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Prolog

Hänsel und Gretel

„Was haben Hänsel und Gretel gemeinsam mit Bonnie und Clyde?“

Doktor Kupferschmied machte eine bedeutungsschwangere Pause und blickte mit leicht geneigtem Kopf über den Rand seiner Brille in die Klasse. Ungefähr 30 Jungen und Mädchen im hoffnungsvollen Alter von 14–16 Jahren versuchten daraufhin irgendwie intelligent auszusehen, vermieden aber jeden direkten Blickkontakt, da niemand irgendeine Ahnung hatte, was ihr Deutschlehrer mit dieser Frage bezweckte. Selbst Thomas Deckel, der aufgrund seiner leicht überbordenden Fantasie zumindest im Deutschunterricht nicht immer nur schlechte Noten bekam, war ratlos.

Herr Kupferschmied genoss ersichtlich diese Situation. Er stellte sich mit seiner kompletten Länge von 167 cm vor der großen Tafel auf und schrieb dann mit seinem dicken Kreidestift diese vier Namen auf die Tafel. Dann zeigte er auf die Tafel und fing an zu dozieren.

„Ihr kennt alle das Märchen von Hänsel und Gretel. Die meisten von euch kennen auch die Geschichte von Bonnie und Clyde, dem berühmten amerikanischen Gangsterpaar. Gemeinsam ist ihnen“ – und dabei nahm er den Schwamm aus dem Korb unter der Tafel und wusch die beiden Namen Gretel und Clyde aus der großen Tafel.

„Gemeinsam ist in diesen beiden so unterschiedlichen Geschichten, dass es immer um unzertrennliche Paare geht. Niemand von euch hat bisher ein Märchen oder eine Geschichte gelesen, die nur von Hänsel oder die nur von Gretel handelt. Das wäre dann eine völlig neue Geschichte, und die hat bisher noch niemand geschrieben. Bonnie und Clyde sind nur deswegen ein amerikanischer Mythos geworden, weil sie alles gemeinsam machten. Vom Anfang bis zum Ende. Auch hier gibt es keine einzige Geschichte, die nur von einem dieser beiden Gangster handelt.

Thomas verstand allmählich, worauf sein Lehrer hinaus wollte. Und da er zum einen immer gerne irgendwelche Zwischenrufe von sich gab und zum anderen Deutsch bei Doktor Kupferschmied eines seiner wenigen schulischen Highlights war, hob er seine Hand und sagte: „Das ist dann also so wie bei siamesischen Zwillingen“

Sein Lehrer, der trotz seiner etwas geringen Körpergröße einer der größten und brillantesten Mitglieder seines Kollegiums war, nickte anerkennend.

„Gut gesagt, Thomas“, antwortete er auf diesen Einwand und überlegte dann einen längeren Augenblick. „Wenn wir uns in dieser Stunde mit dem Thema der Duplizität beschäftigen oder etwas allgemeiner gesagt mit dem Thema, wo zwei Sachen oder Personen zu einer Geschichte verschmelzen, so greife ich die Bemerkung von Thomas auf und werde euch etwas mit auf den Weg geben. Dann setzte er sich wieder auf seinen hohen Stuhl hinter dem alten Lehrerpult und erzählte mit leiser Stimme:

Was siamesische Zwillinge sind, weiß inzwischen jeder. Es hat unter den bekannteren siamesischen Zwillingen Menschen-Paare gegeben, die eine relativ lange Zeit in dieser Form aneinander gekettet waren. So auch die Geschwister Sarah und Samuel aus Kanada. Sie hatten sich jeder für sich unterschiedlich entwickelt und die physische permanente Nähe des anderen war ein Teil ihrer jeweiligen Persönlichkeit geworden. Irgendwann verbesserte sich die medizinische Kunst soweit, dass man in der Lage war, diese beiden Menschen voneinander zu trennen.

Sie gaben ihr Einverständnis. Eine große, extrem aufwendige und weltweit beachtete Operation begann in einem der besten Krankenhäuser dieser Welt. Die Operation gelang. Die beiden wurden getrennt und die Welt klatschte anerkennend bis begeistert Beifall. Soweit die normale und durchaus nachvollziehbare Geschichte.

Die beiden Geschwister fingen daraufhin an, ihr eigenes Leben ganz normal zu führen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten.

Nach einer gewissen Zeit wurden sie still.

Dann traurig.

In sich gekehrt und für andere kaum noch ansprechbar.

Sie waren viele Jahre ihres Lebens auf für Außenstehende grausame Weise aneinander gekettet. Für sie selbst war es eine Normalität, dass dies nur sie selber erlebten. Sie waren sich beide viel näher verbunden als die allermeisten Geschwister. Und nach einer Pause von einigen Monaten gingen sie an die Öffentlichkeit und forderten etwas, was die Welt erschütterte.

Sie konnten nicht mehr alleine leben. Sie forderten, dass man sie beide wieder so zusammenfüge, wie man sie vor einigen Jahren getrennt hatte. Nur dann würden sie sich als Menschen fühlen, die ein Leben so führen können wie es ihr Wunsch war.

Es hat diesen Fall nie gegeben – es ist ein reines Gedankenspiel. Alleine ihn gedanklich zu formulieren ist schon ein intellektuelles Wagnis. Jeder von euch wird sich jetzt seine Gedanken machen und dieser Geschichte einen persönlichen Abschluss geben. Ich werde ihn nicht bewerten. Aber ihr wisst dann mehr über euch selbst.

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von Thomas Deckel

Personenverzeichnis

Thomas Deckel Protagonist
Anna Deckel Frau von Thomas Deckel
Detlef Deckel Vater von Thomas Deckel
Paula Decker Mutter von Thomas Deckel
Albert Deckel Großvater von Thomas, Vater von Detlef Deckel
Adele Deckel Ehefrau von Albert Deckel
Axel Huus Vater von Anna Deckel
Bertha Huus Mutter von Anna Deckel
Pinar Decke Tochter von Thomas Deckel
Fritz Oberer Bester Freund von Thomas Deckel, Schweizer
Klaus Emmerich Leiter China-London Bank Cooperation und danach vom Schweizer Bankhaus Grundzell
Haus Mauer Bridgepartner von Thomas Deckel
Dr. Kupferschmied Deutschlehrer von Thomas Deckel
Dr. Wolfs Hausarzt der Familie Deckel
Major Peters Leiter Beschaffungsstelle GAU Hamburg

Geschichten

Diese Schulstunde war vor über 50 Jahren.
Sein Lehrer hatte recht, diese Geschichte hatte Thomas nie vergessen.

Jetzt saß er mit seinen 76 Jahren an seinem Schreibtisch, hatte Mikrofon und Kopfhörer übergestülpt und vor sich einen kleinen Computer. Auf seiner linken und rechten Seite lagen zwei Schnellhefter in verschiedenen Farben. In diesen Ordnern waren zwei Geschichten, die er zu sehr unterschiedlichen Zeiten und Abschnitten in seinem recht turbulenten Leben geschrieben hatte. Er hatte schon viele kleine und etwas größere Geschichten aufgeschrieben. Selbst Erlebtes, selbst Erdachtes und selbst Gesponnenes – vom Knast über 1001 Nacht bis hin zum Kindermärchen – so etwas aufzuschreiben, das forderte ihn und machte ihm Freude.

Jetzt aber war die Situation anders. Die beiden Geschichten, die links und rechts von ihm lagen, hatten im Grunde genommen überhaupt nichts miteinander zu tun. Und doch gab es Schnittstellen, die den Inhalt dieser beiden Geschichten auf unzertrennbare Weise zusammenfügten. Diese Situation, aus zwei Sachen eine zu machen und gleichzeitig jede Geschichte komplett alleine zu erzählen – das war auch für Thomas neu. Er konnte ohne weiteres aus mehreren Kapiteln ein großes Kapitel machen. Er konnte zusammenfügen und streichen.

Aber er konnte und wollte nicht etwas aufschreiben, nur um sich selbst zu beweisen. Am Schluss entschloss er sich, die beiden Geschichten jeweils als ein Buch zu gestalten. Bücher können nicht miteinander verschmelzen. Bücher bleiben auch im Bücherschrank stolz und einsam nebeneinander stehen. Man kann aber diesen beiden Büchern einen gemeinsamen Titel geben. Und damit hatte Thomas auch dieses Problem gelöst. Es sollte seine vorläufig letzte und ehrlichste Erzählung werden. Zur Ehrlichkeit gehört, dass man eigene Fehler gesteht. Auch wenn man sie gerne gemacht hatte.

Soviel zum Titel.

Punta Cana, Dominikanische Republik, im Jahr 2 der Pandemie

Erstes Buch

Kapitel 1

1992 – Hamburg – in der Praxis des Hausarztes Dr. Wolfs

Die Familie Deckel hatte, wie die meisten Familien der Hamburger Gesellschaft, einen Hausarzt, der die einzelnen Familienmitglieder in guten und schlechten Zeiten begleitete. Paula Deckel saß ihrem Hausarzt Dr. Wolfs an diesem Morgen in seiner Praxis gegenüber. Er hatte sie zu sich gebeten, was schon etwas ungewöhnlich war, denn normalerweise wurde alles mit dem Hausarzt in der eigenen Wohnung besprochen.

„Paula“, sagte er, denn sie duzten sich seit Jahren, weil ihr Mann Detlef gleichzeitig auch der Kapitän der Hockeymannschaft war, in der der Hausarzt seit Jahrzehnten zusammen mit Detlef fast jeden Sonntag Hockey spielte. „Paula“, sagte er ihr in seiner freundlichen und zurückhaltenden Art, „ich habe dich gebeten heute zu mir zu kommen, weil ich dir etwas ganz Persönliches mitteilen muss.

Ich habe im Lauf der letzten beiden Jahre bei Detlef Anzeichen gesehen, die dazu führen könnten, dass er über kurz oder lang eine gewisse Demenz bekommen könnte.

„Die Anzeichen sind klein“, fuhr er fort „und so, wie ich es zurzeit beurteile, könnte es eine leichte und stille Demenz werden, die wahrscheinlich nicht einmal einen späteren Heim-Aufenthalt benötigen würde – aber du sollst es jetzt so früh wie möglich wissen und hast dann sehr viel Zeit, dich mit dieser Situation zu beschäftigen. Ich weiß, dass Detlef immer noch viel und gern ins Büro geht und das solle auch ruhig weitermachen. Ich weiß auch, dass euer Sohn Thomas inzwischen schon mehr oder weniger die Fäden des Geschäftes an sich gezogen hat und sich als neuer Lenker wohl auch recht positiv anstellt.

Ich würde dir auch raten, Thomas von dieser Situation zu erzählen. Ich selber kann es nicht, denn Du wirst mit Detlef weiterleben und Thomas wird sein eigenes Leben führen.

Kapitel 2

1992 – Hamburg – Restaurant Saliba

„Schmeckt’s?“
„Mhhm.“
Damit war an sich alles gesagt.

Es gab im Repertoire von Detlef Deckel drei Möglichkeiten, auf so eine Frage zu antworten.

Das lange „Mmmmmhhhhmm“ – mit leichten Schwankungen in der Lautstärke und ganz tief aus dem Kehlkopf kommend – bedeutete so etwas wie „herrlich“ oder „wunderbar“.

Das mittlere „Mmmhhhhm“ war abwägend, leicht fragend und oftmals mit einem leichten Heben und Senken der Schulter verbunden und bedeutete „weiß nicht genau, muss noch mal überlegen“.

Das kurze „Mhhm“ war die unausgesprochene klare Ablehnung.

Vergleichbar mit dem Satz „Frag’ nicht so dumm, du weißt doch genau, wie die Antwort ist“.

Thomas Deckel wusste genau, was dieses kurze „Mhhm“ seines Vaters bedeutete.

Seinem Vater lief im Moment so ziemlich alles gegen den Strich. Das seit Jahren beste Lokal Hamburgs, das berühmte SALIBA mit seinem wunderbaren syrisch-libanesischen Gerichten, war ihm fremd und er konnte, seitdem sie hier vor einer halben Stunde eingetreten waren, mit diesem Ambiente nichts anfangen. Kleine Rosenblätter auf dem Tisch, ein Hauch von Minze, Koriander und sonstigen Düften und Gewürzen in der Luft, dezente aber fremde Musik und ein Publikum, wie es sonst nur in Hamburgs nobelsten Clubs zu finden war – das war alles nicht nach dem Geschmack von Detlef Deckel. Er konnte sich auch bis zu diesem Moment noch nicht richtig vorstellen, was seinen Sohn Thomas bewogen hat, mit ihm in dieses exklusive Restaurant zu gehen.

Als der sehr freundliche und diskrete Ober die berühmte Vorspeise brachte, war der absolute Tiefpunkt bei Detlef Deckel erreicht. Auf einem großen schweren ovalen Teller, der in die Mitte des Tisches gestellt wurde, befand sich eine Vielzahl von kleinen und kleinsten Vorspeisen. Teilweise länglich, teilweise rund und jedes einzelne dieser kleinen Häppchen auch noch in einer zusätzlichen kleinen Schale.

Damit konnte Detlef überhaupt nichts anfangen und blickte fragend zu seinem Sohn Thomas. Thomas, dem das berühmte Saliba durch verschiedene Besuche in den letzten zwei Jahren vertraut war, stellte einige Schälchen vor seinen Vater und forderte ihn freundlich auf, das zu probieren. Der Inhalt des ersten Schälchens bewirkte bei Detlef einen leicht fragenden Blick an die Decke des Restaurants. Die in einen dünnen Teigmantel eingewickelte Dattel des zweiten Schälchens führte Detlef Deckel zum Mund und überlegte dabei wohl schon, wie er den großen Dattelkern irgendwie dezent entsorgen könnte.

Als kein Kern zu spüren war, überlegte er sich, was das für eine neue Art von Datteln sein würde. Und als dann diese Frage seines Sohnes Thomas kam, ob es ihm schmecken würde, antwortete er klar mit dem ihm eigenen wirklich sehr kurzen „Mhhm“.

Für Thomas verlief dieser Anfang des Abends bisher genau nach Plan. Er wusste, was sein Vater gern essen mochte und was nicht. Schließlich kamen sie beide jeden Mittag vom altehrwürdigen Büro neben dem Hamburger Rathausmarkt extra zum Mittagessen nach Hause in ihre schöne Villa in der Bellevue.

Und was seine Mutter sich vormittags für das Mittagessen ihres Mannes überlegte, war ebenfalls ein seit Jahren erprobtes Ritual.

Zweimal die Woche Roulade – einmal aus Kohl und einmal aus Fleisch.
Einmal Gulasch aus den Resten der übrig gebliebenen Rouladen.
Einmal Bratwurst aufgeplatzt oder Bratwurst im Ganzen.
Am Sonnabend die Freundschaftssuppe mit allen, was sich im Laufe der Woche so angesammelt hatte.

Und am Sonntag dann das absolute Highlight: Schneidebohnen mit Rindfleisch. Selbst wenn ihr lieber Detlef am Sonntagmorgen beim Hockey mal verloren haben sollte – wenn es mittags Schneidebohnen mit Rindfleisch gab, war sogar die soeben erlebte sportliche Niederlage vergessen. Natürlich gab es im Saliba nichts, was auch nur ungefähr an Schneidebohnen mit Rindfleisch erinnern könnte. Aber Thomas hatte vorher kurz mit dem Ober gesprochen und ihm erklärt, dass er bitte fünf Minuten nach dem Vorspeisenteller für seinen Vater eine schöne Portion Bratkartoffeln mit leichtem Hammelfleisch bringen sollte.

Ohne irgendwelche orientalischen Gewürze, nur direkt aus der Pfanne mit Salz, Pfeffer und Zwiebel – und das Trinkgeld, das hierbei seinen Besitzer wechselte, animierte den Koch und den Kellner, diesem Wunsch gerne Folge zu leisten.

Nachdem die bisherige Tisch-Konversation zwischen Vater und Sohn aus einer kurzen einsilbigen Frage und einer noch kürzeren einsilbigen Antwort bestand, ging Thomas zum zweiten Teil seines Plans über. Der ganze Plan bestand aus drei Fragen.

„Tja Vater“, so nannte er seinen Vater schon seit Jahren, „du würdest jetzt wohl auch lieber Schneidebohnen mit Rindfleisch vor dir haben…“

Die Augen seines Vaters leuchteten kurz auf. Und dann kam die erste seiner drei Fragen:

„Sag mal, Vater, wann hast du eigentlich das letzte Mal Schneidebohnen mit Rindfleisch gegessen?“

Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: „Das weiß ich noch ganz genau, das war Sonntag.“

Und jetzt die zweite Frage von Thomas:

„Und wann hast du eigentlich das erste Mal Schneidebohnen mit Rindfleisch gegessen?

Sein Vater, der gewohnt war auf jede vernünftige Frage eine vernünftige Antwort zu geben, fing intensiv an zu überlegen. Da er auf diese Frage nicht mit einem klaren Datum antworten konnte, suchte er in seinen Erinnerungen nach irgendeinem Ereignis, dem er ein ungefähres Datum zuordnen könnte und das in einem möglichst direkten Zusammenhang mit dem Thema Schneidebohnen mit Rindfleisch stand. Er fing an zu grübeln und man sah, dass er schon ganz weit in seinen Erinnerungen herum suchte.

Ohne eine Antwort auf seine zweite Frage bekommen zu haben, ging Thomas jetzt zu seiner dritten und letzten Frage über. „Und was habt ihr damals gegessen, wenn es gerade mal keine Schneidebohnen mit Rindfleisch gab…“

Das war der Volltreffer.

Detlef setzte sich auf seinem Stuhl etwas zurück, schloss halb die Augen und Thomas konnte mit ansehen, wie sein Vater in ganz kurzer Zeit ganz weit in seinen Erinnerungen versank. Die schönen Bratkartoffeln mit den kleinen saftigen Hammelfleischstückchen verspeiste Detlef Deckel jetzt so ganz nebenbei. Er war in seinen Gedanken von diesem Moment an viele Jahrzehnte in der Vergangenheit. Und genau das hatte Thomas mit diesem Besuch im Saliba beabsichtigt.

Die nächsten 2 Stunden vergingen wie im Flug.

Detlef fing an zu erzählen.

Vom Essen von früher, von den Umständen von früher, von der Familie von früher, vom Geschäft von früher, von kleinen Reisen, von seinen Lehrern und Mitschülern und Freunden von damals – Thomas hatte es geschafft, die Tür im Kopf seines Vaters zu öffnen. Und was dabei in den nächsten beiden Stunden heraus quoll, war mehr als Thomas je zuvor erlebt hatte.

Kapitel 3

1941 – Hamburg- Villa Familie Deckel in der Parkallee

„Lederstiefel?“

„Ja, Lederstiefel!“

„Entschuldigung, aber ich verstehe wirklich nicht.“

Albert Deckel musterte seinen Gegenüber und wusste nicht, wie er sich jetzt verhalten sollte. Der Offizier, der ihm ohne vorherige Ankündigung heute Vormittag diesen Besuch abstattete, machte einen ruhigen und trotz seiner Uniform ziemlich vertrauenswürdigen Eindruck. Er hatte diese Uniform vorher noch nie gesehen und ihm waren von den Schulterklappen abwärts die kleinen Orden auf der Brust und die etwas breiteren Streifen an der Seite der Uniformhose nicht geläufig.

Sein Besucher hatte sich ihm gegenüber als Major Peters ausgegeben. Leiter der Kriegsbeschaffungsstelle Gau Hamburg. Albert Deckel war Anfang 60 und hatte es geschafft, in seinem Leben niemals irgendeine militärische Funktion annehmen zu müssen oder gar Wehrdienst in Kriegs- oder Friedenszeiten zu leisten. Ihm war alles Militärische suspekt und aus dieser Grundeinstellung heraus fragte er seinen Besucher jetzt noch einmal, was dieser denn mit „Lederstiefeln“ überhaupt gemeint hatte.

Major Peters war aus gutem Grund Oberbefehlshaber einer der größten Reichsbeschaffungsstellen in Deutschland geworden. Und er hatte sich, so wie es seine Art war, intensiv auf dieses Gespräch vorbereitet. Nachdem sich die beiden Herren in den ersten Minuten einander misstrauisch beäugend gegenübergestanden hatten, erkannte Albert Deckel, dass sein Besucher es verdient haben würde, das Gespräch am Tisch fortzuführen. Und so saß man nun im Arbeitszimmer von Albert Deckel in seiner Villa in der Parkallee gegenüber.

„Also“, begann Major Peters, ich werde Ihnen jetzt das Stichwort Lederstiefel versuchen in kurzen Sätzen zu erklären, um dann zum eigentlichen Teil meines Besuches übergehen zu können. „Deutschland befindet sich seit drei Jahren im Krieg. Und trotz der vielen und großartigen Erfolge in diesen Jahren müssen wir uns Gedanken machen über die Fortführung des Krieges. Ich gehe davon aus, dass Sie, verehrter Herr Deckel, eine gute humanistische Bildung genossen haben. Und so wissen Sie aus der Geschichte, dass zum Beispiel die ansonsten so überaus siegreiche Armee Napoleons bei ihrem Russlandfeldzug kläglich scheiterte. Der Grund waren weder Waffen noch die Entfernung – es war die Tatsache, dass Napoleon für seine Soldaten im russischen Winter keine entsprechende Ausrüstung hatte. Man bewegte sich ausschließlich zu Fuß. Nur die höchsten Offiziere ritten zu Pferde. Im Schnee und bei der klirrenden russischen Kälte waren Lederschuhe das einzige, was die Soldaten brauchten, um jeden Tag weiter marschieren zu können. Aber es gab schlicht keine. Oder wenn, dann viel zu wenig.

Der ganze Feldzug scheiterte, weil die Mobilität der Armee nicht mehr gewährleistet war. Sie können jemandem in der Kälte einen Pullover aus Wolle oder mehrere Jacken oder Hemden geben, das schützt seinen Körper einigermaßen. Aber ob er sich bewegen wird oder nicht – das hängt alleine von seinem Schuhwerk ab. Und ohne Lederschuhe kann kein Soldat im nördlichen oder östlichen Europa erfolgreich operieren. Doch jetzt, verehrter Herr Deckel, zurück zur aktuellen Lage: Wie Sie als Inhaber einer der größten deutschen Leder- und Fell-Importfirmen natürlich genau wissen, gibt es in Deutschland selber nur 10–15 Prozent der Menge an Leder, die wir benötigen. Alles andere wird importiert.

50 Prozent aus Australien, 20–25 Prozent aus Argentinien, ein größerer Teil aus Südafrika und der Rest aus den Vereinigten Staaten von Amerika. Und alle diese Länder sind zurzeit entweder direkt mit uns im Kriegszustand oder sie gehören zum Einflussgebiet von England und den USA. Sie wissen, dass besonders England ein weltweites Embargo ausgesprochen und durchgeführt hat für alle kriegswichtigen Stoffe. Danach darf aus allen ehemaligen britischen Kolonien nichts mehr nach Deutschland geliefert werden, was die deutsche Armee stärken würde. Und England hat zusätzlich sämtliche andere Regierungen aufgefordert, diesem Embargo ebenfalls beizutreten. Dies alles ist Ihnen aus ihrem täglichen Geschäft bekannt, und ich erwähne es nur, um Ihnen darzulegen, dass auch mir diese Tatsachen sämtlich durchaus bewusst sind.

Um jetzt zum Anfang zurückzukommen: Ich bin verantwortlich dafür, dass das deutsche Heer in ausreichendem Maße mit Lederartikeln versorgt wird. Das bedeutet zum ganz großen Teil Lederschuhe, danach noch Mäntel oder Mützen oder Kappen für unsere Flieger oder Seefahrer. Wir brauchen also die entsprechenden Rohwaren – und es ist absehbar, dass wir in Kürze diese nicht mehr von uns aus besorgen können.

Das ganze war Albert Deckel bekannt, es war sein tägliches Geschäft. Seine Firma kaufte Rindsleder und die Häute, Felle und Leder anderer Tiere auf der ganzen Welt und brachten dann alle Waren in der Hamburger Speicherstadt auf ihre großen Lager, um sie von dort aus an die Schuhfabriken in Süddeutschland, aber insbesondere an die riesigen Fabriken in Ungarn, auf dem Balkan sowie in Polen und in Russland zu verkaufen. Er hatte mit großer Sorge erlebt, dass die Mengen, die er auf dem Weltmarkt für seine Firma bekommen konnte, in den letzten Monaten drastisch geschrumpft waren.

Es gab derzeit nur noch sehr wenige Möglichkeiten, aus Asien oder Südamerika solche Rohware zu bekommen. Was ihm aber nicht klar war, das war die Frage, was Major Peters von ihm wollte – wo doch im Grunde genommen beide genau wussten, dass es hier Schwierigkeiten gab, die jeden Tag größer wurden und für deren Lösung man kein Rezept hatte.

Nachdem Major Peters mit seinen Erklärungen zu Ende war, fragte Albert Deckel dann auch umgehend und ganz direkt, was er in dieser ganzen Situation damit zu tun hätte. Und jetzt kam der Major mit seinem Plan. Dieser Plan war, wie die meisten genialen Pläne, ganz einfach.

„Sie, verehrter Herr Deckel“, erklärte Major Peters, „kennen das gesamte weltweite Geschäft in all ihren Artikeln. Sie kennen alle größeren Lieferanten, die allermeisten großen Schlachthäuser und viele der Handelsagenten, die überall auf der Welt gegen eine entsprechende Kommission die Partien für die europäischen Kunden überwachen und verschiffen. Deutschland und das Deutsche Reich sind als Kunde für diesen Weltmarkt gestorben. Aber die Schlachtungen überall auf diesem Globus gehen weiter. Die Tiere leben nicht länger, nur weil ihre Felle oder ihre Häute im Moment nicht dahin geschickt werden können, wo sie normalerweise immer hingeschickt werden. Wenn also die Menge der weltweiten Schlachtungen in etwa gleich ist, so muss nur der Empfang umgeleitet werden. Und dafür bietet sich das Land an, das schon lange Dreh- und Angelpunkt von solchen Waren und Geschäften ist: die Schweiz.

Die Neutralität der Schweiz ist sowohl den Schweizern selber als auch den allermeisten Menschen dieser Welt heilig. In der Schweiz gibt es inzwischen Firmen für fast alle kriegswichtigen Materialien. Wenn man all das Blei oder Eisenerz oder Kupfer auf einen Haufen packen würde, was zurzeit über die Schweiz läuft, so müsste dieses kleine Land unter dem Gewicht von Millionen Tonnen kriegswichtiger Metalle schlicht erdrückt werden.

Aber all die schönen hohen Schweizer Berge stehen nach wie vor an ihrem Platz in diesem schönen kleinen Land. Die Mengen an Chemikalien, die weltweit bisher nach Deutschland geschickt wurden und die jetzt pro forma in der Schweiz landen, müssten dieses kleine Land an sich schon in einen einzigen Chemiebaukasten verwandelt haben. Aber die Sonne scheint noch immer von Lugano über den Zürichsee bis nach Genf.

Sie, verehrter Herr Deckel, werden schnellstmöglich eine Firma in der Schweiz gründen. Diese Firma wird eigenständig und ohne irgendwelche erkennbaren Verbindungen zu ihrer Hamburger Firma handeln. Sie wird die Mengen an Rohwaren, die Sie bisher über ihre Hamburger Firma in der ganzen Welt gekauft haben, jetzt zum größten Teil von der Schweiz aus kaufen. Die Waren selber werden wie bisher nach Hamburg geschickt, denn Hamburg ist der größte Lagerort für fast alle Waren, die in die Schweiz gehen sollen.

Wir hingegen werden dann dafür sorgen, dass die von ihrer Schweizer Firma gekauften Mengen zwar in Hamburg ausgeladen werden und auch wie bisher in die umliegenden Lagerhäuser im Hafen verteilt werden. Aber ob sie danach in die Schweiz gehen oder schlussendlich irgendwo in einer unserer großen Lederwerke oder Schuhfabriken landen – das wird von uns entschieden und organisiert. Sie werden weiter ihr Geld verdienen, sie werden weiter das Privileg haben, dass sie persönlich nicht zu irgendwelchen Kriegs- oder Ersatzdiensten herangezogen werden und wenn wir uns näher kennen sollten, dürfte dies auch für einen Teil ihrer engeren Familie gelten.

Ihre Villa hier in der Parkallee wird genauso unter speziellen Schutz genommen wie andere Häuser in dieser schönen Gegend, wo Menschen wohnen, die helfen, kriegswichtige Materialien für das Deutsche Reich zu beschaffen. Ich kann Ihnen versichern, dass wir spezielle Flak und sonstige militärische Maßnahmen getroffen haben, damit bei einem Angriff – wenn er denn überhaupt kommen sollte – ihr schöner Stadtteil hier auf jeden Fall geschützt ist. Sie helfen uns, wir helfen Ihnen und dann ist allen geholfen. Ich werde in wenigen Tagen noch einmal mit Ihnen Kontakt aufnehmen, um Einzelheiten mit Ihnen zu besprechen und ich gehe davon aus, dass Sie sich bis dahin mit dieser Situation soweit vertraut gemacht haben, dass wir beide uns vernünftig unterhalten und Entscheidungen treffen können.

Dann stand er auf und ging ohne den üblichen Gruß des Führers auszusprechen zur Haustür.

Ich bitte Sie, meine ergebene Empfehlung an ihre verehrte Gattin Adele zu überbringen. Ich darf mich für dieses Gespräch bedanken und mich gleichzeitig von Ihnen verabschieden. Dann drehte er sich um und ging zu seinem Wagen vor der Villa, wo sein Fahrer die ganze Zeit auf ihn gewartet hatte.

Zwei Wochen später wurde die Schweizer Spezialfirma für Leder und Häute gegründet und nahm sofort ihre Arbeit auf.

Zwei Jahre später wurde die Villa in der Parkallee beim großen Luftangriff der Engländer total zerstört.

Seine Frau Adele kam dabei ums Leben.

Albert Deckel blieb den gesamten Krieg über unverletzt und arbeitete 6 Tage in der Woche im Kontor.

Die Firma der Schweiz stellte kurz nach Kriegsende ihre geschäftlichen Aktivitäten ein.

Sie hatte während der Jahre ihres Bestehens alle Steuern und Abgaben in der Schweiz bezahlt und es bestand für niemanden die Notwendigkeit, diese Firma zu liquidieren, zumal die Bankkonten dieser Firma noch größere Guthaben ausgewiesen hatten.

