Südamerika – Einmal um Kap Horn

Vorwort 

Dieser Reisebericht soll über eine Schiffsreise von Argentinien nach Chile berichten.

Es ist für mich der zweite Teil einer großen Reise.

Den ersten Teil – von Hamburg nach Argentinien – habe ich vor ungefähr 40 Jahren gemacht.

Damals wurde ich von meinem Vater als junger Mann in die Welt hinaus geschickt und fing meine leicht abenteuerlich gefärbten Reisen an mit einer Schiffsreise auf einem kleinen argentinischen Dampfer.

Jene Fahrt Ende der sechziger Jahre mit jenem Dampfer von Hamburg über den Südatlantik nach Argentinien habe ich bis heute nicht vergessen.

Da ein nicht unwichtiger Teil meines Lebens mit Chile zu tun hat, schließt sich durch diese zweite Reise jetzt irgendwo der Kreis.

Da ich davon ausgehe, dass vielleicht irgendwann dieser Bericht auch von Freunden gelesen wird, die nicht so viel mit der Karibik und Südamerika vertraut sind wie inzwischen meine liebe Frau und ich, werde ich am Anfang gelegentlich noch etwas abschweifen, um Zusammenhänge zu erklären.

Im Oktober des vergangenen Jahres feierte meine liebe Frau wieder einmal einen Geburtstag 40+, und da ich von lieben Freunden rechtzeitig auf dieses Datum vorbereitet  wurde, brauchte ich nicht, wie in normalen Zeiten, einige Stunden vorher den Juwelier in Trittau aus dem Bett zu telefonieren mit der Aufforderung, mir wieder mal innerhalb einer Nacht etwas Schönes ganz schnell zu produzieren.

Als sparsamer, braver Rentner habe ich die wöchentlichen Angebote von Aldi im Internet abonniert.

Das heißt, einige Tage, bevor ein Aldi-Angebot kommt, schickt Aldi dieses an einige Millionen Käufer per E-Mail raus. Die wissen dann bereits entsprechend im Voraus, was sie in der nächsten Woche wieder alles an schönen, preiswerten und nutzlosen Sachen dort einkaufen können.

Auf diese Art und Weise fand ich dort im September ein Reise-Angebot für eine Kreuzfahrt rund um Kap Horn.

Das war doch mal was Neues

Ich hatte zwar noch nie bei Aldi eine Reise gebucht – aber ich könnte mir vorstellen, dass so etwas ganz schnell ausverkauft sein würde, und so hatte ich innerhalb von ein paar Minuten eine Kreuzfahrt für zwei Personen an der Backe. 

Mangels eigener Kreditkarte buchte und zahlte ich auch brav gleich alles unter dem Namen des Geburtstagskindes.

Dass ich mit meinen Überlegungen bezüglich der Begehrlichkeit dieser Reise nicht ganz verkehrt lag, bestätigte sich sehr schnell – denn dieses Angebot wurde nur einmal bei Aldi veröffentlicht.

Jetzt hier in Buenos Aires angekommen, sagte mir die Reiseleiterin, dass der Veranstalter genau 60 Plätze im Voraus gebucht hatte für die Flüge und die Schiffsfahrt, und diese waren prompt innerhalb von wenigen Stunden verkauft.

Die Reiseroute sollte sein:

Von Hamburg per Flug über Paris direkt weiter nach Buenos Aires.

Dort zwei Tage Aufenthalt.

Danach im Schiff in 15 Tagen um die Südspitze Südamerikas.

Dann noch mal zwei Tage Santiago, und schließlich der Rückflug über Paris nach Hamburg.

Weitere Einzelheiten über diese Tour hatte ich beim Buchen gar nicht feststellen können, aber so wie es beschrieben war, reichte es ja auch.

Jetzt waren wir also von Hamburger Rentnern zu Kreuzfahrern mutiert. Ich war wirklich gespannt, was sich hier ergeben würde.

So 2–3 Wochen vor dem Abreisetermin stellten meine liebe Chefin und ich dann in einem unserer beliebten 2-Minuten-Tagesgespräche fest, dass die Bereitschaft zu einer gewissen Vorfreude sich bei uns beiden in durchaus überschaubaren Grenzen hielt.

Nelly war seit ungefähr 15 Jahren nicht mehr in Chile. Ich selber hatte meine 128. und damit letzte Südamerika Reise im Jahre 1986 durchgeführt – danach war es immer nur noch China und Südostasien gewesen.

Unter diesen Voraussetzungen würde man normalerweise annehmen können, dass wir beide vor Freude nur so zitterten, um solche außergewöhnliche Reise nunmehr anzutreten.

Aber das mit dem Zittern war wohl doch etwas anders.

Vielleicht zittern mehr die übrigen Mitglieder unserer Familie in Santiago, jetzt nach so langer Zeit uns in Chile wieder zu sehen – aus welchen Gründen auch immer.

Ich selber zitterte wohl bei der Vorstellung, dass ich nunmehr ein Rollenspiel vor mir hatte, welches ich in den letzten Jahren, mit einer leicht fröhlichen Verachtung, immer nur bei anderen Mitmenschen konstatierte.

Dies muss ich nun doch etwas ausführlicher erklären:

Wir selber sind seit knapp 20 Jahren – also im Prinzip seit der Zeit, als die Kinder aus dem Haus gingen –immer häufiger in die Dominikanische Republik gereist. Es hat uns dort von Anfang an gut gefallen und vor knapp 10 Jahren kauften wir dort in Punta Cana eine schöne Wohnung an einen Traumstrand. 

Es ist heute unser zweites Zuhause.

Vor ungefähr vier Jahren änderte sich das Touristenklima in Punta Cana auffällig. Vorher waren es überwiegend 4–5 Sterne Hotels mit Touristen aus Europa und Südamerika sowie gelegentlich kleineren Gruppen von Amerikanern und Kanadiern.

Dann wurde die Karibik sehr teuer.

Die Europäer kamen immer seltener, die Südamerikaner auch nur noch gelegentlich, und die inzwischen 35 Strandhotels dort mit über 40.000 Betten mussten sich ganz schnell neue Kundenkreise suchen. Die einzige Alternative war zu dieser Zeit eine Art Massentourismus aus den USA.

Innerhalb von ein bis zwei Jahren hatten wir in den Hotels links und rechts von unserer Wohnung nicht mehr die schönen Franzosen und Italiener, die stolzen Spanier und die reichen Südamerikaner, sondern ein ganz anderes Publikum.

Die Amerikaner – und ich meine hier nur die US-Amerikaner – haben bekanntermaßen sehr wenige Ferientage.

Ihre 10 bis 12 Tage Jahresurlaub nutzen sie in konzentrierter Form aus, um billig irgendwo hinzuziehen, McDonald’s und Cola in mir bis dahin nicht vorstellbaren Mengen zu konsumieren und dann wieder zu verschwinden.

Da alle diese braven Vorstadt-Amis nichts weiter zu tun haben, als sich im Hotel volllaufen zu lassen, um dann an den Pool zu kommen, um ihren Rausch auszuschlafen und um dann einige Stunden am Strand spazieren zu gehen, um wieder nüchtern zu werden, so hatten wir es hier  also mit dieser neuen Gruppe von Menschen zu tun.

Diese Leute waren nicht aufdringlich, aber irgendwie war das ganze Klima nicht mehr so angenehm wie in all den Jahren davor.

Einige Bekannte und Freunde von uns, denen diese Entwicklung ebenfalls nicht so gut gefiel, begannen, sich in der dominikanischen Republik nach anderen Unterkunftsmöglichkeiten umzusehen.

Das einzige Gebiet, was landschaftlich schön und touristisch seinerzeit noch völlig unerschlossen war, war die Halbinsel Samana

Ich war vor 3–4 Jahren viele Male ebenfalls in Samana, und schließlich fanden wir dort, mit der Hilfe von einigen Freunden, ein Grundstück an einem der ganz wenigen Strände, die es auf dieser Halbinsel gibt und welches wir auch noch einigermaßen günstig kaufen konnten.

Es liegt auch heute noch in einer Gegend, in der es weder Strom, Wasser, Abwasser oder sonstige Anzeichen irgendwelcher Zivilisation gibt.

Um dorthin zu fahren, muss man Flüsse mit dem Auto durchqueren und Land und Leute einfach mögen, möglichst auch noch in ihrer Sprache.

Belohnt wird man dann mit einem kleinen Fleckchen Erde, das einfach bezaubernd ist – und ob man dort jemals bauen kann ist heute noch unklar.

Aber, so wie es aussieht, wird auch dieses kleine Paradies in absehbarer Zeit – vielleicht schon in 1 bis 2  Jahren – soweit von der Zivilisation eingeholt sein, dass es dort dann Strom, Wasser und Brücken gibt, damit man dort hinkommen und Häuser bauen kann und dann wird es schließlich ganz normales Urlaubsstrandgebiet sein.

Samana war also in den letzten Jahren das einzige Gebiet, das man in der dominikanischen Republik noch touristisch erschließen konnte. 

Das hat die lokale Touristenorganisation, aber auch der dominikanischen Staat, dann sehr schnell erkannt und innerhalb von ganz wenigen Jahren eine Infrastruktur erstellt, die heute schon einen ganz neuen Tourismus auf dieser kleinen Halbinsel ermöglicht.

Es wurde ein internationaler Flughafen in der Nähe von Samana gebaut, der bereits von vielen europäischen Fluglinien direkt angeflogen wird. Es wurde eine Autobahn von der Hauptstadt Santo Domingo direkt nach Samana gebaut und damit verkürzt sich die Autofahrt von der Hauptstadt nach Samana von sechs auf 2 Stunden.

Und selbst von Punta Cana aus, wo wir wohnen und von von wo wir vorher 8–9 Stunden im Auto saßen, um von Punta Cana nach Samana zu kommen, brauchen wir jetzt nur noch knapp 5 Stunden für diese vielleicht 300 km Entfernung.

Vom Wasser aus ist Samana auch gut zu erreichen.

Von der Spitze der Halbinsel braucht ein Schiff noch circa 50 km in die Bucht hinein bis nach Samana – dann liegt der Dampfer in einer großen Bucht vor Samana und hat ein Stück Land vor sich, so schön wie es sich ein normaler Mensch nur vorstellen kann, wenn er exotische Gebiete kennenlernen möchte

Und hier schließt sich jetzt der Kreis.

Vor zwei Jahren kamen die ersten Kreuzfahrtschiffe von Miami und anderen großen Hilfen der Karibik nach Samana. 

Sie brachten pro Schiff 1000–2000 Touristen, die frühmorgens aus den dicken Bäuchen dieser Kreuzfahrtschiffe rausgelassen wurden. Eine immer größer werdende Armada von kleinen Schiffchen – so ähnlich wie die Rettungs-Schiffe der großen Kreuzfahrer – nahmen diese Unmengen an Touristen auf und beförderten sie an Land.

Dort warteten an solchen Tagen wieder Hunderte von Taxis, von Touristen-Bussen aller Art, von Pferdekutschen bis hin zu Rikschas, um diese Menschenmengen für ein paar Stunden einigermaßen über die kleine Halbinsel zu verteilen.

Und jeder Gruppe wurde gegen einen hübschen Preis versprochen, dass nur sie ganz alleine und exklusiv die Schönheiten dieses exotischen kleinen Gebietes erkunden wird…

Und diejenigen, die für besonders viel Geld einen Ganztagesausflug direkt ins Paradies gebucht hatten, landeten schließlich an dem kleinen Fleckchen Erde in der Bucht, wo Nelly und ich unser kleines Strandgrundstück haben.

An solchen Tagen, wo wir in unserer paradiesischen Ruhe dann plötzlich von 50 Motorrädern oder 10 Touristenbussen oder sonstigen Autos oder Motorrädern oder Pferdefuhrwerken gestört wurden – an diesen Tagen verfluchten wir die Kreuzfahrtdampfer und den gesamten Tourismus in klaren und verständlichen Sätzen.

Wenn die Touristen dann auch noch auf unser Grundstück kommen wollten, um dort nach einer Toilette zu fragen (wir sind die einzigen, die dort im Umkreis von 30 Kilometern ein kleines Toilettenhäuschen mit Dusche und Stromaggregat für fliessendes Wasser für unsere Familien gebaut haben) – an diesen Tagen reichte es uns dann  endgültig.

Da ich ganz gut mehrere  Sprachen spreche, mache ich es diesen freundlichen Besuchern von den großen Schiffen dann unmissverständlich klar, dass unser Toilettenhäuschen in Wirklichkeit das Krankenhaus für die 20 Familien ist, die hier im Umkreis leben und dass es, wenn keiner krank ist, ansonsten als Grundschule benutzt wird.

Und dass deswegen sie doch bitte es so machen sollten wie alle hier im Paradies – wo nun einmal auch für alle die gleichen einfachen Sitten und Gebräuche herrschen.

Wenn das noch nicht klar genug war, begann ich die Einzelheiten zu schildern, die in diesem Teil des Urwaldes herrschen. Es bedeutet im Klartext: Sie sollten es genau so machen wie die Fischer und die paar Einheimischen. 

Also: an den offenen Strand gehen, sich dort mit den Händen ein kleines Loch graben und immer schön mit dem Kopf auf das endlose Meer hinaus schauend dann in dieses Loch brav reinscheißen.

Dann mit ein bisschen Sand sich den Popo säubern und brav wie Katzen ihr Loch wieder mit Sand zubuddeln.

Da ich es mit der entsprechenden Wut im Bauch fast immer geschafft habe, diese Ratschläge ganz locker, freundlich aber bestimmt zu geben, werden die meisten der braven Vollpension-Touristen doch irgendwann verunsichert.

Und gelegentlich ist dann zu beobachten, wie der Drang nach paradiesischer Exklusivität sie dazu verleitete, meinen überzeugenden  Anweisungen Folge zu leisten.

Einmal hab ich einem kleinen einheimischen Jungen eine Rolle Klopapier in die Hand gedrückt, und er hat dann immer 5 Blätter davon für einen Dollar verkauft.

Und der Rest der Touristen-Gruppen hat mit großen Kinderaugen mit Sicherheit noch nie soviel fotografiert, wie an diesen Tagen an diesem Ort.

Das Paradies kann ganz schön beschissen sein.

Bei einem letzten Besuch jetzt im Januar dieses Jahres in Samana waren an einem  Tag bereits zwei Riesendampfer nebeneinander liegend vor Samana zu sehen. 

Das heißt, an diesem einen Tag war unser schönes Samana verurteilt,  ca 2.000 – 3.000 Touristen zu ertragen und ich wusste nicht, welche Menge davon dann mittags in unser kleines Paradies einfallen würde. Alles natürlich auch  potentielle Anwärter auf ein gepflegtes Strandlochscheißereidiplom.

Ich bereitete den kleinen Jungen auf das Geschäft seines Lebens vor und lehrte ihn, wie es auf Englisch heißt, die Kunden aufzufordern, seine 5 Blätter dreiseitig zu benutzen.

Ich will jetzt hier dieses Thema nicht weiter verfolgen – nur eins wird dem Leser vielleicht inzwischen klar geworden sein: Diese Unmengen von Kreuzfahrt-Touristen waren im Laufe der Zeit nicht so ganz meine persönlichen Freunde geworden.

Und jetzt also der große Umkehrschluss. 

Jetzt sollten meine liebe Frau und ich genau zu jener Gruppe gehören, die in riesiger Anzahl in diese, vorher brav pauschal gebuchten Reservate einfallen, dort die Museen und Toiletten besetzen und Unmengen von Coca-Cola-Dosen und McDonald-Verpackungen herum liegen lässt.

All dies ging mir so durch den Kopf, als Nelly mir erklärte, dass ihre eigene Vorfreude auf dieser Reise nicht gerade zwischen 9 und 10 auf der zwölfzahligen Skala der beliebtesten Tätigkeiten und Erwartungen liegen würde.

Als ich ihr dann erklärte, was ich so über das Publikum von Schiffsreisen im Allgemeinen und im Besonderen denke, waren wir uns sehr schnell einig, dass wir ganz schnell versuchen sollten, unsere Reise irgendjemand anders noch aufs Auge zu drücken.

Natürlich klappte das nicht.

Und damit war klar: Es gab kein Entrinnen, keine weitere Entschuldigung, wir mussten demnächst los.

Als ich somit, einige Tage vor dem Abreisetermin, anfing, mich mit dem 50–60 Seiten Informationsmaterial zu befassen, das wir inzwischen von dem Veranstalter, von Aldi, von der Rederei, von der  Fluggesellschaft und dem internationalen roten Kreuz  erhalten hatten – als ich diese Berge von Papier anfing zu sortieren, fand ich an einer kleinen Stelle auch den Hinweis, dass Reisen mit der Air France nach Argentinien und Chile statt der sonst üblichen 20 Kilo Gepäck eine viel weitergehende  Gepäckmenge erlauben.

