaut waren, dazu noch ein winziges Waschbecken.
 Wie man als älterer und gesetzter Mensch hier runtersteigen sollte, war mir und sicherlich auch den anderen nicht recht klar.
 Versucht hat es erst gar keiner von uns, wohl auch aus Angst, wenn er unten eingetroffen ist, machen die anderen die Dachluke zu und der Reingekrabbelte hat somit seinen Schlafplatz sicher gefunden und für die restlichen Tage belegt.

Uwe klärte uns auf: Es ist bei Yachten dieser Größenordnung durchaus üblich, dass sie mit 2 Mann Besatzung gefahren werden, also einem Charter-Kapitän und einem anderen, der sich mit Segelsetzen und all den anderen seemännischen Arbeiten auskennt und sie durchführt.

Die Leute, die solche Schiffe mieten, haben oftmals überhaupt keine Ahnung vom Segeln, sie wollen einfach statt an Land in einer Hotelsuite zur Abwechslung einmal etwas angenehm durchgeschaukelt werden.
 Und da es dann auch eine räumliche Abtrennung zwischen Herrschern und Sklaven geben muss, sind diese Schiffe eben mit solchen Einstiegsluken-Schlafplätzen ausgestattet.

Also alle wieder zurück in den Salon zur grossen Beratung. 
Erste Zeichen von Frust und Aggression sind im Ansatz klar bemerkbar.
Da Rudi, Uwe, Boots und ich klar sagten, dass sie auf keinen Fall in dieser Abstellkammer übernachten würden, und unser Youngster Thomas ebenfalls keinen Gedanken daran zu verschwenden schien, das von ihm ausgewählte Boot nun auch in der separaten Bugkabine zu benutzen, war alles so wie auf dem alten Schiff.
 Es fehlte weiterhin eine Kabine – das heißt, 4 Leute hätten wunderschöne Einzelkabinen und der 5. würde wieder im Mittelpunkt aller Ereignisse im Salon neben der Küchenzeile pennen müssen.
Zwar diesmal mit wesentlich mehr Liege- und Schlafplatz, aber eben weiterhin ohne irgendwelche Privatsphäre und hier jetzt sogar auch ohne Bad und Toilette.

Im Alten Schiff gab es eine Toilette im Salon, die von den beiden hinteren Passagieren und von Salon-Schläfern gemeinsam genutzt wurde. Hier in diesem Luxus-Liner ging man jetzt sicherlich davon aus, das alle in ihren Einzelkojen wohnen würden, die ja auch alle mit persönlichem Waschbecken, Spiegelschrank, Dusche und WC ausgestattet waren.
Insofern eine nicht unwesentliche weitere Verschlechterung für denjenigen, der jetzt in der Mitte von gar nichts übernachten sollte.
Uwe war durch die Anstrengungen der vergangenen Nachtfahrt, während der er praktisch 20 Stunden nicht geschlafen hatte, verständlicherweise nicht in allerbester Stimmung und Boots, der ihn ansonsten in dieser Nacht verantwortungsvoll unterstützt hatte, war ebenfalls in diesem Moment nicht mehr der Frischeste.

Als wir dann nach der Luken-Abstellkammer-Besichtigung alle etwas ratlos im Salon standen und Thomas als jüngster und irgendwie für mich Hauptverantwortlicher dieser Misere, dann auch sogleich eine der beiden vorderen Kabinen mit in Beschlag nehmen wollte, merkte ich, wie bei Uwe so langsam die Galle hochkam.
 Bei mir ging das nicht mehr, man hatte sie mir gerade im Vormonat rausoperiert.

Rudi und ich stellten sich sodann, verträumt lächelnd, vor die jeweilige Eingangstür zu den beiden Kabinen des hinteren Bereiches – genau dahin, wo wir beide auch schon die vergangene Woche gewohnt hatten – frisch nach dem Motto, wenn wir jetzt eine Reise nach Jerusalem spielen sollten um eine freie Kabine, so hatten wir beide die unsrige schon so gut wie sicher.

Uwe sah Boots an, Boots blicke Uwe an, Thomas fixierte irgendein Bullauge an und alle warteten auf ein kleines Wunder.
Meiner Meinung nach hatte Uwe als Käpt’n und gleichzeitig ältester einen unbedingten Anspruch auf eine eigene Kabine.
 Desgleichen sein Assistent Boots, ohne den der Kahn nie zum Laufen kommen würde.
 Rudi als Koch war überlebenswichtig und ich selber war durch viele kleine und einige größere Vorkommnisse in der vergangenen Woche zu einer Art beleibter, grauer Eminenz geworden, jedenfalls keiner, der so einfach weggeschoben werden könnte, was alleine schon gewichtsmäßig ein nicht ganz leichtes Unterfangen wäre.