Albert Deckel verschwieg seiner Familie die ganze Zeit die Existenz dieser Firma. Nur als irgendwann ein leitender Mitarbeiter einer Schweizer Bank bei ihm in Hamburg auftauchte, um zu fragen, wie diese Konten bei seiner Bank weiter zu behandeln sind, ließ er sich die entsprechenden Formulare geben und forderte seinen jüngsten Sohn Detlef auf, an verschiedenen Stellen auf diversen Formularen zu unterschreiben. Damit war der alte Herr Albert Deckel die Last dieser geheimen Firma los und sein Sohn Detlef war von heute auf morgen per Unterschrift Anfang der fünfziger Jahre Inhaber einer Firma in der Schweiz geworden.

Detlef Deckel erzählte seinem Sohn Thomas dies alles an jenem Abend im Saliba, als ob es gestern geschehen war. Seinem Sohn Thomas fielen beim Zuhören dieser Geschichte vor Staunen die eine oder andere süße Dattel aus dem Mund und auf den mit Rosenblättern gedeckten Tisch in diesem feinen Restaurant. Wie konnte Thomas auch wissen, dass dies erst der Anfang einer Geschichte sein würde, die ihn sein ganzes Leben begleiten sollte?

Kapitel 4

April 1945, Mölln, im Keller

Die Russen hatten Berlin überrannt und wollten als letztes Ziel noch Hamburg erobern. 60 km östlich von Hamburg bereitete sich im Keller eines einfachen Hauses eine junge Frau auf die Geburt ihres ersten Kindes vor.

Der Ort hieß Mölln, eine Kleinstadt in der Nähe von Ratzeburg. Die Russen eroberten jeden Tag ca. 20 km Gebiet in Richtung Hamburg. Sie waren jetzt schon kurz vor Ratzeburg und am nächsten Tag waren dann Mölln und umliegende kleine Gebiete das Ziel. In drei Tagen würde man in Hamburg sein.

Im Keller des einfachen Wohnhauses fiel der Strom aus – die Geburt klappte auch bei Kerzenlicht. Irgendwelche Ochsen, Esel oder sonstigen drei Könige waren jedoch nicht anwesend.

Mölln ist als Kleinstadt herzerfrischend unbedeutend. Das einzige, was in der tausendjährigen Geschichte dieses Ortes passierte, war die Tatsache, dass Till Eulenspiegel dort vor vielen Jahrhunderten geboren wurde.

Und jetzt sollte also in dieser Nacht ein weiterer kleiner Eulenspiegel das Kerzenlicht der Welt erblicken.

Als die Wehen einsetzten, waren die Russen 20 km östlich von Mölln entfernt. Als der kleine Schalk das Kerzenlicht mit dem ersten größeren Schrei auspustete, waren die Russen noch 18 km entfernt.

Und als er das erste Mal in seine kleinen Windeln schiss, waren es noch 15 km.

Und dann war Schluss.

Einige Stunden später einigten sich die Engländer und die Russen, dass der russische Vormarsch genau dort, wo man jetzt war, gestoppt werden würde.

Und das war dann für die nächsten 50 Jahre die innerdeutsche Grenze.

Es war auch gleichzeitig das erste und wahrscheinlich letzte Mal, dass die junge Mutter von Herzen und mit großem Dank dafür betete, dass ihr kleiner Sohn in der späteren englischen und nicht in der russischen Zone aufwachsen konnte.

Die ersten Jahre

1945–1955, zwischen Badesee und Bombenkrater

Zu jener Zeit – heute auch gerne als Nachkriegszeit bezeichnet – war es noch üblich, dass man in geordneten Familienverhältnissen aufwuchs.

Der Vater war entweder im Krieg.
Oder Kriegsgefangenschaft.
Oder gefallen.
Oder verschwunden.

Die Mutter war, wenn sie Glück hatte, dort, wo es noch am ehesten etwas zu essen gab – also irgendwo bei Bauern auf dem Lande.

Die Kinder waren beim Spielen. Entweder in einem der unendlichen Wälder dieser Gegend. Oder an oder in einem See – Mölln ist umgeben von acht größeren Seen, und wer nicht schwimmen konnte, lief Gefahr nicht rechtzeitig nach Hause zu kommen und hungrig ins Bett gehen zu müssen. Außerdem gab es dann noch jüngere Geschwister, die bereits in etwas besseren Zeiten geboren wurden und die die große Not der ersten Nachkriegsjahre nicht erleben brauchten.

In Hamburg war die herrschaftliche Villa der Familie Deckel im großen Luftangriff der Engländer 1943 ausgebombt und ausgebrannt. Bis man wieder etwas ähnlich Repräsentatives finden konnte, vergingen jedoch nur wenige Jahre, Albert Deckel und seinem inzwischen guten Freund Major Peters sei Dank.

Diese ersten Jahre seines jungen Lebens verbrachte der kleine Till Eulenspiegel überwiegend in Mölln bei seinen Großeltern Axel und Bertha Huus.

Mit drei oder vier Jahren lernte er notgedrungen sich irgendwie schwimmend über Wasser zu halten und das war vielleicht auch der Grund, weshalb er im späteren Leben so gerne und so viel am und im Meer war. Die Fähigkeit, auch in schwierigsten Situationen nicht unterzugehen, entwickelte er zuerst unbewusst und dann gelegentlich auch in allen Facetten.

Mit sechs Jahren ging ́s zum ersten Mal zur Schule.

Der Schulweg von der Alster, wo sein Großvater Albert Deckel dank bester Beziehungen zu englischen Offizieren, die Hamburg nach dem Krieg verwalteten, wieder eine schöne Villa sein Eigen nennen konnte, bis hin zur Grundschule des kleinen Thomas – dieser Weg war die ersten Jahre ein Klettern durch Ruinen und über Trümmer-Grundstücke.

Obwohl die Schule nur vier Kilometer von der Villa an der Alster entfernt war, brauchten er und die Kinder seiner Nachbarschaft fast eine Stunde, um nach einem kleinen Gewaltmarsch durch viele zerbombte Häuser, kleine Kraterseen und vorbei an halb zerstörten Kellerwohnungen schließlich ihre Schule in der Forsmannstraße zu erreichen. Sie lag im benachbarten Stadtteil Barmbek, einem Arbeiter- und Industriegebiet, das fast komplett im Krieg zerstört worden war.

Vier Jahre Grundschule, dann eine Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium.

In dieser einen Prüfungswoche wurden die meist zehnjährigen Kinder praktisch den ganzen Tag mit Latein konfrontiert. Das Motto der Prüfungskommission war schlicht: Latein sei optimal, um die Logik zu testen. Außerdem hervorragend geeignet, um den Fleiß beim Vokabel-Pauken zu überprüfen.

Und schließlich die Sprache der Geisteswissenschaften – denn wer später mal etwas werden wollte, der solle es jetzt beweisen, indem er sich in dieser Woche überwiegend mit Latein beschäftigte.

Sein Vater, die Brüder seines Vaters, sein Großvater – alle hatten eine komplette, humanistische Ausbildung mit jahrelangem Lateinunterricht. Und wer das einmal gelernt hat, vergisst es nicht mehr.

Während dieser Aufnahmeprüfungswoche versorgte seine Mutter ihren Thomas jeden Morgen mit einem frischen kleinen Gläschen aus konzentriertem Rizinusöl. Damit war er für mindestens zwei bis drei Schulstunden auf der Toilette und nicht im Unterricht.

Sein Vater und seine Familienmitglieder übersetzten spielend und im besten Latein sämtliche Hausaufgaben.

Und nachts musste er ohne Schlafanzug bei geöffnetem Fenster versuchen etwas zu schlafen. Die schwere Erkältung nebst Grippe war so einprogrammiert, dass er tagsüber in der Schule beim Unterricht – wenn er nicht gerade auf den Toiletten war – statt zu reden nur noch husten konnte.

Insgesamt eine sehr gut durchorganisierte Tortur, um sicherzustellen, dass auch die nächste Generation der Familie eine humanistische Schulerziehung genießen würde.

Die nächsten Jahre seien mit dem Mantel des Schweigens gnädig überdeckt.

Die Leerzeit

Bis auf die Fächer Deutsch und Geschichte, in denen er aufgrund seiner Fähigkeit, mit sehr vielen Worten sehr viel auf sehr angenehme Weise übertünchen zu können, immer gute Noten hatte, war er in allen anderen Fächern mit Sicherheit kein Leistungsträger.

Latein, Physik und Chemie und die meisten Facetten der Mathematik wurden zu keinem Zeitpunkt seine Freunde. Nachdem er als 13- oder 14-Jähriger anfing, sich mehr für Musik und die Klassenfeste des befreundeten Mädchengymnasiums zu interessieren, war der Stab über seine schulischen Leistungen endgültig gebrochen.

Als er in der zehnten Klasse seine erste Ehrenrunde drehte, war er als Sitzengebliebener natürlich in der neuen Klasse mit der ältesten und somit automatisch auch Anführer aller jugendlichen Vergnügungen, die nichts mit Schule zu tun hatten.

Kurz bevor feststand, dass er auch beim zweiten Mal die Ziele dieser zehnten Klasse nicht erreichen würde, wurde seine Mutter Paula zum Direktor berufen. Die Alternative war klar und einfach: Man bot an, Thomas noch ein einigermaßen akzeptables Abschlusszeugnis zu geben, vorausgesetzt, er würde jetzt definitiv das Gymnasium verlassen.

Wie seine Mutter dies ihrem lieben Detlef erklärte, hat sie nie gesagt. Es muss aber in der Woche nach den Zeugnissen gewesen sein, denn es gab in dieser Woche sechsmal Schneidebohnen mit Rindfleisch.

Die Tatsache, dass zum ersten Mal seit Generationen ein potentieller Nachkomme der angesehenen großbürgerlichen Familie Deckel nicht die Zulassung zum Universitätsstudium erreicht hatte, wurde pragmatisch gelöst.

Der zu diesem Zweck eigens zusammengerufene Familienrat beschloss einstimmig, dass es für die Fortführung der Firma Deckel und die damit im direkten Zusammenhang stehenden Wohle aller Familienmitglieder am sinnvollsten sein würde, wenn ab sofort der Schwerpunkt der Ausbildung statt in der Universität jetzt in der Praxis liegen würde.

Damit wurde Thomas trotz seines reichlich unrühmlichen Abgangs aus der Gelehrtenschule wieder voll in die Familie integriert und es wurde beschlossen, den Jungen jetzt erst mal eine gute kaufmännische Lehre machen zu lassen.

Das war leichter gesagt als getan.

Auf dem Gebiet, in dem die Firma Deckel in Hamburg tätig war, gab es seinerzeit fünf Firmen. Drei davon relativ klein, zwei sehr groß. Die eine der beiden großen Firmen gehörte der Familie Deckel, die andere Firma war ihr jahrzehntelanger großer Konkurrent, die Firma Köhm & Klein.

Weder bei einer der drei kleineren Firmen noch beim direkten Konkurrenten war es möglich, Thomas als Lehrling unterzubringen. Überall herrschte im Bezug auf die Lehrlingsausbildung das gleiche Grundthema: Mädchen werden ausgebildet, sind fleißig, genügsam, relativ preiswert und nach einigen Jahren hören sie auf zu arbeiten und zu heiraten. Dann kommt die Familie, danach die Kinder – alles ganz normal und nach wenigen Jahren hat der Lehrling alles vergessen, was er jemals gelernt hatte.

Bei männlichen Lehrlingen war es genau umgekehrt.

Sie würden versuchen, innerhalb kürzester Zeit auch die letzten Geschäftsgeheimnisse ihrer Lehrfirma auszukundschaften, um sich dann später so schnell wie möglich selbstständig zu machen und damit automatisch zum Konkurrenten avancieren.

In dieser Überlegung waren sich alle Hamburger Kaufmannsfirmen einig. Es blieb also nur die Möglichkeit, den jungen Thomas irgendwo anders in einer Ausbildung unterzubringen. Im Fall von Thomas wurde alsbald eine renommierte Hamburger Woll-Importfirma gefunden. Er lernte dort drei Jahre lang alles Mögliche und Unmögliche über die gesamte Wolle dieser Welt.

Trotzdem war die Lehre nicht umsonst.

Die Fähigkeit, die Dichte respektive den Durchmesser eines einzelnen Wollhaares bis auf einen Tausendstel Millimeter genau zu erkennen, war etwas, was Thomas hier in der Lehre lernte und was er später noch sehr gebrauchen würde. Außerdem wurde er wie jeder der drei Lehrlinge dieser Firma dazu verdonnert, jeden Freitag Abend einen sogenannten Marktbericht zu drucken, der aus 2–3 Seiten bestand, die vom Chef selber jede Woche diktiert wurden.

Die von der Chefsekretärin geschriebenen Matrizen mussten durch eine Handdruckpresse 360 mal umgemodelt werden. So viele Kunden hatte man. Dann musste alles fein gefaltet und in ganz dünne Briefumschläge eingetütet werden. Wenig Gewicht spart Porto.

Der altehrwürdige Inhaber dieser Firma hatte das dringende Bedürfnis, seiner gesamten deutschen und europäischen Kundschaft die Auktionsergebnisse aller weltweiten Wollauktionen der aktuellen Woche schriftlich mitzuteilen. Diese Tätigkeit war so ziemlich das Sinnloseste, was man sich vorstellen konnte.

Auf der anderen Seite war es das Einzige, was der seriöse Chef in Bezug auf Werbung und Information für sein eigenes Geschäft hervorbrachte – Thomas musste es später nur etwas verfeinern.

Mit einem einigermaßen guten Abschluss, seinerzeit Kaufmannsgehilfenbrief genannt, beendete Thomas die Lehre und wurde dann in die Provinz geschickt.

Nur nicht in die deutsche Provinz, sondern direkt in die Provincia Buenos Aires.

Die Onkel-Jahre

Über die nächsten 20 Jahre im Leben von Thomas gibt es bereits verschiedene Geschichten.

Zehn Jahre Südamerika.

Danach 25 Jahre China.

Dazwischen längere und kürzere Aufenthalte in:

Australien,
Südafrika einschließlich umliegender kleinerer und größerer Länder
Nordamerika von Texas bis zu den Eisbären im nördlichen Alaska
Island und Skandinavien von Dänemark bis kurz unter dem Nordpol.
schließlich der komplette Vordere Orient mit Schwerpunkt auf die kleinen und etwas größeren Länder und Emirate der arabischen Halbinsel.

Und nicht zu vergessen die liebe Schweiz mit all ihren fast unbegrenzten Möglichkeiten.

Einige dieser Geschichten sollten auf Anraten des Familienanwalts von Thomas Deckel erst mit einer Sperrfrist von mindestens 20 Jahren veröffentlicht werden.

In Anbetracht des fortgeschrittenen Alters von Thomas sowie aufgrund einiger Fragen seiner Enkel über das, worüber Väter und Großväter normalerweise nicht gerne sprechen – unter diesen Aspekten hatte sich Thomas entschieden, das, was er bisher aufgeschrieben hatte, auch auf seiner Homepage im Internet zu veröffentlichen.

Das Einzige, was diese Zeit und diese Geschichten zusammenhält, ist die Tatsache, dass Thomas in seinen Lebensjahren zwischen 20 und 50 glaubte, sich überall in dieser schönen Welt beweisen zu müssen.

Eine Lebenseinstellung, die er heute mit einem Anflug von Altersweisheit manchmal etwas kopfschüttelnd betrachtet.

Eine weitere Gemeinsamkeit dieser 30 Jahre war die Tatsache, dass er viel mehr unterwegs war als zu Hause bei seiner Frau und seinen Kindern. Ein typischer Lebensabschnitt von Chefs, denen die angebliche Unabkömmlichkeit im Beruf wichtiger ist als ein angenehmes Zuhause.

Das ganze kann mit dem Begriff „Onkel-Jahre“ einfach und zutreffend definiert werden. Er kam, verteilte seine Geschenke, hörte kaum zu und verschwand wieder.

Kapitel 5

Eine Schweizer Geschichte

Als Thomas Deckel sich in seinen ersten Jahren in Südamerika zum respektablen Schmuggler entwickelte, erinnerte er sich an die Worte seines Vaters vor vielen Jahren im Hamburger Restaurant SALIBA.

Er fand heraus, wo die ominöse Bankverbindung in der Schweiz seit vielen Jahrzehnten schlummerte und machte dort seine ersten Besuche. Die Konten selber hatten bei dieser Schweizer Bank zwar einige Jahrzehnte geruht, aber da noch einiges Geld vorhanden war, wurde dieser Kunde von Seiten der Bank nicht gelöscht.

Gleichzeitig war einer der größten Kunden von Thomas eine sehr große und sehr renommierte Schweizer Firma, deren Schwerpunkt die Beschaffung und Verteilung von Luxusartikeln war, die für normale Sterbliche unbezahlbar und damit unerreichbar waren.

Durch eine weitere geschäftliche Verbindung lernte er einen Schweizer kennen, der später einer seiner engsten und besten Freunde wurde. Fritz Oberer, so hieß dieser gute Freund, lehrte Thomas im Laufe der Jahre all das, was man zu einem vernünftigen und respektablen Auftreten in der Schweiz – sowohl persönlich als auch geschäftlich – benötigte.

Das Verhältnis von Fritz Oberer zu seinen Schweizer Banken definierte er einmal treffend: Als erstes im Bankgeschäft lernt man den Respekt vor Nullen.

Sie reisten mehrmals zusammen nach China, wo Fritz oft nur den Kopf schütteln konnte, beide Augen ganz fest zukniff und hoffte, dass das, was sein Freund Thomas so mal eben in China überall aufbaute, hoffentlich ein böser Traum sei – und er erwartete sehnsuchtsvoll den Augenblick, wo er aus diesem Albtraum aufwachen würde.

Der Gegensatz zwischen den beiden war so groß, dass die Freundschaft ein Leben lang hielt.

Thomas mit seinem inzwischen sehr südamerikanisch geprägten „Kopf durch die Wand, Augen zu und durch“ und die absolute Seriosität und Korrektheit seines Freundes Fritz waren starke Pfeiler für ein Fundament, das bis heute alles ertragen konnte.

Geschäfte

Jedes Unternehmen arbeitet mit Bankkrediten.

Im Fall von Thomas war die Sache relativ einfach.

Es gab in Hamburg, wo der Hauptfirmensitz lag, genügend Banken, die auf den Handel ganz bestimmter Länder spezialisiert waren. Kaufte man als Beispiel Lammfelle in Argentinien, wurde dies über die deutsch-südamerikanische Bank finanziert. Rindsleder aus Brasilien wurden über die Hamburger Filiale der Banco do Brasil abgewickelt.

Für einige etwas diskretere Geschäftsfinanzierungen gab es zwei Privatbanken, deren erstklassiger Ruf in Hamburg bis heute erhalten ist. Auch Geschäfte mit Australien, Neuseeland und dem südlichen Afrika wurden mit den jeweiligen Banken abgewickelt, die in den dortigen Ländern gut vertreten waren und wo die Finanzierung überwiegend problemlos lief.

Im Geschäft von Thomas Deckel hatte sich aber eine Sache innerhalb weniger Jahre ganz klar zum absoluten Schwerpunkt entwickelt. Das war die Produktion von Leder, Fellen, Pelzen und sonstigen Produkten in China.

Zu dieser Zeit – Anfang der Achtzigerjahre – gab es zwar schon eine Niederlassung der staatlichen chinesischen Bank of China in Hamburg. Die dortigen Mitarbeiter setzten sich aber überwiegend aus Familiensprosslingen irgendwelcher höherer Funktionäre zusammen, die vom Bankgeschäft so viel Ahnung hatten wie ein Nilpferd vom Bergsteigen.

Nach ein oder zwei Versuchen wurde diese Bank of China aus der Liste der finanzierenden Banken von Thomas Deckel gestrichen. Dann geschah etwas, was das ganze Problem relativ schnell und angenehm löste.

Die größte Bank Asiens und gleichzeitig eine der fünf größten Banken dieser Welt erkannte, dass Hamburg ein immer stärker werdendes Standbein für chinesische Firmen und auch für den chinesischen Export geworden ist. Diese Bank, mit dem recht ungewöhnlich langen Namen China London Bank Corporation, gründete eine Filiale neben dem besten und teuersten Hotel in Hamburg, direkt an der Binnenalster.

Das Personal dieser Bank war erstklassig. Die Leitung ebenso.

Innerhalb relativ sehr kurzer Zeit – jedenfalls für hanseatische Verhältnisse – entwickelte sich eine Geschäftsbeziehung zwischen der Firma von Thomas Deckel und dieser Bank.

Das Volumen wurde größer und größer.

Die Produktion in China florierte und die Nachfrage in Deutschland und ganz Europa nach den Produkten, die Thomas in China produzierte, stieg ebenfalls jedes Jahr weiter an.

Der Leiter dieser Bank war ein Hamburger und er kannte Detlef Deckel, den Vater von Thomas, schon aus der Zeit, als beide noch in verschiedenen Hamburger Hockey- und Tennisklubs spielten.

Klaus Emmerich, das war der Name des Leiters dieser Bank, und Thomas Deckel freundeten sich an – und Grundpfeiler dieser Freundschaft war mit Sicherheit die Seriosität des jeweils anderen.

Der Umzug

Es ist wohl ein Gesetz der Natur, dass Banken niemals zufrieden sind.

Wo immer sie sich niedergelassen haben – sie versuchen sich zu vergrößern. Wo sie noch nicht vertreten sind, da versuchen sie hinzugelangen.

Bei der China London Bank Corporation hatten einige im Topmanagement die Vorstellung, dass sie nicht nur irgendwelche wirtschaftlichen Güter, industrielle Anlagen oder Import-Exportgeschäfte finanzieren sollten.

Man schielte verträumt auf die Gunst großen Vermögens – im Klartext also auf die exklusiven Personengruppen, die so viel Geld hatten, dass sie es nicht mehr selber verwalten konnten oder wollten.

Die Vermögensberater waren hierfür auch meistens eine Nummer zu klein.

Die meisten dieser Millionäre oder Multimillionäre hatten aus Angst vor Gewalt, Unruhe, Neid und der allgemeinen Öffentlichkeit einen Teil ihres Vermögens in der Schweiz deponiert. Das war und ist möglich, immer vorausgesetzt, dass es sich um Gelder handelt, die vorher in Deutschland oder im jeweiligen Heimatland des Millionärs korrekt versteuert waren.

Die Bemühungen der China London Bank waren erfolgreich. Sie kauften eines der ältesten Schweizer privaten Bankhäuser, das Bankhaus Grundzell. Damit hatten sie den Eintritt in die Vermögensverwaltung erreicht.

Und da sie bisher noch nicht in der Schweiz vertreten waren, wurde der Hamburger Leiter der China London Bank Corporation – Herr Klaus Emmerich – beauftragt, sich um die Angelegenheiten in ihrem neuen Bankhaus in Zürich zu kümmern, und zwar als oberster Chef.

Das Gespräch

Irgendwann vertraute Klaus Emmerich seine nähere Zukunft seinem Freund Detlef Deckel an.

Ein bisschen Wehmut war dabei, denn erstens war er als geborener Hamburger sehr gern in seiner Hansestadt und zum anderen meinte er, dass ihm die Hamburger Mentalität wohl mehr liegen würde als die der Schweizer – wie immer sie dann auch sei.

Detlef Deckel verstand dies und bei einem guten Essen in einem guten Restaurant wurde ein guter Plan besprochen und verabschiedet.

Detlef Deckel bot seinem Bekannten Klaus Emmerich an, einen Großteil seines privaten Vermögens mitzunehmen und dann bei ihm dort im Bankhaus Grundzell anzulegen und zu verwalten.

Klaus Emmerich war etwas bewegt über diese vertrauensvolle Art von Detlef Deckel. Er sagte zu, dass er sich persönlich um alles kümmern wird und dankte für das entgegengebrachte Vertrauen.

Die Vollmacht

Einige Jahre später stellte der Hausarzt Doktor Wolfs eine beginnende Demenz bei Detlef Deckel fest.

Man besprach im Familienrat, was zu machen sei, und Thomas Deckel erhielt als Sohn und voraussichtlich nächster Inhaber der Firma einen privaten Besuch von Klaus Emmerich, der sich inzwischen in der Schweiz eingelebt hatte.

Thomas Deckel und seine Frau Anna kümmerten sich in vorbildlicher Weise um die Angelegenheit ihres Vaters Detlef und seiner Frau Paula, die zwar geistig noch voll aktiv war, aber körperlich schon diverse Krankheiten hatte, welche ihre Mobilität immer mehr einschränkten.

Klaus Emmerich sagte, dass es nach Schweizer Grundsätzen relativ schwer sein würde, nach dem Tod von Detlef und eventuell auch seiner Frau Paula die Gelder aus der Schweiz wieder zurück nach Deutschland zu transferieren.

Dazu sei zu viel Schindluder in Deutschland und in allen anderen europäischen Ländern mit dem Bankgeheimnis der Schweiz getrieben worden.

Er schlug deswegen vor, dass Detlef Deckel und seine Frau Paula jetzt eine Vollmacht für ihren Sohn Thomas unterschreiben sollen, die es Thomas ermöglichen würde, weiterhin mit vollen Zugriff auf das Vermögen seiner Eltern in der Schweiz dafür zu sorgen, dass es seinen Eltern bis an ihr Lebensende gut geht.

Dieser Gedanke war einleuchtend und wurde von allen als eine optimale Lösung angesehen.

Und so wurde es dann auch durchgeführt.

Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, welche unvorhersehbaren Folgen eine solche Vollmacht noch haben würde.

Kapitel 6

Bridge

In der Hamburger Gesellschaft ist das Kartenspiel Bridge ein beliebter Zeitvertreib.

Kein Golfclub, kein Hockey- und Tennisclub und kein Polo-Club, der an Nachmittagen irgendwo in seinem Clubhaus eine kleine Runde von meist älteren und überwiegend recht eleganten Damen hat, die zu viert an einem Tisch sitzen, um einige Stunden Bridge zu spielen.

In vielen Familien wurde zusätzlich am Sonntagmittag oder Sonntagnachmittag noch Bridge gespielt.

Es war oftmals ein Bindeglied zwischen verschiedenen Generationen und Menschen, die sich ansonsten kaum noch irgendwelche Neuigkeiten zu erzählen hatten.

Thomas Deckel hatte zusammen mit seinen Geschwistern das Bridge-Spielen bereits im frühen Alter von 9 oder 10 Jahren erlernen müssen.

Hierüber gibt es einige kleine Geschichten, die Thomas geschrieben hatte und die auch auf seiner Homepage nachzulesen sind.

Als Detlef und Anna zwischen 70 und 80 Jahre alt waren, war Bridge eines ihrer kleinen Highlights. Und da aufgrund des fortgeschrittenen Alters im Familien- und Bekanntenkreis es gelegentlich nicht genügend Partner gab, sprang Thomas gerne ein, um zusammen mit seinen Eltern einige schöne Stunden zu verbringen.

Alles nichts Aufregendes, doch das sollte sich bald ändern.

Der Partner

Gleichzeitig spielte Thomas auch Bridge in einem Hamburger Bridgeclub.

Es war dies der größte und renommierteste Bridge Club in Hamburg und er konnte dort seine Kenntnisse anwenden und viele neue Möglichkeiten in diesem schwierigsten Kartenspiel der Welt erlernen.

Im Bridge Club kann man bei Turnieren nur einigermaßen gut abschneiden, wenn man einen Partner hat, mit dem man sich versteht und der die vielen Regeln und Absprachen, die man getroffen hat, auch umsetzen kann. So ähnlich wie im Tennis, wo die Doppelspieler ein ganz anderes Repertoire und eine ganz andere Technik haben als die Einzelspieler

Diese Bridgepaare bleiben meistens auch sehr lange zusammen, weil sie im Laufe der Zeit immer weitere kleine Feinheiten sich erarbeiten, um bei kleinen und größeren Turnieren einigermaßen erfolgreich abzuschneiden.

Thomas Deckel fand im Club einen Partner, er hieß Hans Maurer. Er war ca. 20 Jahre jünger als Thomas, sehr intelligent und die beiden spielten über eine längere Zeit erfolgreich zusammen.

Die Vision

Hans Maurer war Angestellter bei einer Telefongesellschaft.

Diese berufliche Tätigkeit füllte ihn – nach seinen eigenen Worten – nicht richtig aus und er suchte etwas, wo er anspruchsvoller und natürlich auch lukrativer tätig sein könnte.

Er war nicht verheiratet und sagte öfter, dass er auch bereit sein würde, irgendwo anders ganz neu anzufangen.

Thomas Deckel überlegte einige Zeit und machte dann seinem Freund und Bridge-Partner folgenden Vorschlag: „Meine Tochter Pinar lebt seit einigen Jahren in der Dominikanischen Republik. Wir haben uns dort direkt am Strand ein wunderschönes Apartment gekauft und sie wohnt dort und pflegt es. Außerdem ist sie in einem benachbarten Hotel angestellt als Leiterin der Qualitätskontrolle.

Von seiner Tochter Pinar hatte Thomas im Laufe der Zeit folgendes erfahren: Fast alle 33 Hotels, die nebeneinander an diesem Traumstrand in Punta Cana gebaut wurden, gehören zu irgendwelchen internationalen Hotel-Gesellschaften. Viele dieser Gesellschaften sind auch heute noch im Familienbesitz, die größten davon gehören einigen Familien aus Mallorca. Deren Hotels in Punta Cana müssen gemäß den internen Verabredungen praktisch alles, was sie benötigen, von ihrer Zentrale in Spanien kaufen. Oftmals zu extrem hohen Preisen.

So bringt es einen weiteren Profit für die Familien der Hotel-Besitzer.

Das geht so weit, dass sie ihre Handtücher, ihre Liegestühle und praktisch ihr gesamtes Equipment, was sie für den Unterhalt ihres Hotels benötigen, auch direkt bei der Zentrale ihrer Hotelkette bestellen und bezahlen müssen.

Ich selber fuhr mit Thomas Deckel fort und habe jetzt viele Jahre in China verbracht. Auch dort gibt es bereits eine boomende Hotelindustrie, aber auch einen schnell wachsenden und international tätigen Hotel-Zubehör-Markt. Jede große Hotelgruppe bestellt dort die täglichen Artikel, die man im Restaurant, in den Zimmern und in der Lobby braucht und alles ist mit den hoteleigenen Logos und Fotos individualisiert.