Diese glücklichen Personen dürfen jeder zwei Koffer mitnehmen und jeder Koffer darf 23 Kilo haben.

Als ich das meiner lieben Frau erzählte, fuhr sie los und kam mit vielen, vielen neuen, schönen Koffern und Taschen zurück. 

Die nächsten Tage vergingen dann damit, dass sich unser Haus in eine Mischung aus Lagerhalle und Jugendherberge verwandelte.

Berge von Kleidern, Geschenken, Computerteile, Büchern und sonstigen Ersatzteilen lagen herum und wurden von links nach rechts geschoben, gewogen, sortiert, weggeschmissen und schlussendlich wieder dahin gestellt, wo sie von Anfang an rumlagen.

Zum Schluss hatten wir sechs Koffer oder Taschen oder wie man es auch immer nennen will – denn „Handgepäck“ zählt bei allen weiblichen Südamerikanern zu dem deutschen Stamm-Wort  „Gepäck“ und da ist es egal, ob es mit der Hand oder mit dem Fuß bewegt wird – Gepäck ist Gepäck, und 23 Kilo sind in so einer Situation auch nur ein sehr vager Annäherungswert.

Beim Einchecken am Flughafen Hamburg stellte sich heraus, dass die Maschine von Paris nach Buenos Aires bereits total ausgebucht war.

Es gab nur noch ganz wenige Plätze irgendwo in der Mitte von irgendwelchen Sitzreihen im hintersten Bereich, und wir haben uns dann endgültig gefragt ob, wir uns diese Reise wirklich antun sollen.

Natürlich hatte ich versucht, vorher vernünftige Plätze zu buchen – aber die Reise Organisation bei Aldi sagte ganz klar, das geht nicht, und damit war für diese Leute die Sache erledigt.

Da wir relativ viel Zeit hatten – ich hatte in unserem Fall mit 2–3 Stunden am Check-In Counter gerechnet und ebenso damit, dass die Hälfte unserer Expeditions-Ausrüstung nicht von der Fluggesellschaft akzeptiert werden würde – da wir also jetzt im Flughafen viel Zeit hatten, fing ich an zu überlegen, wie diese Situation zu retten sein könnte.

Ich begab mich also direkt in das hintere Abfertigungsbüro der Air France, holte den dominikanischen Blutspenderausweis hervor, zusammen mit anderen Ausweisen der dominikanischen Republik, und fragte in einem sehr klaren französisch-spanisch-deutsch-Gemisch, ob man für eine soeben operierte ältere Dame nicht noch einen Notplatz hätte.

Die Blasenoperation, die diese arme Frau zusammen mit vielen anderen Eingriffen – die der Wissenschaft bis dato völlig unbekannt waren – hatte alles dies zusammen vor 2 Tagen zu einer Reaktion geführt, dass diese ältere Dame alle 25 Minuten zur Toilette muss.

Die Zeit, um über 2–3 an der Außenseite der Reihen sitzende Passagiere hinüberzusteigen betrug, nach meiner vorsichtigen Schätzung, 9 Minuten und  bei abnehmender Kondition dann vielleicht noch 13–14 Minuten, die Zeit auf der Toilette mitgerechnet ergab die mathematische Gewissheit, dass  bereits beim 6. oder 7. Rundlauf zwischen Passagier-Sitz und Toilettensitz die Zeit vom Ausgangs- zum Endpunkt und zurück nicht mehr ganz  ausreichen würde.

Und damit verlagert sich als Ergebnis einfacher mathematischer Berechnungen automatisch das Problem und dessen Resultat zuerst auf die neben der Toilette liegende Küche, dann im weiteren Verlauf der Reise auf den Gang und schließlich auf alle zu übersteigenden Nachbarn.

Im Kopfrechen war ich schon immer gut.

Die Leiterin der Air France in Hamburg wurde erst rot wegen des etwas unangenehmen Grundthemas, dann aber immer blasser,  als ich sie mit der genaueren zeitlichen Abfolge dieser Gegebenheit vertraut machte.

Sie rief in Paris an und hatte nach einigen Minuten  eine Fax-Bestätigung, dass das Problem gelöst sei.

Ich erhielt die beiden Bordkarten für die einzige Reihe in diesem Flugzeug, in der nur 2 Sitze nebeneinander eine Reihe bildeten, und wir beide hatten dann eine sehr ruhige und angenehme und von allen Mitmenschen ungestörte Reise von Paris nach Buenos Aires.

In Buenos Aires angekommen, wurden wir von einer sehr netten älteren Schweizer Reiseleiterin abgeholt.

Die zwei Tage in Buenos Aires waren recht angenehm. 

Den ersten Tag nahm ich meine Auszeit.

Angekommen im Hotel erhielt ich 40° Fieber, Schüttelfrost, ein nettes kleines Zimmer, ein Bett, eine liebe Frau die sich um mich kümmerte, und ich schlief 20 Stunden durch. Dann ging es wieder.

Am zweiten Tag in Buenos Aires machten wir eine Stadtrundfahrt mit der deutschen Gruppe. Es stellte sich heraus, dass es genau diese 60 Mitmenschen waren, die ganz schnell bei Aldi diese Rundreise gebucht hatten und dass diese Reise auch tatsächlich innerhalb von wenigen Stunden ausgebucht war. Ein netter Herr aus Leipzig erzählte uns, dass er an sich noch seine Frau mitnehmen wollte, diese aber nicht immer die Schnellste sei und als er sie dann dazu buchen wollte, gab schon keinen Platz mehr.

Die Sachsen waren schon immer sehr geschickte Verhandlungspartner.

Die Schweizer Reiseleiterin war eine Schweizerin so wie sie im Buche stand. Immer freundlich, immer hilfsbereit, immer unverbindlich, immer irgendwie zögerlich.

Am Nachmittag versuchte ich, einige Überreste aus meiner Zeit in Buenos Aires wiederzufinden. Wir waren sogar auf dem dortigen Friedhof, fanden das Grab von Evita Peron, aber von meiner Mischpoke oder meinen ehemaligen Freunden war nichts zu finden.

In einer langen Taxifahrt versuchte ich das kleine Haus zu finden, wo ich vor gut 40 Jahren meine goldene Zeit verbracht hatte. Leider vergeblich.

In der kleinen Straße, an deren Namen ich mich noch erinnerte, gab es überhaupt keine kleinen Vororts-Häuser mehr. An einer Ecke ein McDonald, einige größere Sozial-Bauten, einige unbedeutende weitere Läden – alles, was ich noch irgendwie von früher im Kopf hatte, gab es nicht mehr.

Damit brauchte ich mich also mit meiner so weit zurückliegenden südamerikanischen Vergangenheit hier nicht weiter auseinander zu setzen.

Dass ich, nebenbei noch viele Stunden, in Buenos Aires herum gelaufen bin, um meinen Computer reparieren zu lassen, will ich hier nicht weiter erzählen. Er hatte wohl aus Sympathie zu mir beschlossen, ebenfalls krank zu werden. Er maulte den ganzen Tag, ich schleppte ihn von einem Computerladen zum nächsten, er wurde vermessen und besichtigt.

Keiner wusste, was los war. Und abends waren – ohne dass ich irgendetwas gemacht hatte – alle seine argentinischen Fehlermeldungen verschwunden.

Am nächsten Tag sollte es dann richtig losgehen.

Mittags wurden wir zum Hafen gebracht, dort war morgens unser Dampfer  eingetroffen.

Abends um 18 Uhr sollte er dann los fahren – als ersten Streckenabschnitt nachts rüber nach Montevideo.

Ich habe in meinem Leben schon sehr viele große Kreuzfahrtschiffe gesehen.

Vor einigen Jahren bin ich mit Freunden mehrmals in der Karibik mit einem größeren Segelboot von Insel zu Insel geschippert und in verschiedenen Häfen haben wir diese großen Kreuzfahrtschiffe liegen sehen.

Aber es ist doch was anderes, jetzt direkt vor so einem Riesen-Dampfer zu stehen und sich zu fragen, was nun in den nächsten 20 Tagen passieren würde.

Aber erst mal musste eingecheckt werden.

Die allermeisten haben den Film „TITANIC“ gesehen. An die Szenen dort im Film wurde ich beim Einchecken stark erinnert.

Unser Dampfer machte eine typische Südamerika-Rundfahrt.

Alle Passagiere, die den Streckenabschnitt Venezuela – Brasilien – Argentinien mitgemacht hatten, stiegen in Buenos Aires aus.

Die neuen Passagiere machten alle den Abschnitt Buenos Aires – Feuerland – Santiago Chile.

Es standen also ungefähr 2.000 Leute in den Abfertigungshallen des Hafens im Buenos Aires herum und alle wollten so schnell wie möglich auf ihr Schiff.

Einige 100 Polizeibeamte, Mitarbeiter der Reederei, Angestellte und Matrosen des Schiffes und sonstige Hafenbehörden-Mitarbeiter waren verzweifelt bemüht, diese Menschenmengen in geordneter Form aufs Schiff zu bringen.

Da man bei so einer Schiffsreise, genau wie im Flughafen, die normale Zoll- und Passkontrolle durchführen muss – denn man verlässt  das Land mit dem Schiff – waren in den Hallen 20 oder 30 provisorische Zoll und Passkontrollstellen aufgebaut worden. 

Danach musste das ganze Gepäck noch durchleuchtet werden.

Ich dachte, an diesem Tag wegen einer eventuellen Terroristen Gefahr, das war aber ein Irrtum, wie sich kurze Zeit später herausstellte

Nach einigen Stunden Schlange stehen bei 40° im Schatten und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit kamen wir an die Reihe, und nach weiteren ziemlich endlosen Momenten waren wir dann endlich an Bord.

Das Gepäck sollte direkt von unserem Hotel in Buenos Aires zum Hafen und dann weiter auf das Schiff und direkt zu unserer Kabine gebracht werden.

Ich muss jetzt gedanklich wieder etwas abschweifen: Das Thema „Schiff und Gepäck“ hat es in sich.

Ich hatte mir mal vor circa 15 Jahren ein Wohnmobil bauen lassen. Dabei lernte ich, dass man nicht so ohne weiteres eine 70 qm große normale Wohnung in 6 qm Wohnmobil-Grundfläche einplanen kann.

Trotzdem habe ich es seinerzeit ganz gut geschafft, allerdings hatte ich mich auch jahrelang vorher mit dem Thema beschäftigt.

Der Hamburger Wohnmobil-Spezialist, bei dem ich das Wohnmobil bauen ließ, sagte mir seinerzeit, dass ein guter Grundriss und eine gute Ausstattung in einem Wohnmobil viel einfacher durchzuführen ist, als eine entsprechende Einrichtung auf einem Schiff.

Für ihn, seine Konkurrenten und Kollegen waren die Schiffsbauer die eigentlichen Könige wenn es darum ging, eine wirklich optimale Raumausnutzung zu erreichen.

Ich behielt diese Aussage im Gedächtnis, da ich aber selber nichts mit Schiffs-Ausrüstungen und -Konstruktion zu tun hatte, nahm ich sie nicht weiter zur Kenntnis.

Als wir dann vor einigen Jahren anfingen, auf einem Segelboot mit fünf Leuten wochenlang durch die Karibik zu segeln, merkte ich die tiefere Bedeutung dessen, was der Wohnmobil Fachmann mir gesagt hatte.

Auf einem Schiff ist alles vorhanden – außer Platz.

Was man auf einem halben Quadratmeter Toilette alles unterbringen kann, hatte ich auf dem Segelboot zum ersten Mal bewusst erlebt.

Dass man in einem einzigen Schrank, der vielleicht so groß ist wie eine Mischung zwischen dem häuslichen Badezimmer-Apotheken-Schrank und einer Kleider-Kammer unter dem Bett in einer älteren Jugendherberge – dass man dort alles bequem unterbringen kann, womit man sich über  mehrere Wochen bekleidet und verlustiert – das alles lernte ich auf dem Segelschiff.

Es gilt die Faustregel: Schiff zu Wohnung gleich 1:10.

Das bedeutet:Auf einem Schiff ist alles zehnmal kleiner und trotzdem möglich.

Man kann es vielleicht am besten erklären mit einem Vergleich eines normalen Hotelzimmers zu einem Zimmer auf einem Schiff.

Ein normales, vielleicht etwas größeres Hotelzimmer hat heute eine Größe von vielleicht 30-40 qm – in Punta Cana haben die Hotels für den gehoben Tourismus so um die 50 qm.

Da kann man bequem alles das unterbringen, was man in seinem 20 kilo-Touristen Koffer mitbringt für eine Zeit von vielleicht zwei Wochen im Durchschnitt.

Ich wusste aus dem Prospekt der Schiffslinie, wo unsere  Kabine liegen würde, denn bei der Buchungsbestätigung gab es  gleich die Kabinen-Nummer.

Es sollte sich um eine gehobene Standardkabine handeln mit eigener Balkon-Terrasse. Etwas noch Besseres konnte man natürlich auch bei Aldi nicht erwarten.

Auf der andern Seite gab es laut Prospekt auf diesem Dampfer acht Kategorien von Zimmern und unsere Kategorie hatte die Nummer vier. 

Schlechter waren all die Innen-Kabinen sowie die Außen-Kabinen, die keinen Balkon hatten.

Aber dieses alles konnte ich aus vielleicht nachvollziehbaren Gründen meiner lieben Frau nicht erklären, als sie in Hamburg anfing, ihre Sachen zu packen, inklusive den 40 oder 50 Geschenken für die allernächste Verwandtschaft sowie die verschiedenen entsprechenden Notausrüstungen für tropische und so arktische Wetterbedingungen.

Wir wurden auf dem Schiff sehr freundlich begrüßt, und da ich mir vom Plan her eingeprägt hatte, wo unsere Kabine liegen würde, fand ich sie auch recht schnell.

An sich war die Kabine recht groß und geräumig – jedenfalls für das Gepäck, was dort rein gestellt wurde, bevor wir selber eintrafen.

Aber dass zusätzlich zu diesen Mengen von Expeditions-Koffern und Taschen auch noch zwei erwachsene Menschen in dieser Kabine Platz finden sollten, daran hatte man wohl beim Einrichten nicht gedacht.

Es ist ungefähr zu vergleichen mit einer Situation, in welcher ein Ehepaar sich mit einem Chauffeur und seinen sechs Koffern zum Zeltplatz fahren lässt, dort sein 2-Mann Zelt aufbaut und dann ganz genau alle Koffer und Taschen in dieses Zelt reinstellt.

Dann sind Koffer und Taschen gut untergebracht.

Man selber sollte das Taxi nicht vorher wegschicken, denn  man braucht es ja noch, um zum nächsten  Hotel zu fahren und sich dort ein schönes Zimmer auszusuchen.

Aber jetzt zurück zum Schiff und zu unserer Kabine.

Als die Tür aufging, war mir schon klar, dass hier irgendetwas passieren musste.

Das Schlechte an der Kabine war, dass sie doch sehr klein war und neben Bett, Schreibtisch und kleinem Sofa kaum Platz war.

Das Gute an der Kabine war, dass sie überhaupt da war.

Da die beiden Betten fest montiert waren, bestand hier keine Möglichkeit, zumindest während des Tages etwas mehr Platz zu finden.

Sehr angenehm war, dass man durch eine sehr große Scheibe, verbunden mit einer Glastür, gut nach draußen sehen konnte – die freie Sicht auf den unendlichen Horizont des Meeres machte einem die Endlichkeit der persönlichen Situation an Bord doch etwas erträglicher.

Der Lichteinfall ins Zimmer ist sehr gut und die gesamte Beleuchtung ist auch sorgfältig ausgewählt.

Man hat von jeder Position aus die Möglichkeit, das Licht zu regulieren – was ganz einfach funktioniert:  Mit ausgestreckten Armen kommt man sowohl an die linke als auch an die rechte Seite der Kabine und kann so mit beiden Händen immer irgendeinen Lichtschalter ertasten.

Das größte Geheimnis war jetzt für mich, wie meine liebe Frau ihre kleine Notausrüstung – also die 160 Kilo – in einen kleinen Kleiderschrank rein sortieren konnte, der vielleicht für zwei kleine Filipinos im Hochsommer oder einen einzelnen amerikanischen Rentner mit Daueraufenthalt im Whirlpool konzipiert war.

Aber auch dies hatte sie nach einigen Stunden geschafft.