Also blickten alle irgendwie auf Thomas – dem die Situation entweder gar nicht so recht bewusst war, was ich allerdings nicht ganz glaube, denn er kam sehr schnell mit einem aus seiner Sicht sicherlich sensationellem Vorschlag: Man solle doch als „fairen Kompromiss“ jetzt losen.
Ich konnte diesen Vorschlag im ersten Moment nicht ernst nehmen. Wie die anderen ihn aufgefasst haben, war schwer einschätzen, da sich eine gewisse Einsilbigkeit breit gemacht hatte.

Gleichzeitig war auch klar: Wenn man hier keine irgendwie gut geartete Lösung findet, würde es in den nächsten Tagen mit der Harmonie mit Sicherheit vorbei sein, dazu war die allgemeine Enttäuschung und der Frust, über das was Thomas hier ausgehandelt, respektive eingetauscht hatte, einfach zu groß.

Also von allen „gute Miene zum bösen Spiel“ – 5 Streichhölzer, eins davon ohne Kopf, und wer dies dann ziehen würde, muss zwischen allen im Salon pennen.

Es traf Uwe.

Ich merkte, wie er innerlich total explodierte. Boots kam dann gleich auf ihn zu und bot sich an, für ihn im Salon zu schlafen, aber Uwe war so geladen, dass er es kaum wahrnahm. Irgendwie wollte er es auch nicht wahrnehmen, denn er hatte mit Sicherheit bis zum letzten Moment damit gerechnet, dass sein Sohn von sich aus den ganzen Quatsch abbrechen würde, um mit einem einfachen Satz wie „ich habe das hier verbockt, ich bin der Jüngste und ich übernehme den Salon, basta“ die Sache aus der Welt zu schaffen.

Aber dem war nicht so.
Thomas nahm es als selbstverständlich hin, dass er beim Losen eine Kabine ergattert hatte und zog sofort dort ein, wir anderen sahen uns dabei nur ziemlich ratlos an.
Ich weiß nicht, wie ich vor 20 Jahren regiert hätte, wenn sich mir damals eine ähnliche Situation gestellt hätte, ich hoffe nur, ich hätte anders reagiert.

Es war für alle klar, dass dies kein guter Anfang für eine weitere Woche war, aber ändern konnten wir in diesem Augenblick weder das Schiff, noch die nächste Generation, noch uns selbst.
Abends dann ein schönes Essen in einem guten Restaurant – die Rechnung wurde als Staatsgeheimnis abgehakt, sie interessierte irgendwie auch niemanden mehr, an diesem nicht ganz einfachen Tag.

Sonntag, 22.2.

Morgens wieder eingekauft, gegen 9.30 Uhr ausgelaufen zu einer wirklich schönen, einsamen Bucht gegenüber der Hauptstadt Totula und dort geankert.

In der Bucht eingebettet war eine kleine, aber sehr schöne und exklusive Hotel-Anlage. Sie hatte etwas Ähnlichkeit mit unserer heimischen Anlage in der Dom Rep, nur der Strand bei uns war doch noch viel schöner. Ein Tag in dieser Anlage sollte sich so bei 600 – 800 Dollar bewegen. Ob das schlussendlich auch für die Einwohner der British Virgin schon irgendwie Geld ist oder für diese Leute hier nur mit 99 Euro Holiday Inn Hamburg vergleichbar sein würde, wusste ich nicht – auf alle Fälle rechnete ich insgeheim mal die Kosten unserer Behausung in der Dom Rep dagegen, und fand einen leichten Preisvorteil zugunsten White Sand/Dom Rep heraus.

Gelesen, gebadet, geschnorchelt, dann in eine nächste Bucht weiter gesegelt. Dort sollten sehr gute Tauchbedingungen sein – was auch schon daraus abzulesen war, dass wir nach Einfahrt in diese malerische Bucht hier die nach meiner groben Zählung 64. Yacht waren, die diese einsame Insel angelaufen hatten. 
Im Wasser waren darüber hinaus noch etliche Bojenplätze nicht belegt, man schien also von einer durchschnittlichen täglichen Frequentierung dieser Bucht von weit über 100 Yachten auszugehen.