Und Thomas fuhr fort:

Ein Nachbar-Hotel hier bei uns in Punta Cana zahlt praktisch den doppelten Preis für eine Badezimmergarnitur, bestehend aus Seife, Schwamm, Kamm, Zahnpasta, Zahnbürste etc., wenn sie dies als Bestellung in ihrer eigenen Zentrale aufgeben. In China könnte man das ganze für die Hälfte des Preises bekommen, genauso verpackt und in gleicher Qualität.

Meine Idee ist jetzt, dass du dich zusammen mit meiner Tochter Pinar bei den größeren Hotels in der Nachbarschaft vorstellst und anbietest, dass man über euch solche Sachen genauso gut, aber wesentlich günstiger kaufen kann.

Ich bin sicher, einige Hotels werden dies akzeptieren.

Ihr mietet euch ein kleines Lager. Lasst einiges auf Vorrat produzieren und könnt dann sogar wesentlich schneller ausliefern als wenn alles über die Zentrale und dann erst aus China zu den Hotels kommt.

Dieser Businessplan, wie es heute heißen würde, wurde besprochen und alle waren sich einig, dass es eine gute Idee sein könnte.

Hans Maurer sollte für ein halbes Jahr in die Dom Rep reisen, um zusammen mit Pinar die Vorbereitung zu entwickeln. Hans sollte die Logistik, den Import und die Zollabfertigung machen. Pinar mit ihren Sprachkenntnissen und ihren guten persönlichen Erfahrungen im dominikanischen Hotel-Geschäft sollte den Verkauf und den menschlichen Kontakt zu den Hotels herstellen und vertiefen.

Nachdem das alles besprochen war, kaufte Thomas Deckel zwei Tickets.

Eins für seinen Freund Hans Maurer und eins für sich selber, denn er wollte am Anfang dieser Operation persönlich in der Dom-Rep sein, um zu sehen, ob es klappt oder wo es eventuell Probleme geben würde.

Da Hans Maurer finanziell nicht auf der Sonnenseite des Lebens stand, bot Thomas ihm an, seine Kosten vorzustrecken und er sagte seinem Bridge-Partner, dass Hans später bei erfolgreichem Geschäft diesen Vorschuss zurückzahlen könne. Er erwarte dafür von Hans ein entsprechendes Engagement in der Ausarbeitung und Durchführung der Geschäftsidee.

Anna, die Frau von Thomas, lebte in dieser Zeit auch in Punta bei Ihrer Tochter Pinar. Das Klima im Winter in Hamburg war ein willkommener Anlass, sobald es ging nach Punta Cana zu reisen, um etwas karibische Sonne zu genießen.

Man flog zusammen hin und besprach dort vor Ort alles noch einmal persönlich mit Pinar und Anna, die vorher immer nur per E-Mail über dieses neue Projekt informiert worden waren.

Nach Ablauf der ersten beiden Tage nach ihrer Ankunft meinte Hans, er müsse sich klimatisch umstellen.

Zwischen zwei Palmen direkt vor der Terrasse wurde eine schöne Hängematte angebunden und dort verbrachte er dann den größten Teil des Tages.

Als er nach einer Woche immer noch in der Hängematte lag und sich die Sonne auf den Bauch scheinen ließ, fragte Thomas mal an, wann es denn nun losgehen würde.

Hans sagte nur: „Demnächst“.

Nach Ende der zweiten Woche gab es eine ruhige und intensive Diskussion zwischen Hans Maurer, Thomas, Pinar und Anna.

Hans wurde aufgefordert, jetzt endlich aktiv zu werden und er sagte zu.

Nachdem auch in der dritten Woche keinerlei Aktivität von Hans zu beobachten war, platzten Pinar und Anna die Kragen.

Sie sagten, wenn es jetzt nicht unverzüglich zu den vereinbarten Arbeiten kommen würde, dann sei das Projekt gestorben.

Hans Maurer verließ auch in der dritten Woche seine Hängematte nicht.

Thomas musste dann aus geschäftlichen Gründen zurück nach Hamburg.

Es wurde eine letzte Frist von 3 Tagen gestellt, in denen Hans jetzt endlich anfangen solle zu arbeiten. Bei einer der jetzt täglichen großen Diskussionen zwischen Hans, Pinar und Anna entschlüpfte Hans die Bemerkung, dass er an sich nur in die Dom Rep gekommen sei, um hier Sonne, Strand und ein kostenloses Leben zu genießen.

Anna war vor vielen Jahrzehnten aus Chile nach Deutschland gekommen. Sie hatte sich schon in Vielem an die deutsche Mentalität gewöhnt. Aber wenn etwas in ihr kochte und kurz vor dem Explodieren war, dann brach ihr südamerikanisches Temperament durch.

Während einer letzten großen Diskussion jetzt 4 Wochen nach seiner Ankunft schmiss sie Hans Maurer innerhalb von 10 Minuten aus der Wohnung mit der höflichen chilenischen Aufforderung, sich zum Teufel zu scheren.

Hans Maurer kannte niemanden in dem Ort, wo er jetzt war. Es gab dort aber eine spezielle Touristen-Polizei, die alle Ausländer vor irgendwelchen Übergriffen schützen sollte und das meistens auch erfolgreich.

Als Hans Maurer drohte, zu dieser Polizei zu gehen und die Familie Deckel zu verklagen, fuhr Anna mit ihm ins Rotlichtviertel der Kleinstadt und mietete dort ein Zimmer, was sonst für etwas anderes vorgesehen war.

Sie bezahlte eine Woche im Voraus und fuhr zum Reisebüro der Condor, wo sie als Stammkunde bekannt war. Sie verlangte ein One-Way-Ticket für Hans Maurer, bezahlte es und es wurde per Boten vom Reisebüro in den Puff geschickt, wo Hans Maurer jetzt wohnte.

Eine Woche später war das Zimmer leer und Hans Maurer wieder in Europa.

Nicht jeder Businessplan klappt.

Der Computer

Als Techniker der Telekom hatte Hans Maurer sehr gute Computerkenntnisse.

Am Anfang seiner Zeit im Apartment in Punta Cana bei Familie Deckel zeigte Thomas Deckel ihm seine kleine Computeranlage, die er benutzte, wenn er in der Dominikanischen Republik war.

Nichts Großes, aber sie ermöglichte ihm eine permanente Verbindung zu seinem Büro in Hamburg und zu einigen Außenstellen in der Welt.

Thomas hatte keine Geheimnisse. Er war in seinem Leben immer gut gefahren mit einer offenen und freundschaftlichen Kommunikation mit den Personen, mit denen er zu tun hatte.

Er zeigte Hans Maurer, wie er in seiner Anlage ins Internet kommt und wie er sich in seinem kleinen Computernetzwerk bewegen konnte.

Eine Woche, bevor es zum endgültigen großen Knall kam, musste Thomas Deckel wegen einer dringenden geschäftlichen Angelegenheit wieder zurück nach Hamburg fliegen.

Den Rausschmiss und die schnellen Vorbereitungen für die Rückreise von Hans Maurer nach Deutschland erlebte er nicht persönlich, es wurde alles von seiner Frau erledigt.

Aber diese letzte Woche, die Hans Maurer weiterhin konsequent am Strand in der Hängematte vor dem Apartment ausnutzte, das war auch gleichzeitig die Woche, wo er das gesamte Netzwerk von Thomas auf seinen eigenen Computer kopierte, den er aus Deutschland für sich mitgebracht hatte.

Die Rechnung

Nachdem Anna ihren ungeliebten Gast Hans Maurer wieder zurück nach Deutschland geschickt hatte, war Thomas Deckel nur noch wütend.

Auf seinen ehemaligen Bridgepartner, seinen Freund, der ihn so schäbig hintergangen hatte, auf sich selber, weil er das vorher nicht gemerkt hatte und auf alle, die irgendwie hier mit zu tun hatten.

In seinem Zorn beschloss er jetzt Hans Maurer zumindest eine Rechnung zu schicken für die Hin- und Rückflüge, die er für ihn bezahlt hatte.

Doch statt einer Antwort oder gar einer Zahlung erhielt er zwei Wochen später einen Brief, mit dem er zuerst überhaupt nichts anfangen konnte.

Der Inhalt war ungefähr wie folgt:

Ein Hamburger Anwalt bestätigte im Namen seines Mandanten Hans Maurer eine Vereinbarung mit dem Finanzamt Hamburg, Abteilung Steuerfahndung, in der festgestellt wurde, dass aufgrund der Gespräche zwischen dem Anwalt und der Steuerfahndung seinem Mandanten Hans Maurer ein Betrag von 50.000 Euro garantiert wird.
Vorausgesetzt, die Steuerfahndung gegen Thomas Deckel verläuft erfolgreich und bringt mindestens 200.000 Euro für die Steuerfahndung.

Diese Kopie des Briefes des Anwaltsbüros an die Steuerfahndung hatte das Büro des Anwalts statt an die Adresse von Hans Mauer irrtümlich an die Adresse von Thomas Deckel geschickt.

Thomas Deckel fiel aus allen Wolken, als er das las. Er konnte sich beim besten Willen keinen Reim daraus machen, was da jetzt geschehen war.

Die Schweizer Bank

Wenige Tage später erhielt Thomas Deckel den Anruf des Direktors der Schweizer Bank, bei dem er das Geld verwaltete, was seine Eltern vor längerer Zeit Klaus Emmerich anvertraut hatten.

Der Direktor sagte, es sei dringend erforderlich, dass Thomas schnellstmöglich in die Schweiz kommt, um alles persönlich zu besprechen. Mehr könne und dürfe er am Telefon nicht sagen.

Die Vollmacht

Zwei Tage später saß Thomas dem Bankdirektor gegenüber.

Der Direktor war zwar immer noch sehr freundlich, sprach aber zu Thomas mit einem leicht eisigen Unterton in der Stimme.

„Wissen Sie“, begann er das Gespräch, „wir sind ein Dienstleistungsbetrieb. Wir bemühen uns optimal für unsere Kunden da zu sein. Aber das bedeutet auch gleichzeitig, dass wir erwarten, dass unsere Kunden korrekt und problemlos mit uns zusammenarbeiten. Was wir am wenigsten gebrauchen können, ist Öffentlichkeit. Und was wir noch weniger gebrauchen können, ist ein staatlicher Eingriff.

Sie wissen, dass die Schweizer Banken einen sehr soliden Schutzwall haben zwischen sich und den staatlichen schweizerischen und ausländischen Stellen. Es gibt nur wenige Möglichkeiten, diesen Schutzwall zu bezwingen. Eine davon ist ein staatlicher Eingriff, der nach dem Gesetz berechtigt ist und dem wir uns beugen müssen. Und das ist bei ihnen jetzt leider der Fall.

Thomas Deckel verstand immer nur Bahnhof. Was war geschehen?

„Ich will versuchen, es Ihnen so kurz und klar zu erklären wie möglich“, fuhr der Bankdirektor fort.

„Als sie das Privatvermögen ihrer Eltern anfingen zu verwalten, erhielten sie hierfür von ihrem Vater und ihrer Mutter die entsprechenden Vollmachten. Diese Vollmachten waren umfassend und gelten über den Tod hinaus. An sich ein ideales Mittel, um sein Vermögen vertrauensvoll jemandem anders zu übertragen, zu dem man 100 Prozent Vertrauen hat. Das war zwischen Ihren Eltern und Ihnen sicherlich der Fall.

Gleichzeitig wurden sie aber mit dieser Vollmacht auch die berühmten und im Schweizer Bankgeschehen so wichtigen „wirtschaftlich Berechtigten“. Das bedeutet im Klartext: Durch diese Vollmacht ist das Vermögen ihrer Eltern praktisch an Sie übertragen worden. Und in so einem Fall stellt es auch eine entsprechende Vermehrung ihres eigenen Vermögens dar. Und sie wissen, dass man in Deutschland genauso wie in der Schweiz auf sein Vermögen Steuern zahlt.

Sie sind mit Sicherheit von der Annahme ausgegangen, dass Sie das ganze nur in Verwaltung für ihre Eltern machen – ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass Sie von Vollmachtbeginn an selber der „wirtschaftlich Berechtigte“ dieses Vermögens wurden.

Sie haben dann im Laufe der letzten Jahre Geldbeträge von diesem Vermögen abgefordert, was wir auf ihre Anweisung hin nach Hamburg schicken. Wir wissen, dass es für die Pflege ihrer Eltern gedacht war und mit Sicherheit auch dafür verwendet wurde.

Das interessiert aber weder die schweizer noch die deutsche Steuerbehörde.

Sie müssen durch irgendeinen Umstand jemandem anders Kenntnis gegeben haben von dem Codewort, mit dem Sie bei uns die Gelder abfordern zur Zahlung nach Hamburg.

Sie wissen, dass dies normalerweise immer anonym geht und es basiert nur auf dem zwischen Ihnen und uns abgemachten Code. Jede Nennung von persönlichen Daten wie Name, Adresse usw. ist bei diesem System nicht nötig.

Der Nachteil ist natürlich, dass, wenn jemand anders den Code durch irgendeinen Umstand erfährt und gleichzeitig auch unsere Namen als Kontoverwalter – dann kann er mit diesen Informationen zu seiner lokalen Steuerbehörde gehen und sagen, dass jemand anders mit einer Codenummer XYZ bei einer Bank ABC in der Schweiz ein Vermögen unterhält und sich von diesem Vermögen regelmäßig Beträge nach Deutschland überweisen lässt.

Es wird dann davon ausgegangen, dass dieses Vermögen am Anfang der ganzen Operation zur Steuervermeidung in die Schweiz transferiert wurde und danach dann scheibchenweise wieder nach Deutschland zurückgebracht wurde.

Bei ihnen ist genau dieser Fall jetzt eingetreten.

Wir haben eine Verfügung unserer Landespolizei erhalten, wo das Code-Wort ihres Kontos erwähnt ist. Ebenso Ihr Name und unsere Bank als Verwalter. Mit diesen drei Informationen sind wir gezwungen, den Anordnungen der hiesigen Staatsanwaltschaft und der hiesigen Steuerbehörde zu folgen.

Ihre Konten – die in Euro und in Schweizer Franken laufen – sind ab sofort offiziell gesperrt und unterliegen den Verfügungen der offiziellen Stellen. Das ganze läuft jetzt natürlich auch bei Ihnen in Deutschland unter dem Begriff Steuerflucht und Kapitalflucht und ist ein strafbares Delikt.

Es tut mir leid, Herr Deckel, aber wir als Bank können so etwas uns nicht leisten und ich sehe mich deswegen gezwungen, ihr Konto zu kündigen.

Wie ich schon sagte, sind Ihre Konten selber inzwischen gesperrt und die hiesige Steuerbehörde verfügt über die Vollmacht über alle Ihre Konten bei uns.

Es tut mir aufrichtig leid, dass in diesem Fall wahrscheinlich überhaupt nicht Sie, sondern nur ihre Eltern betroffen sind – aber die Tatsache, dass die Hintergründe dieser Konten jetzt quasi öffentlich geworden sind, zwingt uns zu diesem Schritt.

Ich möchte Sie bitten, dies hier jetzt zu unterschreiben und alles Weitere wird dann von der hiesigen Steuerbehörde veranlasst.

Die Verhandlung

Thomas Deckel war nach diesem Gespräch wie vom Blitz getroffen.
Nie hätte er sich vorstellen können, dass so eine Situation eintreffen würde. Er beschloss, die Sache in Deutschland zu besprechen und zu versuchen, die Angelegenheit so zu erklären, wie sie in Wirklichkeit gelaufen war.

Verhandlungen mit deutschen Steuerbehörden zu erklären ist genauso interessant wie den Jahresbericht der Bundesregierung ins Plattdeutsche zu übersetzen. Es soll deswegen hier auf die Einzelheiten verzichtet werden.

Das Ergebnis

Das Vermögen der Eltern von Thomas Deckel betrug anfänglich ungefähr 500.000 Euro.

100.000 hatten sie im Laufe der ersten Jahre davon verbraucht, hauptsächlich für Krankenhauskosten und andere Sachen, die mit dem Alter der Eltern zu tun hatten.

Die restlichen 400.000 wurden vom deutschen Finanzamt gepfändet und nach Deutschland transferiert.

Die Hälfte dieser 400.000 wurde als Steuerstrafe vom Finanzamt einbehalten. Davon bekam mit Sicherheit auch Hans Maurer über seinen Anwalt den zugesagten Teil von 50.000 für die Offenlegung dieses Steuerbetrugs.

Von den restlichen 200.000 wurden noch 50.000 benötigt, um sämtliche sonstigen Strafen und Gebühren und alles, was damit zusammenhängt, zu begleichen.

Das dann auf 150.000 Euro geschrumpfte Vermögen der Eltern wurde von Thomas weiterhin zur Pflege seiner Eltern eingesetzt. Das verbliebene Geld von 150.000 Euro der Eltern reichte Thomas mehr oder weniger, um den Eltern die letzte Lebenszeit noch in Ruhe zu ermöglichen.

Zwei Jahre später starb sein Vater an seiner Demenz. Vier Jahre später seine Mutter.

Von Hans Maurer hat Thomas nie wieder etwas gehört oder gelesen.

Das bereits gesperrte Bankkonto für seine Eltern in der Schweiz wurde gelöscht und auch mit Herrn Emmerich hat er seitdem keine Verbindung mehr gehabt.

Aber Thomas Deckel hatte von diesem Moment an sehr große Sorgen, denn es gab ja noch das alte Konto seiner Familie, von dem er zum ersten Mal vor vielen Jahren im SALIBA gehört hatte.

Und was er in den letzten 15–20 Jahren für den Aufbau seiner weltweiten geschäftlichen Beziehungen immer mehr benutzt hatte. Ohne diese andere Konto-Verbindung wären viele seiner geschäftlichen Transaktionen in Australien, Afrika, Südamerika und zunehmend immer mehr in China überhaupt nicht möglich gewesen.

Kapitel 7

Alternativlos

Das Modewort der deutschen Politik der letzten Jahre war zweifellos „alternativlos“.

Und für Thomas Deckel war seine Situation jetzt definitiv alternativlos.

Die Nachricht, wie er als gutmütiger Sohn etwas für seine alten Eltern tun wollte und dabei alles schief gelaufen war, das sprach sich in Züricher Kreisen ganz schnell herum.

Es gab kaum Mitleid für ihn, denn schlimmer als die Feststellung, dass man etwas eventuell Ungesetzliches getan hatte, war die Tatsache, dass man sich dabei erwischen ließ. Das ist unter Schweizer Bankern die Höchststrafe, und Thomas wusste es.

Es war inzwischen gut 20 Jahre her, dass er im Hamburger SALIBA von seinem Vater zum ersten Mal etwas über diese alte Schweizer Bankverbindung gehört hatte.

Seitdem hatte er sie nicht nur kennengelernt, sondern auch konsequent für sich und sein kleines Firmenimperium ausgenutzt.
Die Jahresumsätze auf diesen Konten erreichten bald eine Millionenhöhe und überschritten sie danach weiter nach oben.

Wie aus anderen Berichten zu diesem Thema bekannt wurde, wurde ein kleines Finanz-Netz zwischen Deutschland, Schweiz, Australien, Afrika, Südamerika, Hongkong und schlussendlich China errichtet.

Nur mithilfe der Tatsache, dass in diesem System ganz schnell große Summen von einem Ort zum anderen transferiert werden konnten, wurde es Thomas ermöglicht, vor gut zehn Jahren mit den Chinesen den Bau von verschiedenen Fabriken anzufangen und durchzuführen.

Diese Fabriken benötigten Rohware aus Australien, die sie in keinem Fall selber hätten kaufen können. Es wurde im Grunde genommen alles über diese Schweizer Konten finanziert. Es war alles legal, kein Euro oder Dollar wurde für andere Zwecke ausgegeben.

Aber damit musste jetzt so schnell wie möglich definitiv Schluss sein.

Lohnveredelung

Thomas hatte den Chinesen gesagt, dass sie eine ganz bestimmte Rohware aus Australien benötigen würden, um Artikel zu produzieren, die er in Deutschland erfolgreich verkaufen konnte.

Die Chinesen waren im Prinzip damit einverstanden.

Sie waren aber anfangs weder willens noch in der Lage, selber irgendetwas zu kaufen oder auch nur zu finanzieren. Also wurde ein recht kompliziertes, aber immer gut funktionierendes System einer Lohnveredelung auf die Beine gestellt.

Die Chinesen erhielten die Rohware ohne sie bezahlen zu müssen.
Sie gingen auch kein Risiko ein, wenn mal etwas in der Produktion schief ging. Sie arbeiten nur fleißig Tag und Nacht dafür, dass all die Waren – überwiegend Schaffelle, Lammfelle und Leder – in den sechs Fabriken, die Thomas inzwischen in China aufgebaut hatte, gut und korrekt verarbeitet wurden.

Dann wurden alle fertigen Produkte zurückgeliefert nach Hamburg.

Die Chinesen bekamen ihren Lohn für die geleistete Arbeit und das ganze System drehte sich einmal um sich selbst, um wieder von vorne anzufangen. In Hamburg war Thomas im Prinzip Tag und Nacht am Computer, um all diese Finanz- und Warenströme zwischen den Kontinenten hin und her zu leiten.

Dieses System brach jetzt praktisch von einem Tag zum anderen zusammen, denn Thomas musste befürchten, dass auch in der anderen Schweizer Bank, wo alles koordiniert wurde, irgendwie oder durch irgendwen plötzlich so viel Sand ins Getriebe geworfen wurde, dass alles knirschend zerbrach.

Also wurden ganz schnell einige Konferenzen einberufen und Entscheidungen getroffen.

Die Chinesen mussten ab sofort für ihre Ware selber sorgen. Statt die Rohware gratis von Thomas zu bekommen und sie nur als Lohnveredlung zu verarbeiten, mussten sie ab sofort alles bei Thomas in Hamburg kaufen und ganz normal bezahlen.

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg – es funktionierte plötzlich von Anfang an reibungslos.

Die Hamburger Geschäftsbanken von Thomas brauchten nicht mehr Geld in die Schweiz schicken, damit von dort Zahlung für Rohware nach Australien ging. Das ganze System war über Nacht zu einem legalen internationalen Kauf und Verkauf geworden. Niemand hätte vorher gedacht, dass unter dem vorhandenen Druck eine solche fundamentale Änderung überhaupt möglich gewesen wäre.

Und jetzt war innerhalb kürzester Zeit alles ganz normal.

Das Domizil

Viele Banken dieser Welt arbeiten nach dem Domizilsystem.

Das bedeutet in einfachen Worten: Der Kunde einer Bank wird bei dieser Bank unter seinem Domizil geführt und nicht unter seiner Staatsangehörigkeit.

Hat ein Pilot der Lufthansa einige Jahre Ausbildung in den USA oder in den Arabischen Emiraten, so kann er dort einen Status erreichen, der in Amerika ungefähr der Greencard und in anderen Ländern ungefähr einer uneingeschränkten Aufenthaltsgenehmigung entspricht.

Wenn dieser Pilot dann gutes Geld verdient, kann er bei seiner Bank in Deutschland oder irgendwo anders auf der Welt ein Konto eröffnen und dieses Konto wird unter dem Domizil geführt, welches der Kontoinhaber belegen kann.

Entweder durch einen ausländischen Personalausweis, über eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis oder Gewerbeerlaubnis über eine uneingeschränkte Residenz in einem anderen Land – es gibt viele Möglichkeiten, so etwas zu dokumentieren.

Der Vorteil ist, dass auf der einen Seite die Bank den Kunden als „Auslandsdeutschen“ betrachtet mit den entsprechenden Regeln, die für die Bank für solche Auslandsdeutsche gelten. Und dass zum anderen der Kontoinhaber zwar dem Pass nach Deutscher bleibt, aber dem Domizil nach sich als in diesem Fall sagen wir zum Beispiel Mitglied der Vereinigten Arabischen Emirate oder als Greencard-Inhaber sich als US-Resident oder als Inhaber irgendeiner anderen Dokumentation eines dritten Landes ausgeben kann.

Das ganze System entspricht in etwa den früher bekannten Seemannsbüchern.

Ein deutscher Kapitän oder auch nur ein einfacher deutscher Matrose, der zehn Jahre lang zwischen Australien und Kalifornien hin und her geschippert ist, war zwar die ganze Zeit ein deutscher Staatsbürger, weil er mit deutschem Pass reiste. Durch seine langjährigen Arbeiten in Australien und den USA hatte er aber auch die Möglichkeit genutzt, die australische und amerikanische Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung zu erwerben.

Und er kann mit diesen Papieren bei den Banken in Australien und auch den USA seine Konten eröffnen und ganz regulär führen.

Dieses Beispiel mag etwas einfacher sein als die trockene Theorie.

Banana

Thomas Deckel war mit Anna verheiratet.
Anna war von Geburt aus Chilenin.
Sie lernte Thomas in Chile kennen, man heiratete, zog nach Deutschland und die beiden haben vor kurzem ihre goldene Hochzeit feiern können.

Anna hatte die ersten 30 Jahre in Deutschland ohne größere Schäden überstanden. Das permanent schlechte Wetter in Hamburg, die permanent schlechten Fernsehprogramme, die permanent oberflächlichen Konversationen der mittleren Hamburger Gesellschaft – all das hat sie klaglos mitgemacht und überstanden.

Aber wer ganz tief in sie reinschaute, merkte, dass die heimatliche Sehnsucht nach Lateinamerika nie ganz gestorben war.

Und sie hatte Glück.

1990 öffnete sich in der Karibik die Dominikanische Republik zu einer neuen Art des All-Inklusive-Tourismus.

Anna und Thomas, die selbst in Hamburg überwiegend Spanisch miteinander sprachen, hatten keine Probleme, mit allen ihren Kenntnissen sich in der Dom-Rep schnell ein zweites Zuhause zu suchen.

Das ganze wurde besiegelt mit einem kleinen Geburtstagsgeschenk von Thomas an seine liebe Frau, indem er ihr schriftlich versicherte, dass sie im Warmen sterben könne.

Dieses Mittelding aus Fürsorge und Sarkasmus kam bei Anna zwar nicht ganz richtig an, aber es war zumindest ehrlich gemeint.

Sie bauten sich ein zweites Leben in der Karibik auf. Dazu gehörte auch, dass sie relativ schnell die dominikanischen Personalausweise sowie uneingeschränkte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse bekamen. Seinerzeit war dies mehr oder weniger eine Formalie, die man mit einigen grünen Scheinen beschleunigen konnte.

Heute ist es eine Angelegenheit von mindestens fünf Jahren und sehr viel Geld und Zeit und Mühe, solche Dokumente zu bekommen.

Der Wechsel

Nachdem sich in der Schweiz die Geschäftsströme und alles, was mit den finanziellen Transaktionen zu tun hatte, innerhalb ganz kurzer Zeit extrem geändert hatten, blieb nur noch die Tatsache, dass die Konten bei dieser Schweizer Bank weiterhin auf Thomas liefen.

Sein guter Schweizer Freund Fritz Oberer klärte Thomas dann über das Schweizer Domizilrecht auf.

Und zur großen Überraschung von Thomas funktionierte es reibungslos.

Innerhalb weniger Wochen waren die Konten, die er dort unterhielt, nicht mehr auf Thomas Deckel aus Hamburg, sondern auf Señor Thomas Deckel mit festem Wohnsitz in der Dominikanischen Republik umgeschrieben. Damit war die Bank nur noch verpflichtet, Auskünfte über diese Konten zu geben, wenn sie aus der Dominikanischen Republik angefragt wurden.

Und davon war in diesem Stadium nicht auszugehen.

Status

Eine totale Auflösung aller finanziellen Transaktionen über Nacht war bei seiner verbliebenen Schweizer Bank kaum möglich.

Dazu waren die Verbindungen zu komplex, die Konten über 20 Jahre lang geführt und das Geflecht von Eingängen, Ausgängen und allem, was damit bei solchen internationalen Transaktionen zu tun hat, war inzwischen so komplex, dass selbst erfahrene Steuerbeamte wohl vor einer Revision zurückgeschreckt hätten.

Trotzdem saß Thomas der Schreck über das, was mit seinen Eltern respektive dem Geld seiner Eltern passierte, so tief in den Knochen, dass er immer wieder überlegte, wie er diese ganze Sache hier auf eine irgendwie einigermaßen elegante Art beenden könnte.

Da er persönlich wohl der einzige war, der einen Überblick über die gesamte Struktur hatte, konnte er auch alles für sich selber einigermaßen bilanzieren.

Es blieben, wenn er alles liquidieren würde, ungefähr eine halbe Million Euro übrig, die er guten Gewissens sich selber als Erfolgshonorar zuschreiben könnte.

Und nun?

Alle Berater und Experten, die Thomas jetzt befragte, waren sich in einem einig: Wenn er dieses Geld nach Deutschland transferieren würde, müsste er nicht nur die berühmten 50 Prozent Steuern darauf zahlen, das war eine Selbstverständlichkeit.

Viel schwerwiegender war die Tatsache, dass jeder Finanzbeamte in Deutschland dann eine Offenlegung sämtlicher Transaktionen der letzten 20 Jahre fordern würde, um Thomas in irgendeiner Form zur weiteren Zahlung von Steuerabgaben, Strafen oder was auch immer zu bewegen.

Insofern war ein Rückfluss nach Deutschland im Prinzip von vornherein gestorben.

Die Amerikaner hatten inzwischen mit sehr großem Druck und dadurch auch sehr erfolgreich die Schweizer Banken dazu gebracht, dass sie keine amerikanischen Konten mehr führen.

Sie wurden aufgefordert, alle Interna über amerikanische Bürger, die in der Schweiz Geld hatten, offen zu legen – und wenn sie dem nicht nachkommen sollten, wurde seitens der Amerikaner mit entsprechenden Sanktionen und Strafen gedroht.

Der Direktor, mit dem Thomas zu dieser Zeit in Zürich am meisten sprach, sagte ihm ganz klar, dass er sämtliche Reisen ins außereuropäische Ausland abgesagt hätte und auch in absehbarer Zukunft nicht durchführen werde.

Es hatte bereits Verhaftungen von Schweizer Bank-Direktoren in den USA gegeben. Wenn es so weitergeht, würde wahrscheinlich sogar der innereuropäische Reiseverkehr dieser Berufsgruppe von den Amerikanern blockiert werden.

Der Direktor ergänzte, er selber hatte sein ganzes Berufsleben lang sich an die Schweizer Gesetze und Vorgaben gehalten und war äußerst ungehalten und auch deprimiert, dass ihm jetzt praktisch solche persönlichen Konsequenzen drohten.