Ich bin dann zweimal abends an die Rezeption gegangen, um zu versuchen, gegen entsprechenden Aufpreis ein etwas größeres Zimmer zu bekommen. Leider ohne Erfolg. Mir wurde von unterschiedlichen Mitarbeitern erklärt – und sogar durch einen Blick in die Computerreservierung bewiesen – dass auf dieser Reise der Dampfer vom größten Luxus-Apartment  bis hin zur kleinsten Besenkammer komplett und total  ausgebucht war. Es blieb also nichts weiter übrig, als aus den Gegebenheiten jetzt das Beste zu machen.

Am ersten Abend hat man als Neuling auf so einem Riesendampfer praktisch nichts anderes zu tun, als stundenlang über Korridore, Flure und durch irgendwelche Türen zu laufen, in der Hoffnung, dass man irgendwann begreifen würde, was wohl in den 35 Abteilungen dieses Schiffes alles passiert.

Heute, am dritten Tag der Reise, sind eine Hand voll Passagiere immer noch in den kilometerlangen Gängen, Plätzen und Gebets- und Vergnügungsräumen verschwunden. 

In Chile nennt man sie die desaperecidos, die Schiffsleitung rechnet aber aus Erfahrung immer mit 3 – 4 Prozent Schwund.

Irgendwann wurden wir dann doch müde, und so verbrachten wir die erste Nacht einigermaßen geschafft in unserer neuen Heimat.

In der Nacht fuhr der Dampfer die wenigen Kilometer von Buenos Aires nach Montevideo.

Da ich diese Schiffsreise über den Rio de la Plata in meiner Jugend zwischen 50–100 Mal gemacht hatte, war es nicht nötig, sich den Rest der Nacht an die Reling zu stellen und den Sonnenaufgang zu erwarten – eine Tätigkeit, der sich in dieser Nacht wohl einige Hundert der neuen Passagiere  hingaben.

Am nächsten Morgen beschlossen wir, eine kleine private Stadtrundfahrt durch Montevideo zu machen.

Da die Hauptstadt von Uruguay relativ klein ist und ich sie sehr gut und genau kannte, machten wir alles zu Fuß.

Nach 1 Stunde  hatten wir genügend alte Häuser und kaputte Straßen besichtigt, und ich winkte ein Taxi, um zu versuchen, den Weg zu einem der seriösesten und nettesten Geschäftspartner zu finden, den ich vor 40 Jahren kennengelernt hatte und in dessem großen Lager ich im Laufe von 10 Jahren Südamerika viele hunderttausend Schaf- und Lammfelle besichtigt, klassifiziert, übernommen und verworfen hatte.

Um es kurz zu sagen, der Taxifahrer war sehr freundlich und half eine Stunde lang beim Suchen –  aber gefunden haben wir nichts. Die Adresse hatte ich noch aus dem Internet und über die Handelskammer und sonstige Institutionen vorher erfragt – aber in der Straße, in der diese Spezialfirma für uruguayische Lammfelle gewesen war, gab es nur noch einige Firmen mit Autozubehör sowie diverse Speditionen.

Also auch hier in Montevideo keinerlei Bezug mehr zu meiner privaten und geschäftlichen Vergangenheit.

Nach einem weiteren kleinen Spaziergang gingen wir dann am frühen Nachmittag zurück auf das Schiff.

Es waren wieder rund 20 Grad, die Sonne schien, und die Stimmung war doch besser als am Vortag.

Ich hatte bereits in Hamburg versucht, mich so ausführlich wie möglich per Internet über Schiff und alle Sachen zu informieren, die man als Tourist auf so einem Dampfer möglichst wissen sollte.

Die überwiegende Meinung derjenigen, die im Internet an verschiedenen Stellen über ihre Erlebnisse als Tourist auf diesen Dampfer geschrieben hatten, war: 

Ein recht schönes Schiff, sehr freundliche Besatzung, aber ein sehr ausgeprägter Hang, sich alles bezahlen zu lassen. 

Und damit komme ich jetzt zu einem anderen Thema, mit dem ich in dieser Form vorher überhaupt nicht gerechnet hatte.

Es wurde diese Kreuzfahrt angeboten und verkauft als „alles inklusive“ sowie dem Zusatz „mit ein paar Ausnahmen“.

Die Wahrheit sah doch etwas anders aus. 

Es gibt zum Beispiel laut Prospekt – und auch in Wirklichkeit – hier auf  dem Schiff 11 Restaurants.

Nur, dass von diesen insgesamt 11 Restaurants 7 nur dann benutzt werden können, wenn man pro Mahlzeit und pro Person einen Betrag zwischen 10 und 25 US-Dollar extra zahlt. Davon war vorher an keiner Stelle etwas zu erfahren.

Es gab dann einige Wochen vor der Abfahrt eine E-Mail der Reederei an alle diejenigen, die eine Reise gebucht hatten, in der man mitteilte, dass auf diesem Schiff kein Trinkgeld- Zwang herrscht,  denn Trinkgeld sei bestens automatisch geregelt.

Bisher hatte man pro Person (pro Teilnehmer) und pro Tag einen Zwangsbetrag von 10 Dollar kassiert und dieser Betrag, so  wurde jetzt angekündigt, werde auf 12 Dollar pro Person und Tag erhöht werden – bedeutet also für uns beide, dass wir erst mal pro Tag 24 Dollar Zusatzkosten haben würden. 

Dann sind sämtliche Getränke separat zu bezahlen. Eine Dose Cola mit 3 Dollar, Mineralwasser 3–5 Dollar, ein Glas Wein 8 Dollar,  eine Flasche Wein 20–30 Dollar. Alles, was man schlucken kann, muss hier teuer bezahlt werden. Das war mehr als jedes Schweizer Preisniveau.

Dabei hatte es sich ursprünglich in dem Prospekt wie folgt angehört: 

…Freie Getränke: Wasser und Kaffee und Tee wird bei jeder Mahlzeit und zu jeder Tageszeit frei angeboten…

Natürlich galt der Umkehrschluss: Alles außer Wasser und Kaffee und Tee muss hier teuer bezahlt werden.

Am  Anfang jeder Reise werden die Pässe  und die Kreditkarten in der Lobby einbehalten.

Wie ich jetzt weiß zum Schutz, dass keiner irgendwo an Land abhaut, weil er inzwischen pleite ist. 

Man bekommt eine kleine Plastikkarte, die bei jedem Kauf von irgendwas ausgehändigt werden muss und die automatisch alles von der ebenfalls einbehaltenen Kreditkarte abbucht.

Da wir mit diesem System zwar schnell vertraut, aber doch nicht sehr glücklich waren, hatte ich mir auf dem Landausflug in Montevideo eine Flasche Martini und eine Flasche Gin gekauft, um sie auf unserem Zimmer aufzubewahren.

Als wir vom Landgang in Montevideo wieder zurück im Schiff waren, gab es für jeden Rückkehrer eine Kontrolle wie im Flughafen. 

Das gesamte Handgepäck wurde auf Laufbahnen gestellt und durchleuchtet.

Der Matrose, der neben diesem Gerät saß, erkannte sofort, wenn man auch nur eine kleine Flasche mitgebracht hatte und diese wurde gnadenlos aus dem Gepäck rausgeholt und sichergestellt. So auch bei uns.

Wir bekamen dafür eine Quittung und dürfen erst am letzten Tag der Reise diese beiden Flaschen irgendwo hier auf dem Schiff wieder abholen.

Jeder Tropfen hier auf dem Dampfer muss hier an Bord gnadenlos gekauft und bezahlt werden.

Als mir diese Situation dann klar war, wartete ich genüsslich die Rückkehr einer Ausflugsgruppe ab, die frühmorgens mit 12 Bussen zu einer großen Stadtrundfahrt und anschließend zu einer Estanzia mit Weinanbau gebracht wurde.

Natürlich mit der obligatorischen Wein-Verköstigung und anschließendem Verkauf der Weine – Flaschen- und Kartonweise.

Dieser Ausflug war am Tag vorher für 130 Dollar pro Person angeboten worden und bestimmt von einigen 100 Leuten gebucht worden.

Die Weinhersteller haben laut Auskunft einen einheimischen Fahrer, den ich fragte und der sich, wie alle Fahrer, über ein ganz mickeriges Trinkgeld ärgerte. Mehrere hundert  Flaschen inklusive diverser größerer Kartons wurden zum Abschluss dieser heutigen Rundfahrt an die Touristen verkauft.

Als diese dann damit ins Schiff zurück kamen, hatten sie zwei Optionen:

Entweder der gekaufte Wein wurde konfisziert und am letzten Tag der Reise wieder ausgehändigt, oder sie konnten den Wein behalten und mussten dann 15 US-Dollar Korkengeld pro Flasche bezahlen.

Ich nehme an, es ist für viele der Leute der teuerste Wein geworden, den sie jemals in Südamerika bekommen haben.

Auf der anderen Seite wusste ich, dass es auf dem Schiff selber auch eine sehr große „Duty Free“ Verkaufshalle gab. Wir sind an diesem großen Shop bereits mehrmals vorbei gelaufen.

Und abends wollte ich es dann genau wissen – wie  es dort läuft mit Kaufen und Saufen.

Nelly und ich also abends rein in den Laden zum Beobachten.

Es gab dort alle üblichen Artikel wie in jedem Duty Free Laden an jedem Flughafen der Welt, nur sehr viel teurer, aber dafür mit viel mehr Personal, welches perfekt geschult war, in allen möglichen Sprachen alles mögliche zu verkaufen.

Ich beobachtete, wie einige der frustrierten Landwein-Touristen sich abends als Ersatz eine Flasche Whisky oder Cognac kaufen gingen, vielleicht in der stillen Hoffnung, jedenfalls diesen Seelentröster dann in der Kabine zu genießen.

Aber auch hier war der Wunsch der Vater des Gedankens.

Nachdem die Leute ihre Flasche Whisky mit 50 Dollar oder Cognac mit 80 Dollar  bei der Kasse bezahlt hatten, nahmen die freundliche Verkäuferinnen ihnen alle Flaschen nach dem Bezahlen wieder weg und schoben den verdutzten Kunden einen kleinen Zettel zu, den sie bitte  unterschreiben sollten.

Da war genau aufgedruckt, welche Marke an welchem Tag zu welchem Preis gekauft wurde inklusive der Kabinen Nummer. Und auch diesen Leuten wurde dann freundlich zum zweiten Mal an diesem Tag erklärt, wo sie ihren soeben gekauften Alkohol am letzten Tag der Reise abholen konnten.

Mich erinnerte diese Situation so ungefähr an folgenden Vergleich:

Ein braver Kunde geht in Hamburg in den Puff. Er sieht viele schöne Mädchen im Empfangszimmer und sucht sich eine aus. Wie üblich wird als erstes bezahlt.

Dann geht er mit seinem lieben Mädchen zu ihrem Arbeitszimmer.

Aber vorher müssen sie noch über einen kleinen Korridor.

Und dort sitzt – so ähnlich wie bei einem Arzt – eine Art Sprechstundenhelferin vor einem großen Computer.

Und diese freundliche Krankenschwester am Computer sieht dem verdutzten braven Mann fest in die Augen.

Dann blickt sie auf ihren Computer und flötet dem mittlerweile schon recht Verzweifelten zu:  

Wir haben am Dienstag in 2 Wochen noch Termine frei. Wenn Sie aber eher kommen wollen (lach, lach) kann ich Ihnen kommenden Freitag entweder morgens gleich früh um 9.10 Uhr oder nachmittags 16.55 Uhr noch 2 Termine anbieten – was soll ich eintragen?

Das vorher mit großer Sorgfalt und unter vielen Vergleichsmöglichkeiten bestens ausgesuchte Objekt seiner früheren Begierde ist inzwischen still zurückgekehrt in den Raum, wo ihre Kolleginnen sitzen, um sich am dort aufgestellten Fernseher die permanente Wiederholung des Silvester-Klassikers anzusehen – same procedure as last year …same as every year…

Der gute Mann selber hat inzwischen wohl begriffen, dass er etwas gekauft und bezahlt hat, was er erst in zwei oder drei Wochen genießen darf.

Aber Vorfreude ist bekanntlich auch die schönste Freude.

Soweit zum Thema Verkaufen auf dem Schiff.

Ich bin sicher, es werden uns im Laufe der nächsten Tage noch weitere Momente präsentiert, in denen wir die ausgeklügelte Verkaufstechnik auf diesem Dampfer bewundern können.

Wir werden es überleben und auch dabei nicht an die Decke gehen, denn unsere Zimmer sind nicht sehr hoch.

Inzwischen ist der dritte Tag angebrochen. Wir sind auf der Strecke Montevideo zur Halbinsel Valdez, um dort Seelöwen und See-Elefanten zu besichtigen.

Für mich ergibt sich die Frage, was wir dort machen wollen.

Denn eine Seelöwin, die wie eine richtige Seelöwin um ihre Kinder und Familie kämpft, habe ich bereits seit einigen Jahrzehnten bei mir zu Hause.

Und ich als braver See-Elefant sitze die ganze Zeit neben ihr.

Das bedeutet, dass wir das Thema Seelöwen- und See-Elefanten-Besichtigung eigentlich schon vor 40 Jahren einigermaßen gelöst haben    also was sollen wir dort? 

Aber wir haben ja noch bis morgen früh Zeit, uns konkret zu entscheiden.

Im übrigen ist das Wetter heute morgen ziemlich umgeschlagen.

Vorgestern 38, gestern 33 Grad, heiß und schwül – heute morgen kalt, 17 Grad und sehr windig –

Wir fahren jetzt immer weiter in den Süden…

Arktis, wir kommen.

Und wenn’s so weiter geht, veröffentliche ich eben diesen Bericht zusammen mit dem, was vielleicht noch kommen wird, und wir leben dann davon glücklich bis ans Ende unserer Tage hier irgendwo zwischen Lobby, Casino und vielen schönen Besenkammern.

………………………………………………………..

Reisebericht Teil zwei

Jetzt sind wir bereits eine Woche auf diesem schönen Schiff.

Natürlich will man versuchen, sich irgendwann klar zu werden, mit was für Menschen man es hier hauptsächlich zu tun hat.

Bei 2.000 Mitleidenden ist es unmöglich, alles über einen Kamm zu scheren. Aber eine gewisse Grundauswahl kann man sicherlich schon machen.

Man kann sie zum Beispiel nach Altersgruppen sortieren.

Das ist auch relativ einfach, denn die ersten sechs Gruppen braucht man nicht zu erwähnen. Die Altersgruppen Baby, Kleinkind, Kind, Jugendliche, junge Paare, Erwachsene – all das gibt es hier auf diesem Schiff nicht.

Jugend fängt hier mit 50 an. Und das Durchschnittsalter dürfte so bei 68,5 liegen.

Gestern haben wir einen ganz jungen Mann getroffen. Er sagte, er sei erst 53 und man habe ihm beim Essen ein Kinderbesteck mit Löffel und Schieber serviert.

Wenn er in Hamburg leben würde, hätte ich ihn sofort zum Spielführer unserer Jugendabteilung im Hamburger Bridge Club gemacht.

Auch wenn somit über die Altersstruktur vielleicht schon das Wesentliche gesagt ist, soll das nicht bedeuten, dass es sich nur um tatterige Veteranen handelt.

Wenn morgens oder mittags in den diversen Restaurants Hochbetrieb herrscht, dann sind diese Jungs voll in Form.

Sie kommen mit ihren elektrischen Hochleistungs-Rollwagen aus allen Fahrstühlen geschossen und rasen damit von Buffet zu Buffet.

Solche Aspiranten für die Mümmel-Formel 1 kennen weder Schmerz noch Gnade.

Ab und zu werden bei diesen Verfolgungs-Rennen zwar einige voll gedeckte Tische und gelegentlich die Omelett- und Haferschleim-Abteilungen gerammt und versenkt, aber wir befinden uns ja auf einem Schiff.

Neben diesen Senioren-Umwelt-Aktivisten – denn sie fahren ja alle Elektro-Roller – gibt es noch die Spezies der Alles-Probierer.

Sie laufen mit 4–5 Tellern in der Hand vom Hering zur Sahnetorte und über Sushi zum Apfelstrudel – von allem wird probiert und alles wird irgendwie zurückgegeben. 

Teils direkt am Buffet, teils am Tisch, teils später.

Als ich bei einem freundlichen Nachbarn auf dessen Frühstücksteller eine bunte Mischung von Apfelmus, Heringssalat, Kaffeesahne und Rührei sah und ihn freundlich fragte, ob er das noch zu verspeisen gedenke oder dieses schon gegessen habe, verstand er meine Fürsorge nicht ganz. 

Es würde zu weit führen, hier jetzt noch weitere Schilderungen über die verschiedenen Gruppen der Kreuzfahrt-Bevölkerung auf diesem schönen Schiff zu machen.

Aber man versucht natürlich trotzdem, diese 2.000 Menschen gedanklich irgendwie in für sie typische Gruppen einzuteilen.