Insofern sind einsame Inseln genauso relativ wie einsame Singles, die sich in Scharen zu riesigen Single-Treffs zusammenfinden. So ein Ankerplatz kostet pro Tag zwischen 20–30 Dollar je nach Bucht und Lage.
 Die Nachkommen der Piraten, die einst diese damals wohl wirklich einsamen Buchten nutzen, um ihre Piratenschiffe dort zu verstecken, um dann bei Sichtung irgendwelcher anderen Schiffe diese mit Hurra zu überfallen, diese Nachkommen haben – jetzt nur leicht als brave britische Bürger getarnt – immer noch soviel Piratenblut in sich, dass sie gnadenlos jeden Platz ihrer schönen Inseln mit Tausenden von Bojen zupflastern, um diese dann täglich mit kleinen Booten abzufahren, um von jedem Boot treu und brav eine Lösegeld für Bojenbenutzung einzufordern.

Abends dann lecker essen, Skat und Schach und relativ früh geht es in die Kojen.

Montag, 23.2.

Früh auf, Tagebuch und eine Tasse Kaffee. Schwimmen und warten bis die anderen aufgestanden sind. 
Neben uns hat in der Nacht eine fröhliche amerikanische Schwulen-Yacht geankert, erkennbar an der Regenbogen-Flagge und an den vielen jungendlich-körperbetonten Männchen, die dort an Deck stolzieren.

Mittags dann wieder los, diesmal unter Maschine, da der Wind ungünstig steht und wir eine relativ weit entfernte Insel anlaufen wollen. Da Käpt’n Uwe aus der christlichen Seefahrt kommt und dort jahrelang als Maschinist gearbeitet hat, sind schön gleichmäßig laufende Dieselmotoren sicherlich Manna für seine Ohren – den anderen fehlt hier noch der allerletzte Hauch von Verständnis, um das ewige Gedröhne der Maschine so richtig voll genießen zu können.

Nachmittags erreichen wir die Insel, sie heißt Jost Van Duke, so benannt nach einem berühmten Seeräuber, der hier im 17. Jahrhundert die Gegend unsicher machte und der für einen nicht unbeträchtlichen Teil der weit über 200 an den Felsenklippen verstreut versunkenen Schiffswracks zuständig gewesen sein soll.

Beim Schwimmen an Land stelle ich fest, dass es auf dieser Insel schon mehr als die in der Reisebeschreibung angegeben 4 Automobile gibt, es mögen inzwischen so an die 10 geworden sein. Außerdem 3 Strandkneipen und eine Polizeistation. Aber für die 40 Leute hier auch eine kleine Kirche und ein ziemlich verwunschener Friedhof.

Abends sind alle an Bord geblieben und gemeinsam haben wir mit Sorge den stets fallenden Pegel der letzten 3 Flaschen Rum beobachtet.

Dienstag 24.2.

Heute wollen wir „Karibik pur“ machen. 
In der Nähe unseres Ankerplatzes soll es einige „Traum-Inselchen“ geben, wir hatten sie durchs Fernglas am vorherigen Tag auch schon gesehen.

Also früh um 9 Uhr los – nach ausgiebigem Frühstück, wobei Rudi eine nicht weiter definierbare, aber nichtsdestotrotz nicht uninteressante Variante seines spanischen Omeletts präsentierte.

Vor unserer ersten Trauminsel lagen bei unserer Ankunft gegen 10 Uhr schon diverse Segelyachten, also kreuzten wir weiter zur nächsten. Es war dies eine Mini-Insel mit 4 Palmen und 8 Sträuchern, aber rundherum herrlicher weißer Sandstrand – eine kleine Trauminsel, so wie sie jede Südsee- oder Barcadi-Reklame zeigt.

Die ganze Insel vielleicht 40 x 40 Meter, eine Wanderung am Strand dauerte genau 312 Schritte, dann war man wieder am Ausgangspunkt angelangt. 
Im Laufe des späteren Vormittags kamen noch einige andere Yachten an diese Insel. Nach sonnen und baden auf der Insel war es aber auch schon Mittag und zurück an Bord.

Rudi hatte diesmal ein ziemlich irres 3-Gänge-Menü vorbereitet. Ochsenschwanzsuppe mit Bailey-Whisky, Fisch- und Huhn-Spießchen auf indonesisch, schön pikant aber noch trinkbar.
 Als Nachtisch dann Schlagsahne mit Nutella und Eierlikör verrührt im Eimer – dazu einige Flaschen Rotwein.
Ich bin gegen 16 Uhr wieder aufgewacht.

Abends dann diesmal eine wirklich schöne und auch wirklich einsame Bucht gefunden.
 Karten und Würfel gespielt, gelesen – ich hatte inzwischen meinen 700 Seiten Wälzer tatsächlich durchgelesen – das funktioniert aber wohl nur noch, wenn tatsächlich kein Computer in irgendeiner nahen Ecke steht.