Damit war das Problem, was Thomas jetzt machen sollte, aber immer noch nicht gelöst.

Doch wie so oft im Leben bahnte sich hier eine Lösung an, die er sich vorher nie hätte vorstellen können.

Der Transfer

In der zweiten Heimat der Familie Deckel, am schönen Strand von Punta Cana in der dominikanischen Republik, waren nach anfänglichen Boomjahren die Konsequenzen eines ungesteuerten Tourismus zu spüren.

Thomas und seine Frau Anna machten sich aufgrund von Vorkommnissen, die in späteren Kapiteln dieses Berichtes geschildert werden, ernsthafte Sorgen um ihr kleines persönliches Paradies am Strand der Karibik.

Sie kauften sich aus Vorsorge, dass das Leben in Punta Cana demnächst wesentlich an Lebensqualität verlieren würde, kurz entschlossen zwei Grundstücke auf einem anderen Gebiet der Insel.

Die Abwicklung wurde durch eine Bekannte gemacht, die gleichzeitig Nachbarin in Ihrem Kondominium in Punta Cana war.

Sie war Rechtsanwältin und Notarin und gleichzeitig auch die Gattin des seinerzeitigen Marine-Ministers der Dominikanischen Republik.

Alles sehr gute Voraussetzungen für den Fall, dass es in Punta Cana tatsächlich wie in Mallorca zu ballermannartigen Strand-Exzessen kommen sollte.

Das finanzielle Engagement für die beiden Grundstücke, die man zu kaufen beabsichtigte in Samana – so hieß die Gegend, die seinerzeit noch ein wirklicher karibischer Geheimtipp war – wurde von Thomas durchkalkuliert und ergab ungefähr folgende Zahlen:

300.000 Dollar für das größere Strandgrundstück
200.000 Dollar für das kleinere Strandgrundstück, das in unmittelbarer Nachbarschaft zum ersten Grundstück lag.

Diese beiden Grundstücke lagen zwar an einem schönen Sandstrand, waren aber bei Kaufabschluss noch reiner Urwald.

Alles musste gerodet und Schritt für Schritt zivilisiert werden.
Dann sollten ein oder zwei kleine Holzhäuser errichtet werden zum Übernachten einer Familie, die auf dem Grundstück als Hausmeister wohnen sollte und wo die ganze Gerätschaft untergebracht werden sollte.

Dafür waren in der Überschlagskalkulation weitere 100.000 Dollar angesetzt.

Wenn diese 600.000 Dollar jetzt kurz hintereinander in die Dom Rep fließen würden, könnte man das Kapitel Schweiz tatsächlich auf einigermaßen eleganter Art beenden und in der Dom Rep etwas für die Zukunft aufbauen.

Und so wurde es gemacht.

Innerhalb kurzer Zeit war der gesamte Betrag von der Schweiz in die Dominikanische Republik geflossen auf ein sicheres Dollar-Konto der Notarin.

Die Konten und sämtliche Verbindungen in der Schweiz konnten jetzt ganz regulär gelöscht werden und das Schweizer Kapitel von Thomas Deckel war Geschichte.

Aber die Zeit bleibt nicht stehen.

Was Vergangenheit geworden ist, wird Historie.
Der Begriff der Gegenwart ist eine Hilfskonstruktion.
Es gibt nur Vergangenheit und Zukunft.

Und diese Zukunft war für Thomas und seine Familie in jenen Momenten ein Bild, das sich aus Hoffnungen und Erwartungen zusammensetzte.

Zweites Buch

Die Vertreibung aus dem Paradies

Ein Bericht von Thomas Deckel

Dominikanische Republik

Personenverzeichnis

Pablo Lopez Großgrundbesitzer in Punta Cana
Urs Tamme Nachbar von Thomas Deckel in Punta Cana
Elena Alejo Rechtsanwältin, Notarin und Ehefrau von Francisco Alejo
Francisco Alejo Nachbar im Condo und Admiral der Kriegs –Marine
Alejandro Gehilfe von Admiral Francesco Alejo
Federico Alvarez Anwalt aus Santiago, Inhaber der Firma La Paschka
Egar Hausmeister und Wächter unserer Grundstücke im Valle
Alexis Cuevas Unser 4. Anwalt in Sachen Grundstücke
Rodriguez Landvermesser und Freund der Familie Deckel in Samana
Adames Unser 5. Anwalt in Sachen Samana
Diego de la Huub Unser 6. Anwalt in Sachen Samana
Patria Malo Erste eigene Verwalterin des Condominiums in Punta Cana
Marie Sol Unterschrieb als junges Mädchen ein Dokument
Carlos Alumnis Fachanwalt Grundstrücksrechte und Autor einer Expertise

Kapitel 1

Vorgeschichte

Nach dem Fiasko des ersten All-Inklusive-Tourismus in Puerto Plata in den Jahren 1989–1993 wurde ein neuer Versuch in der Dominikanischen Republik gemacht.

Diesmal sollte in Punta Cana all das besser gemacht werden, was in Puerto Plata so total schief gegangen war. Punta Cana wurde in den Jahren 1993 bis 1996 aus dem Boden gestampft. Voraussetzung war ein wunderbarer Strandabschnitt von ca. 20 km Länge, über drei Buchten verteilt. Der gesamte Strand wurde parzelliert und an die internationalen Hotelketten verkauft.

Der gesamte Grundbesitz gehörte seinerzeit einer einzigen Familie, sie wurde geleitet von dem Dominikaner Pablo Lopez. Durch den Verkauf dieser riesigen Strandgebiete erhielt die Familie nach Hörensagen irgendwas zwischen 500 bis 800 Millionen US-Dollar.

Bei der Aufteilung der einzelnen Parzellen für die verschiedenen Hotels wurde von den Landvermessern ungenau gearbeitet.
Seinerzeit noch ohne GPS vermessen, stellte sich zum Schluss heraus, dass in der breitesten und schönsten Bucht in der Mitte ein kleines Stück Strand von 80 Meter Strand-Breite zwar auf den Plänen aufgeteilt war, in der Natur aber übrig blieb. Dieses kleine Stückchen Land war zu schmal, um dort noch ein weiteres Hotel zu bauen. Pablo Lopez erstellte daraufhin dort ein kleines Kondominium. Vier Häuser in der ersten Reihe direkt am Strand und vier Häuser in der zweiten Reihe dahinter.

Dieses Kondominium nannte er White Sands und es wurde erbaut in den Jahren 1999-2000. Jedes Haus hatte vier Wohnungen. Es gab also 16 Wohnungen in der ersten und 16 Wohnungen in der zweiten Reihe. Wir kauften uns eine Wohnung in diesem Kondominium in der ersten Reihe im Jahr 2000. In unserem Haus wohnte über uns ein Deutscher, er hieß Urs Tamme und lebte schon viele Jahre in Bavaro. Er hatte sich in Bavaro einen Auto-Vertrieb für die Touristen aufgebaut und profitierte von den jedes Jahr steigenden Besucherzahlen.

Wenn ich in diesem Bericht mal Bavaro und mal Punta Cana sage, so hat es hiermit folgende Bewandtnis:

Bavaro hieß der kleine Ort, wo sich jetzt am Strand ein Hotel neben dem anderen befand. Insgesamt sind es bis heute 33 Hotels. Der Name „Punta Cana“ war ein reiner Fantasiename, den sich irgendwelche Reise-Manager ausgedacht hatten, der aber gut klang und bis heute für dieses Strandgebiet international verwendet wird.

Pablo Lopez stiegen die Millionen-Einkünfte innerhalb sehr kurzer Zeit zu Kopf. Er begann in den vielen Casinos in Bavaro zu spielen und wurde extrem spielsüchtig. Man munkelte, dass er in sehr kurzer Zeit mehrere 100 Millionen US-Dollar in den dortigen Casinos verspielte.

Die Strandgrundstücke waren bereits 2002–2003 alle verkauft. Zwischen diesen mehr oder weniger gleichförmigen All-Inklusive-Hotelanlagen war als Privatgrundstück praktisch nur unser kleines Kondominium.

Lopez brauchte weiteres Geld und so fing er in den Jahren 2002–2004 an, die Grundstücke, die nicht direkt am Strand lagen, auch noch zu verkaufen. Käufer waren Firmen, die dort kleinere Hotelanlagen und Privatwohnungen und Kondominiums errichteten für Gäste, denen die Preise der Hotels direkt am Strand inzwischen zu teuer waren.

Diese neuen Grundstücks-Käufer lockte Pablo Lopez mit der Zusage, dass die Mieter oder Käufer dort im Hinterland auch Zugang zum Strand „…über sein Kondominium White Sands haben würden…“

Ein Strandzugang bei den internationalen Hotels war nicht möglich. Jedes Hotel hatte private Sicherheitsdienste, die verhinderten, dass jemand, der nicht dort im Hotel wohnte, über das Hotelgrundstück zum Strand kommen könnte.

Lopez hatte als Bauherr des Kondominiums am Anfang auch die absolute Mehrheit der Stimmrechte bei den jährlichen Haus-Eigentümerversammlungen. Er setzte seine eigene Verwaltung im Kondominium ein, und dieser Verwalter sorgte dafür, dass die Besucher aus dem Hinterland ungehindert durch unser Kondominium zum Strand gehen konnten.

Nach kurzer Zeit – ca. ab 2003 – waren aber alle Wohnungen in unserem Kondominium verkauft. Und die Eigentümer waren nicht mehr bereit zu dulden, dass irgendwelche fremden Menschen einfach durch das Kondominium durchlaufen würden, um an den Stand zu kommen.

Die Verwaltung des Kondominiums wurde geändert. Der Verwalter von Lopez wurde durch eine Verwaltung ersetzt, die von den Mitgliedern des Kondominiums bestimmt und bezahlt wurde. Diese neue Verwaltung des Kondominiums setzte sich stark dafür ein, dass man nicht mehr einfach über den privaten Grund und Boden des Kondominiums laufen konnte, um an den Strand zu gelangen.

Lopez versuchte zuerst, die neue Verwalterin des Kondominiums mit Gewalt zu vertreiben. Er bezahlte eine Putzfrau, dass sie aus einer Wohnung im ersten Stock einen großen schweren Gegenstand auf den Kopf dieser Frau schmeißen sollte. Für einige Dollars wurde dieser Anschlag dann durchgeführt und das Opfer erlitt einen mehrfachen Kieferbruch, verlor diverse Zähne und war monatelang im Krankenhaus.

Die Putzfrau erhielt ihre Dollars, ging einige Wochen in den Knast und arbeitete danach in einigen Wohnungen von Lopez weiter.

Das Ganze nutzte Lopez aber nicht viel: Die Käufer der Hotels und der Anlagen im Inland fingen an, sich aggressiv bei Lopez darüber zu beschweren, dass ihre Kunden nicht mehr so leicht an den Strand kommen konnten. Er – Lopez – hätte dies aber seinen Käufern beim Verkauf der Grundstücke garantiert.

In dieser Situation suchte Lopez einen bekannten Anwalt und zusammen mit ihren Verbindungen zu allen Behörden bereiteten sie eine Aktion vor.

Am 11. November 2005 erschienen vor dem Kondominium frühmorgens Militär, lokale Polizei, nationale Polizei, Vertreter vom Bürgermeister und von Grundbuchämtern und natürlich Lopez selber mit seinem Anwalt. Sie erklärten, dass sie an der einen Seite des Kondominiums einen Durchgang zum Strand errichten würden. Dieser neue Durchgang sei genehmigt und sämtliche Papiere seien dafür erstellt worden.

Man begann sofort, die eine Seite des Kondominiums aufzugraben, alle dort befindlichen Gebäude zu zerstören und einen festen Betonweg zu errichten. Am Abend des gleichen Tages war ein ca. 2 m breiter Gang an der Seite des Kondominiums fertig errichtet. Dieser Durchgang wurde von da ab von Wachleuten von Lopez Tag und Nacht bewacht.

Alle Proteste der Verwaltung des Kondominiums fruchteten nichts, die Genehmigungen für diesen Durchbruch waren offensichtlich vorhanden und wurden den Interessierten unter die Nase gerieben.

Heute wissen wir, dass es niemals irgendeine Genehmigung gegeben hatte.

Alle Papiere waren gefälscht.

Alle Polizei und alle Bürokraten, die dort waren, hatten ihr Geld bekommen und alles war eine typisch dominikanische Veranstaltung. Mit viel Geld wurden einfach Tatsachen geschaffen. Dieser Durchgang ist bis heute nicht in irgendwelchen Grundstücksunterlagen zu finden.

Ich selber war mehrere Jahre auch Präsident im Kondominium und habe mich intensiv mit diesem Vorgang beschäftigt. Es war und blieb eine ungesetzliche Aktion, die aber für uns als Familie Deckel noch viele Konsequenzen haben würde.

Ein Treppenwitz der Weltgeschichte ist die Tatsache, dass der Anwalt, der Lopez all dies ermöglichte, zehn Jahre später selber Präsident unseres Kondominiums wurde.

Solange Lopez ihn bezahlte, erledigte er alles für seine Mandanten. Als Lopez aber seinen Anwalt nicht mehr bezahlen konnte, drehte sich das Blatt total. Der Anwalt – er heißt Mateo Garcia – besorgte sich die Titel der letzten beiden Wohnungen im Kondominium, die offiziell noch Lopez gehörten und sorgte dafür, dass diese Titel ihm als Zahlung für seine offenen Rechnungen überschrieben wurden.

Er wurde so auf diese etwas ungewöhnliche Art und Weise stolzes Mitglied unserer Kondominiums-Gemeinschaft und dann auch noch kurz darauf unser nächster Präsident.

Tempora mutantur, et nos et mutamur illis. ( Ovid)

Ich selber ging davon aus, dass es jetzt – nach diesem gewaltsamen Durchbruch zum Strand – mit der Ruhe und dem paradiesischen Zustand am Strand direkt vor unserem Kondominium zu Ende gehen würde. Wir kannten nur zu gut die Bilder, wie der Strand in Mallorca oder in Italien oder Spanien von Tausenden von Touristen eng an eng bevölkert wurde.

Im Prinzip brauchten wir nur nach links und rechts zu den dortigen Hotels und deren Stränden zu sehen, wo in Vierer- und Fünfer-Reihen hintereinander Hunderte von Touristen wie die Sardinen in der Dose auf ihren Liegestühlen am Strand lagen.

Ich erwartete, dass aufgrund dieser neuen Situation auch der Wert unserer Immobilien entsprechend schnell und stark sinken würde.

Im nächsten Monat sprach ich öfter mit Urs Tamme darüber, der im Prinzip die gleichen Ansichten hatte wie ich. Als ich meine Frau Anna fragte, ob sie unter diesen Umständen eventuell lieber an einem anderen Strand in der Dominikanischen Republik leben würde oder ob wir das ganze aufgeben und uns nach Deutschland oder eventuell Chile zurückziehen sollten, war ihre Antwort klar:

Sie wollte sehr gern – wenn möglich – in der Dom Rep weiter leben können.

Ich fing dann an, zusammen mit Urs ein anderes Gebiet zu erkunden, von dem es hieß, dass es ein kleines und noch völlig einsames und unerschlossenes Paradies sein würde: die Halbinsel Samana.

Kapitel 2

Samana und die Suche nach einem Grundstück

In unserem kleinen Kondominium lebten in der ersten Reihe praktisch nur Ausländer. Viele Europäer – Schweizer, Deutsche, Holländer, Spanier, Russen, Belgier – und dann noch Amerikaner, Kanadier und Südamerikaner. Es war international.

Nur eine einzige Wohnung wurde von einer dominikanischen Familie erworben. Besitzer waren die Familie Elena und ihr Mann Vice-Almirante Francisco Alejo. Francisco war seinerzeit Admiral und somit Chef der dominikanischen Kriegsmarine.

Seine Frau – sie wurde von allen nur Elena genannt – war studierte Anwältin und Notarin. Beide wohnten in der Hauptstadt Santo Domingo und hatten diese Wohnung als Wochenendwohnung für ihre recht große Familie. Anna freundete sich schnell mit Elena und Francisco an.

Als der illegale Durchbruch zum Strand 2005 von Lopez und seinem Anwalt gemacht wurde, war die Reaktion von Francisco nicht etwa, dass er versuchte dagegen irgendetwas mittels seiner Beziehungen zu machen. Beide – Elena und Francisco – nahmen es praktisch nur zur Kenntnis, was mich damals schon ziemlich irritierte.

Als wir dann kurze Zeit später erklärten, dass wir im Rahmen eines von uns angedachten Plans B irgendwo anders in der dominikanischen Republik ein Grundstück suchen würden, erklärte uns Francisco, das Beste würde ein Grundstück in Samana sein.

Samana, eine kleine Halbinsel, die wie ein Finger in den karibischen Atlantik rein ragt. Nur 10 km breit und 80 km lang. Dort würde er sich auskennen, sie selber hätten dort auch ein Ferienhaus an einem schönen Strand am Ende der Halbinsel. Francisco sagte, er würde uns gerne helfen, wenn wir wirklich dort etwas Neues suchen wollen.

In Samana gab es eine kleine Marine-Station. Dort lagen ein kleineres Küstenkriegsschiff und mehrere Marine-Such-Boote, die die Aufgabe hatten, die Flüchtlinge, die täglich von der Dom Rep zur amerikanischen Nachbarinsel Puerto Rico flüchteten, wieder aufzufischen und zurückzubringen nach Samana.

Francisco sagte, er würde uns seinen Adjutanten bei unserer Suche zur Verfügung stellen. Laut Francisco hieß dieser Adjutant Alejandro und wohnte in Samana – und er kenne dort mit Sicherheit die Leute, die für uns eventuell als Verkäufer eines Strandgrundstücks infrage kommen könnten.

Die Halbinsel Samana ist ein sehr gebirgiges Gebiet und hat praktisch kaum Strände. Auf dem Landweg fanden wir nichts, was uns begeistern konnte. Daraufhin fuhren wir zum Schluss einmal mit einem kleinen Boot rund um die Halbinsel – und am Ende dieser Fahrt fanden wir eine kleine traumhafte Bucht.

Weißer Strand, tropische kleine Berge links und rechts – es sah aus wie in der Karibik im 17. oder 18. Jahrhundert. Mir gefiel dieser Anblick so sehr, dass ich spontan sagte: „Hier oder nirgends.“

Dieser wunderschöne und wirklich gottverlassene Strand lag zwar nur 8 km von der kleinen gleichnamigen Hauptstadt der Halbinsel Samana entfernt, aber um dorthin zu kommen, brauchte man am Anfang mindestens 50 Minuten. Es war ein Urwald-Pfad, der nur mit extremen Expeditions-Jeeps befahren werden konnte, aber immerhin gab es eine Landverbindung dorthin.

Ich sagte Alejandro, dass ich mich entschlossen hatte, dort an diesem Strand wenn möglich ein kleines Grundstück zu erwerben – und er möge sich bitte darum kümmern, ob es irgendjemanden gibt, der dort Besitzer eines Grundstücks ist und der etwas verkaufen würde.

Der Ort, an dem dieser Strand lag, wurde von allen in Samana nur als „El Valle“ bezeichnet. El Valle bedeutet auf Deutsch „das Tal“ und dieser Name sollte in den nächsten 15 Jahren ein zentraler Punkt in unserem Leben in der Dom Rep werden.

Kapitel 3

El Valle, die Verkäufer und der Anfang aller Probleme

Ungefähr drei Monate nachdem wir diesen Strand inmitten eines dichten Urwalds entdeckt hatten, meldete sich Alejandro und sagte, er hätte eine Familie gefunden, die bereit wären etwas zu verkaufen. Ich fuhr zusammen mit Anna, Alejandro und einigen Mitgliedern der Verkäufer-Familie zum Valle und man zeigte mir das Grundstück, das sie verkaufen wollten.

Es war ein ca. 60 Meter breites Strandgrundstück und lag ziemlich in der Mitte der Bucht. Das Grundstück war nach hinten ca. 140 Meter tief und endete an einem kleinen Süßwasser-Bach, der sich dort durch das Tal schlängelte.

Es würde sich bei diesem Objekt nach Angaben der Verkäufer um insgesamt ca. 10.000 Quadratmeter handeln. Die Preisidee sei 35 Dollar pro Quadratmeter – also total ca. 350.000 Dollar.

Ich sagte, dass wir an einem kleinen Grundstück mit ca. 1000–2000 Quadratmetern interessiert seien, um dort etwas für uns zu erstellen. Aber auf keinen Fall ein Riesengrundstück von 10.000 Quadratmetern.

Um es kurz zu machen: Die Verkäufer hatten wohl mitbekommen, dass ich sehr an diesem Grundstück in diesem Paradies interessiert war. Und zum Schluss blieb mir nichts anderes übrig als entweder nichts zu kaufen oder die gesamten 10.000 Quadratmeter.

Nach Rücksprache mit meiner Frau willigten wir schließlich ein, dieses Grundstück zu erwerben.

Kapitel 4

Die ersten Dokumente und die Formalie der Abwicklung

Ich hatte inzwischen in der Dom-Rep genügend Geschichten gehört über das Thema „Titel“ bei Wohnungen und Grundstücken. Im Prinzip gab es in der DomRep offensichtlich nichts Gefährlicheres und Nervtötenderes als das Thema „Titel“ und seine Abwicklung bei Immobilienkäufen.

Als ich Alejandro gebeten hatte, Verkäufer zu suchen, die eventuell ein Strandgrundstück verkaufen wollten, hatte ich ihm ganz klar gesagt, dass ich nur interessiert bin, wenn man mir einen sauberen Titel vorlegen kann.

Am nächsten Tag sollten wir uns dann mit dem Verkäufer treffen. Zu der vereinbarten Uhrzeit erschienen dann drei Autos mit vielleicht 14-16 Personen, die alle in das kleine Hotel gingen, wo wir uns aufhielten.

Der Titel wurde dann gezeigt. Auf der Rückseite des Titels – wo die Besitzer eingetragen sind – war eine Liste von Namen eingetragen, die mehr als die Hälfte des gesamten Dokuments ausfüllte. Es waren – nach meiner Erinnerung – insgesamt 16 Personen, die dort als Eigentümer eingetragen waren.

Ich sagte sofort, dass ich nicht das geringste Interesse haben würde, mit so einer Großfamilie zu verhandeln. Wenn es so viele Mitbesitzer in diesem Titel gab, so wusste ich von Deutschland her, dass man so etwas ändern kann, indem die Besitzer sich auf einen Sprecher einigen.

Dieser Sprecher wird durch notarielle Eintragungen ermächtigt, im Namen der Besitzer zu verhandeln und rein rechtlich hat man es dann nur mit einer Person zu tun, die notariell bevollmächtigt ist, einen Abschluss im Namen aller Beteiligten durchzuführen.

Ich sagte also, wenn man zu so einem Schritt bereit ist, sollte man auf der Verkäuferseite das entsprechende vornehmen und dann wieder auf mich zukommen, wenn ich es nur mit einem einzigen Verkäufer zu tun haben würde.

Ich sagte also, wenn man zu so einem Schritt bereit sei, solle man auf der Verkäuferseite das entsprechende vornehmen und dann wieder auf mich zukommen, wenn ich es nur mit einem einzigen Verkäufer zu tun haben würde.

Außerdem würde ich die ganze Angelegenheit von dem Moment ab dann über einen Anwalt und Notar durchführen lassen, respektive weiter bearbeiten, da ich selber vom dominikanischen Grundstücksrecht keine Ahnung habe.

Der Preis wurde dann auf 30 Dollar pro Quadratmeter festgesetzt und man würde sich bei mir wieder melden, wenn die auf dem Titel erwähnten Personen einen legalen Vertreter oder Bevollmächtigten ernannt hatten, der dann mit den entsprechenden Vollmachten als Verkäufer auftreten kann.

Zurück in Bavaro im Kondominium erzählten wir Francisco und Elena über den Fortgang unserer Bemühungen, dort in Samana ein Strandgrundstück zu erwerben.

Elena erklärte sich bereit, sämtliche Formalien durchzuführen als Anwältin und Notarin, sodass wir gegen jegliche Form von Betrugsabsichten usw. geschützt sein würden.

Sie würde alles ganz gründlich prüfen und wenn die Verträge eines Tages geschlossen sein sollten, würde sie auch die Verteilung der Gelder und alles, was damit zu tun hat, inklusive der Anträge für einen neuen Titel für uns durchführen.

Wir erklärten uns mit diesem Angebot einverstanden und warteten auf die nächsten Nachrichten der Verkäufer.

Kapitel 5

Der Kaufvertrag und der Beginn der Abwicklung

Sie hatten sich auf eine Person geeinigt, die die weiteren Verhandlungen mit uns durchführen würde. Es handelte sich um eine Frau, sie hieß Alisa Montana.

Einige Wochen später meldeten sich die Verkäufer. Notarielle Erklärungen aller Personen, die auf dem Titel erwähnt sind, würden vorliegen und man könne jetzt mit den Verkaufsformalien beginnen.

Wir informierten Elena hierüber.

Wir sagten Elena gleichzeitig, dass nur Anna Deckel als Käuferin in Erscheinung treten wird. Wir hatten uns darüber verständigt, dass Anna alleinige Käuferin sein würde, da Frauen weltweit länger leben als ihre Männer und aus diesem Grund erschien es uns ratsam, alles gleich direkt auf Annas Deckel abzuwickeln. Elena reiste mehrmals nach Samana, um die vorgelegten Dokumente genau zu prüfen.

Von diesem Moment an waren Anna und ich praktisch aus dem aktiven Geschäft dieser ganzen Transaktion herausgelöst. Es war die alleinige Aufgabe von Elena festzustellen, ob alle mit einem Verkauf in Verbindung stehenden Dokumente seitens des Verkäufers korrekt und legal sein würden.

Wenn Elena danach erklären sollte, dass alles in Ordnung sei, würden wir von Europa aus den Gegenwert auf ein Dollar-Konto von Elena überweisen und sie würde dann im Rahmen der Transaktion die verschiedenen Beträge dem Verkäufer zur Verfügung stellen. Sie würde also – um es mit den deutschen Grundstücksformalien zu vergleichen – praktisch ein Notar-Anderkonto errichten, auf das Anna Deckel als Käuferin den Kaufpreis bezahlt und sie würde in ihrer Eigenschaft als Notar für die Umschreibung der Dokumente sorgen und wenn alles ok ist, dann entsprechend den dominikanischen Vorschriften den Kaufpreis auszahlen.

Über die Einzelheiten dieser Abwicklung sollte ich mir keine Kopfschmerzen machen, das würde alles von Elena korrekt und in unserem Sinne respektive im Sinne von Anna durchgeführt werden. Elena reiste mehrmals nach Samana, um entsprechende Erkundigungen beim Grundbuchamt und bei den anderen Stellen durchzuführen. Eine weitergehende Information erhielten wir von Elena nicht.

Sie sagte dann irgendwann, dass ihre Prüfungen abgeschlossen seien und es sei alles in Ordnung. Anna könne jetzt das Geld transferieren und sie würde es an die Verkäufer Zug um Zug weiterleiten. Wir organisierten die Zahlung des Kaufpreises in Europa und transferierten den gesamten Betrag auf das Dollar-Konto von Elena.

Kapitel 6

Der Titel und die Deslinde

Ich hatte schon vorher von meinem Freund Urs und auch von anderen bei Gesprächen über Wohnung und Grundstückskäufe immer wieder den Begriff „Deslinde“ gehört.

Richtig etwas darunter vorstellen konnte ich mir nicht, da ich bisher mit diesem Begriff respektive mit einer Deslinde noch nie etwas zu tun hatte. Da dieser Bericht wohl auch von Menschen gelesen wird, die ebenfalls von dem Begriff Deslinde noch nie etwas gehört haben, hier eine kurze Erklärung:

In der Dominikanischen Republik erfolgt eine Grundstücksübertragung in zwei Schritten. Zuerst wird ein Kaufvertrag gemacht und später dann die Deslinde. Hierzu ein ganz einfaches Beispiel:

Der Verkäufer verfügt über ein großes Grundstück von sagen wir 50.000 Quadratmetern. Er verkauft jetzt aus diesem Gebiet 10.000 Quadratmeter an den Käufer. Damit ist der Käufer rechtmäßiger Eigentümer von 10.000 Quadratmetern.

Aber es ist noch nicht juristisch definiert, wo genau in dem gesamten Gebiet der 50.000 Quadratmeter des Verkäufers sich die jetzt verkauften 10.000 Quadratmeter befinden.

Mit diesem ersten Kaufvertrag wird also lediglich beurkundet, dass der Käufer einen Anspruch auf 10.000 Quadratmeter hat.

In einem zweiten Abwicklungsprozess wird dann die Deslinde erstellt. Dies ist in etwa zu vergleichen mit dem Grundbucheintrag in Deutschland.

Der Verkäufer und der Käufer beauftragen einen Landvermesser jetzt einen exakten Plan zu erstellen, wo genau sich diese 10.000 Quadratmeter befinden, die der Käufer erworben hat.

Diese Fläche soll dann geodätisch festgestellt und notiert werden. Erst dann ist klar und unbestritten, wo sich das verkaufte Grundstück genau befindet.

Eine solche Deslinde ist somit ein ganz wesentlicher Teil des Verkaufs und der damit verbundenen Verkaufstransaktionen.

Ich hatte jetzt die wesentliche Bedeutung einer solchen Deslinde verstanden.

Elena wurde beauftragt, sich auch um die Formalien der Deslinde zu kümmern.

Den neuen Titel über das Grundstück der 10.000 Quadratmeter erhielten wir relativ schnell nach einigen Monaten. Mit diesem Titel sollte dann die Deslinde durchgeführt werden.

Ich hörte als nächstes von Elena, dass es mit dieser Deslinde etwas Probleme gegeben hat und wohl auch noch geben würde. Der Hintergrund war wie folgt:

Aufgrund des boomenden Tourismus und aller damit in Verbindung stehenden Haus- und Grundstücksabwicklungen hatte man zu jener Zeit – ich rede hier von 2006 und 2007 – das System der Deslindierung etwas geändert.

Es gab jetzt die sogenannte „alte Deslinde“, also die Form der Deslinde, nach der bisher jahrzehntelang gearbeitet wurde. Und es gab eine „neue Deslinde“, die ab einem bestimmten Datum eingesetzt werden sollte und die dann die alte Deslinde ersetzte.