Deshalb kann man sagen, dass es sich zum Beispiel dem Typ nach bei 40 Prozent um eine Ausflugsgruppe der Hundesteuer-Sachbearbeiter des örtlichen Finanzamtes aus Gelsenkirchen-Mitte handelt.

Diese Menschen sind ruhig, ausgeglichen, sehr beschlagen und unterhaltend auf ihrem Fachgebiet und ansonsten nicht weiter gefährlich.

Wer nun nicht gerade zu der Leitung oder zum Gefolge dieser Hundesteuer-Sachbearbeiter gehört, ist mit einiger Sicherheit der zweiten großen Gruppe zuzuordnen. 

Es handelt sich um die „rund-um-das-Schiff-Läufer“.

An einem Tag wie heute – wir fahren ohne Unterbrechung über den offenen Südatlantik – laufen sie, ohne Unterbrechung, von morgens bis abends immer rund um das Schiff. 

Immer so wie bei Aldi.

Rechts angefangen, an den Getränken vorbei, über Obst und Gemüse, zu Unterwäsche, Computern und Matrazenschonern, um dann elegant zwischen Wurst und Käse, Hundefutter und Strohblumen bei Diät-Margarine und Eiern aus Bodenhaltung zu landen.

Dann ist man wieder in der sorgfältig vollgestellten Getränkeabteilung angelangt, und die nächste Rundfahrt wird eingeläutet.

Anstelle des Einkaufswagens haben sie hier alle einen Schiffsplan in der Hand. 

Aber da das Erkennen von zusammenhängenden Wörtern oftmals eine gewisse Schwierigkeit bereitet und die Bilder in ihrem Schiffs-Katalog zusätzlich mit Fremdsprachen unterlegt sind, verlassen sie sich nach einigen Tagen und so ab 130 Umrundungen lieber auf ihren ausgeprägten Ortssinn.

Die aufgeregten Schreie des Entzückens, wenn sie nach 60 Minuten wieder den Ausgangspunkt ihrer stündlichen Schiffs-Umrundung erreicht und diesen als solchen wiedererkannt haben, sind immer wieder ein rührendes Zeichens ganz persönlichen Glücksgefühls.

Dann gibt es noch die kleine Gruppe der Schiffsspezialisten.

Sie kennen alles von der christlichen Seefahrt und sind mit jeder Situation auf diesem Schiff vertraut.

Schwierig wird es nur, wenn sie etwas mit dem Begriff von links, rechts, Backbord, Steuerbord,  Luv oder Lee kommunizieren. 

Dass die Steuerbordseite mal in Luv und mal in Lee sein kann, je nachdem, nach welcher  Himmelsrichtung der Dampfer fährt und dass man links und rechts vertauschen kann, je nachdem, ob man etwas von vorne oder von achtern betrachtet, dass Backbord und Steuerbord hiervon jedoch niemals betroffen sind – das ist für die allermeisten Badewannen-Kapitäne doch etwas zu verwirrend.

Somit reduziert sich die Rhetorik der gepflegten Halbbildung und damit der Erfolg oder Misserfolg gegenüber unseren Mitmenschen wie immer auf das eigene Auftreten.

Mit dem Brustton der Überzeugung und frei von jeglichem Selbstzweifel sind schon ganze Religionen in diese schöne Welt gesetzt worden.

Doch zurück zum Schiff und ihrer aktuellen Bevölkerungsstruktur.

Die aus meiner Sicht passendste Bezeichnung dieses gemischten Volkes hier an Bord möchte ich mit einem kleinen Vergleich beschreiben: 

Jeder von uns hat im Laufe der letzten 20 Jahre irgendwann einmal den schönen Film von Herrn Forman gesehen, der mit Jack Nicholson einfach  prächtig in der Hauptrolle besetzt war und der in Deutschland den Titel „Einer flog über das Kuckucksnest“ erhielt. 

Wir wissen alle, in welchem Ambiente der gute Nicholson sich aufhielt und dabei noch profilieren musste.

Wenn wir jetzt einen direkten Vergleich zwischen den Menschen hier an Bord und den Menschen sehen, die in diesem Film in einer geschlossenen Anstalt lebten, so kann man das vielleicht so vergleichen: 

Verglichen mit dem, was sich hier auf dem Schiff so abspielt, handelte es sich bei den Mitmenschen von Nicholson im Kuckucksnest-Film um eine Versammlung von Nobelpreisträgern im Fitnesscenter. 

Gestern haben wir den ganzen Tag einen Landausflug an der argentinischen Ostküste entlang gemacht – es handelte sich um die Halbinsel Valdez.

Sie ist einem Millionenpublikum inzwischen bekannt geworden durch die Filmaufnahmen, in denen ein Orca-Killerwal direkt auf den Strand schwimmt und dort einige Seelöwen verspeist.

Auf dieser Halbinsel Valdez gibt es verschiedene Punkte, wo auch heute noch große Seelöwen und Seeelefanten-Kolonien zu besichtigen sind.

Daneben gibt es Felsen mit Pinguinen und Gebiete, in denen andere Meeresbewohner wie zum Beispiel kleinere Seehunde sich am Strand ausruhen.

Das alles sollte recht schön zu sehen sein, auch wenn wir vorher drauf aufmerksam gemacht wurden, dass die Seelöwen und See-Elefanten nur bei Ebbe an den Strand kommen.

Um zu diesen Tier-Beobachtungspunkten zu kommen, musste man 3 Stunden mit dem Jeep durch die Pampa nageln.

Als wir schließlich dort ankamen, war gerade keine Ebbe, aber wir konnten genau besichtigten, wie die Felsen aussehen, auf denen diese schönen Tiere liegen, wenn sie denn dort liegen.

Die Pinguine waren alle irgendwie gerade in der Mauser.

Es sah schon recht traurig aus: Ein Pinguin ohne Federn sieht aus wie eine Feldratte im Frühling – ein Pinguin ohne Federn ist irgendwie ein ziemlich nacktes und lächerliches Geschöpf. 

Von den übrigen Tieren wissen wir, dass es sie auf dieser Halbinsel geben soll, denn wir haben davon in den Touristen-Info-Ständen viele Fotos gesehen. 

Leider war die Zeit nicht ausreichend, um deren Nest oder Brutplätze noch zu besichtigen, aber auf diese Art und Weise haben wir die Natur optimal geschützt und unsere Zeit gut ausgenutzt.

Auf diesem Landausflug lernten wir unsere Zimmernachbarn kennen. 

Sie kommen beide aus dem Ruhrgebiet.

Und da sie auch nicht gewillt waren, eine dieser total überteuerten Schiffsausflüge zu buchen, waren sie heilfroh, als ich ihnen anbot, zu viert per Taxi uns privat zu organisieren. 

Es handelte sich um ein nettes Ehepaar aus einem Gebiet südlich von Harburg, und die Übersetzungen klappten während der ganzen Zeit sehr gut. 

Ich übersetzte das Spanisch des Taxifahrers und Naturkunde-Führers ins Hochdeutsch und die Frau übersetzte es weiter in die Sprache, die man dort sprach, wo sie beide herkamen.

Es muss irgendwas mit linksrheinischem Ruhrpott zu tun gehabt haben, ich kannte diese deutsche Provinz bis dahin überhaupt noch nicht.

Da – wie bereits beschrieben – sich die Anzahl der lebend zu besichtigenden Wassertiere in  überschaubaren Grenzen hielt, wobei ich nicht verschweigen will, dass wir einmal 2 kleine Punkte im Meer kurz vor dem Horizont erblickten und es sich dabei laut unserem Taxifahrer um Carlos, den halbblinden See-Elefanten und seinen Führer handeln soll, denn diese beiden haben die dortigen Gezeiten nicht mehr so ganz in ihrem inneren Kompass – da wir also aus diesem Grund recht viel Zeit im Taxi zusammen verbringen konnten, führten wir nach Ablauf der zwei norddeutschen Schweige- und Kennenlern-Stunden dann angeregte  Gespräche

Es ergab sich, dass der weibliche Teil unserer Nachbarn und Mitreisenden in diesem Taxi im Bankgeschäft tätig war.

Diese freundliche Dame arbeitete bei der Commerzbank in Düsseldorf in der Abteilung Vermögensberatung für wohlhabende Privatkunden.

Ich sage hier ausdrücklich arbeitete, denn mit dieser Vergangenheitsform soll bereits hier darauf hingewiesen werden, dass sich dies in Kürze ändern wird.

Als ich sie ein bisschen fragte, welche Anlagenstrukturen sie denn dort ihren vermögenden Privatkunden empfehle und wie das alles so abläuft, fing sie an aus dem Nähkästchen zu plaudern.

Sie wollte mir an sich dabei auch gleich eine kleinere Menge von Schiffs-Obligationen, Rohstoff-Derivaten und sonstige klar strukturierte Vermögensanlagen verkaufen.

Da es links und rechts der Strasse nur Pampa, einige Guanakos und Gürteltiere und sonst nur Grass und Wind gab, konnten wir uns voll auf den interessanten Stoff dieser Unterhaltung konzentrieren.

Ich erklärte zuerst meiner Frau, die interessiert zuhörte, dass der Sinn einer professionellen Vermögensberatung darin besteht, das Geld des Kunden so lange umzuschichten, bis nichts mehr da ist.

Daraufhin verlor meine gute Frau das Interesse an den weiteren Details, und wir konnten zu den etwas schwierigeren Einzelheiten kommen.

Da ich es meiner Frau in spanisch erklärte, wollte nun auch der Fahrer wissen, worüber wir uns so angeregt unterhielten, und ich klärte ihn auf, dass jemand, der im Laufe seines Lebens viel Geld verdient hat, für eine Vermögensberatung ein interessanter Kunde geworden ist.

Wenn er aber soviel Geld im Laufe der Zeit selber verdient hat und trotzdem nicht in der Lage ist, mit all seinem Wissen um das Geldverdienen sein eigenes Geld zu verwalten , dann braucht man kein Mitleid mit ihm zu haben, wenn er es am Ende seiner Laufbahn einer Vermögens-Verwaltung übergibt, die nach diversen Spekulationen dafür sorgt, dass es sich ganz zum Schluss wieder um eine kleine und überschaubare Sparkassen-Anlage handelt. 

Der Fahrer verstand die Hälfte und fuhr noch schneller, für ihn reduzierte sich die Frage des Geldes auf die Erwartung, ob er am Ende ein Trinkgeld erhielt oder nicht.

  

Dann nahm ich das angenehme Gespräch mit der netten Vermögensberaterin wieder auf.

 

Ich verkaufte ihr zuerst ungefähr 40.000 qm Sandstrand im Urwald von Samana.

Dann einige chinesische Gerbereien und kurz vor Erreichen des Ziels 40 Prozent einer Urwaldsiedlung im oberen Orinoko in Nordbrasilien, wo ich vor 35 Jahren zwei Goldstücke gefunden hatte.

Als sie mir diese Anlagen zurück verkaufen wollte, und sei es auch nur mit großem Verlust, denn die Preise für diese Objekte waren in der letzten halben Stunde doch sehr stark gefallen, musste ich zu meinem Bedauern schlussendlich aber einen Rückkauf ablehnen. 

Die Zeiten haben sich eben geändert.

Sie hat dann mangels Besichtigungsmöglichkeiten von Orca und Seeelefanten auf der Aussichtsplattform des Besichtigungs-Turmes hoch über dem Meer ihre Kündigung  an die Commerzbank geschrieben und wir werden gemeinsam versuchen, ihre Zukunft als Vorsitzende des Betriebsrats der danach  umgehend gegründeten Henckell-Südamerika SA   so gut wie möglich zu gestalten.

Morgen haben wir die Falklandinseln vor uns und ich habe sicherheitshalber schon mal ein Taxi bestellt, mit dem wir vier dann wieder über dieses kleine Eiland fahren werden. 

Vielleicht kaufe ich dabei einige der chinesischen Gerbereien zurück, und als Gegenleistung muss sie in den nächsten 2 Tagen Bridge spielen lernen, damit ich hier an Bord eine kompetente Partnerin habe.

Vielleicht noch ein Wort zu der Verpflegung hier an Bord. 

Ich meine dabei weniger die Qualität der Speisen, über die ich vielleicht einmal zu einem späteren Zeitpunkt berichten werde – sondern vielmehr die Strukturen des Kampfes, die langsam erkennbar werden, wenn man überhaupt etwas essen möchte.

Die beiden Hauptrestaurants – die einzigen, die man ohne größeren Zuschuss benutzen kann – bestehen aus zwei großen Räumen mit jeweils so 60–80 Tischen.

Daneben gibt es in jedem Restaurant so die 80–100 Kellnerinnen und Kellner, überwiegend Philipinos und andere Asiaten, die aus den unergründlichen Tiefen dieses Schiffes immer wieder hervorquellen und in den Restaurants und Bars dann in Reih und Glied versammelt sind.

Die überwiegende Anzahl dieser Bediensteten ist dazu da, den hungrigen Besuchern Wein, Bier oder Wasser zu verkaufen, bevor sie irgendeinen Tisch erreichen. 

Hierzu stellen sie sich sehr geschickt in alle  Gänge, die zu irgendwelchen Tischen führen und verhindern so gekonnt den Vorgang des sich Hinsetzens ohne Gläser oder Flaschen.

Für Mitmenschen ab mittlerer Reife kann man das auch als das Mühle-Spiel-System bezeichnen.

Man muss dabei verhindern, dass der Gegner eine Mühle bekommt und dazu alle seine Truppen so setzen und bewegen, dass der Gegner blockiert wird.

Steht das Getränk zusammen mit der Rechnungskopie schließlich auf dem Tisch, ist das Essen inzwischen kalt und vielleicht auch schon von den Nachbarn geklaut worden.

Aber viel trinken soll ja gesund sein.

Bei den diversen kleineren Restaurants, die sich in ähnlicher Form an den Längsseiten des Schiffes befinden, ist das System noch einfacher.

Man kann sich einen Intercity-Eisenbahn -Speisewagen vorstellen.

Links und rechts immer kleine Tischchen, in der Mitte ein schmaler Durchgang und dieser Durchgang wird nun verstellt von 8–10 netten, kleinen und immer lächelnden Filipinos oder Kolumbianern, oder wo auch sonst diese  freundlichen Kellnerinnen und Kellner alle herkommen.

Dass man in solcher Situation ausschließlich die Alternative hat, entweder am Tisch zu verhungern oder sich – bevor man endgültig umfällt – erst einmal eine Flasche Wein oder lieber gleich einige Wassergläser Wodka zu bestellen, ist dem geneigten Leser inzwischen sicherlich auch klar geworden.

Dass trotzdem so relativ wenig Mitreisende hier in den ersten Tagen verschwunden sind oder einfach aufgegeben haben, liegt einfach daran, dass reiner Alkohol lebenswichtige Kalorien in ausreichender Menge enthält.

Ich hatte mich an anderer Stelle bereits über die doch sehr gediegene Preisvorstellung der Reederei geäußert.

Als ich den ersten Bericht geschrieben hatte und ihn per E-Mail rausschicken wollte, habe ich mich mal etwas intensiver mit den Internet-Kosten hier an Bord befasst.

Für diejenigen, die nicht so bewandert sind mit diesem Thema, hier nur einige Vergleichszahlen:

Heute hat man praktisch überall auf der Welt eine „Flatrate“, das heißt, man bezahlt für die Internet-Benutzung in einem Monat einen bestimmten Pauschal-Preis, egal wie lange man das Internet benutzt.

Dieser Pauschalbetrag beträgt in Hamburg circa 50 Dollar (da hier alles in US-Dollar abgerechnet wird, bleibe ich jetzt und auch in Zukunft immer bei den Dollars als Vergleichswährung).

In der Dom Rep haben wir diese Flatrate für circa 80 Dollar im Monat. 

Man kann natürlich auch irgendwo auf der Welt in ein Internetcafé gehen und dort nur für die Zeit bezahlen, die man das Internet wirklich braucht.

Wenn ich theoretisch jetzt einmal die deutschen oder dominikanischen Internet-Café-Preise umrechne auf Basis einer virtuellen Monats –  Flatrate, so würde mich eine Internet Café-Flatrate in Hamburg oder in der Dom Rep circa 1700 bis 2000 Dollar kosten.

Hier an Bord gibt es nur eine Zahl – eine Minute kostet 0,70 Dollar.

Wenn ich das jetzt hochrechne – 60 Minuten mal 0,70 Dollar mal 24 Stunden mal 30 Tage, so erhalte ich den geringfügigen Betrag von genau 30.240 US-Dollar für einen Monat Internet auf diesem schönen Schiff.

Soviel kann ich nun beim besten Willen weder fürs Schreiben noch fürs Senden ausgeben und bitte deshalb um Verständnis, wenn dieser zweite Bericht etwas kürzer ist als der erste Teil – nebenbei auch ein gelungener Grund, hier Tschüß zu sagen.