Gleichzeitig muss ich sagen, dass ich bei einem Landgang vor zwei Tagen eine Kneipe gefunden hatte, die Internet-Anschluss angeboten hatte im Schaufenster – und ich bin nicht reingegangen. Wenn es so weit gekommen ist, hat sich ein Segeltörn als Stress-Therapie wohl schon gelohnt.

Mittwoch, 25.2.

Wie immer früh aufgewacht, geschwommen und gegen 9 Uhr losgesegelt zu einer anderen Inselgruppe, die sich Virgin Gorda nennt. Soll ein Paradies für alle Segler, Taucher und Schnorchler sein.

Nach 2 Stunden angekommen und an einer kleinen Insel geankert, auf der nur ein einziges und sehr exklusiv aussehendes Hotel zu erkennen war, welches seine Gäste wohl in über die ganze kleine Insel verstreuten Luxus-Bungalows beherbergt. Der Strand soll privat sein, also nicht angelandet.

Aber vor dieser Insel gab es eine ca. 200 Meter und 30 Meter Breite Sandbank, die völlig ohne Vegetation aus dem Wasser ragte, so ca. 20–30 cm über Meeresniveau. Dorthin geschwommen, einige Photos gemacht, und nach sonnen und schlafen wieder zurück auf unseren Kutter.

Nachmittags einen kleinen Hafen angelaufen, um dort, wenn möglich, Frischwasser und Lebensmittel für die restlichen Tage zu bunkern.
Nachmittags streikte der Kühlschrank. Über Funk den Service angerufen und tatsächlich kam nach gut einer Stunde ein netter einheimischer Techniker und klärte uns auf, was wir falsch gemacht hatten. Verstanden habe ich nichts, aber die Flaschen konnten wieder kaltgestellt werden, alles andere war unwichtig.

Am späten Nachmittag fuhren Thomas und Rudi mit dem Dinghi an Land und kamen genau zur Happy Hour der exklusiven Hafen-Bar an.
 Da gibt es dann eben für 12 Dollar zwischen 17 und 19 Uhr zwei statt ein Cocktail – man wird also für das gleiche Geld doppelt so schnell besoffen.
Thomas müssen die süßlichen Knall-Cocktails, die hier so attraktive Namen wie „Pain-Killer“ oder „Tod aus Flasche“ haben, schnell und mächtig zu Kopf gestiegen sein, er fing an, etwas reichlich die Kontenance zu verlieren und die Reste schleppte Rudi dann am frühen Abend an Bord.

Später am Abend fing Thomas sich wieder, aber man merkt doch den Unterschied zwischen erfahrenen Säufern und jüngeren Spunden, die ihre Grenzen einfach noch nicht immer richtig kennen.
 Abends in der Marina Bar schön an Land gegessen, dann früh ins Bett.

Donnerstag, 26.3.

Die Routine ist nicht mehr zu stoppen. Gegen 6 Uhr aufstehen, Schwimmen, aber das Wetter hat sich über Nacht total geändert.
In der Nacht hatte es einige Male kräftig geregnet. Da ich, wie sonst auch, immer alle Luken in meiner Kabine sperrangelweit auf hatte, wachte ich mit völlig durchnässten Bettsachen auf, schmiss sie aus dem Bett, schloss die Luken und legte mich wieder schlafen.
Nach kurzer Zeit wieder aufgewacht, diesmal bedingt durch die stickige Schwüle, die sich sofort in der Kabine ergibt, wenn man sie nicht schnell total lüftet.

Also wieder alle Luken aufgerissen und zurück ins Bett. Dies Spielchen gab es, glaube ich, 5 mal, dann war ich endgültig wach.
Morgens an Land gefahren, um noch etwa Brot und Eier fürs Frühstück einzukaufen.
 Brot gab es noch nicht, der Bäcker käme erst so zwischen 10 und 11 angesegelt, dafür waren die Eier vorrätig – 12 Stück für 9 Dollar.

Als ich in diesem Laden dann die anderen Preise mir so anschaute, wurde mir schnell klar, dass die Virgin Island ein Paradies für Übergewichte und entsprechende Abmagerungs-Kurkliniken sein würden.

Bei Preisen von 7,5 Dollar für eine Tüte Milch, eine Scheibe Brot 2 Dollar und eine kleine Packung Spinat aus der Tiefkühltruhe mit 12 Dollar – da muss mit Sicherheit 95 % aller normal Verdienenden der Appetit vergehen und statt Wasser- und Hungerkuren brauchen sie hier nur mit dem Einkaufswagen durch diese Supermärkte laufen.