Der Unterschied ist wie folgt: Nach dem alten Gesetz annoncierte der Käufer seinen Kauf und die Absicht, eine Deslinde durchzuführen, so ähnlich wie in Deutschland das Aufgebot.

Auf einem schwarzen Brett im Ortsamt oder Gericht wird auf einem Papier angezeigt, dass beabsichtigt ist, dann und dann eine Deslinde für das Grundstück XYZ durchzuführen. Wer daran interessiert ist, bei dieser Deslinde anwesend zu sein, wird damit aufgefordert, zu dem angegebenen Termin dort zu erscheinen.

Also so ähnlich wie bei einem deutschen Aufgebot, wo angezeigt wird, dass dann und dann eine Hochzeit geplant ist und wer etwas dagegen hat, möge sich vorher beim Standesamt melden.

Dieses alte Deslinde-System sollte verbessert werden, weil bei der dominikanischen Bürokratie solche Zettel, die auf einem schwarzen Brett hängen, niemals gelesen werden respektive oftmals auch als Schmierpapier oder Klopapier abgenommen und benutzt werden.

Das neue Gesetz zur Durchführung einer Deslinde sagt dagegen folgendes: Der Verkäufer hat die Pflicht, entweder selber oder durch seinen Anwalt oder Notar alle Grundstückseigentümer zu informieren, die ein Nachbargrundstück zu dem jetzt zu deslindierenden Grundstück haben.

Es muss allen angrenzenden Nachbarn bekannt gegeben werden, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt an Ort und Stelle auf dem neuen Grundstück eine Deslinde durchgeführt wird.

Dann können alle Nachbarn, die es interessiert, dort erscheinen und genau prüfen, ob die neuen Grenzen zwischen ihrem Grundstück und dem neu jetzt zu deslindierenden Grundstück mit ihren Unterlagen übereinstimmen.

Also praktisch eine Vor-Ort-Versammlung im Moment der Deslindierung, mit dem Zweck, sämtliche Streitigkeiten noch vor der Fertigstellung der aktuellen Deslinde zu beseitigen.

Dieses neue Deslinde-Gesetze war zum Zeitpunkt, als wir die Deslinde für unsere 10.000 Quadratmeter beantragten, offensichtlich bereits in den gesetzlichen Gremien verabschiedet worden.

Aber wie jedes Gesetz dieser Art hatte auch dieses neue Deslinde-Gesetz ein Datum, ab dem die Gültigkeit dieses neuen Gesetzes festgelegt wurde.

Also – als Beispiel: Am 15. April ist das neue Deslinde-Gesetz verabschiedet mit Wirkung ab 1. Juli – damit die entsprechenden Behörden sich damit vertraut machen können.

Ab 1. Juli ist dann nur nach dem neuen Gesetz eine Deslinde zu machen. Wird eine Deslinde in diesem Beispiel aber für den 10. Mai angesetzt, so ist das neue Deslinde-Gesetz noch nicht wirksam. Es muss in diesem Fall alles noch nach dem alten Deslinde-Gesetz abgewickelt werden.

Ich muss auf diesen Punkt so genau eingehen, weil hier der Anfang unserer gesamten Samana-Valle-Katastrophe beginnt.

Elena erklärte uns seinerzeit, dass folgendes geschehen war:

In dem Moment, als sie die Deslinde beantragte, war das neue Deslinde-Gesetz bereits verabschiedet – aber der Zeitpunkt, ab dem es wirksam sein würde, war noch nicht erreicht.

Entsprechend war nach ihrer Auskunft die Deslinde noch in der alten Form durchzuführen. Und das bedeutete eben Anschlag am schwarzen Brett usw.

Ich nahm diese Erklärung zur Kenntnis, aber ehrlich gesagt interessierten sie mich nicht besonders, da ich davon ausging, dass alle Formalien richtig von Elena durchgeführt werden würden.

Es wurde ein Landvermesser beauftragt. Ob von Elena oder seitens des Verkäufers weiß ich nicht, das ist auch egal, da der Verkäufer auch ein Interesse an einer Deslinde hatte, weil er sonst noch nicht in den Besitz des gesamten Kaufpreises kommen würde.

Mir selber wurde gesagt, dass es nach dem Erstellen einer Deslinde noch eine gewisse Zeit dauern würde, bis diese dann vom Gericht beurkundet wird – und dann hätten wir alle Papiere zusammen, die Anna Deckel als rechtliche Eigentümerin dieser 10.000 Quadratmeter beurkundet hätte.

Kapitel 7

Ein weiterer Verkäufer tritt auf

Vom Moment der ersten Verkaufsverhandlungen bis zur der Deslinde-Vermessung unten am Strand waren ungefähr eineinhalb Jahre vergangen.

Samana ist ein kleiner Ort von nur wenigen 1000 Einwohnern und es hatte sich dort mit Sicherheit ganz schnell herumgesprochen, dass eine Deutsche, die dazu noch perfekt Spanisch sprach, als Käuferin eines Grundstücks im Valle aufgetreten war.

Und im Gegensatz zur absoluten Landesgewohnheit hatte diese freundliche deutsche Dame offensichtlich sogar das Grundstück, das sie gekauft hatte, auch bezahlt.

Diese Tatsache muss für die Menschen dort, die ihr Leben lang – und bis heute – in allen Haus- und Grundstücksfragen nur betrogen und belogen wurden, das muss für diese wie ein kleines biblisches Wunder gewirkt haben. Auf jeden Fall wurden wir, nachdem die Arbeiten des Landvermessers beendet waren und wir auf alle endgültigen Papiere warteten, von einer älteren Dominikanerin angesprochen.

Sie sagte, sie gehöre zur gleichen Familie, die die 10.000 Quadratmeter an Anna Deckel verkauft hat. Aber sie selber hat noch ein weiteres Grundstück von 5000 Quadratmetern, das direkt neben den 10.000 Quadratmetern liegen würde. Also im Klartext – 30 Meter Strand und nach hinten auch wieder ca. 140 Meter Tiefe bis hin zum kleinen Bach.

Sie hätte gehört, dass wir alle unsere Verpflichtungen – im Klartext die Geldzahlungen – korrekt gemacht hätten und sie wäre davon sehr angetan und hätte jetzt entschieden, ihr Grundstück uns auch anzubieten.

Der Preis sollte zehn Dollar teurer sein als die 10.000 Quadratmeter, weil inzwischen angeblich der Preis für Strandgrundstücke auch in diesem entlegenen Gebiet stark gestiegen sei.

Ich antwortete, dass wir schon bei dem Kauf der ersten 10.000 Quadratmeter viel zu viel Grund und Boden gekauft hätten, denn unsere ursprüngliche Idee war 1.000 – 2.000 Quadratmeter. Und dass wir deswegen an weiteren 5000 Quadratmetern leider überhaupt kein Interesse haben. Dann fuhren wir zurück nach Bavaro und ich fing an, mir die Sache noch mal gründlich durch den Kopf gehen zu lassen.

Bei einem Grundstück von 10.000 Quadratmetern kann man zwar selber ein schönes Haus dorthin stellen und hatte noch sehr viel Platz um sich herum, der nur Geld gekostet hat, aber im Grunde genommen nichts bringt.

Wenn man aber jetzt von einem Gesamtgrundstück von 15.000 Quadratmetern mit 90 Meter Strand ausgeht, ergeben sich plötzlich ganz andere Überlegungen.

Das Grundstück unseres Kondominiums in Bavaro hat 80 m Strand, kaum Tiefe nach hinten und ist insgesamt nur ca. 6500 Quadratmeter groß. Da hat man aber acht Häuser mit 32 Wohnungen draufgestellt. Und wenn man jede Wohnung – so wie es in Bavaro der Fall war – für mindestens 200.000 Dollar verkauft hat, so kann man sich leicht ausrechnen, was hier an finanziellen Möglichkeiten und Transaktionen durchgeführt wurde.

Wenn ich mir jetzt in Valle 90 Laufmeter Strand und insgesamt 15.000 Quadratmeter Grund und Boden vorstelle, so ergeben sich auch dort ganz andere Möglichkeiten.

Wir haben in Hamburg einen guten Bekannten, er ist freischaffender Architekt. Seine Frau kommt auch aus Südamerika und dadurch haben wir seit vielen Jahren einen guten Draht zueinander.

Ich erklärte ihm kurz meine Überlegungen und bat ihn, mal einfach die Sache durchzuspielen, was man mit 15.000 Quadratmetern alles machen könnte.

Drei Wochen später hatte ich einen ersten Entwurf für einen Gebäudekomplex am Strand mit insgesamt ca. 70 Wohnungen, wunderschön verteilt auf verschiedene Häuser mit allem drum und dran.

Eine erste Überschlagsrechnung ergab, dass man hier mit Sicherheit sehr viel Geld verdienen könnte.

Wir selber sind zwar finanziell unabhängig, aber mit Sicherheit nicht in der Lage, uns irgendwie vorzustellen, dass wir ein solches Kondominium bauen könnten.

Auf der anderen Seite wäre es uns möglich gewesen, diese zusätzlichen 5000 Quadratmeter noch zu kaufen und dann hätten wir zumindest Grund und Boden, um diesen dann entweder zusammen mit einem Investor zu bebauen oder zu verkaufen oder was auch immer.

Auf alle Fälle war plötzlich die Sicht der Dinge so, dass man mit 15.000 Quadratmetern wesentlich mehr anfangen kann als mit den 10.000 Quadratmetern, die wir inzwischen ja bereits gekauft und bezahlt hatten.

Aufgrund dieser ganzen Überlegung beauftragten wir dann Elena, sich auch die Unterlagen für dieses 5000 Quadratmeter Grundstück genau durchzulesen und uns zu berichten.

Kapitel 8

Zwei Grundstücke

Einige Zeit später teilte uns Elena mit, dass sie alles genau geprüft hätte und auch hier sei die Ausgangslage okay – und sie könne einen Kauf von der rechtlichen Seite her befürworten.

Wir machten ein weiteres Abkommen mit ihr, dass sie sich auch um diese 5000 Quadratmeter in der Abwicklung entsprechend kümmern solle und überließen alles weitere ihr.

Wir transferierten dann den vereinbarten Kaufpreis für diese 5000 Quadratmeter – insgesamt 200.000 Dollar an Elena zur weiteren Abwicklung. Im Rahmen dieses Kaufs der 5000 Quadratmeter als zweites Grundstück kam die Idee, dass man statt zwei Titel und zwei Deslinde doch lieber von Anfang an alles auf einem Titel und einer Deslinde haben sollte.

Elena meinte, das sei eine vernünftige Idee, und sie würde sich darum kümmern.

Technisch sei es dann so, dass man den Titel des ersten Grundstücks – also über die 10.000 Quadratmeter – bei einem Gericht einreicht und später die Deslinde der 5.000 Quadratmeter ebenfalls – und man dann gleichzeitig das Gericht beauftragt, einen neuen Titel über insgesamt 15.000 Quadratmeter mit einer entsprechenden Deslinde über das ganze Gebiet anzufertigen.

Wir erklärten uns hiermit einverstanden und uns wurde gesagt, dass dies mit Sicherheit einige Zeit dauern würde, aber dass es ansonsten alles okay sei.

Das Ganze war inzwischen Ende 2007

Kapitel 9

Urwaldrodung und Mauerbau

Nachdem das erste Grundstück Anna jetzt ganz konkret gehörte, fingen wir an, uns mit dem Grundstück selber zu beschäftigen.

Diese 10.000 Quadratmeter waren ein einziger Urwald. Auf dem Grundstück waren irgendwas zwischen 200–300 großen Palmen. Die Halbinsel Samana ist – wie sie selbst behauptet – der Ort auf dieser Welt, wo die meisten Palmen pro Quadratmeter wachsen. Es soll auf der kleinen Halbinsel angeblich irgendetwas zwischen 4 und 6 Millionen Palmen geben. Niemand hat sie je auch nur annähernd gezählt.

Alleine das Abholzen dieser unzähligen Palmen auf unserem Grundstück dauerte Monate. Es gab keinen elektrischen Strom und so musste fast alles mit der Hand gesägt und zerteilt werden. Um überhaupt von der kleinen Stadt Samana zu unserem Grundstück im Valle zu kommen, musste man seinerzeit noch zwei Flüsse durchqueren. Sie waren nicht sehr tief, vielleicht 30–50 cm, aber da es in Samana sehr viel regnet, war nie abzusehen, wie hoch das Wasser dieser Flüsse wirklich sein würde.

Jetzt mussten wir dafür sorgen, dass schweres Gerät irgendwie zum Strand kam, damit der Boden nivelliert werden konnte. Irgendwann waren dann die ersten großen Trecker und Landmaschinen auf unserem Grundstück eingetroffen und in wochenlanger Arbeit wurde das gesamte Grundstück praktisch entkernt. In der Mitte des Grundstücks gab es zwei Erhebungen, beide 2-3 Meter hoch. Diese mussten nivelliert werden, so dass das ganze Grundstück irgendwie gleichmäßig in der Höhe war.

Es gibt diverse Fotos aus dieser Zeit und rückwirkend erscheint es mir manchmal irreal, was wir dort alles mit sehr vielen Menschen und einigen großen Maschinen angestellt haben.

Dann wurde uns dringend geraten, alle Seiten unseres Grundstücks mit großen Mauern einzugrenzen. Über den Hintergrund dieser Mauern, die dort genau wie in anderen Teilen der Dom-Rep jeder um sein Grundstück macht, werde ich später an anderer Stelle noch ausführlich berichten.

Auf jeden Fall fingen wir an, eine große und solide Mauer um das Grundstück zu bauen. 40 oder 50 Lastwagen kamen im Laufe der Wochen und Monate durch die beiden Flüsse zu unserem Grundstück, um Steine und Zement zu bringen.

In ausschließlicher Handarbeit wurden dann Mauern gebaut, die stehen bis heute noch dort.

Nach zwei oder drei Jahren konnte man in Google sehen, dass unser Grundstück das einzige im gesamten Strandabschnitt war, das einen weiß-gelben Untergrund hat – das war der Sand, der nach dem Abholzen der Palmen und des gesamten Urwald-Gebüsches zum Vorschein trat. Links und rechts sind die anderen Grundstücke bei Google alle dunkelgrün und der reiner Urwald – und in der Mitte unsere 10.000 Quadratmeter resp. später 15.000 Quadratmeter, weil wir auch die 5000 Quadratmeter in gleicher Weise bearbeiteten wie zuerst die 10.000 Quadratmeter.

In dem Zusammenhang noch eine kleine, aber typische Geschichte:

Die Umweltbehörden in der dominikanischen Republik sind seit Beginn des Massentourismus sehr aktiv. Sie werden als Gewissen der Regierung eingesetzt – d. h., offiziell sind sie dafür zuständig, dass die Auswüchse der Hotelbauten nicht zu exzessiv werden.

In Wirklichkeit sind es oftmals reine Versorgungsposten, denn die Hotels und die Menschen, die sich eigene Häuser und Wohnungen leisten können, wissen ganz genau, wie hoch der Preis ist, den sie zahlen müssen, um jede Genehmigung zu bekommen.

Bei uns gab es während der Rodung folgendes Problem:

Direkt am Strand hatte sich im Laufe der Jahrtausende eine bestimmte Baumart angesiedelt. Der Name spielt keine Rolle, es waren drei bis vier Meter hohe Bäume mit sehr großen fleischigen Blättern. Diese großen Blätter verhinderten, dass Salz, aber auch Luft in großen Mengen vom Strand her nach hinten in den Urwald gelangte.

Als wir dies feststellten, sahen wir gleichzeitig, dass wir auf unserem großen Grundstück nicht den Hauch einer Brise haben werden.
Die erste Reihe dieser dicken speziellen Bäume direkt am Strand verhinderte, dass auch nur das kleinste Lüftchen nach hinten aufs Gelände kam und wir lebten und arbeiteten praktisch wie in einem Backofen.

Ich ging dann irgendwann zum Umweltamt, um herauszubekommen, wie wir einen großen Teil dieser Bäume loswerden können.

Natürlich wurde uns gesagt, dass das völlig unmöglich sei, diese Pflanzenart steht unter strengem Schutz und so weiter und so fort.

Gegen eine erste Zahlung bekam ich dann einen kleinen Tipp und diesen wandelte ich in der mir eigenen Art dann in eine Situation um, die man dort noch nie erlebt hatte.

Ich ging nach einiger Zeit wieder auf das Umweltamt und fragte: „Wie hoch wäre denn die Strafe, wenn wir die erste Reihe dieser Bäume – vielleicht mit Ausnahme von ein oder zwei als Erinnerungsstücke – einfach ohne Erlaubnis fällen würden?“

Man guckte mich ziemlich ratlos an, denn eine offene Diskussion über irgendwelche Strafen kannte man dort nicht. Alles wurde normalerweise unter dem Tisch und unter der Hand irgendwie geregelt.

Schließlich sprach ich mit einem Mitarbeiter, der offensichtlich etwas zu sagen hatte, und dieser sagte mir, das Ganze würde mindestens umgerechnet 3000 Dollar kosten.

Dieser Betrag, in Pesos umgerechnet und genannt, war so hoch für diese Leute, dass sie jede Beziehung zu so einer Summe schlicht nicht hatten.

Ich kam dann einige Tage später zum letzten Mal dorthin. Ich ging zu dem Menschen, der mir die Summe genannt hatte, hin und sagte, ich möchte jetzt die Strafe bezahlen. Er guckte mich an wie ein Objekt von einem anderen Stern und sagte nur, es sei doch noch gar nichts abgeholzt worden.

Das wusste er, denn seine Leute machten sich einen Spaß daraus, jeden zweiten Tag runter zur Valle zu unserem Grundstück zu kommen, um zu beobachten, was wir dort alles treiben würden.

Ich bestätigte ihm, dass wir noch nicht einen einzigen Baum abgeholzt haben, aber dass wir damit morgen anfangen wollen. Und dann holte ich den Umschlag heraus und sagte ihm: „So, hier sind die 3000 Dollar, jetzt gib mir eine Quittung, dass ich die Strafe bezahlt habe und gleichzeitig kannst du, wenn du willst, ja auch ein Protokoll von der Strafe anfertigen.

Mit dieser Art einer Voraus-Zahlung einer Strafe für etwas, was überhaupt noch nicht passiert war, bin ich in die Annalen der Umweltbehörde eingegangen. Aber so etwas muss man tun, wenn man ein Strandgrundstück im Valle versucht in irgendeiner Form zu kultivieren.

Kapitel 11

Elena

Während der gesamten Zeit von Einreichung der Unterlagen zur Deslinde der 10.000 Quadratmeter bis zur Annullierung des Titels der 10.000 Quadratmeter waren knapp drei Jahre vergangen.

Während der gesamten Zeit hatte ich immer wieder bei Elena angefragt, warum es alles so lange dauert und sie viele Male gebeten tätig zu werden, um zu prüfen, was da los ist.

Elena hat immer dasselbe geantwortet: Dass alles okay sei, wir sollten uns keine Sorgen machen und es würde alles seinen Gang gehen.

Was ich nicht wusste, war die Tatsache, dass Elena zwar als junges Mädchen Jura und Notar studiert hatte, aber niemals in irgendeiner Praxis gearbeitet hatte.

Sie kam aus einem sehr begüterten Elternhaus und war nach der Heirat mit dem Admiral der Marine im Prinzip im Hauptberuf Hausfrau mit entsprechenden sozialen Verpflichtungen in Santo Domingo und in den entsprechend hohen diplomatischen und sonstigen Kreisen.

Außerdem war sie Mutter von vier Kindern geworden und ihr Leben bestand im Prinzip aus vielfältigen Verpflichtungen im Sozialen und allem, was dazu gehört.

Aber ein normales Arbeiten als Anwalt oder Notar – das gab es bei ihr nie.

Als ich das schließlich irgendwann heraus bekam war mir klar, dass wir hier mit Sicherheit ganz schlechte Karten haben würden.

Als ich sie mit dieser Tatsache einmal versuchte zu konfrontieren, war sie sehr beleidigt, das war aber dann auch schon alles.

Kapitel 12

Alisa und Alejandro

Alisa war die von den Familienmitgliedern gewählte Vertreterin für die Abwicklung der 10.000 Quadratmeter und damit auch die alleinige Empfängerin des vereinbarten Kaufpreises von 300.000 US-Dollar.

Alejandro erhielt die übliche Vermittlungsprovision, genauso wie Elena ihr entsprechendes Honorar für ihre Arbeiten.

Alisa war aber viel zu sehr Dominikanerin, als dass sie sich mit ihrem regulären Anteil hätte zufrieden gegeben.

Als gewählte Vertreterin der Familie entschloss sie sich, hieraus zusätzlich große persönliche Vorteile zu erlangen.

Sie erklärte Anna gegenüber, dass man in der Dom Rep grundsätzlich bei allen größeren Grundstücks- und Haus-Transaktionen zwei Verträge macht. Ein Vertrag über die konkrete reale Summe und ein andern Vertrag für die Steuer.

Der Steuer-Vertrag wird immer nur mit einem Bruchteil des korrekten Betrages angegeben, weil man nur auf diesen Bruchteil dann die entsprechenden Steuern zahlen muss.

Dieses System war mir persönlich bekannt, wir selber hatten es bei unserem Wohnungskauf in Bavaro auch so erlebt.

Alisa präsentierte uns also unter dieser Prämisse die beiden Verträge.

Einen über 300.000 d.h. 10.000 Quadratmeter mit 30 Dollar und einen anderen über 10.000 Quadratmeter mit 17 Dollar. Diese 170.000 Dollar würden dann der offizielle Vertrag sein, auf den dann sowohl Käufer als auch Verkäufer irgendwann später noch Grunderwerbssteuern zahlen müssen.

Was ich bis dahin zu keinem Zeitpunkt wusste und mir ehrlich gesagt auch nicht vorstellen konnte war die Tatsache, dass Alisa diesen Vertrag von 170.000 Dollar nicht nur für eventuelle Steuerzahlung benutzen würde.

Sie benutzte diesen Vertrag auch gleichzeitig, um ihrer eigenen Familie gegenüber zu sagen, dass sie die gesamten 10.000 Quadratmeter jetzt zu 17 Dollar – also 170.000 US-Dollar – insgesamt verkauft habe.

Da zumindest die älteren Mitglieder ihrer Familie wohl nicht lesen und schreiben konnten, hatte sie im Prinzip nicht viel zu befürchten.

Den 170.000 Dollar Steuervertrag unterschrieb sie dann selber im Namen von Anna, um auch hier zu beweisen, dass diese 170.000 der wirkliche Vertrag sei.

Da das ganze Geld – also 300.000 Dollar – von Elena direkt auf ein Konto von Alisa transferiert wurde, konnte sie die Eingänge der Zahlungen so geschickt verwalten und verstecken, dass ihre Familie nur die  jeweiligen Anteile auf Basis von 170.000 Dollar bekam.

Ich gehe davon aus, dass Alejandro von dieser Manipulation gewusst hat, denn er hat sozusagen als Zeuge der Familie gegenüber immer bestätigt, dass es zum Schluss nur ein Verkaufspreis von 170.000 Dollar gab.

Alejandro wird für diese Hilfsdienste von Alisa auch gut bezahlt worden sein.

Irgendwann im Jahr 2009 war mir die ganze Angelegenheit so suspekt, das ich versuchte, selber eine Klärung bei Gericht in Samana herbeizuführen – warum wir nach drei Jahren immer noch nicht die zugesagten Titel und die Deslinde respektive den Titel über 15.000 Quadratmeter und die Deslinde über 15.000 Quadratmeter haben.

Im Rahmen dieser Diskussion muss ich wohl mit irgendeinem Familienmitglied eine Summe von 30 Dollar respektive 300.000 Dollar erwähnt haben.

Auf alle Fälle merkte ich, dass die Familie sich – in Gegenwart von Alisa – bei meiner Aussage von 30 US-Dollar pro Quardratmeter alle fragend ansahen und es entwickelte sich ein kurzes aber ziemlich absurdes Szenario:

Alisa war durch diese Aussage in die Enge getrieben worden und erklärte jetzt – nachdem ich gesagt hatte, dass 300.000 Dollar der richtige Preis war – dass Anna Deckel zwar 300.000 Dollar vereinbart hatte als Preis – das Anna Deckel aber noch 130.000 Dollar zu zahlen hätte, denn sie hätte ja bis jetzt nur 170.000 Dollar an Alisa bezahlt.

Mit dieser einigermaßen eleganten Erklärung aus dem Stegreif heraus versuchte sie die Situation zu retten, und ich selber stand jetzt zusammen mit Anna plötzlich als jemand da, der noch 130.000 Dollar an die Familie zu zahlen hätte.

Und der Anwalt der Familie sagte dann ebenfalls umgehend, das man diese 130.000 Dollar jetzt sofort haben wolle, sonst würde man zu Gericht gehen und die gesamte Transaktion stoppen, und dann würden wir überhaupt keinen Titel mehr bekommen.

Ich ging daraufhin am nächsten Tag zum Gericht und versuchte herauszufinden, was Sache ist.

Und hier erfuhr ich jetzt zum ersten Mal von einer Mitarbeiterin des Grundbuchamts, dass die ganze Angelegenheit schon seit Jahren in Santo Domingo in der zentralen Grundbuchstelle war.

Dass der Titel über 10.000 Quadratmeter erst eingefroren und dann gelöscht war, und dass Anna Deckel nach ihrer Meinung überhaupt keine Rechte mehr hätte.

Dieser Besuch in Samana hatte außerdem zur Folge, dass wir zusätzlich zu einer Forderung von 130.000 Dollar der Familie auch noch erfuhren, dass die gesamten 300.000 US-Dollar, die wir gezahlt hatten, sich inzwischen in Luft aufgelöst hatten.

So schnell kann man offensichtlich nur in der Dom Rep alles verlieren.

Kapitel 13

Der nächste Anwalt

Durch die Behauptung von Alisa, das sie von Anna, respektive von Elena, noch 130.000 Dollar zu bekommen hätte, vergiftete sich natürlich die Atmosphäre zwischen Elena und Alisa von einem Moment zum anderen total.

Bis heute ist dieser Punkt nicht aus der Welt gebracht und falls Alisa und Elena irgendwann mal in einem Raum sind, fängt eine der beiden mit Sicherheit sofort wieder an, die andere des Betrugs und der Unterschlagung zu bezichtigen.

Ob Alejandro von der ganzen Sache gewusst hatte, weiß ich wie gesagt nicht, aber er war dabei, als wir im Gericht dann herausbekommen hatten, dass der Titel inzwischen erst eingefroren und dann gelöscht war.

Uns wurde von dem Leiter des Grundbuchamt in Samana empfohlen, sofort ein Anwalt aufzusuchen und gerichtlich gegen diese Sachlage zu kämpfen.

Alejandro sagte, er kenne in der Hauptstadt in Santo Domingo einen guten Anwalt und wir würden ihn dann gemeinsam aufsuchen und die Sache erzählen mit der Aufforderung an den  Anwalt, sich umgehend darum zu kümmern.

Wir fuhren dann am nächsten Tag zurück in die Hauptstadt, suchten den Anwalt auf und erklärten ihm, was wir inzwischen rausbekommen hatten. Der Anwalt forderte 6.000 US-Dollar als Anzahlung und dann wolle er sich darum kümmern, dass der Titel irgendwie wieder reaktiviert werden würde.

Ich zahlte ihm gegen Quittung die 6000 Dollar und ich bin sicher, dass ein größerer Teil davon sofort an Alejandro ging.

Dieser Anwalt fing an zu recherchieren und meinte als erstes, er müsse den ganzen Hintergrund erst mal erforschen.

Einige Wochen später erhielt ich ein mehrseitiges Dokument mit diversen Ausführungen über die Vergangenheit und allem was er herausgefunden hatte.

Das war im Prinzip zwar viel Arbeit und auch sicherlich gut und korrekt gemacht, nützte uns aber in der Hauptsache – also in der Reaktivierung des Titels im Moment überhaupt nichts.

Er meinte dann, er müsse verschiedene Prozesse jetzt ganz neu anfangen und forderte weitere Vorschüsse.

Mir gefiel diese Arbeitsweise nicht und ich lehnte ab. Dann suchte ich über Freunde und Bekannte einen Anwalt, der uns besser und härter vertreten würde.

Kapitel 14

Der ehemalige Staatsanwalt.

Über Bekannte erhielt ich die Adresse eines Anwalts, von dem mir gesagt wurde, er sei ehemaliger Staatsanwalt und jetzt sehr erfolgreich jetzt als Anwalt.

Er sei knallhart und hätte in seiner Art viel Erfolg.

Wir besuchten ihn, besprachen die Angelegenheit und fuhren dann einige Tage später mit ihm zusammen nach Samana, wo er sich selber ein Bild machen wollte.

Einige Zeit später erhielten wir dann ein Angebot von ihm, dass im Prinzip lautete, er würde 100.000 Dollar jetzt fordern und nochmals 100.000 Dollar im Erfolgsfall.

Ich antwortete ihm, dass ich im Prinzip damit einverstanden sei, aber nur unter der Voraussetzung dass er ausschließlich im Erfolgsfall 200.000 Dollar von uns bekommen würde. Diese 200.000 Dollar würde ich, wenn es nötig sei, auch über eine Bankgarantie einer großen dominikanischen Bank ihm zur Verfügung stellen.

Aber eine Vorauszahlung ohne irgendwelche Garantien, das kommt für uns nicht infrage.

Damit war unser Gespräch und unsere Verhandlung mit diesem rigorosen Ex-Staatsanwalt erledigt.

Kapitel 15

Der Überfall

Nachdem wir 2006 angefangen hatten, das große Grundstück zu roden und die verschiedenen kleineren und größeren Erhebungen innerhalb des Grundstücks zu egalisieren, war der nächste Schritt, dass wir etwas auf dem Grundstück errichten wollten, wo wir uns selber aufhielten, wenn wir dort waren.

Wir ließen durch eine Firma in Samana eine große Rotunde errichten.
Praktisch ein Haus, so wie es heute noch in Amerikanisch-Samoa benutzt wird: ein etwas erhöhter Holzboden, um kleine Tiere usw. vom Betreten des Bodens abzuhalten. An den Seiten dann einige starke Pfosten. In unserem Fall waren es acht große Palmen-Stämme und darüber dann ein großes Dach, bedeckt mit Palmblättern, damit es nicht durchregnet.

Alle Seiten offen, damit die Brise durchziehen konnte.