In 2 Stunden sollen wir Kap Horn umrunden – der dritte und hoffentlich letzte Teil dieser Trilogie kommt dann aus dem Pazifik.

PS:

Meine liebe Frau schaut mir über die Schulter, deswegen zum Schluss das Wort zum Ostersonntag:

Solche Schiffsreisen sind wie Heiraten – man macht sie gleich zweimal.

Das erste und das letzte Mal.  

Oder es gilt auch hier die Alternative: Festhalten und Weitersuchen.

PPS:

Jetzt sind wir gleich am Kap Horn angelangt und es wird doch merklich rauher draußen auf dem dunklen Meer.

Überall auf dem Schiff sind jetzt dicke Haufen von weißen Papiertüten hingelegt worden für diejenigen, die den Weg in die Kabine oder in die Behinderten-Toilette nicht ganz geschafft haben.

Dabei gibt es doch ein ganz einfach Mittel gegen diese tückische Seekrankrankheit: 

Man braucht sich nur unter einen Baum zu setzen.

 

Folge  3

Jetzt nähert sich diese schöne Reise bald ihrem verdienten Ende. 

Ich habe seit mehreren Tagen nichts mehr geschrieben, sondern versucht, alles das, was sich hier in den vergangenen Tagen an Berichtenswertem auf diesem Schiff und auch an Land ereignet hat, im Kopf zu speichern, um es dann nach der nötigen Zeit in entsprechender Form aufzuschreiben.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch die berechtigte Frage eines interessierten Lesers beantworten: „Warum schreibst du das alles eigentlich?“

Die Antwort besteht aus zwei Teilen: 

Zum einen hatte ich mir bereits seit längerem vorgenommen, einmal einige für mich wesentliche Teile meines Lebens einfach aufzuschreiben.

Zum anderen hatte ich keine Ahnung, wie sich diese Schiffsreise rund um Kap Horn im Einzelnen entwickeln würde.

Ich nahm an, dass ich – unterstützt von diesem für mich neuen „sprich in den Computer und der schreibt alles von alleine auf “ Sprachprogramm, hier auf dem Schiff genügend Zeit haben würde, mich mit den Ereignissen der Vergangenheit, sowohl der älteren als auch der neueren, etwas intensiver auseinandersetzten zu können. 

Dann wollte ich es in der mir eigenen Sprache und Form so aufschreiben, dass ich damit Familie und Freunde wieder mal richtig quälen kann.

Aus dieser Idee, kurz vor Feuerland eine gepflegte Lebensbeichte abzulegen, ist nichts geworden.

Maßgeblich daran beteiligt sind die ganz wenigen Freunde, die es bis heute mit mir ausgehalten haben.

Als ich sie über meine Absicht informierte und mir dafür, von vornherein, eine Generalamnestie erbat, rieten sie mir aus den verschiedensten Gründen dringend davon ab.

Ich habe Gott sei Dank inzwischen so viel Lebensweisheit erreicht, dass ich diese guten Ratschläge befolge.

Aus diesem Grunde habe ich zwar wesentliche Punkte aus meiner zweiten Lebenshälfte aufgeschrieben, die Veröffentlichung – wenn auch nur für den kleinsten Kreis bestimmt – jedoch mit einer Sperrfrist von 29 Jahren ab Todestag belegt.

Das dürfte ausreichen.

Somit habe ich hier an Bord zwei Themenkreise:

Zum einen die Schilderung einer Schiffsreise frei nach Thewes.

Zum anderen liegen auf meinem kleinen Schreibtisch hier in der Kabine diverse Zettelchen mit Stichworten aus den Anfängen meiner beruflichen Laufbahn – im Prinzip handelt es sich hierbei um die ersten 10 Berufsjahre, die ich überwiegend in Südamerika verbracht habe.

Was genau ich damit mache und wie ich es anstelle, diese beiden Sachen in irgendeiner Form zu verbinden, weiß ich in diesem Moment noch nicht.

Vielleicht werde ich einiges, was sich auf diese 10 Jahren Südamerika bezieht in kürzeren Absätzen einfliessen lassen und dann – zum besseren Unterscheiden – kursiv ausdrucken. 

Ansonsten soll es einfach nur der dritte Teil einer leicht verfremdeten Reisebeschreibung werden.

Wir haben inzwischen nach dem Besuch der Falkland-Inseln, einer erfolgreichen Umrundung von Kap Horn und dem Besuch der beiden südlichsten Städte der Welt – Ushuaia auf der argentinischen Seite Feuerlands und Punta Arenas auf der chilenischen Südspritze dieses Kontinents – den  Pazifik erreicht und tuckern langsam wieder gen Norden.

Seit 2 Tagen sucht das Schiff sich dabei seinen Weg durch die verschlungenen Inseln und Wasserstraßen der südchilenischen Seen- und Bergkette.

Es gibt hier über hunderte von Kilometern keine Strassen, kein einziges Fischerdorf und keine sonstigen Zeichen irgendwelcher Besiedlung oder Zivilisation – einfach nur Inseln, Wälder und Meer.

Leider regnet es seit zwei Tagen praktisch ununterbrochen und die Sicht ist dadurch nicht sehr gut. Aber im Grunde genommen gibt es auch nicht viel zu sehen – links und rechts vom Schiff verlaufen Hunderte von kleinen und größeren Inseln, alle leicht bewaldet mit Gestrüpp und einigen niedrigen Bäumen.

Größere Berge ab vielleicht 200 bis 300 Metern Höhe  haben oben eine gleichmäßig verlaufende Schneedecke und ansonsten ist alles total einsam und verlassen.

Es gibt keinerlei Siedlungen, nicht einmal einzelne Hütten oder kleiner Häuser an dem Ufer der Seen oder des Meeres. Keinerlei  Rauch oder Feuerstellen an den gesamten Hängen der Berge.

Diese absolute Einsamkeit ist auf der einen Seite schon imposant, andererseits macht diese Landschaft dadurch aber auch den Eindruck einer durchgehenden Trostlosigkeit.

Die Wasserstraße, die wir jetzt seit zwei Tagen und zwei Nächten befahren, ist zwischen 200 und 800 Metern breit.

Bei der gigantischen Größe unseres Schiffes und der Höhe, von der wir vom Balkon aus auf die Landschaft sehen (unsere Kabine, frei nach den Vorschriften des sozialen Wohnungsbaus, befindet sich im achten von insgesamt zwölf Stockwerken) – bei dieser Aussichtsposition erscheinen beide Ufer praktisch zum Greifen nah.

Es bedarf mit Sicherheit einer größeren dichterischen Kunst und Ausdrucksweise, um diese Landschaft, diese absolute Einsamkeit, gepaart mit Leere und Trostlosigkeit, entsprechend zu beschreiben. Da aber diese Art einer gepflegt-elegischen Grundstimmung gar nicht dem Stil meiner  Berichterstattung entspricht, werde ich mich auf das konzentrieren und beschränken, was wir in den letzten Tagen an Land und auf See erlebt haben.

Von der argentinischen Halbinsel Valdez aus fuhren wir über den Südatlantik zu den Falklandinseln.

Nach zwei Tagen erreichten wir diese kleine Inselgruppe und ich war wirklich gespannt, was uns dort erwarten würde.

Ich muss vielleicht hinzufügen, dass  neben Bridge, Kalbsleber, Windsurfen und Tucholsky auch die  Geschichte aller arktischen und antarktischen kleinen und kleinsten Inseln zu meinen ganz persönlichen  Lieblings-Beschäftigungen zählt. 

Ich glaube nicht, dass es viele andere Menschen gibt, die so viele Stunden ihres Lebens über irgendwelchen alten Atlanten und Geschichtsbeschreibungen gesessen haben, um sich mit diesen kleinen, unwirklichen und völlig abgeschiedenen Eilanden um den 40. Breitengrad zu beschäftigen.

Insofern wusste ich schon einiges über diese Falkland-Inseln, bevor wir dort ankerten.

Das Wetter war recht stürmisch gewesen.

Bevor wir in die kleine Bucht der einzigen Stadt einliefen, wartete der Kapitän 2 Stunden vor der Einfahrt der Hafenbucht auf besseres Wetter. 

Schließlich wurde zur Freude aller Langschläfer durchgesagt, dass, wenn das Wetter nicht besser würde, man einen Landgang nicht durchführen könne.

Aber wir hatten Glück. 

Im Laufe des Vormittags stieg das Barometer wieder, der Regen hörte auf und entsprechend ließ auch der Wind nach.

Mit den schiffseigenen Rettungsbooten wurden wir ausgeschifft und zu dem kleinen Hafen Port Stanley transportiert.

Bei 2000 Touristen und insgesamt sechs Tender-Schiffen dauerte es für diejenigen, die mit den letzten Booten ausgeschifft wurden, einmal gut zwei Stunden, bis auch sie endlich an Land waren.

Die Falklandinseln haben laut der täglich herausgegebenen Schiffszeitung eine derzeitige Population von genau 2843 Menschen.

Ich bewunderte die Redaktion dieser Schiffszeitung schon etwas, denn so eine genaue Zahl hatte ich nicht erwartet – aber widerlegen konnte ich sie bis dahin auch nicht.

Von diesen 2843 Einwohnern lebten ungefähr 2000 in der kleinen Hauptstadt, die sich in vier oder fünf Straßen verteilt am Ende einer Bucht entwickelt hatte.

Pro Einwohner war ungefähr ein Auto zu beobachten, wobei es hier die ersten Komplikationen gab.

Sie fuhren alle verkehrt herum, das heißt auf der falschen Seite.

Ebenso die 5 Busse, 2 Taxen, 30 Falkländer Spaziergänger und einige hunderte Schafe – alle schlichen, trabten und trotteten im englischen Linksverkehr durch diesen kleinen Ort.

Die Häuser hatten durchgehend rote bis dunkelrote Dächer aus Wellblech. Das ist ideal, um sich gegen den hier an 340 Tagen des Jahres herrschenden Dauerregen zu schützen. Auf diese Dächer werde ich später noch etwas eingehen.

Die allermeisten Häuser standen auch auf  Steinsäulen, alle ca. einen halben Meter hoch.

Ich kannte diese Art der Häuserkonstruktionen aus der dominikanischen Republik.

Dort haben auf dem Lande die Bewohner den Fußboden ihrer Hütten auf zehn oder zwölf  übereinander gesetzten Ziegelsteinen angelegt, damit die Mäuse, Ratten und sonstiges Ungeziefer nicht so leicht in die Häuser kommen können.

Hier auf den Falkland-Inseln gab es natürlich solches Ungezieferproblem nicht, aber es war uns schnell klar geworden, dass durch diese erhöhten Fußböden eine perfekte Kanalisation entstand.

Der Höhenunterschied vom Meeresspiegel zur dritten oder vierten Querstraße dieser kleinen Siedlung betrug vielleicht 30–40 Meter, der ganze Ort war an diesen Hang gebaut.

Und bei dem alltäglichen Dauerregen lief das gesamte Regenwasser dann von der Spitze der Hügel unter allen Häusern hindurch direkt ins Meer.

Ansonsten gab es in dem kleinen Ort aus verständlichen Gründen nicht viel zu sehen.

Eine Post, einige Souvenirläden, 2 oder 3 kleine Restaurants am Hafen und ein übersichtlich eingerichtetes Museum mit gut funktionierender Heizung – das war’s schon.

Aber was will man auch mehr erwarten von einem Ort, in dem so viele Leute wohnen wie bei uns an einer mittelgroßen Verbindungsstraße.

Ich erwähnte bereits, dass alle Dächer rot und dunkelrot gestrichen waren. Die Ausnahme bildete ein Gebäudekomplex etwas am Rande dieser Siedlung, wo sämtliche Dächer in einem ziemlich strahlenden hellblau angemalt waren.

Es handelt sich hier um das Krankenhaus der Insel.

Und dass die Farbe dort anders war hatte seinen Grund.

Man wollte dadurch bei einem eventuellen erneuten  Versuch der Argentinier, die Falklandinseln zu erobern, verhindern, dass dieses Gebäude wieder bombardiert werden würde.

Auch wenn die Meinung der Falkländer über die Argentinier nicht gerade sehr hoch ist, so hoffte man doch, dass die argentinische Luftwaffe nicht wieder so blind sein würde, wie sie es beim letzten Falkland Krieg war, wo man vom Flugzeug aus wahllos diese kleine Siedlung inklusive Krankenhaus und Schule bombardiert hatte.

Nebenbei erstaunte mich, wie sauber die Dächer dieses relativ großen Krankenhauskomplexes waren, im Vergleich zu allen anderen rötlichen und dunkelroten Dächern dieser Stadt.

Der Grund war relativ einfach – aber von niemandem in dieser Form vorher gesehen: 

Die großen Ansammlungen von Vögeln – insbesondere Tauben und  Möwen der verschiedensten Art – haben offensichtlich eine ausgeprägte Aversion gegen die Farbe Blau.

Sie scheißen regelmäßig auf alles was rot ist – alle roten Dächer waren mit einem bunten Mosaik von Vogelmist der verschiedensten Farben und Stärken bedeckt.

Nur das Krankenhaus erfreute sich eines Daches so sauber wie ein gerade gewaschener Kinderpopo.

Vielleicht sollte man diese Erfahrung demnächst auch woanders, bei der Konstruktion von umweltfreundlichen Dachkonstruktionen, entsprechend berücksichtigen.

Noch ein Wort zum Krankenhaus und der britischen Bewältigung von Problem-Situationen:

Im Krankenhaus herrschte, als wir davor standen und uns über die Besonderheiten dieses Gebäudes unterhielten, eine rege Aktivität.

Es war Freitag, und somit rückte der wöchentliche Krankentransport immer näher.

Dazu muss ich nun etwas ausholen.

Es gibt auf den Falklandinseln neben den bereits erwähnten 2842 Einwohnern – die alte Lady Pommeroy hatte es sich im Anblick des großen Dampfers gerade noch anders überlegt – so um die 600.000 Schafe.

Jeder hier in Falkland hat in irgendeiner Form etwas mit der Schafzucht, der Wolle und der Vermarktung dieser Produkte zu tun.

Die Falklandinseln bestehen aus drei großen und einigen 100 kleinen und kleinsten Inseln.

Die drei großen Inseln sind bewohnt, wenn natürlich auch nur sehr spärlich.

Die riesigen Schafherden werden von einigen 100 Falkländern bewacht – es sind keine Schäfer im ursprünglichen Sinne, sondern im Prinzip haben sie die Funktion der Cowboys, die im mittleren Westen der USA die dortigen riesigen Rinderherden bewachen und schließlich zu den Schlachthäusern treiben.

Wie man diese Funktion bei der Schafzucht nennt – Sheepy oder Hammelgirl oder so, dass weiß ich trotz meiner sonstigen Kenntnis über alles, was mit Lämmern zu tun hat auch nicht.

Auf jeden Fall leben sie monatelang draußen auf den kargen Wiesen und Feldern dieser Inseln zusammen mit ihren großen Herden.

Der Falkländer ist – so wie wir es gesehen haben – überwiegend klein, gedrungen und recht drahtig.

Wer nun aber die Schafe und ihre Eigenschaften genauer kennt – und ich bin persönlich sicherlich einer der wenigen wirklichen Experten auf diesem Gebiet – der weiß, dass sie ein recht intensives Eigenleben haben.

Es passiert somit immer wieder, dass die Falkländer beim Reiten auf den Schafen aus der Wolle rutschen und recht unsanft auf dem kargen Gestein, welches sich zwischen den einzelnen Grasbüscheln befindet, aufschlagen.

Diese typisch Falkländischen Berufsunfälle wurden bis vor wenigen Jahren auf sehr kostspielige Art und Weise behandelt.

Da das dortige Krankenhaus aus verständlichen Gründen nur eine Not- und Grundversorgung  bieten kann, wurden alle Steissbein lädierten Falkländer als Bürger ihrer britischen Majestät regelmäßig nach London geflogen, um sich dort behandeln und auskurieren zu lassen.

14.000 km Luftlinie pro Bluterguss zu bezahlen, war aber selbst für die englischen Krankenkassen irgendwann zu teuer.

Eine Zusammenarbeit mit den argentinischen Krankenhäusern war aus politischen Gründen schon immer unmöglich gewesen.

Die anderen einigermaßen direkten Nachbarn der Falklandinseln, also das kleine Uruguay und das große Brasilien, hatten keine Ambitionen, sich wegen dieses Themas mit Argentinien zu überwerfen und lehnten eine Behandlung oder Überführung von Opfern der falkländischen Riesenschafe ab.

Vor sechs Jahren hat man dann mit dem etwas entfernteren Chile ein Abkommen geschlossen. 