Da heute bei diesem Wetter nichts besonderes anliegt, werden wir an diesem Tag nur eine kleine Ausfahrt machen und abends wieder zurückkommen. So war es dann auch, ein schöner, windstiller und ruhiger Tag.
 An der Stelle, wo wir tagsüber ankerten, konnte ich zum ersten Mal richtig schön schnorcheln, die Farbenpracht der tausenden von kleinen und größeren Fische war einfach überwältigend.
Bin über 2 Stunden im Wasser geblieben und wäre wohl noch weiter geschnorchelt, wenn die anderen nicht mit dem Dinghi angefahren gekommen wären, um mich zu suchen, da ich so lange noch niemals weg vom Boot im Wasser war.
 Abends wurden dann an Bord die Vorteile einer solchen Motor-Segel-Sauf-Kultur-Reise diskutiert, die Feststellung gemeinsamer Ergebnisse zu diesem Thema wurde auf nächstes Jahr zu gleicher Zeit am gleichen Ort verschoben.

Freitag, 27.2.

Gegen 9.30 Uhr losgesegelt, diesmal steht ein etwas längerer Törn an.
 Wir segeln um die äußerste Spitze der Virgin Island und dann auf der Seeseite zurück bis zur Hauptinsel Virgin Gorda. Dort wollen wir irgendwo übernachten und morgen dann das Boot endgültig in der Hauptstadt Tortula zurückgeben.

Am frühen Nachmittag in der Nähe einer schönen Marina vor Anker gegangen, den Rest des Tages und den anbrechenden Abend mit effektivem Nichtstun ausgefüllt.

Sonnabend, 28.2.

Der letzte Tag auf See.
 Gegen 9 Uhr los und dann noch einmal 4 Stunden auf einen Schlag gesegelt.
Wetter schön, leichter Wind, 2–4 Bft und beim Klönen an Deck erwähnt einer von uns die Tatsche, dass wir seit Anfang der Reise kein „Mann-über-Bord-Manöver“ mehr geübt haben, es wäre vielleicht Zeit, dies zum Abschluss jetzt noch einmal zu üben.
Daraufhin sprang Rudi, der Koch, unter Absingen obszöner Lieder und mit heraushängendem Vorderteil plötzlich auf und war mit einem gewaltigen Satz über Bord.

Nachdem unser Lieber Koch so unvermutet über Bord gegangen war, gab es erst einmal unter den restlichen an Bord Verbliebenen eine Grundsatzdiskussion.

Hauptthema dabei war, wie voll die Eisschränke noch waren. Schließlich war es unser letzter Tag auf See, und diesen einen Tag würden wir, wie wir alle gemeinsam feststellten, auch noch ohne Koch problemlos überstehen. Trotzdem war nach reiflicher Überlegung die Mehrheit der übrig gebliebenen Crew zu der Ansicht gelangt, wir sollten trotzdem versuchen, Rudi aus dem Meer raus zu fischen.

Wenn es sich um einen echten „Mann-über-Bord“-Notfall gehandelt hätte, wäre der gute Smutje schon dreimal an den Steil-Klippen der in der Nähe gelegenen Inseln zerschollen.

So haben wir zumindest bei diesem Manöver gelernt, dass man in solch einem Fall die damit in Zusammenhang stehende Diskussion über rausholen oder schwimmen lassen doch bitte nicht unnötig vertiefen, sondern statt dessen, wenn möglich relativ schnell, zu einem tragbaren gemeinsamen Beschluss kommen sollte.

Mittags noch ein bisschen geschnorchelt, dann im Hafen angekommen und angefangen aufzuräumen.
 Da es sich bei diesem Schiff um eine Luxus-Version handelte, mit so vielen Schränken, Ablagen und sonstigen Stauraum, fand sich erstaunlicherweise das meiste, was jeder so im Laufe einer Woche vermisst hatte, beim großen Aufräumen wieder an.

Die letzte Nacht verbrachten wir dann an Bord, am nächsten Morgen ging es ganz früh zum Flughafen und mit einmal Umsteigen in San Juan auf Puerto Rico waren wir dann am frühen Nachmittag wieder in der Heimat – jeder in seinem Häuschen oder Apartment in Bavaro in Punta Cana.

Um ein tiefsinniges Resümee dieser Reise ziehen zu können, fehlt mir zur Zeit noch der genügende Abstand, aber auf jeden Fall war es etwas Besonderes.

Ich würde es mit solch einer Gruppe von Freunden sicherlich gerne noch einmal machen, vielleicht etwas andere Reiseziele in dieser großen und so vielfältigen, schönen Karibik und bei vielleicht nicht ganz so anarchistischer Organisation.

Schön war es.

Punta Cana, im März 2004