Wir hatten ja am Anfang sowieso nicht vor, dort selber zu übernachten. Also war es ein kleiner Schutzraum, wo wir essen konnten und wo einige Hängematten zwischen den starken Pfählen befestigt werden konnten. Ein großer Tisch in der Mitte und einige Stühle – das war’s dann.

Von Anfang an hatten wir eine Abmachung mit unserem dortigen Verwalter und Hausmeister Egar. Er war auch Mitglied der Verkäufer-Familie, lebte aber schon seit vielen Jahrzehnten unten im Valle.

Er hatte kaum noch Verbindung zu seiner Familie und wusste auch nur vom Hörensagen, das Anna jetzt Besitzerin dieses Grundstücks geworden war.

Da uns aber von Anfang an geraten wurde, auf jeden Fall unser Grundstück Tag und Nacht bewachen zu lassen, hatten wir mit Egar die Vereinbarung getroffen, dass er gegen eine geringe Bezahlung tagsüber sich auf dem Grundstück auffällt.

Es war immer irgendetwas sauber zu machen und nachts wohnte er ganz in der Nähe des Grundstücks.

Nach einem Jahr bauten wir dann am Rande des Grundstücks einen größeren Schuppen. Vorgesehen zum Unterbringen der verschiedensten Geräte, die wir zur Pflege des Geländes brauchten.

Hier wurde dann ein Raum für Egar zum Schlafen mit konzipiert.
Von da an schlief Egar dann nicht mehr zu Hause, sondern direkt auf unserem Grundstück, was somit 24 Stunden Tag und Nacht unter eigener Kontrolle war.

Zwei oder drei Jahre später wurde eine Wasserleitung von Samana bis zum Strand gelegt. Die kleinen Strandrestaurants, die es dort gab, hatten jetzt sehr viel hygienischere Voraussetzungen für ihre Küchen und wir selber legten einen Wasserstrang zu uns auf das Grundstück, um dort eine eigene Toilette und Dusche zu errichten.

Dies war der erste kleine Steinbau, der auf unserem Grundstück errichtet wurde.

Das ganze entwickelte sich im Laufe der Jahre immer weiter.

Die Rotunde hatte gute und schlechte Zeiten. Nach zwei oder drei Jahren fiel das Dach runter, weil die Palmblätter nicht mehr dem ewigen Wind und dem Salz des Meeres widerstanden. Dann hatten wir für einige Monate überhaupt kein Dach und mussten ein neues machen lassen.

Das hielt dann wieder für eine gewisse Zeit.

Schließlich errichteten wir auch auf dem zweiten Grundstück der 5000 Quadratmeter so eine kleine offene Rotunde. Mehr um zu demonstrieren, dass auch dieses Gebiet in unserer Verwaltung war.

Der Anwalt Federico versuchte nicht nur über die Gerichte, Anna vom Grundstück zu vertreiben, sondern hatte wohl soviel dominikanisches Blut in seinen Adern, dass er es auch mal mit nackter Gewalt versuchte – genauso wie Lopez bei uns im Kondominium im Jahr 2005.

Am 21. Februar 2013 erschien Federico zusammen mit 8–10 sehr großen und sehr kräftigen Haitianern frühmorgens auf unserem Grundstück.

Diese Haitianer kann man überall in der Domrap für ein paar Dollar für jegliche Straftat mieten, sie sind rechtlos und wenn irgendjemand etwas Ungesetzliches plant, besorgt er sich dafür eine Handvoll kräftiger Haitianer, das ist seit Jahrzehnten so.

Federico fungierte als Anführer. Die Haitianer hatten alle große und schwere Macheten in den Händen und begannen sofort das Haus, wo Egar wohnte, zu zerstören.

Sie schlugen die tragenden Stämme ein, das Dach sackte runter und alles, was im Schuppen war, wurde vernichtet. Nur die Toilette und Dusche blieben stehen, weil sie aus Stein gemauert waren. Egar war in diesem Moment alleine auf dem Grundstück. Wir selber waren zu der Zeit in Deutschland.

Einige Nachbarn bemerkten, dass hier auf dem Grundstück jetzt ein Überfall stattfand und fuhren so schnell sie konnten mit ihren kleinen Mopeds die 8 km in die Hauptstadt. Dort zur Polizei – aber es gab keine Reaktion, die Polizei war informiert und bezahlt.

Dann zu Alejandro und einigen andern Menschen, von denen sie wussten, dass sie auf unserer Seite standen.

Eine Stunde später kam dann eine größere Gruppe aus der Stadt auf unser Grundstück. Es gab erregte Diskussionen, aber das Wesentliche war schon geschehen – unsere Gebäude waren zerstört, zusammengefallen und alles, was drin war, war verloren.

Federico schrie, das das alles nur gerecht sei, denn es sei ja sein Grundstück und da könne er machen was er wolle – und er wollte das Grundstück unbewohnbar machen.

Nach 3 Stunden war der ganze Spuk vorbei und Gott sei Dank wurden von einigen Leuten noch Fotos gemacht. Diese Fotos wurden am nächsten Tag dem Bezirksrichter gezeigt zusammen mit einer Anzeige, die wir gegen Federico machten.

Alles, was mit dieser Anzeige und den drei Verhandlung danach zu tun hatte, war wieder typisch dominikanisch.

In diesem Fall erschien Federico zu keiner der anberaumten Verhandlung. Und nach der dritten Verhandlung wurde entschieden, dass die Sache eingestellt war, weil der Angeklagte dreimal nicht erschienen war – genau das Gegenteil von dem, was in den dominikanischen Gesetzten steht.

Natürlich war das auch wieder ein abgekartetes Spiel, aber es zeigte für uns ganz deutlich, wer vor Gericht und bei der Polizei das Sagen hatte.

Ich habe dann einige Jahre später, als es zu dem Prozess vor dem höchsten Gericht der dominikanischen Republik kam und danach auch wieder bei dem nächsten Bezirksgericht, wohin die Sache auf Anordnung des höchsten Gerichts wieder transferiert wurde – ich habe versucht, mit den Bildern und einer Kopie der Anzeige klarzumachen, wie wir behandelt wurden.

Das ganze wurde von Federico lächelnd abgewehrt, die ganze Sache sei längst verjährt und deshalb ist daraus ist überhaupt kein Rückschluss mehr zu ziehen. Und somit sei alles erledigt und vergessen.

Kapitel 16

Elena und ihr Anwalt

Nachdem die Episode mit dem rigorosen Staatsanwalt-Rechtsanwalt beendet war, fragte ich Elena, wie es ihrer Meinung nach jetzt weitergehen sollte. Der Titel und damit alle rechtlichen Voraussetzungen zum Erwerb der Grundstücke in Samana waren nach meiner Meinung jetzt definitiv wertlos geworden.

Natürlich machte ich Elena große Vorwürfe.

Meiner Meinung nach hatte sie in den bald vier Jahren zwischen Einreichung der Titel zur Umschreibung auf ein gemeinsames Grundstück und dem Moment, wo wir herausgefunden hatten, was inzwischen alles der gegnerische Anwalt Federico unternommen hatte – in dieser gesamten Zeit hätte Elena in irgendeiner Form tätig werden müssen.

Und dass sie überhaupt nichts getan hat, dass war meines Erachtens das Schlimmste, was uns in dieser Zeit passieren konnte.

Auf der anderen Seite brachte es nichts, Elena jetzt nur mit Vorwürfen zu überschütten. Und so fragte ich sie, wie es ihrer Meinung nach jetzt weitergehen könnte.

Sie erklärte mir, dass sie einen sehr guten Anwalt in Santo Domingo kennen würde. Bei diesen Gesprächen war es dann auch das erste Mal, dass Elena zugab, dass sie selber überhaupt keine Praxis im Rechtswesen als Anwältin und Notarin hatte.

Dieser neue, jetzt von Elena aus dem Hut gezauberte, angeblich sehr gute Anwalt, stellte sich uns dann vor bei einem Treffen, das Elena in ihrem Haus für uns engagiert hatte.

Dieser neue Anwalt hieß Alexis Cuevas.

Natürlich verlangte er als erstes eine wieder sehr große Anzahlung – wir mussten sofort 5.000 Dollar an ihn überweisen, bevor er sich dann in das Studium aller Unterlagen für die nächste große Verhandlung vor dem höchsten dominikanischen Immobiliengericht (Corte suprema) vertiefen würde.

Ich hatte im Laufe der letzten Jahre während meiner diversen Gespräche mit all den verschiedenen Anwälten für mich selber das Fazit gezogen, dass ich wohl nie das dominikanische Rechtssystem begreifen würde.

Ein Hauptargument in meiner persönlichen Überlegung war die Tatsache, dass ich die Abwicklung von Rechtsstreitigkeiten durch Anwälte in Deutschland völlig anders in Erinnerung hatte.

Ich hatte im Laufe meiner Tätigkeit als Inhaber unserer Familien-Firma nur relativ wenig Rechtsstreitigkeiten, die schlussendlich mit Anwälten vor Gericht ausgetragen werden mussten.
Es galt für mich immer noch das alte Prinzip, dass man vorher mit allen Kräften versuchen sollte, sich gütlich und außergerichtlich mit seinen Gegnern zu einigen, auch wenn man dabei nicht alles bekam, was man glaubte, das einem zustehen würde.

Wenn es dann aber zum Schluss doch zu Rechtsstreitigkeiten kam, so kannte ich es, dass der eigene Anwalt nicht nur mündlich kurz die Position erklärt, sondern von Beginn an auch Kopien aller seiner Anträge, Schriftsätze und sonstigen Arbeiten seinem Mandanten zur Kenntnisnahme übersandte.

Ich war also in jedem unserer seltenen Rechtsstreitigkeiten zu jedem Zeitpunkt über die aktuelle Situation informiert und konnte, wenn ich es wollte, daraus auch meine eigenen Schlüsse ziehen.

Über das Gericht erhielt mein Anwalt auch die Klagen und Darstellung der Gegenseite geschickt, so dass man auch darüber informiert war und sich mit seinem eigenen Anwalt besprechen konnte.

Hier in der Dom Rep war es komplett anders.

Ich hatte zu keiner Zeit von keinem Anwalt irgendwelche Unterlagen über Prozesse, Anträge, Ablehnungen oder sonstige Schriftstücke erhalten. Selbst Rechnungen wurden nie geschrieben, da alles schwarz bezahlt wurde, damit die Anwälte um ihre Steuerzahlungen herum kamen.

Aufgrund dieser Tatsache hatte ich auch alle Informationen über die Entwicklung der Grundstücke in Samana nur mündlich mitbekommen. Und zwar praktisch immer nur von Leuten, die entweder bei Gericht arbeiteten oder die sonstige persönliche oder berufliche
Verbindung mit den Gerichten hatten und die mich gelegentlich bei einem Essen oder bei einem sonstigen Besuch gegen ein entsprechendes Trinkgeld informierten.

Natürlich konnte ich aus solchen Informationen auch zu keinem Zeitpunkt ersehen, inwieweit diese Information zutrafen oder nicht.

Eine Bestätigung irgendeiner Art durch Anwälte hatte ich in den ganzen vergangenen mittlerweile 10 Jahren  niemals erhalten.

Das betrifft nicht nur die Anwälte, die wir selber bezahlt hatten, sondern auch das Arbeiten und Verhalten von Elena – auch von ihr erhielt ich zu keiner Zeit irgendwelche relevanten Unterlagen oder Erklärungen.

Das einzige, was Elena einmal sehr ausführlich schriftlich machte, war eine Aufstellung über die Verteilung der Gelder an die Verkäufer in Samana.

Dort führte sie unter Hinzufügung von Unterlagen von Kopien von Bankauszügen und sonstigen Schriftstücken ganz klar auf, wie die 300.000 und später 200.000 Dollar für die beiden Grundstücke bezahlt wurden.

Im Nachhinein gehe ich davon aus, dass sie dieses aber auch nur getan hat, weil sie damit rechnete, das Alisa und ihre Familie irgendwann mit einer Forderung zur Zahlung von weiteren 130.000 Dollar kommen würden. Und um eine solche Forderung von vornherein abzublocken, machte sie dann ihre Aufstellung über die genaue Verteilung der Gelder an die Verkäufer.

Jede weitere rechtliche Beurteilung der Sachlage und die Tatsache, dass sie sich nie um die Titel und Deslinde in irgendeiner Form gekümmert hatte, all das verschwieg Elena, respektive es wurde einfach nicht gemacht.

Wir übergaben diesem neuen Elena Anwalt Alexis Cuevas die Dokumente, die wir noch hatten und er sagte zu, diese Papiere aufzubereiten für eine Klage vor dem höchsten dominikanischen Gericht.

Kapitel 17

Das Urteil

Irgendwann bekamen ich von Francisco, dem Ehemann von Elena, eine E-Mail, in der er sagte, er hätte das Urteil des Gerichts jetzt bekommen und er würde es uns schicken.

Mich wunderte etwas, dass jetzt das Ganze über Francisco kam.

Das Urteil selbst waren ungefähr 20 Seiten in einem derart unverständlichen Juristen-Spanisch, dass ich nach der zweiten Seite es aufgab, den Inhalt auch nur ansatzweise zu verstehen.

Die Kommentare, die ich zu diesem Urteil der Corte Suprema  von verschiedenen Leuten erhielt waren so unterschiedlich, wie sie nur sein konnten.

Von der Bemerkung, das Anna dort in fast allen Punkten gesiegt hätte bis hin zur Feststellung, dass das Urteil eine totale Niederlage für Anna und unseren Anwalt gewesen sei: Jeder, den ich irgendwann mal zu diesem Urteil befragte, um zu versuchen, es zu verstehen, gab mir eine andere Auskunft – und deswegen hatte ich es nach kurzer Zeit aufgegeben, mir über den wirklichen Inhalt dieses Urteils irgendwelche Gedanken zu machen.

Das einzige, was mehr oder weniger übereinstimmend als Kommentar genannt wurde, war die Tatsache, dass dieses Urteil bedeuten würde, dass das oberste Gericht die ganze Sache wieder zu neuen Prüfung an die lokalen Gerichte in die Provinz Samana zurück verwiesen hatte.

Also konnten wir uns darauf einstellen, dass wir uns noch viele weitere Jahre mit vielen Anwälten und entsprechenden Kosten und meiner Meinung nach extrem niedrigen Erfolgsaussichten mit der ganzen Sache beschäftigen müssten.

Kapitel 18

Der Landvermesser und sein Anwalt

In den ganzen Jahren vom Augenblick der Einreichung des Titels bis zur Entscheidung des höchsten Gerichtes gab es eine Person, die wir öfter trafen und von der wir den Eindruck hatten, dass es einer der wenigen Menschen war, die uns wirklich helfen wollten.

Er hieß Rodriguez und war Landvermesser.

Zum ersten Mal traf ich ihn, als uns folgendes erzählte:

Sein Kollege, der Landvermesser in Samana, der ursprünglich die 10.000 Quadratmeter vermessen sollte für die Deslinde – dieser Mann verkaufte sein Wissen an den Anwalt Federico Alvarez.

Er kassierte Geld dafür, dass er Federico informierte, dass das Gericht eine Deslinde in Auftrag an ihn gegeben hatte für das Grundstück, dass eine Frau Anna Deckel gekauft hatte.

Ich gehe davon aus, dass diese verkaufte Information auch mit der Anfangs-Grund war, als Federico Einspruch gegen die Deslinde erhob.

Die wenigen Landvermesser dort kennen sich gut untereinander. Sie sind sich natürlich oftmals nicht sehr herzlich zugetan, da sie die wenigen Aufträge, die es gab, untereinander aufteilen müssen. Und je mehr Aufträge der eine von einem Gericht bekommt, desto weniger fällt für seinen Mitbewerber ab.

Auch hier weiß ich die wirklichen Beweggründe nicht, warum der Landvermesser Rodriguez sich eines Tages an uns wandte, um zu erklären, dass hier eine große Schweinerei im Gange sei.

Natürlich forderte er auch sein Honorar für solche Information. Aber ich hoffte, das zumindest hier etwas heraus kommen würde, was uns weiterhelfen könnte.

Ich sagte ihm, dass ich von der technischen Abwicklung und dem ganzen Papierkram keine Ahnung hätte und er solle bitte sein ganzes Wissen an Elena weitergeben.

Es hat dann auch zwei oder drei Begegnungen zwischen Elena und diesem Landvermesser gegeben. Im Ergebnis ist dabei nichts raus gekommen, weil Elena es aus irgendwelchen Gründen ablehnte, mit ihm zusammen zu arbeiten.

Entweder stand sie unter dem Eindruck, dass ihre erste Deslinde ganz korrekt in Bearbeitung sei und dass sich hier nur jemand wichtig machen wollte. Oder sie war nicht bereit, vielleicht noch irgendwelche Gelder für weitere Informationen oder Unterlagen zu zahlen – ich weiß es nicht.

In den verschiedenen Etappen und Jahren bis zum Corte Suprema haben wir immer gelegentlich wieder Kontakt mit diesem Landvermesser aufgenommen und er hat uns mehrfach gewarnt, dass sich das Ganze sehr zu Ungunsten von Anna entwickeln würde.

Nachdem dann das Urteil der Corte Suprema bekannt war, kam dieser Landvermesser wieder auf uns zu und sagte, unser Anwalt hätte beim Corte Suprema überhaupt nichts gearbeitet respektive uns ganz schlecht oder schlampig vertreten.

Wenn jetzt die Sache zurückverwiesen wird an ein anderes Gericht, würden wir auf jeden Fall einen sehr guten Anwalt benötigen, der uns durch die verschiedenen Prozesse, die jetzt anstehen würden, vertreten muss.

Er kenne aus seinem langen Berufsleben einen solchen Anwalt in Santo Domingo und er würde vorschlagen, dass wir mit ihm Kontakt aufnehmen.

Dieser Anwalt hieß Adames.

Wir trafen uns zwei- oder dreimal im Büro von Adames in der Hauptstadt Santo Domingo.

Auch hier natürlich zuerst die obligatorische große Vorauszahlung von diesmal 3.000 Dollar und dann das ebenfalls obligatorische lange Schweigen.

Damit dieser neue Anwalt Adames sich in alles einarbeiten konnte, übergab Anna ihm sämtliche Unterlagen, die sie in diesem Fall noch hatte.

Wir haben all diese Unterlagen und auch den Anwalt Adames seitdem nie wieder gesehen.

Es wurde bekannt, dass ein Gericht in Santiago einen ersten Termin in unserer Sache anberaumt hatte. In vier Monaten sollte die erste Verhandlung in Santiago sein.

Wir warteten von da ab auf irgendwelche Reaktion oder Information von Adames und seinem Büro, es kam aber nicht eine einzige Zeile. Weder per Brief noch per E-Mail.

Ungefähr vier Wochen vor dem Gerichtstermin hatte ich – auf Deutsch gesagt – die Nase voll und sämtliches Vertrauen auch in diesen Herrn Anwalt Adames verloren.

Für mich kam es inzwischen überhaupt nicht mehr auf einen Anwalt mehr oder weniger an. Ich beschloss, für uns einen Notplan zu erstellen und mich an den nächsten Anwalt zu wenden.

Kapitel 19

Der Anwalt Diego de la Huub

Während der ersten Jahre, in denen unser Kondominium in Bavaro anfing sich zu entwickeln, gab es viele Probleme. Praktisch jeder Ausländer hatte Probleme mit irgendwelchen Sachen, die seine Wohnung betrafen. Gemeinsam hatten sie Probleme mit dem Erbauer Pablo Lopez und allem, was damit zu tun hatte.

Untereinander und gegeneinander hatten sie auch Probleme, was in jedem Kondominium der Fall ist, wo Leute eine Wohnung gekauft haben und dann glauben, ihnen gehört praktisch das ganze Kondominium.

Diese Art der Streitigkeit gibt es in Deutschland in jeder Hausgemeinschaft jeden Tag – in der Dom Rep  war es nicht viel anders, nur dass alle Wohnungsbesitzer dort von der dominikanischen Gesetzeslage keine Ahnung hatten.

Und in maßloser Selbstüberschätzung glaubten sie dann, mit Hilfe eine Anwalts alle Ihre persönlichen Meinungen und Argumente in die Tat umsetzen zu können.

Ich hatte in den ersten 5 Jahren, nachdem wir unsere Wohnung gekauft hatten, mitbekommen, wie ein Anwalt aus Santo Domingo zuerst gelegentlich und später immer öfter im Kondominium auftrat, um irgendwelche Streitigkeiten im Sinne seiner jeweiligen Mandanten zu regeln.

Dieser Rechtsanwalt hieß Diego de la Huub.

Ich lernte ihn in den ersten Jahren nur flüchtig kennen und im Prinzip auch nur dadurch, dass er extrem hohe Honorarforderungen hatte.

Da unsere seinerzeitige Verwalterin, eine Spanierin, die schon lange in der Dom Rep lebte, eine sehr hohe Meinung von ihm und seinen juristischen Fähigkeiten hatte, versuchte sie bald, jeden Streitfall durch Gerichtsprozesse zu lösen.

Sie gab grundsätzlich alle Streitigkeiten an ihren Anwalt Diego de la Huub ab, der sich darauf mit jeder einzelnen Sache zu beschäftigen hatte.

Ich kann mich erinnern, dass einige Jahre hindurch Diego de la Huub eine Art Jahrespauschale erhielt vom Kondominium

Für dieses Geld verpflichtete er sich dann, eine beliebige Anzahl von kleinen und großen Streitigkeiten durchzufechten, die ihm meistens unsere Verwalterin – sie hieß Patria Malo – zur Bearbeitung gab.

Diese Señora Patria Malo war mit einer begnadeten Unordnung gesegnet. Alles was sie anfing, endete in irgendeinem Chaos, und nach kurzer Zeit wusste niemand im Kondominium mehr, ob irgendwelche Rechtsstreitigkeiten im Namen des Kondominiums geführt wurden oder privat von Patria – es war das absolute Chaos.

Aber in dieser Zeit lernte ich immer mehr, das der Anwalt de la Huub wirklich ein guter Anwalt sein musste. Er gewann einige Prozesse gegen Lopez. Er gewann auch einige Prozesse, die einzelne Kondominium-Mitglieder gegen andere Institutionen angestrengt hatten.

Die Arbeitsweise von de la Huub war anders als bei den meisten dominikanischen Anwälten.

Er arbeitete im Stillen, ging durch alle möglichen Akten und war, so wie ich es seinerzeit feststellte, detailverliebt.

Später erfuhr ich, dass er auch in der Universität von Santo Domingo in der dortigen Rechtsabteilung als Professor für Rechtsfragen in seinen Seminaren die Studenten unterrichtete.

Da wir selber als Familie Deckel im Kondominium keine Rechtsstreitigkeiten mit irgendjemand hatten, war mein Kontakt zu Diego de la Huub nur relativ flüchtig.

Einmal im Jahr auf den Jahreshauptversammlungen erzählte er, was gerade lief oder wofür er gerade mal wieder ein neues außerordentliches Honorar fordern müsse.

Kapitel 20

Der nächste Anwalt

Das oberste Gericht hatte sein Urteil gesprochen.

Unser Freund, der Landvermesser, hatte uns mit seinem Anwalt Adames in Verbindung gebracht. In vier Monaten sollte die erste Verhandlung in Santiago sein.

Nach drei Monaten hatten wir immer noch keinerlei Information oder E-Mail oder Telefonat von Adames erhalten.

Wenn wir jetzt nicht irgendeinen Plan B aus der Tasche ziehen würden, hätten wir mit Sicherheit überhaupt keine Chance.

Was sollten wir in den letzten vier Wochen vor der Verhandlung jetzt konkret machen?

Elena kam für mich in keinem Fall mehr infrage.

Alle anderen Anwälte, inklusive des Anwalts, den Elena für uns als Anwalt beim Obersten Gericht eingesetzt hatte – alle diese Anwälte hatten außer Vorschuss–Honorarforderungen überhaupt nichts erreicht.

Das Geld war weg, der oder die Titel waren in unerreichbare Ferne gerückt, eine Deslinde war abgeblockt und die Wahrscheinlichkeit, dass wir jetzt bei den unteren Gerichten gegen unseren gegnerischen Anwalt Federico Alvarez am Ende verlieren würden – diese Wahrscheinlichkeit war für mich selber jetzt so groß, dass ich Anna fragte, ob sie überhaupt weitermachen wolle.

Sie war der Meinung, dass auch diese ganze Sache von Gott bestimmt sei und als treue und eifrige Christin hatte sie ein unverändert gläubiges Gott-Verständnis. Der liebe Gott würde sie nicht im Stich lassen, die Gerechtigkeit werde siegen und für alles bis zu diesem Ziel solle man doch einfach weitermachen, denn zum Schluss siegen immer die Guten.

Auf dieser Basis hatte ich keine realistischen Argumentationsmöglichkeiten mehr und schlug deshalb vor, jetzt die ganze Sache dem Anwalt Diego de la Huub in Santo Domingo zu übergeben.

Wir trafen uns daraufhin mehrmals mit Herrn de la Huub in seiner Kanzlei und übergaben ihm die Vertretung von Anna in diesem gesamten Rechtsstreit.

Kapitel 21

Der Ratschlag

Unser neuer – und nach meiner internen Schätzung achte oder neunte Anwalt – Diego de la Huub arbeitete genauso wie alle Anwälte, die wir davor kennen – und nicht lieben gelernt hatten.

Wir bekamen niemals irgendwelche Schriftstücke in unseren Angelegenheiten in Kopie zu sehen. Wir wurden über keine Reaktion der Gegenseite informiert. Wir waren also im Prinzip genauso blind wie bei allen vorherigen Anwälten.

Das Einzige, was Herr de la Huub anders machte, war, dass er versuchte, uns Ratschläge zu geben. Sein Hauptargument war von Anfang an, dass wir das gesamte Grundstück im Valle als besetztes Grundstück betrachten sollten.

Die Besetzung dieses Grundstück durch uns, respektive durch Vertraute von uns, sei eine Grundvoraussetzung dafür, dass man, auch wenn man den juristischen Prozess verlieren sollte, immer noch eine Rest-Chance haben würden, das Grundstück zumindest physisch zu behalten. Das ganze klang für mich wie ein billiger Artikel aus einem Revolverblatt.

Aber ich lernte schnell, dass hinter dieser Empfehlung ein wichtiger Kern steckte, der mit einer speziellen Situation in der Geschichte der dominikanischen Republik zu tun hat.

Ich will versuchen, dies in wenigen Sätzen zu erklären:

Bis Anfang des letzten Jahrhunderts war der Grundbesitz in der Dominikanischen Republik so verteilt wie in den allermeisten Gebieten dieser Welt: Ein Großgrundbesitzer war Eigentümer von sehr viel Land. Die Bauern und Leibeigenen, die auf diesem Land arbeiteten, waren rechtlos und konnten vom Großgrundbesitzer im Prinzip jeden Tag entlassen oder hinausgeschmissen werden.

Irgendwann in den 1930 bis 1940er Jahren versprach ein Kandidat einer politischen Partei vor den ansonsten relativ gut und korrekt durchgeführten allgemeinen Wahlen, dass er dieses Recht ändern würde, vorausgesetzt er wird gewählt. Er wurde gewählt, hauptsächlich wegen dieser Versprechungen und es trat dann ein neues Gesetz in Kraft, was die Besetzung von Grundstücken und die Form der Besetzung entscheidend ändern sollte.

Der Großgrundbesitzer war weiterhin Eigentümer des Grund und Bodens und dieses Eigentumsrecht wurde nicht infrage gestellt. Aber wenn nachgewiesen werden konnte, dass eine Bauern-Familie eine relativ kurze Zeit ununterbrochen auf diesen Grund und Boden gewohnt und gearbeitet hatte, so schützte das neue Gesetz diese Familie, indem sie nicht mehr einfach so vertrieben werden konnte.

Diese Bauernfamilie konnte zwar zu keinem Zeitpunkt Eigentumsrechte an dem Boden, wo sie lebten, erwerben – aber ihre Besetzung wurde in einer gewissen Form jetzt legalisiert.

Damit entstand praktisch eine Art Patt-Situation.

Der Großgrundbesitzer blieb Eigentümer und konnte im Prinzip sein Land auch verkaufen. Aber die Menschen und Bauern, die auf diesem Grund und Boden inzwischen Besitz- oder besser gesagt Besetz- Ansprüche hatten, konnten nicht mehr vertrieben werden, sie bekam einfach nur einen anderen Patron.

Diese Art der Enteignung – nichts weiter ist es zuerst in meinen Augen gewesen – musste ich erst mal begreifen und dann akzeptieren.

In der Konsequenz ergab sich dadurch für unsere Grundstücke im Valle folgende Situation:

Wir mussten im Zweifelsfall nachweisen, dass wir diese beiden  Grundstücke von Anfang an besetzt hatten.

– Mit Menschen, die für uns dort wohnten, wenn wir selber nicht dort wohnten.
– Mit Rodungen des Urwalds, die von uns gemacht und bezahlt wurden.
– Mit Errichtung von Unterkünften, zuerst klein oder später größer, die als Nachweis dienen würden, dass wir dort auch Wohnraum geschaffen haben.
– Mit Nachweis, dass wir das Grundstück eingezäunt hatten, um es ganz klar als Teil unserer Besitzansprüche zu deklarieren.
– Später, wenn es denn irgendwann einmal soweit sein sollte, durch Anschluss von Strom und Wasser.
– Und vielleicht irgendwann mal Telefon und Internet, um zu demonstrieren, dass wir dort komplett etwas geschaffen hatten, wo Menschen lebten, die für uns unseren Besitz verwalteten.

Schließlich das wohl wichtigste :

– Mit dem Beweis, dass ein möglichst großer Teil des Grundstücks in Ackerland und Bauernland umgewandelt wurde.

Und das heißt, dass man dort auf dem Grundstück so viel wie möglich lokale Früchte anbaut wie Maniok, Mango, Ananas, Kokos und sonstige Gemüsearten und Früchte.

Dann hatten wir  nicht nur das Grundstück besetzt, sondern handelten auch zum Wohl der Menschen, die dort jetzt lebten.

All dies erklärte uns Diego de la Huub, bevor er anfing sich in die Unterlagen der gesamten Historie hineinzuarbeiten.

Wir folgten von Anfang an seinem Rat so gut wir konnten und errichteten dann im Laufe der Jahre auf diesem Grundstück, für das wir überhaupt keine rechtlichen Titel und Nachweise mehr hatten, im Status der Besetzung eine neue Umgebung mit all den Attributen,  die de la Huub uns empfahl.