Seitdem fliegt einmal die Woche jeden Sonnabendvormittag eine Linienmaschine der chilenischen nationalen Luftfahrtgesellschaft von Südchile aus direkt auf die Falklandinseln. 

Neben ein oder zwei Rucksacktouristen bringen sie dann regelmäßig die 20–30 Falkländer zurück, die vor 2 oder 3 Wochen auf Bahren oder Krücken zum Flugzeug gebracht, in Chile operiert und dann als geheilt entlassen wieder zu ihren Schafherden zurücktransportiert werden.

Es war jetzt Freitagnachmittag, und nachdem ich diese Zusammenhänge erfasst hatte, war mir klar, weshalb eine gewisse Hektik im Krankenhaus und dessen näherer Umgebung jetzt zu erkennen war.

Alle reisefähigen Falkländer wurden mit roten oder blauen Nummern auf dem Rücken (rot für weiblich und blau für männlich) beklebt, damit sie in Chile nicht verwechselt werden konnten und ab ging es via Feuerland nach Chile in die Reha.

Natürlich wird man in der kurzen Zeit, die wir auf dieser schönen Inselgruppe verbrachten,  immer wieder mit dem Thema Falkland-Krieg 1982 konfrontiert.

Die Reederei entblödete sich nicht, besonders teure Ausflüge zu den Schlachtfeldern dieses Krieges zu veranstalten.

Dort konnte man die Kreuze des Todes und die Wrackteile der beiden großen, während dieses Krieges zerstörten Kriegsschiffe besichtigen.

Es war schon bedrückend, mit welcher Naivität und Respektlosigkeit insbesondere die amerikanischen Touristen gerade dieses Ausflugsangebot buchten.

Da der Falkland Krieg inzwischen 27 Jahre zurückliegt und vielleicht auch nur von einer Minderheit in Deutschland verfolgt wurde, hierzu noch einige Fakten und Überlegungen:

Die Inselgruppe wurde vor zwei Jahrhunderten – als es Argentinien überhaupt noch nicht gab – von Engländern besiedelt und gehört seitdem zu England.

Alle Bewohner – und ich glaube wirklich alle – fühlen sich England verbunden.

Die Argentinier versuchen, seit nunmehr bald hundert Jahren, ihren Besitzanspruch – den sie irgendwann einmal für diese Inselgruppe ausgesprochen hatten –  zu konkretisieren.

Da es Ende der siebziger Jahre wirtschaftlich in Argentinien merklich bergab ging, tat die seinerzeitige Militärregierung genau das, was alle Diktatoren tun, wenn es im Inneren kracht und nicht mehr funktioniert:  

Sie suchen sich irgendeinen Feind im Ausland, möglichst in der Nähe, und fangen Streit an.

Das Ziel ist klar:

Die Bevölkerung soll abgelenkt werden von den immer stärker werdenden wirtschaftlichen Problemen, und mit dem üblichen Hurra–Patriotismus wird das Feindbild aufgebaut, angegriffen und möglichst schnell besiegt.

Man schickte also 1982 eine kleine Kriegsflotte rüber auf die Inselgruppe. Diese Flotte war nach zwei Tagen dort und hat alle wichtigen Posten besetzt und übernommen.

Die wenigen Einwohner waren nicht mal in der Lage, in irgendeiner Form einen Partisanenkrieg zu organisieren, dazu war die Übermacht der  4.000 – 5.000 Argentinier einfach zu groß.

Maggie Thatcher, die seinerzeit in London regierte, schickte daraufhin einen größeren Teil ihrer Flotte in den Südatlantik.

Nach sieben Wochen war man angekommen, fing an, mit den Argentiniern zu kämpfen und nach dem gegenseitigen Versenken eines großen Kriegsschiffes zogen sich die Argentinier dann schnell zurück ins Tango-Land.

Interessant ist die Begründung beider Seiten für ihr jeweiliges Handel: 

Es gibt zwei ältere, aber im Prinzip bis heute gültigen UN-Resolutionen:

Die eine Resolution sagte ganz klar, dass das Zeitalter des Kolonialismus zu Ende ist und alle Staaten – insbesondere die ehemaligen europäischen Kolonialstatten – werden darin aufgefordert, ihre in den letzten Jahrhunderten erworbenen Kolonien zurückzugeben respektive in die Selbstständigkeit zu entlassen.

Argentinien leitet daraus ab, dass diese kleine Inselgruppe, die nur wenige hundert Kilometer direkt vor ihrer Küste liegt, von Natur aus zum argentinischen National-Territorium gehört.

Die andere UNO-Resolution, die hier von den Engländern angeführt wird, ist die Resolution der nationalen Selbstbestimmung. 

Sie bedeutet im Kern, dass die Bewohner jedes nationalen Gebietes selber abstimmen sollen, zu welchem Land sie sich gehörig fühlen, sofern sie eine Selbstständigkeit aus Gründen der Wirtschaftlichkeit oder aus sonstigen Motiven nicht erstreben. 

Hier haben die Falkländer in zwei Volksabstimmungen in den letzten Jahrzehnten sich zu 98 Prozent respektive 99 Prozent zu England bekannt und entsprechend abgestimmt.

Diese beiden Resolutionen, so gut sie auch jede für sich gemeint ist, verhindern bis heute, dass diese Inselgruppe in Ruhe und Frieden ihrer Schafzucht nachgehen kann.

Es gibt in Argentinien heute wieder starke Kräfte, insbesondere vom Militär aber auch von der wieder erstarkten linken Gewerkschaft der Peronisten, die schnellstmöglich auf eine erneute Annexion der Falkland-Inseln an Argentinien hinarbeiten.

Wenn man das UN-Prinzip: „Dieses Stück Land gehört uns, denn wir waren früher auch schon mal hier …“ etwas über den Tellerrand des Falklandinselnproblems hinaus betrachtet, kommt man auch mit nur mittelprächtigen Geschichtskenntnissen zu dem Ergebnis, dass dann unsere ganze Welt wieder mal neu aufgeteilt werden kann.

Australien gehört wieder den Ureinwohnern und wird Aborigines-Land.

Der nächste Präsident der USA wird ein Apache und die mächtigste Militär-Macht der Erde lernt wieder  Pfeil und Bogen zu benutzen.

Die Araber schmeißen die Juden wieder aus ihrem Land, weil sie bis vor 70 Jahren dort selber alleine gelebt haben.

Die Juden berufen sich auf 4.000 Jahre überlieferte Geschichte in diesem Land und da die Araber zu jener Zeit noch nicht der Schrift mächtig waren, kann ihnen niemand diesen schon etwas älteren Anspruch verwehren.

Ganz Südamerika befreit sich von den Spaniern und Portugiesen, und man spricht wieder Guarani und Kechuan und rechnet mit den bewährten Knoten-Schnüren der Inkas und Azteken.

In Europa wird es vielleicht etwas schwieriger, denn die Völkerwanderung im vierten und fünften Jahrhundert brachte es mit sich, dass wohl jedes kleinste Stückchen Land innerhalb von wenigen Jahrhunderten von einer ganzen Heerschar durchreisender Soldaten, Flüchtlingen und Herrschern besetzt und wieder verlassen wurde.

Zum Schluss bleiben nur noch Island, Bhutan und Teile der  Zentralschweiz übrig als Gebiete, die niemals streitig waren.

Doch wir verlassen jetzt die große Geschichte und kehren vernünftigerweise wieder zu den Gegebenheiten dieser kleinen Reise und der ihr eigenen  Geschichten zurück.

Nach 8 Stunden leichten Dauerregens verließen wir endgültig die kleinen, aber doch so interessanten Falklandinseln und fuhren los in Richtung Kap Horn.

Nach einem relativ ruhigen Tag erreichten wir am Nachmittag des nächsten Tages diesen berühmten Inselfelsen.

Das Wetter war ausnehmend gut, die See nur 2–3 Meter hoch, wir hatten gute Sicht und sogar gelegentlich einen Sonnenstrahl.

Nachdem der Felsen von Kap Horn im Blitzlichtgewitter von 2.000 frenetisch knipsenden Touristen für einige Minuten taghell erstrahlte, gab’s dann eine mir bisher nicht bekannte Kap-Horn-Taufe.

Hierzu wurde die bekannte Äquatortaufe einfach in die Antarktis verlegt.

Zweitausend verklärt grinsenden Mitmenschen wurde, von einem stoisch in die Menge blickenden Zahlmeister, eine Schöpfkelle mit Eiswasser aus dem schiffseigenen Pool auf Glatze, Haupthaar oder Perücke geschüttet.

Das Photo, das die hoch entwickelte PR-Abteilung der Schiffsverwaltung dabei schoss, konnte dann gegen die Zuzahlung eines kleinen Kostenbeitrags von 25 Dollar nebst gedrucktem anonymen Zertifikat abends in der Lobby abgeholt werden.

Dann ging es ab zum Abendessen und bei dieser  Gelegenheit vielleicht noch ein kurzes Wort zum Essen und der sonstigen Verpflegung hier an Bord.

Neben den bereits in früheren Berichten angesprochenen sieben Restaurants, bei denen man gegen die geringe Zuzahlung von 20 oder 25 Dollar pro Person und Essen seine Kartoffeln direkt beim Oberkellner bestellen kann, statt sie selbst vom Buffet zu holen, gibt es hier an Bord auch drei oder vier Orte, wo man sich ohne Zuzahlung verpflegen kann.

Es ist natürlich leicht, immer nur alles schlecht oder lächerlich zu machen, deswegen sei der Wahrheit die Ehre gegeben:

Die Verpflegung ist nicht schlecht, sie ist nur einfach mittelmäßig.

Alles, was man hier in den so genannten Spezialitätenrestaurants bestellen kann, bekommt man besser, schneller, günstiger und insgesamt vielleicht in einer angenehmeren Atmosphäre in jeder mittelgroßen Stadt der Welt serviert.

Es ist also nicht so sehr die Qualität, es ist auch nicht der unangemessen hohe Aufschlag, den man bezahlen muss, in der Hoffnung etwas besonderes zu bekommen – es ist einfach die Tatsache, dass die Relation nicht stimmt.

Es gibt auf dem Oberdeck  zwei sehr lange und ineinander gehende Restaurants.

Dort hat man ca. 250 – 300 Sitzgelegenheiten. 

In der Mitte dann ein sehr großes Buffet – und hier ist alles kostenlos.

Wenn man davon ausgeht, dass insbesondere morgens 2.000 ausgeschlafene und hungrige Menschen zum Frühstück kommen, kann man sich leicht vorstellen, zu welchen Schlangen es dort in den Stoßzeiten kommt.

Diese allmorgendlichen Schlangen ruhig und gelassen wartender Mitbürger erinnern doch etwas an Leipzig kurz vor der Wende.

Sie sind doppelt oder dreimal so lang, als bei McDonald kurz nach der Kino-Spätvorstellung – wir haben das ganze dann  kurzerhand in McDonald de Luxe umbenannt.

Das ist nicht abwertend gemeint, ich gehe gerne mal zu McDonald und schmiere nach wie vor dabei das Lenkrad und den Fahrersitz des Autos mit Pommes-Krümeln und abgefallenen Salatblättern voll.

Was hier den Unterschied zum echten McDonald ausmacht ist die Tatsache, dass in diesen Restaurants hier an Bord eine unübersehbare Menge von freundlich lächelnden Philipinos und Malaien  an jedem Tisch steht.

Und jedes Mal, wenn man versucht, mit halb gefülltem Buffet-Teller irgendwie an ihnen vorbeizukommen, lächeln sie freundlich und schütteln irgendwelche bettlakengroße Servietten aus, um sie uns dann gekonnt auf die Oberschenkel und sonstige in der Nähe befindliche Körperteile zu drücken.

Wenn man dabei dann unvermittelt lust- oder schmerzerfüllt leicht aufschreit, sehen sie tief in deine Augen und hauchen ein „have a wonderfull day“  zwischen Rührei und Gurkensandwich.

Wir haben inzwischen ein ruhiges Plätzchen zwischen Fahrstuhl-Ausgang und Behinderten-Toilette gefunden, wo wir uns niederlassen können, ohne dass uns beim ersten Verlassen dieses Geheimplatzes die Teller vertauscht oder einfach weggenommen werden.

In Kauf nehmen muss man allerdings auch hier, dass alle fünf Minuten ein tadellos im Smoking gekleideter Obersteward vorbeikommt und ein kleines Tablett präsentiert, welches er stolz vor sich trägt.

Darauf sind vorne drei eierbechergroße Gläser und dahinter drei Gläser in der Größenordnung deutscher Jogurt-Zwerge platziert, alle gefüllt mit einer gelben Flüssigkeit.

Vorne auf dem Tablett steht in englisch, deutsch, spanisch, russisch und japanisch auf einem schön dekoriertem Schild „Frisch gepresster Orangensaft. Kleines Glas drei Dollar, großes Glas 5 Dollar.“

Mit der bekannten Mischung aus asiatischer Höflichkeit und Beharrlichkeit, steht der gute Mann dann so lange still oder einem wunderschönen Tag wünschend vor einem, bis es auch dem stoischsten Ehemann zu peinlich wird ihn abzuweisen oder auch nur zu ignorieren.

Der Kellner ist Profi, und Profis gewinnen immer.

Also bestellt man großzügig seiner lieben Gattin den Saft einer Apfelsine, die man am Büfett umsonst hätte bekommen können, wünscht sich dazu etwas Rattengift aus der schiffseigenen Apotheke ins Glas verrührt und der Morgen ist gerettet.

Ach ja, auf der Quittung, die man für diesen morgendlichen Liebestrunk zu unterschreiben hat, steht dann unter dem ausgedruckten Betrag auch noch fett unterstrichen „Tip / Trinkgeld“.

Und wer dann mit diesen geringen Preisen ehelicher Gesundheitsfürsorge nicht noch mindestens 20 Prozent gern gegebenes Trinkgeld hinzufügt, ist potentieller Kandidat der nächsten Mann-Über-Bord-Übung und sollte lieber gar nicht erst wiederkommen.

Am Ende des Buffets gibt es immer eine kleine Abteilung „local food“.

Dabei ist nicht etwa argentinisches Steak oder chilenisches Seafood gemeint, sondern es handelt sich um die Grundnahrung der vielen hundert Philipinos und Malaien an Bord, die natürlich auch ihre eigenen Köche haben.

Diese Küchenchefs wetteifern täglich darin, ihre jeweiligen National-Gerichte zu präsentieren.

Für diejenigen, die nicht ganz so vertraut sind mit dem Unterschied zwischen philippinischer und malaiischer Küche hier in Kurzform: 

Auf den Philippinen wird alles gegessen, was vier Beine hat. 

In Malaysia alles, was sich bewegt. 

Beim Frühstück kann man dann auch die täglich erscheinende Bordzeitung studieren.

Sie besteht aus 4 Seiten, davon sind 4 Seiten Werbung.

Dabei sind mir 2 kleine Notizen bisher aufgefallen.

Einmal gab es eine große Ankündigung: „…abends  Freibier auf dem Hauptdeck…“

Es gab auch tatsächlich Freibier.

Allerdings nur eine Flasche, wenn man zuvor fünf Flaschen zu jeweils 6 Dollar plus Trinkgeld bestellte.

Ein anderes Beispiel noch kurz:

Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit werden Fotos gemacht und abends auf meterlangen Gestellen und Bord-Wänden zum Verkauf  aufgehängt.

So kann dann jeder sehen, wie er ausgesehen hat, als er das Schiff verließ, oder es nach einem Landgang wieder bestieg. 

Es gab dabei vorgestern ein Sonderangebot.

Normalerweise kostet ein solches Foto 10 Dollar. 

Vorgestern nun konnte man gleich 4 verschiedene Fotos kaufen und brauchte dafür nur 50 Dollar zu bezahlen.

Ob man sich bei diesem Angebot verschrieben hatte, oder sich nur dem Niveau des auch hier allabendlich vor großem Publikum gespieltem „Wer wird Millionär“ anpassen wollte, war nicht klar ersichtlich.

Ach ja: Und Bridge wird hier auch gespielt.

Es gab zweimal am Vormittag Bridge-Unterricht, jedes Mal von ca. 30 – 40 freundlichen Witwen besucht.

Eine professionelle Bridge-Lehrerin übernahm den Unterricht.

Sie hatte soviel Ahnung vom Bridge wie ein Nilpferd vom Bergsteigen. 

Eine einzige Dame stellte dabei 2 vernünftige Fragen, und ich fragte sie hinterher, ob sie Lust hätte, mit mir die nachmittäglichen Turniere  zu spielen.

Als Mann war ich ein Exot, das hat sie vielleicht bewegt zuzustimmen.