Natürlich waren damit auch große Ausgaben verbunden, von denen ich im Prinzip überhaupt nicht wusste, ob sie am Ende nur noch den Totalverlust vergrößern oder ob sie eventuell geeignet sein könnten, tatsächlich zumindest eine Besetzung des Grundstücks zu erreichen und zu festigen.

Kapitel 22

Die erste Verhandlung

Vor der ersten in Santiago anberaumten Verhandlung gab es ein großes Problem.

Wir hatten vor vier Monaten den Anwalt Adames als unseren neuen Anwalt ernannt und er hatte die entsprechende Vollmacht von Anna.

Er hatte sich zwar zu keinem Zeitpunkt uns gegenüber irgendwie über seine Strategie und seine Vorstellungen geäußert, aber er wusste um den Termin und niemand konnte sagen ob er dort erscheinen würde.

Ich ging im Prinzip davon aus. Schließlich hatte er unser Mandat, unsere Anzahlungen und alle unsere Unterlagen.

Gleichzeitig hatten wir aber jetzt in dem Anwalt de la Huub jemand gefunden, der offensichtlich endlich mal bereit war, sich konkret mit diesem Fall zu beschäftigen und der in meinen Augen auch die vielleicht einzige Person war, mit der wir eventuell noch irgendwann einmal zu unserem Recht kommen könnten.

Aber de la Huub war nicht angemeldet beim Gericht, und ein Anwalt kann nicht mal eben dort erscheinen und sagen, er übernimmt jetzt die Verteidigung einer Partei – das muss alles vorher ganz formal in die Wege geleitet sein.

Also selbst für den Fall, dass Adames nicht anwesend sein würde, war noch nicht sichergestellt, dass das Gericht überhaupt de la Huub als unseren Anwalt anerkennen würde.

Es kam dann so, wie ich es vorausgesehen hatte:

Am Morgen der Verhandlung war weder Adames noch irgendjemand aus seiner Kanzlei dort anwesend. De la Huub gelang es mit irgendwelchen juristischen Feinheiten in dieser Situation als neuer temporärer Anwalt unserer Interessen bei diesem Gericht anerkannt zu werden – zumindest für diese Verhandlung.

Später erfuhr ich, dass in so einem Fall ein vorher eingesetzter Anwalt mindestens dreimal nicht erscheinen muss, damit das Gericht ihn entbindet und wir legal einen anderen Anwalt haben können.

Um es vorauszuschicken: auch in den nächsten beiden Verhandlungen erschien Adames nicht und ab der vierten Verhandlung war dann de la Huub unser legaler Vertreter.

Kapitel 23

Die Vergangenheit kommt ans Tageslicht

Natürlich forderte der Anwalt de la Huub auch entsprechende Formulare und Vorschüsse und es blieb uns nichts anderes übrig, als auch hier jedes Mal seine Forderung zu akzeptieren.

Man kann sagen, dass in all den Jahren seit Kauf des ersten Grundstücks mindestens 40.000 US-Dollar allein an Honorar für all die diversen Anwälte in unserer Sache fällig wurden.

Auf der anderen Seite stiegen die wenigen verbliebenen freien Strandgrundstücke in diesen Jahren ebenfalls um ein vielfaches.

Nach dieser Milchmädchen–Rechnung ist das 15.000 Quadratmeter Grundstück im Valle heute irgendetwas zwischen 100 und 150 US-Dollar pro Quadratmeter wert, also leicht 1–1,5 Millionen Dollar – vorausgesetzt man hat die Möglichkeit, es mit korrekten Papieren zu verkaufen.

Käufer gibt es wie Sand am Meer.

Strand und Insel, das ist der heimliche Traum von einem Viertel der Menschheit – und Strand ist nicht vermehrbar.

Ein Gebäude auf einem Grundstück kann abgerissen werden und man baut dann eben ein doppelt so hohes Gebäude auf die gleiche Grundfläche.

Aber Strand ist nicht vermehrbar, im Gegenteil, das Meer holt sich den Strand jedes Jahr ein Stück zurück.

Wir merkten dann, wie de la Huub sich durch alte und uralte Akten durcharbeitete um herauszufinden, was nun wirklich mit diesen Grundstücken, die wir glaubten erworben zu haben, in der Vergangenheit passiert war.

Wir hatten inzwischen von dem gegnerischen Anwalt Federico gehört, dass er nicht nur am Anfang der ganzen Ereignisse die Form der Deslinde beanstandet hatte.

Das war nur sein allererster Ansatz, um sich selber ins Spiel zu bringen.

In Wirklichkeit hatte er als gewiefter Anwalt eine ganz andere Strategie, die wir in den nächsten Jahren hautnah erleben sollten.

Zum einen durch sein Auftreten während der folgenden Gerichtsverhandlungen, die in der Provinzhauptstadt Santiago stattfanden.

Und zum Anderen, indem unser Anwalt de la Huub immer mehr Dokumente fand, die unsere aktuelle Position jedes Mal weiter schwächten – und die gleichzeitig auf ein ganz großes, mit viel Überlegung und Raffinesse durchgeführtes Komplott hinweisen, welches bereits seit Jahrzehnten dort im Valle von Federico Alvarez durchgeführt wurde.

Kapitel 24

Der Preis der Gerechtigkeit

Bevor ich über diesen  Komplott und über alles, was damit in Zusammenhang steht, berichte, möchte ich kurz erläutern, was mir im Zusammenhang mit unserer Situation erzählt wurde und was ich auch von verschiedenen Menschen, besonders in Samana, gehört hatte.

Das folgende ist jetzt an ein kleines Beispiel, dessen Konsequenz wir persönlich erlebten:

Ende 1800 bis Anfang 1900 gab es in Samana einige Familien, denen relativ viel Land gehörte. Das Land in der Nähe vom Meer – egal ob Strand oder Felsen – war für die Bauern uninteressant, es war zu viel Salz in der Luft und auch auf den Feldern.

Die allermeisten konnten nicht lesen und schreiben, öffentliche Schulen gab es noch nicht. Ein Familienvater hatte ein großes Stück Land und wie üblich auch eine große Anzahl von Söhnen. Er wollte sein Land gerecht unter seinen Söhnen verteilen. Er brauchte hierzu einen Experten – im Klartext ein Anwalt, der all dies für ihn durchführte.

Der Anwalt machte alles mehr oder weniger wie der alte Grundbesitzer es sich vorstellte, und teilte den Besitz einigermaßen gerecht auf. Als dann die Rechnung des Anwalts kam, war klar, dass die Familie überhaupt kein Geld hatte, um seine Rechnung zu bezahlen.

Das wusste der Anwalt von Anfang an, und als erfahrener Anwalt hatte er sich deswegen bei der Aufteilung des Grundbesitzes selber ein kleines Filetstück auf seinen Namen eintragen lassen. Das war praktisch dann die Bezahlung für seine Dienste.

Selbst wenn er es erklärt haben sollte, so war der alte Mann, der Auftraggeber, wohl mit Sicherheit damit einverstanden, denn eine andere Art der Bezahlung war schlicht nicht möglich.

Diese Eintragung von kleinen Filetgrundstücken für Anwälte war gang und gebe – aber sie wurde innerhalb der Familie nicht diskutiert. Oftmals wussten die Nachkommen überhaupt nicht, wie früher der Grundbesitz der Vorfahren  einmal aufgeteilt wurde.

Dann kam jetzt nach mehr als einem halben Jahrhundert ein Anwalt an und konnte nachweisen, dass sein Vater oder Großvater ein legitimiertes Anrecht auf irgendein kleines Stück Land hatte.

Ich selber habe diese Situation erlebt.

Am Anfang unserer Bemühungen, in Samana irgendetwas Passendes zu finden, wurden wir mit dem seinerzeitigen Gouverneur bekannt gemacht.

Seine Mutter hatte ein Grundstück mit Titel, was uns sehr gefiel. Es lag auch an dem Strand im Valle, wo wir etwas kaufen wollten.

Im allerletzten Moment fand Elena, die wir mit den Erkundigungen beauftragt hatten,  in uralte Grundbuch–Eintragungen heraus, dass dieses Grundstück überhaupt nicht der Mutter des Gouverneurs gehörte, sondern vor 50 oder 80 Jahren einem Anwalt übertragen wurde und dieser jetzt eingetragener Eigentümer war.

Ich geh zur Entschuldigung des Gouverneurs und seiner Mutter davon aus, dass es kein abgekartetes Spiel war, sondern dass die beiden wirklich nichts von dieser alten Geschichte gewusst hatten.

Für mich war die Erkenntnis daraus, dass man als juristischer Vertreter eines potentiellen Käufers extrem sorgfältig und präzise in den Archiven nachprüfen musste, bevor man sagen konnte, dass ein Grundstück wirklich demjenigen gehörte, der hierfür einen Titel präsentierte.

In unserem Fall war es Elena, die bei diesem ersten Versuch, ein Strandgrundstück im Valle für uns zu erwerben, in alte Grundstücks- und Kirchenbücher nachschaute, wie die wirklichen seinerzeitigen Besitzverhältnisse waren.

Und Elena fand heraus, dass dieses von uns gewünschte Grundstück in Wirklichkeit nicht den Leuten gehörte, die dafür einen Titel hatten, sondern einem Anwalt.

Natürlich waren wir Elena für diese Arbeit sehr dankbar, sonst hätten wir mit Sicherheit viel Geld für nichts bezahlt.

Auf der anderen Seite war es jetzt aber natürlich auch so, dass wir selber erlebt hatten, wie wichtig es war, dass der Anwalt, dem wir mit der Prüfung unserer Kaufabsicht betrauten, dass dieser Anwalt wirklich in die Tiefen der Besitzverhältnisse einstieg.

Und Elena hatte trotz des Erfolgs beim ersten Mal dann bei den nächsten beiden Prüfungen – also bei dem 10.000 und später dem 5.000 Quadratmeter Grundstück – nicht in der nötigen Form recherchiert, sonst hätte sie das gefunden, was jetzt de la Huub in den nächsten zwei Jahren alles heraus fand.

Kapitel 25

Der Plan funktioniert

Alles was ich hier in diesem Kapitel aufschreibe, habe ich ebenfalls nur vom Hörensagen.

Das allermeiste davon allerdings sind Aussagen unseres Anwalts de la Huub, so dass ich davon ausgehen kann, dass zumindest die Grundstruktur dessen, was ich jetzt schreibe, stimmen dürfte.

Wir gehen zurück in die Jahre 1980-85.

Die einzelnen Grundstücke der verschiedenen Bauern und Landbesitzer in Samana sind durch die Aufteilung an die vielen Söhne der einzelnen Familien inzwischen alle sehr klein geworden.

Je kleiner ein landwirtschaftlich zu nutzendes Grundstück ist, desto unrentabler wird es.

Zusätzlich fehlten den inzwischen wohl Hunderten von Kleinbauern die nötigen Maschinen und auch das Geld für sonstige Investitionen, so dass es allgemein eine äußerst brisante Lage wurde.

Viele Familien konnten sich nicht mehr von dem Grund und Boden, den sie bewirtschafteten, ernähren.

Das war die Grundvoraussetzung der Strategie von Federico Alvarez, hier begann sein Plan.

Er wohnte in Santiago, der zweitgrößten Stadt der Dominikanischen Republik. Santiago ist die Kornkammer der Republik und bekannt dafür, dass es in dieser Provinz die beste und ertragreichste Landwirtschaft der ganzen Republik gibt.

Er war ein inzwischen ein erfolgreicher und verschlagener Anwalt geworden, der mehr Feinde als Klienten hatte.

Aber er konnte als Anwalt und Demagoge offensichtlich sehr überzeugend reden und auftreten.

Er kam irgendwann nach Samana, sah die dortigen Verhältnisse der Kleinbauern, die sich von ihrer Arbeit nicht mehr ausreichend ernähren konnten, und trat als großer Retter und Helfer auf.

Seine Ansprache war im Prinzip kurz und klar:

„Alleine könnt ihr alle nicht überleben. Ihr müsst euch in irgendeiner Form zusammenschließen, und gemeinsam die Äcker und Felder bearbeiten. Je mehr von euch sich zusammenschließen, desto eher besteht die Möglichkeit, einige Maschinen und Geräte zu kaufen und auch größere Mengen Saatgut und andere Sachen, die für eure Landwirtschaft lebensnotwendig sind.“

Er bot an, dies alles zu organisieren.

Im Prinzip sollte jeder, der mitmacht, sein Grund und Boden in eine Cooperativa, also einer landwirtschaftlichen Genossenschaft, einbringen. Jeder würde weiterhin unbeschränkt Eigentümer seines eigenen Bodens sei, nur die Arbeit darauf soll gemeinschaftlich und somit effizienter gemacht werden.

Er überzeugte einen großen Teil derjenigen, die er erreichte und er sagte, er würde jetzt eine solche Cooperativa gründen. Er selber habe überhaupt keine Ahnung von Landwirtschaft, dafür aber von all den Papieren und Verträgen und Transaktionen die nötig seien, um das Leben der Leute dort in einer Cooperativa zu verbessern.

Die Cooperativa wurde gegründet.

Federico Alvarez war Direktor – also eine Art bezahlter Manager – und man fing an, jetzt gemeinschaftlich ein Großteil der Böden zu bearbeiten.

Es muss von der Sache her auch zuerst erfolgreich gewesen sein, denn im Laufe der Jahre traten mehr neue Mitglieder ein als alte ausschieden.

Das Ganze war der erste Teil des Plans, und der war aufgegangen.

Dann bereitete er den nächsten und entscheidenden Teil seines Plans vor und führte ihn in relativ kurzer Zeit durch:

Er gründete eine eigene Firma.

Damit er nicht selber als Besitzer in Erscheinung treten musste, wurden diverse Strohmänner eingesetzt, so wurden die wahren Eigentümer dieser Firma von Anfang an verschleiert.

Er nannte diese Firma La Paschka.

In seiner Funktion als leitender Direktor der Cooperativa verkaufte er Stück für Stück die Werte und die Anteile der Cooperativa an seine eigene Firma, also praktisch an sich selbst.

Und bei diesen Werten handelte es sich ausschließlich um Grundstücke.

Man kann davon ausgehen dass dies alles so gerissen und gut organisiert durchgeführt wurde, dass niemand merkte, was hier überhaupt gespielt wurde.

Nach kurzer Zeit war jetzt seine eigene Firma Eigentümerin diverser Grundstücke in Samana, die vorher alle der Cooperativa gehörten.

Die Einzelheiten der jeweiligen Transaktionen weiß ich nicht, das Prinzip hatte ich begriffen.

Da hier die Gerissenheit eines Winkel-Advokaten der Schlichtheit von Kleinbauern in Samana gegenüberstand, kann man davon ausgehen, dass alles so klappte, wie es geplant war.

Als einige zum Schluss merkten, dass sie gar nicht mehr Eigentümer der Parzellen waren, die sie ursprünglich in die Cooperativa eingebracht hatten, war es zu spät.

Die Bauern waren zu arm und zu unbedarft, um irgendetwas dagegen tun zu können.

Der Anwalt verschwand dann für einige Jahrzehnte aus dem Blickfeld der Einwohner in Samana.

Es gibt heute kaum eine Familie in Samana, die ihn nicht irgendwo in der Hölle oder im Meeresgrund sehen möchte – aber gegen seine Bodyguards und seine gepanzerten Wagen, in denen er gelegentlich in Samana auftaucht, haben sie schlicht keine Chance.

Kapitel 26

Die Unterschrift der Tochter

In der Familie, von der Anna ihre Grundstücke gekauft hatte, war zwar bekannt, dass Federico Alvaro ein äußerst gefährlicher und gerissener Mensch war.

Aber da er im Valle bereits seit vielen Jahren ein eigenes Grundstück hatte, welches direkt neben dem Grundstück lag, welches die dominikanische Familie an Anna verkauft hatte, ging man davon aus, das Anna dann eben diesen Anwalt als Nachbarn haben würde, aber das war’s dann.

Aber jetzt kam zum ersten Mal die wirkliche Absicht des Anwalts Federico Alvaro zum Vorschein.

Sein Einspruch gegen die Deslinde von Anna war im Prinzip nur der erste Teil seines Puzzles.

Es führte dann die Enteignung des Titels seitens des Gerichts, weil niemand etwas von den Terminen wusste.

Aber jetzt in Santiago kam er mit einem Argument durch, was keiner von uns bis dahin gehört hatte und was erst von de la Huub herausgefunden wurde:

Er sagte, er könne beweisen, dass die Familie, die Anna das Grundstück verkauft hatte, überhaupt nicht berechtigt war, dieses Grundstück zu verkaufen – weil dieses Grundstück seit 40 Jahre ihm und seiner Firma La Paschka gehören würden. Er selber sei seit 1982 mit seiner Firma la Paschka Eigentümer und auch entsprechend in den uralten Grundbuchakten eingetragen.

Er fordere deswegen die Annullierung sämtlicher Dokumente, die mit Anna Deckel zu tun hatten und stattdessen eine Anerkennung seiner eigenen Rechte – die er mit diversen Dokumenten vor Gericht darlegte.

Und es sollte noch schlimmer und drastischer kommen:

Er sagte vor Gericht, das er bereits sechsmal einen Prozess gegen diese Familie geführt hätte mit dem Ziel, das Verkäufe, die von dieser Familie gemacht wurden, zu annullieren seien, weil er selber mit seiner Firma Eigentümer der Grundstücke sei, die die Familie an irgendwelche Kunden verkauft hatte.

Und er hätte in allen sechs Fällen Recht bekommen vor Gericht.

Ob das alles stimmt, ich weiß es nicht.

Aber im Rahmen der Gesamtstrategie kann ich mir so etwas schon vorstellen.

Wahrscheinlich hatte er es auch hier wieder hinbekommen, dass diese Prozesse überhaupt nicht öffentlich wurden, sondern in irgendwelchen Sitzungen dann Urteile gefällt wurden, wo die andere Seite keine Ahnung hatte, dass überhaupt sie dort angeklagt waren.

Die Beklagte in diesen Prozessen – also die Familie, die Anna das Grundstück verkauft hatte – war nicht erschienen und wie im Fall von Anna Deckel wurde das mehrmalige Nichterscheinen dann als Eingeständnis der Schuld respektive als Anerkenntnis der Forderung der Gegenseite gewertet.

Dieses ganze System ist mir persönlich jetzt erst seit zwei oder drei Jahren klar geworden, nachdem es verschiedene Verhandlung vor dem entsprechenden Gericht in Santiago gegeben hatte, an denen ich – mit Ausnahme der ersten – immer auch teilgenommen hatte.

Wir hatten insofern etwas Glück im Unglück, als offensichtlich dieses Gericht, welches sich ausschließlich mit Streitigkeiten auf dem Gebiet von Grundstücken und Häusern und Wohnungen beschäftigt, dass dieses Gericht offensichtlich schon von Anfang an von Federico Alvaro genervt war.

Ich gehe davon aus, dass unser Prozess nur einer von vielen gewesen ist und dass hier vor diesem Gericht noch diverse andere Fälle verhandelt wurden, wo die Sachlage mehr oder weniger die gleiche war wie in unserem Fall.

Dadurch waren von den drei Richtern zumindest zwei bereits stark genervt und unwillig, irgendwelchen Argumentationen von Federico Alvarez zu folgen.

Aber es war für mich auch klar, das rein juristisch er mit Abstand bessere Karten hatte als wir.

Kapitel 27

Das junge Mädchen

De la Huub fand heraus, wer von der Familie, die uns das Grundstück verkaufte, seinerzeit in die Cooperativa eintrat, respektive die entsprechenden Papiere unterschrieb.

Es handelte sich um eine Frau mit dem Namen Marie Sol.

Sie ist jetzt um die 60 und arbeitet in Samana in einer öffentlichen Schule als Lehrerin.

Sie muss in den Anfang der Achtziger Jahre wohl die einzige in der Familie gewesen sein, die dort bereits Lesen und Schreiben konnte und sie wurde von ihren Eltern aufgefordert, im Namen der Familie die Papiere zum Eintritt in die Cooperativa und damit  zum Einbringen des Grundstücks zu unterschreiben.

Heute ist dies nach Aussage von de la Huub der einzige konkrete Punkt, wo man vor Gericht versuchen könnte, die ganze Wahrheit respektive die Gaunereien von Federico Alvarez zu beweisen.

Marie Sol war, als sie unterschrieben hatte, ein junges Mädchen von 16 oder maximal 17 Jahren. Wie seinerzeit die Gesetze bezüglich Volljährigkeit, Geschäftstüchtigkeit und Unterschriftberechtigungen für solche Dokumente waren, weiß ich nicht.

Aber laut de la Huub war Marie Sol im Moment der Unterschrift, die sie im Namen ihrer Familie gegeben hatte, selber noch nicht unterschriftsberechtigt.

Wenn man das alles nachvollziehen und beweisen könnte, bestünde die Möglichkeit, dass zumindest dieser Eintritt in die Cooperativa seinerzeit nicht Rechtens war und man somit legal überhaupt nicht beteiligt war.

Damit würden automatisch auch die weiteren Schritte – dass diese Grundstücksanteile in die Firma Paschka gingen – ungültig.

Dies ganze ist aber nur vor Gericht zu beweisen, wenn Marie Sol dort aussagt.

Kapitel 28

Schweigen ist Silber – Reden ist Gold

Ich selber war mehrere Male in Samana bei ihr und habe zusammen mit Anna versucht, sie dazu zu bewegen, jetzt vor Gericht auszusagen.

Sie sagte jedes Mal, sie würde kommen – aber in den letzten drei Verhandlungen ist sie nie erschienen.

Entweder war sie plötzlich krank geworden oder es gab einen mysteriösen Einbruch bei ihr oder irgendwelche anderen Sachen wurden als Entschuldigung erzählt für die Tatsache, dass sie nicht vor Gericht aussagen kann.

In Wirklichkeit wissen alle in der Familie, dass sie sich wahnsinnig schämt über das, was in ihren jungen Jahren passiert war, und dass sie deswegen verzweifelt versucht, nicht auszusagen.

Selbst die Logik, dass wir gesagt haben, wenn das Gericht feststellt, dass Federico Alvarez aufgrund seiner vorgelegten Dokumente rechtmäßiger Eigentümer sei, dann würden wir natürlich zwangsläufig sofort ein Prozess gegen alle Mitglieder der Familie anstrengen und zwar gegen alle die, die auf diesen ursprünglichen Titel zumindest als Eigentümer verzeichnet waren – und ich gehe davon aus, dass sie auch dort aufgeführt war, weiß es aber nicht genau – selbst diese Drohung hat bis jetzt nichts genützt.

Die Familienmitglieder dort haben trotz der Zahlung, die sie von Elena  bekommen hatten, inzwischen wieder überhaupt kein Geld mehr und es ist im Grunde genommen völlig egal, ob sie als zahlungsunfähig erklärt werden oder nicht – sie haben nichts und man kann dort mit Sicherheit nichts mehr holen.

Es besteht noch die kleine Hoffnung, dass Marie Sol jetzt in der nächsten Verhandlung am 9. April 2019 in Santiago erscheinen wird, um ihre Aussage dort zu machen.

Ich selber bleibe dieses Mal in Deutschland, Anna reist alleine jetzt in die Dom Rep, um an dieser Verhandlung teilzunehmen.

Kapitel 29

IRMA und MARIA

Für mich ist das ganze Thema Samana und Valle so deprimierend und im Prinzip so klar verloren, dass ich wirklich keine Lust habe, hier mich in irgendeiner Form noch weiter zu engagieren.

Der Moment, aus dieser ganzen Sache auszuscheiden oder rauszukommen, ist schon lange vorbei. Das hätte ich vor 8 oder 9 Jahren vielleicht machen können oder sollen.

Stattdessen haben wir seitdem immer weiter in diese Grundstücke im Valle investiert, die Hälfte der praktizierenden Anwälte in der Dom Rep finanziert und schlaflose und wütende Tage und Nächte gehabt, wenn es bei uns – egal ob in Deutschland oder in der Dom Rep – zum Thema Samana und Valle kommt.

Im Valle selbst sieht es auf unseren Grundstücken zurzeit sehr schön aus. Vor anderthalb Jahren, im Herbst 2017, gab es zwei furchtbare Wirbelstürme in der Karibik.

Der erste, er wurde IRMA getauft, war der größte Hurrikan, der jemals beobachtet wurde.

Zwei Wochen gefolgt von einem etwas kleineren, aber genauso schrecklichen Hurrikan mit dem schönen Namen MARIA.

Irma traf mit voller Wucht auch unser Kondominium in Bavaro.

Das große, dreihundert Meter vor unserer Küste in Bavaro liegende starke Riff verhinderte aber, das die riesigen Wassermassen direkt auf unseren Strand und somit in unseren Häusern ankamen.

Die teilweise 6-8 Meter hohen Wellen zerschellten an diesem Riff, gingen senkrecht nach oben und fielen dann in sich zusammen. Der Sturm trieb zwar das in der Luft zusammengebrochene Wasser noch an den Strand, aber diese Wasserwellen kamen Gott sei Dank ca. 2 Meter vor den Häusern in der ersten Reihe zum stoppen.

In Samana machte Irma keinen Schaden, da er nach Erreichen der Küste der dominikanischen Republik sich praktisch um 90 Grad drehte und direkt Richtung Miami USA weiter zog.

Der zweite Wirbelsturm Maria traf nicht auf unser Kondominium in Bavaro – dafür aber voll die Halbinsel Samana und alle weiteren Küstenstädte bis zur Grenze nach Haiti.

Dieser Wirbelsturm Maria zerstörte sämtliche Gebäude auf unserem Grundstück im Valle.

Die Dächer flogen ab, die Seitenteile lösten sich und landeten irgendwo im Urwald – es war wirklich das größte Inferno, was man im Valle seit Jahrzehnten erlebt hatte.

Wir standen danach vor der Frage, ob wir alles so liegen lassen sollten und das war’s dann – oder ob wir noch mal völlig von vorne etwas aufbauen.

Wir entschieden uns dann, alle Gebäude wieder herzustellen und das, was total kaputt war, wieder neu und noch solider, besser, schöner und größer zu erbauen.

Heute haben wir auf dem Gelände zwei große Wohnhäuser im karibischen Holz-Stil.

Eins mit sechs Betten für eine größere Familie und ein weiteres Gebäude mit zwei Apartments, davon eins mit vier Betten und eins mit zwei Betten.

Alle Apartments mit kompletten Sanitär- Einrichtungen, Duschen und Toiletten. Mit elektrischen Strom und sehr großen Balkons respektive Terrassen – das ist das Wichtigste, um dort eine angenehme Zeit zu verbringen.

In dem Zwei-Bett-Apartment wohnt Egar, die anderen Apartments sind zurzeit unbewohnt.

Ob wir sie vermieten wollen oder nicht wissen noch nicht – auf jeden Fall haben wir durch den Hurrikan Maria verursacht jetzt dort etwas geschaffen, was man mit Fug und Recht als kleines Paradies bezeichnen kann.

Diesen Zustand habe ich bewusst wiederhergestellt, obwohl er nochmal 80.000 Dollar gekostet hat.

Aber jetzt kann uns zumindest kein Gericht mehr vorwerfen, dass wir dieses Grundstück nicht bewohnen und bewirtschaften.

Ob es am Ende etwas nützt – ich weiß es nicht und ich werde es wohl erst dann wissen, wenn es ein endgültiges Urteil der Gerichte geben wird.

Kapitel 30

Es geht weiter

Der nächste Gerichtstermin war im April 2019. Zur Überraschung fast aller machte Marie Sol diesmal ihre Ankündigung wahr und erschien tatsächlich als Zeugin vor diesem Gericht.

Ihre Aussage beeindruckte die Richter offensichtlich stark. Der gegnerische Anwalt versuchte alles, um sie einzuschüchtern, unsicher zu machen, ihr Lug und Betrug vorzuwerfen und zog ein demagogisches Feuerwerk ab.

Marie Sol blieb bei ihrer Aussage, dass sie als junges Mädchen auf Bitten ihres Vaters einige Papiere unterschreiben sollte. Und dass sie zu keinem Zeitpunkt ahnte, was der Inhalt dieser Dokumente war.

Egar, der Hausverwalter auf dem Grundstück, sagte aus, dass er von Anfang an dort permanent gewohnt hatte, so dass auch eine Besetzung des Grundstücks nachgewiesen war, vorausgesetzt, man würde ihm glauben.

Auffällig war die Reaktion unseres eigenen Anwalts. Er war bemerkenswert still.

Ihm fehlte jegliche Aggressivität oder Durchsetzungskraft, wenn es zu Befragung der gegnerischen Zeugen kam. Es schien fast, dass er sich mehr um das Wohlergehen und die Aussagen der gegnerischen Zeugen kümmerte als die Verteidigung seiner Mandanten Anna Deckel.

Dieses Verhalten unseres Anwalts war uns schon vorher bei anderen Gelegenheiten aufgefallen. Wenn es vor oder nach einer Verhandlung zu einem Treffen des gegnerischen Anwalts und unseres eigenen Anwalts kam, begrüßen sich die beiden ausgesprochen herzlich.

Sie lachten und sprachen miteinander wie alte Freunde und es war schon befremdlich, was wir da sahen.

Es stellte sich dann heraus, dass die beiden zusammen auf der Universität in Santo Domingo studiert hatten und sich seit Jahrzehnten kannten. Inwieweit diese Bekanntschaft in Freundschaft und Gefälligkeit umschlug, weiß ich nicht.

Anna und ich waren aber auf jeden Fall vom Gefühl her gewarnt, dass sich hier ein weiteres Problem ergeben könnte.

Am Ende dieser Verhandlung leerte sich der Saal. Nur die beiden Anwälte blieben noch dort und durch die geschlossene Glastür konnte ich sehen, wie sie beide in einer sehr entspannten Art und Weise miteinander redeten. Ungefähr so, wie wenn zwei Freunde in der Kneipe das fünfte gemeinsame Bier trinken.

Kapitel 31

Der Ortstermin

Bei größeren und längeren Grundstücksprozessen gibt es in der Dominikanischen Republik immer einen Ortstermin.

Das Gericht kommt dann dorthin, wo die Streitigkeiten entstanden sind, um sich ein persönliches Bild von den Umständen vor Ort zu machen.

Dieser Ortstermin war für Oktober 2019 angesetzt und fand direkt auf dem Grundstück im Valle statt.