Wir haben seitdem jedes Turnier gewonnen und weil das ganze mit Turnier-Bridge nun überhaupt nichts zu tun hatte, habe ich Nelly gebeten, zum dritten Turnier für meine Partnerin und mich die von mir erstmalig eingesetzten Bridge-Würfel zu bemalen. 

Jeder von uns bekommt 2 Würfel. Auf dem einen stehen die Zahlen 1, 2, 3, 4 sowie pass und Contra.

Auf dem anderen  Würfel die vier Farben Pik, Coer, Karo und Treff sowie Nt und Pass.

Jetzt werden von uns, wenn wir dran sind, beide Würfel geworfen und je nachdem bieten wir dann  das, was diese beiden Glücksbringer anzeigen – also zum Beispiel 2 Pik oder 4 Nt oder was auch immer. 

Bei Pasch – wenn beide  Würfel pass zeigen – dürfen wir nochmal würfeln, damit wir im Spiel bleiben.

Wir haben mit diesem einfachen System dann auch die beiden nächsten Turniere gewonnen.

Am Morgen nach Kap Horn fuhren wir den Hafen von Ushuaia an

Ushuaia liegt auf der südlichen Seite von Feuerland und ist nicht nur die südlichste Stadt von Argentinien sondern auch die südlichste dieser Welt. 

Ich war vor ungefähr 30 Jahren öfter auf Feuerland und auch in Ushuaia und kannte ich mich noch ganz gut aus.

Seinerzeit hatte ich öfter auf den riesigen Estancias auf Feuerland Lammfelle und Pelzfelle eingekauft, diese nach Buenos Aires geschickt und von dort aus nach Europa geliefert. 

Von der Stadt selber und der Natur der Umgebung hatte ich aber nie etwas bewusst mitbekommen.

Die Stadt besteht überwiegend aus Hafen, und dieser ist ganz und gar auf Kreuzfahrer angelegt.

Es kommen hier pro Jahr – also pro Sommer-Saison von November bis März – über 30 riesige Kreuzfahrer aus der ganzen Welt an und von den Menschenmassen, die von diesen schwimmenden Vergnügungsparks in die kleine Stadt gespült werden, leben die Einwohner recht gut.

Ansonsten ist Ushuaia nicht besonders interessant.

Der Flair des argentinischen Schmuggel-Zentrums, den dieser Ort noch zu „meiner“ Zeit gehabt hatte, ist längst vorbei.

Hierüber vielleicht zu gegebener Zeit etwas mehr.

Also machten wir bei schönem Wetter und ziemlicher Kälte einen halbtäglichen Ausflug in einen wunderschönen Natur- und Nationalpark.

Dann noch ein kleiner Abstecher ins Museum sowie zur genauerer Besichtigung der beiden Kirchen – auch zu diesem Thema vielleicht später noch etwas mehr.

Nachmittags zum Schiff zurück und abends wieder los mit dem Dampfer und über die enge Magellanstraße weiter nach Chile.

Nächstes Ziel war Punta Arenas, die größte Stadt der Antarktischen Region Südamerikas und südlichster Punkt von Chile.

Ich sprach kurz von Lammfellen und Pelzfellen. 

Dies waren die Hauptartikel, mit denen die Firma der Familie Henckell in Hamburg ihr Geld verdiente.

Als typisch hanseatische Pfeffersäcke hatten sie sich vor 3 Generationen ein kleines Spezial-Gebiet ausgesucht, in dem sie mit großem Fachwissen einen seriösen Handel betrieben. 

Die meisten hanseatischen Importfirmen waren in etwa gleich strukturiert:

Man hatte sein ganz spezielles Warengebiet – egal ob Kaffee, Kakao, Gewürze, Fleisch, Kautschuk, Holz, Tee oder Därme – und  bei uns waren es eben Leder und Pelze.

Dann hatte man ein weit verzweigtes und gut organisiertes Netz von Verbindungen über die ganze Welt verstreut – Südamerika, Mittelamerika,  Hongkong, Südostasien, Westafrika, Australien – überall, wo es die Rohstoffe, mit denen man handelte, gab saßen Familienmitglieder, um Waren direkt am Ursprung einzukaufen.

Wichtig war schon, dass es sich um verlässliche Menschen möglichst aus der eigenen Familie handelte, denn das Wissen um Lieferanten und Kunden zusammen mit einem ausgeprägten Fachwissen der jeweils gehandelten Rohstoffe war das A und O jeder hanseatischen Kaufmannsfamilie.

Wir selber hatten im Laufe der Jahrzehnte Niederlassungen oder Vertretungen in Südamerika, Hongkong – nach China kam niemand rein – in Leningrad, New York, Island und Australien.

Es gab in Hamburg  neben unserer Firma noch weitere 5 Firmen, die sich im Import von Leder, Fellen und Pelzen zu behaupten hatten.

Man kannte sich gut, war von Geburt aus in den gleichen Tennis-, Hockey- oder Segelclubs und einige der anderen Firmenchefs spielten sogar in der gleichen Hockey-Mannschaft wie mein Vater. 

Trotzdem war es unmöglich, dass ich nach leicht unrühmlichem Abschluss meiner gymnasialen Schule dort eine Lehre anfangen konnte – die Furcht, dass einige kleine eng mit der Hand beschriebene Karteikarten in die falschen Hände kommen könnten war zu groß.

Also lernte ich das  Kaufmannswesen in einer Branche, die dem Fell und Leder noch am nächsten lag – ich lernte in der größten Hamburger Woll-Import-Firma.

Auch dort hatte man Neffen, Onkel und sonstige Verwandte in Montevideo, Südafrika, Australien, England (Bradford war das Zentrum der Tuchfabriken) und Biella (Italien war seit Jahrhunderten das Zentrum hochwertiger Bekleidung, Biella ihr Zentrum).

Zu dieser Zeit – Anfang der Sechziger Jahre – gab es in der fachlichen Beurteilung der Woll-Qualitäten einen revolutionären Umbruch. 

Hatte man es bis dahin seit Jahrhunderten so gehandhabt, dass die Feinheit der Wolle per Augenschein festgestellt wurde, so gab es jetzt die ersten Mikroskope, welche auf ein tausendstel Millimeter genau die durchschnittliche Dicke eines Woll-Vlieses – also der Wolle, die bei der Schur vom Schaf getrennt wurde – bestimmen konnten.

Ich lernte beides – von meinen Chefs noch die Technik, per Augenmass eine sehr genaue Analyse eines Wollstapels durchzuführen und dann im Vergleich das Ergebnis, wenn so ein kleines Wollknäuel über das Raster-Mikroskop vermessen und beurteilt wurde.

Noch heute kann ich Haare und Wolle ohne Brille auf ein „Micron“ – also auf ein tausendstel Millimeter Durchmesser, genau beurteilen.

Die menschlichen Haare sind zum Beispiel zwischen 25 und 40 tausendstel Millimeter dick –  blonde Haare sind dabei wesentlich feiner als alle dunklen Haare.

Dunkle Haare haben einen entscheidenden Vorteil – ihre Spannkraft ist hoch. 

Seit Jahrhunderten – und noch heute – werden darum in China und Korea die abgeschnittenen Haare bei den Friseuren gesammelt, in kleine Säcke gepackt und an die örtlichen Haar-Sammler verkauft.

Nach vielen Wegen und Umwegen laden diese schwarzen asiatischen Haare dann schlussendlich in Europa als hochprozentige  Beimischung in teuren Rosshaar-Matratzen.

Auf Grund meiner Fähigkeit, die Feinheit menschlichen Haares so genau feststellen zu können, habe ich genau wie meine wenigen Berufskollegen das Privileg, einer schönen Blondine von hinten durch ihr langes  und lieblich duftendes Haupthaar zu streichen und ihr dabei – immer auf ihre Haare bezogen – sanft ins Ohr zu flüstern:

„…wie wunderbar sie sind – aber als Matratze leider nicht geeignet…“

Nach der entsprechenden Reaktion – die durchaus unterschiedlich ausfiel – schließe ich dann dieses Thema mit der Feststellung, dass die deutsche Sprache trotz aller Dichter und Denker gelegentlich  noch interpretationsbedürftig ist.

Am nächsten morgen erreichten wir Punta Arenas.

Hier war ich schon 20 oder 30 Mal gewesen.

Alle Lammfelle, Pelzfelle und Wolle, die ich in Feuerland und Südchile bei den teils riesigen Estancias einkaufte, gingen von Punta Arenas aus nach Hamburg, London oder zu den sonstigen europäischen Bestimmungshäfen.

Punta Arenas hat stolze 140.000 Einwohner und ist eine saubere, aber inzwischen immer mehr von ihrer Vergangenheit träumende Stadt.

Viele der typischen kleinen Holzhäuser sind seit Jahren nicht mehr gestrichen und gammeln leicht vor sich hin.

Die großen Zeiten der Woll- und Fleischbarone sind längst Vergangenheit, moderne Transport- und Kommunikationsmittel haben dieser Stadt eher geschadet als genützt.

Für meine liebe Frau – einmal Chilenin, immer Chilenin – bedeutete die Ankunft in Punta Arenas nach 15 Jahren norddeutscher Enklave endlich wieder weißer Rauch aus dem Kirchturm – Habemos Patria.

Doch über die beiden Kirchen, deren schlanke Türme weithin  sichtbar in den wunderschönen, klaren Himmel über diese Stadt am Ende der Welt ragen, gibt es auch noch eine kleine Geschichte, die irgendwann einmal erzählt werden sollte.

Die Chilenen werden nicht zu Unrecht als die Preußen Südamerikas bezeichnet.

Sie lieben klare, einfache Strukturen.

Sie haben, ganz im Gegensatz zu ihren ziemlich anarchischen Nachbarn in Argentinien, Peru oder Bolivien, ein ausgeprägtes Untertanen-Bewusstsein, man liebt Häuslichkeit, Ruhe und Ordnung.

So ist auch das Familienleben entsprechend klar organisiert. Man arbeitet, feiert und geht in die Kirche, alles zu seiner Zeit.

Was zwar allgemein bekannt, mir selber aber vor 35 Jahren, als ich anfing Punta Arenas öfter zu besuchen, erst nach und nach beim Feiern irgendwelcher Geschäftsabschlüsse mitgeteilt wurde, war folgendes:

Es gab in dieser Stadt am Ende der Welt zwei wohlbekannte Freudenhäuser.

Und beide  waren direkt neben der Kirche angesiedelt.

Eine strategische Meisterleistung.

Der Herr des Hauses ging kurz zum Beten und  Beichten.

Dann verließ man durch eine kleine Tür, in der Seite der Kapelle, das Gotteshaus und wandte sich noch kurz den weltlichen Freuden zu.

Während unserer kleinen Stadtrundfahrt besichtigte  ich diese beiden Kirchen recht genau – und richtig:

Neben dem Seitenausgang gab es an den kleinen Nachbar-Häusern immer noch die beiden kleinen Klingelknöpfe, mit denen man den Übergang vom Geistlichen ins Weltliche einläuten konnte.

Zur Bestätigung meiner Erinnerung konnte ich dann aus den Augenwinkeln noch sehen, wie sich eine kleine Tür im Hause neben der Kirche öffnete und ein netter Mitbewohner dieser Stadt leicht verklärt lächelnd und offensichtlich angenehm erleichtert und befriedigt, den Weg ins Freie antrat.

Kurz danach verlief sich seine Spur im Getümmel der Straßen am Ende der Welt.

Ich verzichtete darauf, in diesen Nachbarhäusern die Nichten oder Enkelinnen jener Generation zu begrüßen, die genau wie ich selber doch schon etwas in die Jahre gekommen sind, dass es sich aber, genau wie in meinem Beruf,  auch hier um generationsübergreifende  Familienbetriebe handelte, davon bin ich fest überzeugt.

Um Punta Arenas weiterhin so angenehm wie möglich in Erinnerung zu haben, ließen wir uns zum Abschluss unserer kleinen Besichtigungstour ins beste Restaurant der Stadt fahren und verspeisten dort mit großem Appetit und unter fachkundiger Anleitung eines sehr freundlichen Oberkellners eine Unmenge von Locos und  Centollas, immer begleitet von den besten Weinen dieses schönen Landes. 

Vielleicht werden wir eines Tages noch einmal nach Punta Arenas kommen.

Da wir danach 2 Tage auf See blieben, um uns durch die hunderte oder vielleicht auch tausende von kleinen und größeren Inseln des südchilenischen Kontinents steuern zu lassen, hatte ich etwas Zeit, auch andere Ereignisse reflektieren zu lassen. 

Ich erwähnte bereits eine Zeit von 10 Jahren Südamerika.

Angefangen hatte sie mit der Frage meines Vaters, ob ich nach Abschluss der Lehre eines Wollkaufmannes und einer anschließenden 2-jährigen Ausbildung als Hilfs-Gerber in einer deutschen Pelz-Gerberei (Hilfsgerber insofern, als ich nicht die gesamte Lehre eines Gerbers machte, sondern in diesem Betrieb, der gleichzeitig ein wichtiger Kunde unserer Firma war, nur einige für mich wichtige Abteilungen durchlief), ob ich also nach Abschluss dieser insgesamt 5 jährigen Ausbildung lieber zum Militärdienst – damals 3 Jahre – oder in die Schlachthöfe der argentinischen  Pampa gehen wollte. 

Ich verzichtete auf das Militär.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, das Militär verzichtete eher auf mich, als ich mit den Röntgenaufnahmen eines kurz zuvor an Lungenkrebs Verstorbenen und von heftigen Hustenanfällen begleitet die Musterungs-Prozedur über mich ergehen liess.

Tauglichkeit 4 – Untauglich in Kriegs- und Friedenszeiten.

Das war das schlechteste, was das deutsche Militärwesen damals zu vergeben hatte, und ich war stolzer Inhaber einer solchen Eintragung in meinem Militärpass.

Später tauschte ich diesen Militärpass mit einem befreundeten Kollegen, der Bild und Namen etwas verfremdete und meines Wissens danach auch nie eine Kaserne von innen sah.

Ich tauschte, soweit ich mich erinnern kann, meinen Pass gegen seine Freundin, die ich dann aber auch nie wieder sah. 

 

So landete ich nach einer längeren Schiff-Überfahrt von Hamburg aus direkt nach Argentinien zum ersten Mal in Buenos Aires.

Wir hatten dort Familie und Geschäftsfreunde, und ich begann meine dritte Ausbildung als Lehrling in den Schlachthöfen und bei der Übernahme von  Lammfellen, Wolle und Pelzfellen direkt auf den riesigen Estancias der Pampa und in Patagonien.

Irgendwann hatte ich auch hier genug gelernt und fing an, endlich etwas Geld zu verdienen, respektive meiner Familie und Firma  etwas von all dem zurückzugeben, was sie in den vergangen 6 Jahren in mich und meine Ausbildung gesteckt hatten.

Ich wurde Schmuggler.

Ich arbeitete und entwickelte mich innerhalb von wenigen Jahren vom kleinen Pelzfell-Einkäufer zu einem der besten und erfolgreichsten Schmuggler, den man in unserer Branche und wohl in ganz Südamerika bis dahin gesehen und erlebt hatte.

Durch ständiges Reisen in alle Länder und Gebiete Südamerikas sprach ich bald spanisch, portugiesisch und rudimentär einige Eingeboren-Dialekte.

Ich weiß, dass die Aussage, man sei Schmuggler, ein Mischung aus Staunen, Skepsis und Neugier hervorbringt, und will deswegen darauf  etwas näher eingehen:

Es gab zu jener Zeit – Mitte der sechziger bis Mitte der siebziger Jahre – in Südamerika vier Gruppen von Schmugglern.

Zwei „buenos“ oder „blancos“ – also „gute“ oder „weiße“ Schmuggler-Typen und zwei „malos“ oder „negros“ – also schlechte oder schwarze Schmuggler-Gruppen 

Die guten versuchten sich in Alkohol und Pelzfellen, die schlechten arbeiteten in Rauschgift und Waffen.

Ich habe nie in meinem Leben auch nur ein Gramm Rauschgift besessen oder irgendeine Feuerwaffe angefasst – sicherlich auch aus der Erfahrung, die ich in diesen Jahren sammelte.

Wenn es Razzien gab – und ich habe einige davon mitgemacht in Schmuggelnestern am oberen Amazonas genauso wie in Maffia-Nestern in Kolumbien, Guayana  oder im Chaco von Bolivien – wenn es solche Razzien gab, erhielten wir immer vorher einen Tipp und konnten uns ganz schnell verkrümeln.

Der Einsatz der Polizei oder der amerikanischen Rauschgift-Abteilungen in Südamerika war dann oft  von Blut und Gewalt gezeichnet.

Warum das so war, ist ganz einfach erzählt.

Von uns – also den Schnapsbrüdern und „Pelleteros“, wie wir im Fachjargon bezeichnet wurden – ging überhaupt keine Gefahr aus.

Alle die mit uns zu tun hatten – vom Bootsverleiher bis zum Polizeipräsidenten – verdienten dabei.

Solche Hühner werden eben auch im Dschungel  Südamerikas nicht geschlachtet, solange sie goldene Eier legen.

Es gab, wie ich erst viel später erfuhr, auch noch eine fünfte Gruppe von Schmugglern, die sich ausschließlich mit Diamanten und  Edelsteinen aller Art beschäftigten. Aber diese hatten so eine perfekt versteckte und geheime Struktur, dass sie für uns praktisch unsichtbar blieben.

Die Voraussetzung für jede Art Schmuggel ist, dass man Ware von A nach B transportiert, wobei entweder in A oder in B oder in beiden Orten der Import oder Export solcher Artikel verboten oder nur gegen sehr hohe Abgaben möglich ist.

Ich fand folgende Struktur vor:

Amerika, genauer gesagt die USA, hatten in jener Zeit sehr großen politischen Einfluss in praktisch allen Ländern Südamerikas.

Man hatte auch damals schon ein großes Drogenproblem. 

In einem Rundumschlag wurden seitens der USA sehr schnell praktisch alle Regierungen Südamerikas verdonnert, den Handel und Export von allen Schmuggelwaren zu verbieten.

Man wollte sich dadurch Luft verschaffen in der Bekämpfung von Rauschgift-Importen, überwiegend aus Kolumbien und dessen Nachbarländern.

Und weil man selber in der USA eine sehr große Tabakindustrie hatte und außerdem der Hauptproduzent diverser Alkoholika war, wurden diese beiden Genussmittel, wie es auf deutsch so schön heißt, gleich mit auf die Schmuggelliste gesetzt. 

Warum dann auch noch diverse Pelztiere auf diese Liste kamen, weiß ich selber nicht, es gab zu jener Zeit weder Grüne noch sonstige Umweltverbände, es gab auch keine Industrie in der USA, die es zu schützen galt, es gab vor allem in Nordamerika überhaupt keine vergleichbaren Tierarten wie in Südamerika.

Aber es wurde erst mal alles verboten.

Ein wichtiges Moment für jeden Schmuggel ist, dass eine Begehrlichkeit herrscht.

Es nützt nichts, wenn alleine die Handelswege blockiert sind, es muss darüber hinaus auf der Käuferseite die Bereitschaft herrschen, für diese Waren auch noch viel Geld auszugeben.

In Europa war das der Fall, und zwar sehr kräftig.

In Italien liefen Gina Lollobrigida und Sofia Loren in feinsten Jaguar- und Ozelot-Mänteln herum, in Frankreich hüllte sich Brigitte Bardot in nichts außer  Chinchilla und Hermelin und im Wirtschaftswunderland Deutschland trug man feine seidige Ottermäntel, möglichst noch mit Wildkatzen-Kragen und Kapuzen.

Die ganz Reichen schließlich fingen damals schon an, ihre Zobel und Nerze innen im Mantel einnähen zu lassen, so dass man nur ganz verhuscht beim Abgeben an der Garderobe im Theaterfoyer etwas von diesem Glanz mitbekam.

Die Masse kaufte Stoffmäntel mit Pelzkragen aller Art, und wer für all das noch zu jung war oder nicht das nötige Kleingeld hatte,  lief wenigsten in Stiefeln mit Lammfellfutter herum, fuhr auf Autositzbezügen aus argentinischen Schaffellen oder hatte einige langhaarige Bettvorleger im Schlafzimmer und Tagesdecken aus Alpaca-  oder Kaninfelle auf dem Sofa und über dem Bett liegen – die meisten davon in irgendeinem Stadium von Thewes in Südamerika organisiert.

Ich denke, ein Großteil der damaligen neuen Generation ist auf Fellen und Pelzen gezeugt worden, die vorher durch meine Hände gingen. 

Doch wie funktionierte das Ganze? 

Ich hatte keinen Hochschulabschluss und war somit unbeleckt von jeder  betriebs- oder volkswirtschaftlichen Erkenntnis. 

Gott sei dank.

Denn den einfachen, um nicht im nach hinein zu sagen genialen Trick, mit dem in jenen Jahren die Handelsströme aufrechterhalten wurden, hätte man in keiner Universität lesen oder lernen können.

Am ähnlichsten war unserem System noch Carl Zuckmeyers im braven Soldat Schwejk, der sich auf so genial-tragische Art und Weise die Obrigkeits – Ergebenheit seiner Zeit zu Nutze machte.

Das war bei uns genau  so.

 

Der Trick bestand einfach darin, dass man neue Tierarten erfand, diese in ein Drittland versetzte, und die Pelze dann als Transitware nach Europa brachte.

Ich hatte in der Schule einige Jahre vergeblich versucht Latein zu lernen, aber etwas war doch noch hängengeblieben.

Jede Tierart hat in jedem Land einen anderen Namen.

Damit man weltweit überhaupt weiß, wovon man redet,  hat man vor hundertfünfzig Jahren jeder Tierart noch einen zusätzlichen lateinischen Namen gegeben – ähnlich wie heute im Internet die unverwechselbare IP-Adresse jedes Internet-Computers.

Diese lateinischen Namen aller Flora und Fauna sind bei allen Behörden weltweit bekannt und allgemeine Basis für Einfuhrgenehmigungen, Verzollungen und alle sonstigen Statistiken.

Jetzt waren also in Südamerika, als Beispiel in Brasilien, der Otter und der Ozelot plötzlich verboten worden zu exportieren.

Das Exportverbot in Brasilien galt aber nur für brasilianische Otter und Ozelotfelle.

Der Otter heißt lateinisch Lutra Lutra und der Ozelot Felix Geoffrey.

Ich ließ also die braven Tierchen vom oberen Amazonas in die Pampa Paraguay umsiedeln, erfand eine Unterart der Otter als Lutra Lutra paraguaya und diese besonders schöne Tierspezies war dann von keinem Verbot betroffen – es gab sie in keiner einschlägigen Exportliste und was nicht im Zollbuch als verboten drinsteht ist erlaubt.

Die Ozelots hatten den langen Marsch vom  kolumbianischen Urwald ins schöne Paraguay ebenso einigermaßen brav überstanden und erhielten als Felix Geoffrey Paraguayis einen neuen Stammbaum.

Schöne Skunks aus dem kalten Feuerland fanden sich an den seichten Stränden Uruguays wieder, Guanakos aus Patagonien, die in Argentinien nicht exportiert werden konnten, wanderten zu ihren Brüdern in die Hoch-Anden und nationalisierten sich dort zu Guanacos andenas altiplanas.

Jaguare und Riesenotter frönten ihrer natürlichen Neugier, indem sie Reisen über tausende von Kilometern unternahmen, um als erste chilenische Jaguare  und chilenische Riesenottern ihrer Art den Eingang in die wissenschaftliche Literatur zu finden.

Die nationalen Behörden waren einfach nur darauf bedacht, dass keine Tiere ihres Landes exportiert wurden.

Wenn aber der Exporteur in Asuncion – der beschaulichen Hauptstadt Paraguays – zusammen mit dem Biologen Prof. Dr. von Henckell ankam und fachmännisch den Ursprung der hübschen Felle auf Guayana oder Patagonien bestimmte, so war es in diesem Moment Transit-Ware geworden, für die in Paraguay gerne gegen entsprechendes Honorar die nötigen Export-Zertifikate ausgestellt wurde.

In Europa kümmerte sich niemand bei der Einfuhr um die eigentliche Ware, die Hauptsache war, dass man ein Zertifikat hatte.

Es war völlig egal, was dann dort im einzelnen drin stand – viele Stempel und schön verschnörkelte Unterschriften sind, seit Bismarck den Berufsbeamten erfand, das liebste Kind jeder deutschen Behörde..

Was das statistische Bundesamt oder später die Brüsseler Behörde mit all den neuen Tierarten machte, die zu dieser Zeit  erfunden wurden, weiß ich nicht.

Wahrscheinlich gibt es dort inzwischen einige Laufmeter Aktenordner mit wissenschaftlichen Expertisen, welche die Lebensgewohnheiten dieser kleinen biologischen Randgruppen ganz genau beschreiben.

Es gab auch Felle, die konnte man immer noch ganz legal einkaufen, auch wenn das schon bald nicht mehr so viel Spaß machte. 

Doch kein Handel ohne Risiko.

An den Ufern des mittleren und oberen Amazonas leben hunderttausende von Wasserschweinen. Sie dienen den Indios als Fleischvorrat und bringen als Schweinehaut auch noch gutes Geld.

Deren  borstiges Fell ist ungewöhnlich dünn.  Diese Tiere rennen ihr ganzes Leben lang  an den Ufern der Flüsse  und in den nahegelegenen Dschungelgebieten und haben somit, anders als die dicken trägen Hausschweine, eine Haut, die hervorragend für feine, elastische und edle Schweinslederhandschuhe und  Damenstiefel geeignet ist.

Um diese  Felle zu bekomme, wurden von Manaus oder sonstigen Siedlungen am oberen Amazonas immer kleine Expeditionsschiffe  gechartert. 

Der Kapitän bekam etwas Geld zum Einkaufen – meistens so um die 10.000 Dollar, und fuhr mit seiner kleinen Mannschaft los.

Wenn das Geld alle war, kam er vollgeladen mit Fellen, Kautschuk, Reptilien und anderen Urwaldprodukten  zum Ausgangspunkt seiner Reise zurück.

Meistens jedenfalls.

Es geschah auch gelegentlich, das diese Boote einfach ein paar Flussbiegungen stromabwärts anlandeten.

Der Kapitän und die Besatzung verscherbelten ihre Ware auf den dortigen Märkten am Hafen, und wenn sie an ihren ursprünglichen Hafen zurückkehrten, sagten sie einfach, sie seien überfallen worden und Felle und Geld seien weg. 

Beweisen konnte man kaum etwas, es war eben Berufsrisiko.

Ich habe, soweit ich mich erinnern kann, selber damals 4 solche kleinen Expeditionen mitgemacht respektive finanziert.

Nachdem einmal das Ergebnis im wahrsten Sinne des Wortes Null war, lohnte sich die ganze Sache nicht und ich überließ diese Art der Beschaffung wieder den dortigen Experten. 

Schuster Vogt, bleib bei deinen Leisten.

Einmal hatten wir eine riesige Reklamation eines sehr guten und großen Schweizer Kunden.

Er hatte eine Partie Ozelot und Jaguarfelle bei uns gekauft und diese Partie brachte nach dem Gerben ein katastrophales Ergebnis.

Über die Hälfte der Felle zerfiel während des Gerbprozesses in kleine Stücke und war wertlos geworden.

Ich konnte es nicht glauben, aber als ich bei diesem Kunden die Berge von vergammelten kleinen Fellresten selber sah, musste ich etwas unternehmen.

Diese Partie hatte ich im mittleren Amazonas und in einigen Dörfern am Rio Negro  übernommen und via Paraguay in die Schweiz geschickt, das stand fest.

Also beim nächsten Südamerika-Besuch gleich nach der Ankunft über Rio und Manaus ab in den Amazonas, um zu sehen, was da los war.

Ich löste das Rätsel, und es war typisch brasilianisch.

Es gab zu jener Zeit diverse, oftmals sehr kurzlebige Militärrevolutionen und Regierungen in Brasilien.

Jede neue Militärregierung hatte Angst,  schnell wieder weggeputscht zu werden.

Man hatte also seitens des Militärs und der Militärregierung ein vitales Interesse daran, den Umgang und Erwerb von Waffen aller Art zu kontrollieren und möglichst zu verbieten.

Oben am Amazonas machte sich das insofern schnell bemerkbar, als es schlagartig für alle normalen Gewehre keine Munition mehr gab. 

Ohne Munition keine Jagd, ohne Jagd keine Felle.

Als ich in den ersten Urwald-Ort kam, wo ich beim letzten Besuch größere Teile der arg zerfetzen letzten Lieferung übernommen hatte, fiel mir am Dorfeingang schon auf, dass überall große Mengen von Silberpapierstückchen herumlagen.

Die Frauen, die die Felle normalerweise säubern, trocknen und für den Verkauf vorbereiten, hatten alle dicken Backen – sie kauten alle Kaugummi.

Des Rätsels Lösung war, dass man, nachdem man keine Gewehrkugel-Munition mehr kaufen konnte, notgedrungen auf Schrotflinten auswich.

Und ein kleiner Ozelot oder Otter, mit einem Schrotgewehr geschossen, hatte über das ganze Fell verstreut fünfzig bis hundert kleine und kleinste  Schrotkugel-Löcher im kostbaren Pelz.

Die Dorfbewohner wussten, dass diese Felle völlig unbrauchbar waren, aber verkauft werden musste die Ware, die Schrotgewehre haben auch viel Geld gekostet.

Die Frauen saßen auf dem Dorfplatz  und klebten mit unheimlicher Geduld jedes kleinste Loch im Fell einer Wildkatze oder eines Otters  mit kleinen zerkauten Kaugummi-Kugeln zu.

Dann wurden die Felle mit Erde und Lehm so geschickt auf der Rückseite verschmiert und getrocknet, dass man die Kaugummi-Reparaturen nicht mehr erkennen konnte.

Erst später beim Gerben lösten sich Kaugummi, Erde und Lehm im Bottich der Gerberei auf und übrig  blieben tausende von völlig zerfetzen kleinen  Fellresten.

Ich akzeptierte innerlich, dass ich diesmal bildschön reingelegt worden war.

Zum Ausgleich und zur Stärkung meiner eigenen Position fing ich jetzt an, aus vielen Fellen hunderte von Kaugummi-Stückchen herauszubrechen und sie sorgsam auf den Tisch zu kleben, auf dem ich die Ware normalerweise besichtigte und übernahm.

Die Frauen und die Häuptlinge staunten nun ihrerseits ob der leicht hellseherischen Fähigkeit des jungen Bleichgesichts und da wir beide uns auch in Zukunft sicherlich noch als Handelspartner brauchten, fanden wir schlussendlich eine Lösung.

Dieses kleine Erlebnis soll zeigen, dass auch exotische Beschäftigungen auf ein ganz einfaches und menschliches Maß reduziert werden können –  wie auch das letzte Beispiel zeigen soll, diesmal aus dem Dschungel von Süd-Venezuela.

Ich kam dort eines Tages an, fragte mich durch, wer etwas von den Artikeln, die mich interessierten,  haben könnte, und landete in der geräumigen Hütte eines uralten Indianers.

Er hatte keine Ahnung was ich wollte, man hatte mich an die falsche Adresse geschickt, vielleicht hatten meine Konkurrenten, die es auch dort überall gab, dies vorher so organisiert.

Der alte Mann hörte mir geduldig zu, schwieg, lächelte und holte schließlich aus einer kleinen alten Teedose einen Stein, den er mir überreichte.

Es war ein Rohdiamant, was ich aber in diesem Moment nicht wusste, da ich von Edelsteinen keine Ahnung hatte.

Der Alte Mann redete weiter und erzählte viele Sachen in einer Mischung aus spanisch und einer mir völlig unbekannten Sprache

Schließlich beendete er seinen Monolog, erhob sich, und fing an sich zu verabschieden.

Ich danke nochmals für die Zeit, die Informationen, den Glücksstein und übergab ihm zum Abschluss noch meine Visitenkarte, die er lange ansah und dann in seine kleine Dose legte.

Nach Jahren sollte ich noch einmal in diese Siedlung zurückkommen.

Der alte Mann war nicht mehr da, aber man erzählte mir, er habe  in all den Jahren immer wieder von einem sehr guten Freund gesprochen, der irgendwann mal wiederkommen würde.

Er hatte die ganze Zeit die Visitenkarte wie einen kleinen Schatz aufgehoben, auch wenn sie ihm nichts nützte – er konnte weder lesen noch schreiben.

Den Diamanten habe ich schleifen lassen und später zur Hochzeit meiner lieben Nelly geschenkt – schließlich war sie das liebenswerte Ergebnis einer der ganz wenigen Unternehmungen, die ich völlig legal aus Südamerika nach Deutschland brachte.

Heute ist unser letzter Tag auf See, ich muss den Koffer packen, den Computer abbauen und mich jetzt auf die letzten beiden Tage in Santiago de Chile auf die Familie vorbereiten.

Darum ist hier jetzt Schluss, die nächste Schiffs-Fahrt auf dem Amazonas ist geplant, sobald mein Chefarzt mich aufgegeben, meine Frau mich zu Ende gepflegt, meine Kinder mich nicht mehr mit Onkel anreden und mein Verleger pleite gegangen ist. 

Ostern 2009