Die gegnerische Seite kam mit mehreren Anwälten und weiteren Zeugen. Wir selber hatten außer unserem Anwalt nur drei Personen gebeten, dort auszusagen.

Es gab diesmal ein größeres Publikum, denn ein Gerichtstermin vor Ort ist immer ein Spektakel für sämtliche Anwohner des entsprechenden Ortes.

Die Zuhörer saßen in mehreren Reihen um das Gericht herum, welches unter einer großen Linde einen langen Tisch aufgestellt hatte und wo die drei Richter, ein Schriftführer und ein Sicherheitsbeamter saßen. Eine Szene, so wie auf Bildern aus dem Mittelalter, wenn es Gerichtstermine gab, die der durchreisende Fürst im Dorf abhielt.

Auch hier fiel der gegnerische Anwalt dadurch auf, dass er von den zwei Stunden, die der Termin in Anspruch nahm, über 1 Stunde seine Monologe hielt. Unser eigener Anwalt sagte so gut wie gar nichts.
In einer Gerichtspause liefen die beiden nebeneinander durch das große Gelände und unterhielten sich dabei angeregt.

Mein Misstrauen wuchs.

Am Ende der Verhandlung, von der die meisten Anwesenden das Gefühl hatten, dass dieser Gerichtstermin eher zugunsten von Anna Deckel als für die Gegenseite verlaufen war, verkündete der leitende Richter dann laut und deutlich, das jetzt eine längere Pause eintreten wird und man sich in sechs Monaten im Oktober dieses Jahres in Santiago zur nächsten Verhandlung wieder treffen wird.

Und er sagte noch, das jeder, der heute nicht zu Wort gekommen sei und der glaube, dass er etwas zu sagen hätte, aufgefordert ist, dort dann hinzukommen und seine Aussage zu machen.

Kapitel 32

Das Protokoll

Einige Wochen nach der Verhandlung bat ich unseren Anwalt, mir eine Kopie des Protokolls der letzten Verhandlung zum Ortstermin im Valle zu schicken. Seine Antwort war klar und eindeutig:

Bei Ortsterminen wird keine Protokollierung gemacht. Entsprechend gibt es auch kein Protokoll.

Ich wunderte mich, warum während des ganzen Termins im Valle ein Protokollführer neben den Richtern saß und stundenlang Sätze und Passagen in seine alte Schreibmaschine tippte.

Einige Wochen später erhielt ich dann eine Nachricht von unserem Anwalt, in der er mitteilte, dass die nächste Verhandlung eine sogenannte geschlossene Verhandlung sei.

Es gibt in der DomRep zwei Arten von Gerichtsverhandlungen:
Die erste wird eine offene oder allgemeine Verhandlung genannt.
Sie ist so wie überall auf der Welt. Das Gericht fragt Zeugen, die beiden streitenden Parteien stellen Anträge, befragen eigene und Zeugen der Gegenseite und das Ganze wird dann zum Schluss protokolliert.

Daneben gibt es noch die sogenannte geschlossene Verhandlung.

Die erinnert ein bisschen an die Schlussplädoyers, die zum Beispiel bei deutschen Gerichten üblich sind.

Zu so einer geschlossenen Verhandlung empfängt der Richter nur die beiden Anwälte der beiden streitenden Parteien. Sie können dann zusammenfassend ihren jeweiligen Standpunkt noch einmal dezidiert darlegen und das Gericht wird dann danach das Urteil sprechen.

Nachdem der leitende Richter bei der letzten Verhandlung im Valle gesagt hatte, dass zur nächsten Verhandlung jeder erscheinen könne, der noch etwas zu sagen hätte, war für mich klar, dass es auf keinen Fall eine geschlossene Verhandlungen sein würde.

Aber unser Anwalt bestand darauf, dass bei der nächsten Verhandlung keine Zeugen mehr gehört werden und dass es nur ein Gespräch zwischen Gericht und Anwälten sei.

Ich glaubte jetzt unserem eigenen Anwalt gar nichts mehr.

Da wir aber von den Prozessabläufen in der Republik keine Ahnung hatten und jeder Anwalt hier eine persönliche Meinung hat, die oftmals mehr durch Prahlerei denn durch Fachkenntnisse untermauert ist, beschlossen wir, dass Anna einmal direkt nach Santiago reist.

Sie sollte herausfinden, was genau in der nächsten Verhandlung geschehen wird.

Santiago liegt ungefähr 500 km von Bavaro entfernt. Man fährt 6 Stunden im Auto oder 8 Stunden im Bus, um von uns aus dahin zu gelangen.

Anna fuhr eines Tages hin und fragte sich in der Verwaltung durch, bis sie jemand fand, der ihr eine kompetente Auskunft geben konnte.

Die Organisation bei diesem Gericht war ordentlich, die Unterlagen wurden relativ schnell gefunden und es war ein emsiges, aber diszipliniertes Arbeiten zu beobachten.

Am Ende kam die Mitarbeiterin, die sich um die Angelegenheiten von Anna freundlich und intensiv gekümmert hatte, mit einer dicken Akte in das Besucherzimmer, wo Anna wartete.

Die Akte bestand aus einem ca. 80-seitigen Protokoll.

Dieses Protokoll ist die Grundlage der gesamten Gerichtsverhandlung in der Dom Rep. Es wird zu der ersten Verhandlung angelegt und dann bei allen weiteren Verhandlungen fortgeschrieben.

Anna konnte jetzt am Ende dieses Protokolls auf den letzten zehn Seiten lesen, was dort über die letzte Verhandlung im Valle stand.

Das wichtigste für uns war aber, dass wir jetzt zum allerersten Mal überhaupt so ein Protokoll in der Hand hatten.

Wir hatten es von unserem Anwalt niemals bekommen. Es wurde auch niemals erwähnt, dass es überhaupt existiert. Anna bekam eine Kopie des Protokolls und fuhr zurück nach Bavaro.

Allein schon beim flüchtigen Durchlesen des Protokolls konnte ich erkennen, wie die einzelnen Aussagen an verschiedenen Verhandlungstagen vom Gericht kommentiert oder gewertet wurden – die Einwürfe und Bemerkungen der Richter waren dort auch dokumentiert.

Was mich besonders irritierte, war zum Beispiel, das die gegnerische Seite zum nächsten Termin im Oktober 2019 gedanklich – der ja laut unserem Anwalt ein geschlossener Termin sein würde – dass die Gegenseite zu diesem Termin noch mehrere Anträge eingereicht hatten, die dort verhandelt werden sollten.

Es konnte also auf keinen Fall sein, dass nur die Anwälte ihre Schluss Plädoyers halten, wenn sogar noch offene Anträge behandelt und abgefertigt werden müssen.

Ich fragte unseren Anwalt, warum er uns gesagt hatte dass es kein Protokoll gibt. Wir hätten jetzt das Protokoll in den Händen. Wir fragten ihn außerdem, warum er darauf bestand, dass die nächste Verhandlung geschlossen sei. Wir hätten jetzt alle Beweise, dass es eine normale öffentliche Verhandlung sei.

Die Antwort des Anwalts war absolut dominikanisch, ich hätte sie vor 20 Jahren auch Chinesisch genannt.

In China ist es üblich, niemanden zu widersprechen.
Das ist ein Unding und eine extreme Unhöflichkeit.

Wenn man in China anderer Meinung ist, gibt es nur ein Mittel – und das ist Schweigen.

Und so war es auch jetzt bei unserem eigenen Anwalt. Seine Antwort auf unsere Fragen, die wir dann auch einige Zeit später noch einmal in der entsprechenden Form schriftlich wiederholten, war eindeutig – ein absolutes Schweigen.

Kapitel 33

Die Zeugen

Bis zur nächsten Verhandlung im Oktober 2020 waren es noch einige Monate.

Zu jeder neuen Verhandlung schickt das Gericht eine Aufforderung an beide Parteien, wo das Datum, die Uhrzeit und, sofern vom Gericht gewünscht, auch die Namen der Zeugen aufgeschrieben sind, die bei der nächsten Verhandlung aussagen sollen.

Den betroffenen Parteien ist es darüber hinaus freigestellt, weitere Anträge zu formulieren und rechtzeitig beim Gericht einzureichen. Diese werden dann in der Regel ebenfalls bei der nächsten Verhandlung verhandelt.

Auf dem Einladungsschreiben des Gerichts waren hierzu zwei Punkte notiert:

Zum einen wollte das Gericht sieben Zeugen aus von unserer Seite hören. Und drei Zeugen der Gegenseite.

Außerdem hatte die Gegenseite bereits wieder einen neuen Antrag eingereicht und auf dem Gerichtseinladungsschreiben stand ebenfalls in kurzen Worten, um was es darum ging und dass dies mit verhandelt werden würde.

Unseren eigenen Anwalt interessierte das alles nicht.

Er erklärte Anna und mir mehrfach, dass die nächste Verhandlung geschlossen sei und ging überhaupt nicht auf die Zeugen ein, die das Gericht hören wollte.

Zeugen müssen in der Dom Rep durch den Anwalt der jeweiligen Seite informiert werden, damit sie rechtzeitig zur Verhandlung erscheinen.

Wenn unser eigener Anwalt sich jetzt weigerte, diese von Gericht benannten Zeugen auch nur zu benachrichtigen, blieb Anna nichts anderes übrig, als selbst wieder nach Samana zu fahren und die im Gerichtsschreiben aufgeführten Personen darüber zu informieren, dass sie an einem bestimmten Tag im Oktober vor Gericht aussagen sollen.

Also reiste Anna nach Samana, informierte die Zeugen und reiste dann direkt weiter nach Santiago mit einer Liste alle Zeugen, wo alle Daten wie komplett notiert waren. Name, Geburtsort und Tag, Nummer des Personalausweises usw. – alles musste in so einer Liste enthalten sein.

Diese Liste hinterlegte sie bei Gericht, damit das Gericht zumindest eine Unterlage hat, nach welcher es die Zeugen aufrufen kann.

Sie informierte ihren Anwalt, dass sie in diesem Fall selber Zeugen aufgefordert hätte, dort zur nächsten Verhandlung zu erscheinen.

Corona bedingt – auch in der Dominikanischen Republik gab es viele Erkrankungen und Todesfälle – wurde die für Oktober anberaumte Sitzung verschoben auf Mitte Januar 2021.

Kapitel 34

Eine virtuelle Verhandlung

In dem Schreiben, mit dem das Gericht die Verschiebung corona-bedingt auf den 13. Januar 2021 bekannt gab, wurde außerdem vermerkt, dass die nächste Verhandlung virtuell sei.

Das bedeutet, man kann sich von Zuhause aus über das Internet zu dieser Verhandlung zuschalten. Diejenigen, die keine solche technische Möglichkeit haben, können auch direkt zum Gericht gehen. Dort sollte dann in einem speziellen Raum eine virtuelle Verhandlung auf einigen Bildschirm übertragen werden.

Soweit die Auskunft, die zusammen mit der Einladung zur nächsten Verhandlung vom Gericht gegeben wurde.

Für unseren Anwalt war es klar:

Er würde diese Verhandlung von Zuhause aus oder von seinem Büro in Santo Domingo aus verfolgen, wenn überhaupt.

Anna organisierte einen Kleinbus, um alle Zeugen von Samana nach Santiago zu bringen, die Entfernung beträgt ca. 400 km.
Man fuhr morgens um 3:30 Uhr los und war um 8:00 Uhr dort im Gericht.

Es gab schon vorher Kommentare, dass die Internetleistung im Gericht relativ schwach sein würde und dass man Probleme hätte mit der Übertragung solcher Gerichtssitzungen.

Die Verhandlung begann.

Auf dem Bildschirm meldete sich der Vorsitzende Richter. Er begrüßte Anna, die er sofort erkannte und fragte, wie es ihr ginge.

Dann kam er zu seiner ersten konkreten Frage:
„Haben Sie die Zeugen dabei?“

Anna antwortete prompt „Ja, sie sind alle hier“.

Frage: „Wie viele sind es?“
Anna: „Insgesamt sieben“.

Der Richter:
„Wir haben heute keine gute technische Verbindung. Sieben Zeugen auf diese Art und Weise zu befragen würde hier wohl kaum möglich sein. Ich ordne deswegen an, dass wir in drei Monaten eine weitere Verhandlung haben werden, dann persönlich – das bedeutet, dass die Zeugen dann persönlich bei Gericht erscheinen und wie immer auch persönlich aussagen können“.

Dann verabschiedete sich der Richter von Anna und diese Sitzung war nach 5 Minuten beendet.

Kapitel 35

Die Prüfung

Bei uns im Kondominium gab es wieder neue Probleme mit dem seinerzeitigen Erbauer Pablo Lopez.

Auf die Einzelheiten brauche ich hier in diesem Bericht nicht eingehen.

Wichtig war jedoch, dass wir uns von Seiten der Wohnungs- Eigentümer diesmal durch einen Anwalt vertreten lassen wollten.

Ich lernte daraufhin einen Anwalt kennen, der durch Fachwissen in den Immobilien sehr bekannt geworden war.

Sein Name war Carlos Alumnis.

Seine Honorarforderungen waren teilweise absurd, aber sie wurden meistens akzeptiert, weil er wirklich das entsprechende Wissen hatte, gepaart mit einem sehr resoluten und somit typischen dominikanischen Auftreten.

Es wurde die Angelegenheit des Kondominiums besprochen und ich hatte danach die Idee, dass ich ihn auch in unserer eigenen Sache einmal um Rat fragen sollte.

Um das ganze plausibel zu machen, zeitlich zu begrenzen und seine Aufgabe konkret einzugrenzen sagte ich ihm folgendes:

Wir haben seit 15 Jahren ein Problem mit einem Grundstück im Valle in Samana. Sämtliche Einzelheiten habe ich hier in verschiedenen Ordnern. Das Grundstück ist seinerzeit durch Eigenmittel meiner Frau sowie durch Bankkredite bezahlt und finanziert worden.

Die kreditgebende Bank in Deutschland hat in den letzten 15 Jahren nie ein einziges rechtlich bindendes Dokument erhalten, aus dem der Besitzanspruch von Anna klar hervorging.

Sie hat deswegen jetzt angeordnet, dass bis zum Jahresende – also in ca. 4 Wochen – eine Expertise von einem Fachanwalt erstellt wird, aus der man seitens der Bank ersehen, kann ob überhaupt noch Chancen bestehen, diesen Prozess zu gewinnen und damit dann auch der seit 15 Jahren laufende Kredit zurückgezahlt werden kann.

Ich fragte den Grundstücks-Experten-Anwalt, ob er bereit sei, innerhalb dieser Zeit ein Gutachten anzufertigen.

Er sagte zu.

Wir vereinbarten den Preis, er war hoch, aber der Sache wohl angemessen.

Dann machte er sich sofort an die Arbeit.

Es war beeindruckend, mit welcher Geschwindigkeit er sich durch sämtliche alten Akten, Gerichtsurteile, Prozesse, Notizen usw. durcharbeitete.

Nach drei Wochen erhielt ich ein 35-seitiges Gutachten, in dem es nur so wimmelte von spanischen Gerichts- und Gesetz-Fachausdrücken.

Ich selber war nicht in der Lage, dieses Gutachten auch nur ansatzweise zu verstehen.

Ich bat ihn, das ganze noch einmal in einer für Laien verständlicheren Sprache zu verfassen, wenn möglich auch in einer etwas kürzeren Form.

Vier Tage später erhielt ich diese gekürzte Fassung, immerhin noch über 20 Seiten, aber für mich im Wesentlichen verständlich.

Kapitel 36

Das Gutachten

Es war klar strukturiert.
Chronologisch aufgemacht.
Mit Verweisen auf die entsprechenden Urteile und Gerichtsverhandlungen sowie Aussagen von Beteiligten Personen.

Die Quintessenz war klar und gleichzeitig vernichtend – nach diesem Gutachten war Anna von vornherein auf verlorenem Posten.

Der ganze Kauf hatte zwei Geburts-Fehler, die nicht reparabel waren und die sich wie ein roter Faden durch alle Teile des Gutachtens zogen.

Erstens: Die Verkäufer wussten bereits beim Verkauf an Anna, dass das Grundstück unter Embargo stand. Das bedeutet, der gegnerische Anwalt hatte schon drei oder vier Jahre vorher in einem Gerichtsverfahren Recht bekommen und die Familie der Verkäufer wurde verurteilt, keine Grundstücke aus dieser Parzelle anderweitig anzubieten und zu verkaufen.

Sie haben sich nicht daran gehalten.

Anna war das Opfer, und sie ist aus dieser Rolle nie herausgekommen.

Zweitens: Elena hat diese Gerichtsentscheidung aus irgendwelchen Gründen nie gefunden. Ich gehe nicht davon aus, dass Elena dieses Gerichtsurteil gefunden hatte und es absichtlich verschwieg.

Es wird wahrscheinlich viel eher so sein, dass sie aus beruflicher Unkenntnis – weil sie nie professionell in diesem Beruf gearbeitet hatte – einfach nicht in der Lage war, so einfache und noch gar nicht lange zurückliegende Tatsachen zu finden.

Mit diesen beiden Geburtsfehlern – die Falschangabe der Verkäufer und das Nicht-Auffinden der belastenden Gerichtsurteile, war die ganze Situation für Anna hoffnungslos.

Es gab zwar in dem Gutachten noch einige Punkte, die zugunsten von Anna sprachen, aber sie waren sekundär.

Es wurde ihr zugestanden, dass sie in gutem Glauben gehandelt hatte, dass sie davon ausgehen konnte, dass die Prüfung korrekt durchgeführt wurde und so fort – an der Tatsache, dass das Ganze von Anfang an praktisch ein vorbereiteter Betrug war, führt aber kein Weg vorbei.

Kapitel 37

Tel Quell

Vor 50 Jahren hatte ich auf der Berufsschule gelernt, dass es im Wirtschaft-Recht eine internationale Klausel gibt, die im allgemeinen Sprachgebrauch so gut wie unbekannt ist.

Es handelt sich um dem Begriff „Tel Quell“.

Er bedeutet im Warenverkehr, dass der Käufer die Ware so zu nehmen hat wie sie ausfällt. Der Verkäufer schließt jede Gewähr für die qualitative Beschaffenheit der gelieferten Ware aus.

Später hatte ich unter dieser Klausel gelegentlich mit Versicherungsgesellschaften zu tun.

Wenn ein Container mit irgendeiner Ware aus China nach drei Monaten Reise per LKW und Schiff in unserem Lager in Hamburg eintraf und der Container war durch irgendwelche Umstände auf der Reise in Sturm, Regen oder Salzwasser gekommen, so war der Inhalt nicht mehr verkäuflich.

Jedenfalls nicht mehr an die normalen Kunden, die eine korrekte und einwandfreie Ware erwarteten.

Es kamen dann Versicherungs-Experten und begutachteten 5 oder 10 Prozent der Kartons, die in diesem Container waren.

Sie stellten eine kleine Hochrechnung an, wie hoch der komplette Schaden in allen Kartons ungefähr sein würde.

Dann erschienen Vertreter einer Branche, die ich vorher auch noch nicht kannte.

Es waren Leute, deren Beruf es war, Transportbeschädigte Ware zu kaufen. Für einen ganz geringen Preis. Dafür aber ohne irgendwelche Garantie-Zusagen.

Um es an einem Beispiel einfach zu machen:
Wenn der Warenwert des Containers 1000 Euro war und die Käufer der Ware gaben ein Gebot von 200 Euro ab, dann erhielten sie den Container.

Ich erhielt die 200 Euro vom Tel Quel-Käufer und gleichzeitig die Differenz von 800 Euro von unserer Versicherung. Für uns war der Schaden durch unsere Versicherung gedeckt.

Der Tel-Quell-Käufer hatte, wenn er Glück hatte, dann die Ware dir für 200 Euro gekauft und konnte die Kartons, wenn sich herausstellen sollte, dass der reale Schaden weniger war als zuerst angenommen, für 600 oder 700 Euro verkaufen.
Ein schöner Gewinn.

Manchmal stellte sich auch heraus, dass die Ware stärker beschädigt war, als man zuerst angenommen hatte, dann hatte der Käufer Pech gehabt.

So eine Vertrags-Form gibt es in Europa auch für schwebende Gerichtsurteile. Auch das kannte ich.

Und ich sprach jetzt mit dem Experten, der die beiden Valle Grundstücks-Gutachten angefertigt hatte, über diesen Punkt.

Er kannte diese Tel Quell-Klausel zwar nicht dem Wort nach, aber der Sinn war ihm bekannt.

Er sagte, es gebe in der DomRep auch einige Firmen, die kaufen in schwebenden Verfahren die Rechte einer der beteiligten Partei für einen sehr geringen Betrag.

Sollte das spätere und finale Urteil zugunsten der Partei ausgehen, die ihre Rechte verkauft hatten, dann würden diese Firmen einem großen Gewinn machen.

Würde das Urteil am Ende zu Gunsten der anderen Partei ausfallen, hätte man eben Pech gehabt.

Eine rigorose Prüfung der gesamten Angelegenheit sei aber Voraussetzung für ein Angebot dieser Firmen, die die Rechte schwebender Verfahren aufkaufen.

Im Klartext wäre das hier jetzt folgende Situation:

Würde Anna den Prozess gewinnen, wäre der Wert des Grundstücks irgendwo zwischen mindestens 1 maximal 2 Millionen Dollar.

Würde sie verlieren, könnte sie ihre Rechte wahrscheinlich nie durchsetzen.

Der Haken der Geschichte hierbei ist, dass es nach einem erstinstanzlichen Urteil, was jetzt wohl irgendwann in diesem Jahr erwartbare war, dann folgende Situation geben wird:

Gewinnt Anna, wird die andere Seite in Revision gehen. Dass ist bei Urteilen in dieser Instanz normal und eine Revision wird mindestens drei, maximal zehn Jahre dauern.

Während der ganzen Zeit schweben die Rechte auf das Grundstück und es darf weder bebaut noch verkauft noch sonst wie kommerziell ausgenutzt werden – bis zu einem endgültigen Urteil.

Anna ist heute 78 Jahre alt.

Es ist abzusehen dass sie weder die Kraft noch die Gesundheit noch die sonstigen Voraussetzungen haben wird, weitere 3–10 Jahre um dieses Grundstück zu kämpfen.

Also wird auch im günstigsten Fall – dass jetzt ein Urteil in diesem Jahr zu ihren Gunsten gefällt werden sollte – die Konsequenz sein, dass sie viele weitere Jahre warten muss, bis dieses Urteil schlussendlich rechtskräftig wird.

Außerdem besteht die Möglichkeit, dass durch irgendwelche dominikanischen Umstände eine nächste Instanz ein völlig anderes Urteil fällen könnte.

Als der Grundstücks-Fachanwalt mir dies klar machte, hatte ich die Sache verstanden.

Ich sagte ihm, dass wir bereit wären, für einen geringen Betrag die gesamten Rechte, die Anna in den letzten 15 Jahren erworben hatte, an eine solche Firma zu verkaufen und die Firma kann dann von sich aus den weiteren Prozess führen. Normalerweise geht man dabei von einem Kaufpreis von 10–20 Prozent des aktuellen Wertes aus.

Im Klartext: Wenn irgendjemand 100–200.000 Dollar zahlen würde, wären wir bereit auf alles Weitere zu verzichten.

Auf dieser Basis fing der Anwalt an, Gespräche mit zwei potentiellen Firmen zu führen.

Schon nach kurzer Zeit kam er aber mit der ernüchternden Botschaft, dass beide es dankend abgelehnt haben, in diesem Fall auch nur ein Gebot abzugeben.

Ich musste davon ausgehen dass die beiden Firmen die Sachlage gründlich geprüft hatten und die Wahrscheinlichkeit, dass man hier am Ende ein Erfolg haben wird, von beiden Firmen so gering eingeschätzt wurde, dass man überhaupt keinen Gebot abgeben wollten.

Damit war für mich endgültig klar, dass Anna hier auf verlorenem Posten stehen würde.

Kapitel 38

Das zweite Grundstück

Der ganze Kampf der letzten 15 Jahre war immer nur um das große Grundstück von 10.000 Quadratmeter gegangen.

Über das kleine Grundstück von 5000 Quadratmeter gab es keinerlei weiteren Informationen.

Wir hatten dies Grundstück mit gerodet und mit verwaltet und nach außen hin präsentierte sich das Ganze wie ein einziges großes Grundstück von 15.000 Quadratmeter am Strand des Atlantiks im Valle von Samana.

Es wurde uns gelegentlich gesagt, dass unsere Chancen, zumindest das 5000 Quadratmeter Grundstück schlussendlich irgendwie zu bekommen, nicht schlecht stehen würden.

Aber konkrete Beweise hierfür oder Papiere gab es in den ganzen 15 Jahren nicht.

Vor einem Monat erschien eine Delegation von Landvermessern zusammen mit Arbeitern mit schwerem Gerät und Juristen usw. auf unserem Grundstück und dokumentierten einen kompletten Schriftsatz von 20 Seiten.

Darin wurde detailliert aufgeführt, dass irgendeine Firma jetzt Eigentümer dieser 5000 Quadratmeter geworden ist.

Mit einem Titel, mit sämtlichen Begleitdokumenten – es war perfekt inszeniert.

Es wurde eine Mauer durch das Grundstück gezogen und die 5000 Quadratmeter wurden separiert

Ich gehe davon aus, das hier entweder ein weiterer Prozess von 15 Jahren gemacht werden kann oder man akzeptiert einfach, dass irgendjemand erkannt hat, das Anna Deckel eine Frau ist, die nicht mehr kämpfen kann und man hat sich schlicht und einfach dieses Grundstück mit den dominikanischen Mitteln – das heißt mit Geld und Gewalt – unter den Nagel gerissen.

Es haben sich zwar auch ein oder zwei Anwälte gemeldet, die jetzt gerne für Anna auch diese 5000 Quadratmeter vor diversen Gerichten durchkämpfen wollen, aber ich persönlich habe ihr geraten, das Ganze jetzt zu vergessen.

Kapitel 39

Tränen

Anna ist am Boden zerstört.

Ihr Glaube an das Gute, ihre Hoffnung, dass die Gerechtigkeit siegen würde, der Mut mit dem sie bisher so vielen Problemen entgegen stand – all das ist kaputt und vorbei.

Sie ist in einem Stadium, wo sie mental akzeptiert, dass das Ganze dort ein 15-jähriger und wohl von Anfang an verlorener Kampf war.

Sie ist aber noch nicht bereit, sich dies auch in der letzten Konsequenz einzugestehen.

Ich habe mich inzwischen geweigert, irgendwelche neuen Gelder für irgendwelche neuen Anwälte oder Bekannte oder Freunde zahlen.

Und ohne Geld passiert in dieser Angelegenheit normalerweise überhaupt nichts.

Anna akzeptierte, dass man damit praktisch die Nabelschnur zwischen ihr und dem verlorenen Kind, was inzwischen 15 Jahre alt geworden war, zerschnitten hatte.

Trotzdem konnte sie es nicht überwinden oder sich eingestehen, dass die Sache endgültig verloren ist.

Sie ließ sich ohne mein Wissen etwas Geld von ihrer Familie aus Chile und von ihrer Familie aus Deutschland schicken, um es irgendwelchen Personen zukommen zu lassen, die sie darin bestärken wollten, dass es weiterhin irgendwie Hoffnung geben könne.

Natürlich war ich über dieses Vorgehen nicht glücklich sondern im Gegenteil ehrlich erbost.

Auf der anderen Seite kann ich es verstehen.

Wenn man in einem Krankenhaus vor dem Bett eines todkranken eigenen Kindes steht, das nur noch mit Schläuchen und extrem aufwendiger Technik am Leben gehalten wird, dann kommt irgendwann der schrecklichste aller Momente.

Das Krankenhaus darf die lebenswichtigen Verbindungen nicht selber kappen und alle Stecker entfernen.

Es kann aber zu einer bestimmten Zeit den Raum, wo das todkranke Kind liegt, verlassen.

Dann muss die Mutter selber die Entscheidung treffen und handeln.

Das ist furchtbar und hat Gott sei Dank in diesem Fall nicht die medizinischen Auswirkungen, dass es sich um einen menschlichen Todesfall handelt.

Es ist im Grunde genommen immer nur noch ein Stück Land, dass wir gerne gehabt hätten und dass uns durch all das, was bisher geschehen war, verwehrt wurde.

Es berührt aber nicht die Gesundheit anderer Familien-Mitglieder, sondern nur das eigene Gefühl der Gerechtigkeit.

Ich habe die ganze Sache inzwischen definitiv und endgültig abgeschlossen.

Anna noch nicht.

Das Wunder, auf das jetzt noch gewartet wird, wird nicht eintreten und die Konsequenz bleibt die Erkenntnis, dass man im Leben nicht alles erreichen kann, was man sich vorgenommen hat.

Dass der Begriff Gerechtigkeit genauso relativ ist wie das Wort Schicksal.

Und dass es viele Dinge gibt, die wichtiger sind als ein Stück Land irgendwo in der Karibik.

Epilog

Der Freund

Die Freundschaft mit Fritz Oberer überdauerte 50 Jahre.

Sie begann mit einem zufälligen Treffen in einem kleinen Dorf in Südamerika.

Sie wurde gestärkt und gefestigt durch gemeinsame Reisen durch China.

Sie wurde auf die Probe gestellt und bestand diese Probe durch die Hilfe, die Fritz Oberer seinem Freund Thomas Deckel in seiner heimatlichen Schweiz gab.

Dort lernte Thomas nicht nur mit großen Beträgen zu jonglieren, sondern er akzeptierte auch zum ersten Mal in sein Leben, dass man selbst für ganz kurze Strecken mit der Züricher Straßenbahn brav seine Fahrkarte kaufen muss.

Bei Besuchen von Fritz Oberer in der dominikanischen Republik lernte er hautnah Licht und Schatten in der Karibik kennen.

Er blieb bis zum Schluss der korrekte, nachdenkliche und untadelige Schweizer, der einige Jahre älter war als Thomas und den Thomas sein ganzes Leben lang als väterlichen Freund bezeichnete.
Vor einigen Jahren wurde Fritz dement.

Er verabschiedete sich von seinen Mitmenschen und seiner Umgebung und lebt seitdem in einer eigenen Welt.

Wäre er in der Lage, dies alles hier zu lesen, so wäre sein Kommentar:

Warum brauchst du hierfür 100 Seiten?

Hättest du mich vorher gefragt, hättest du das Ganze in vier Worten aufschreiben können:

„Wie gewonnen, so zerronnen“.

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